Ein Festival des Selbsthasses an einem Samstag im Mai

Wie ich der einschlägigen Fachpresse entnehme, sollen Oberschenkel – jawohl: dieses Stück Bein zwischen Knie und Rumpf – keinesfalls konisch geformt sein. Walzenförmig ist das Bein der Zukunft, eine sehr dünne Walze allerdings, und ganz gleich hat sein Umfang kurz unter dem Hüftknochen zu sein im Verhältnis zum Umfang knapp vor dem Knie. Entspricht ein Bein aber nicht dieser weltweit anerkannten Norm, dann, o unglückliche Beinbesitzerin, dann ergeht es Ihnen wie mir, und zunehmend gedrückt schleppen Sie sich an einem Samstag durch die Geschäfte und versuchen, Ihre Beine in sehr, sehr schmale Hosenbeine zu bugsieren, in denen – und das ist das Schlimmste – andere Leute wirklich gut aussehen. Die C. zum Beispiel, die mit immerhin 1,68 gleichwohl in Größe 34 passt, und – um dem Fass den Boden auszuschlagen – nicht einmal verhungert aussieht dabei, sondern einfach gut.

Klein, fett und hässlich schleppe ich meine Körpermassen der shoppenden C. durch Charlottenburg hinterher, zupfe resigniert an einigen herumhängenden Jackenkleidern, die an dünnen Leuten super aussehen, und die ich nicht einmal zugeknöpft bekomme, und kaufe vor lauter Verzweiflung, und um auch etwas gekauft zu haben, ein Kostüm, von dem der J. drei Stunden später behaupten wird, es sei zu eng.

„Größer gab’s das nicht.“, werde ich ächzen und die Kostümjacke auf mein Sofa werfen. Mich selbst würfe ich gern hinterher, indes liegt dort bereits der J. und schüttelt den Kopf über den blödsinnigen Einkauf. „Wegschmeißen!“, werde ich schluchzen, und das Kostüm im Schrank verstauen für später, wenn ich wieder schlank sein werde, was – wie wir alle wissen – niemals eintreten wird.

In Mitte will man mir auch nichts verkaufen. Die C. kauft ein Kleid, das es in meiner Größe dermaßen nicht gibt, das sich nicht einmal das Anprobieren lohnt, und mit hängenden Ohren, schniefend vor Heuschnupfen und Enttäuschung laufe ich heim. Die C. shoppt weiter.

„Die wollen mein Geld nicht.“, jammere ich dem J. vor und betaste meine Arme und Beine. „Blödsinn.“, schüttelt der J. den Kopf und spricht von Hosenanzügen, die mir besser stünden als die begehrten zarten, femininen Kleidchen, und meiner himmelschreienden Dummheit, wider besseren Wissens stets nach Kleidungsstücken zu greifen, die für einen Frauentyp entworfen worden sind, den der J. schonungsvoll als „anders gebaut“ bezeichnet. Verachtungsvoll kneife ich mit geschlossenen Augen in meinen Speck, bis es schmerzt und die Nägel rote, schmerzende Stellen hinterlassen. Hässlich sieht das aus, denke ich, aber auch irgendwie egal.

Manchmal wär’s gut, fünfzig zu sein, denke ich und schaue dem J. beim Musikhören zu. Wenn es erst einmal egal ist, ob man schlank ist, weil dann ohnehin die anderen an der Reihe sind, schön und geliebt zu sein, die jetzt gerade einmal geboren sind oder demnächst eingeschult werden. Auch nicht schlecht wäre es, irgendwo zu leben, wo die schönen, die beneideten, die zarten und zierlichen Frauen ihre Zartheit und Zierlichkeit genauso wenig herumzeigen könnten, wie ich mein Fett herumzeigen muss, und alle stäken in riesigen, unförmigen, vielleicht schwarzen Gewändern. Den Tschador haben dicke Frauen entworfen, sage ich laut, aber der J. hört mir nicht zu, sondern nickt im Takt der Musik aus seinen Kopfhörern, die, so denke ich mir, von lauter blitzdünnen, biegsamen und wohlgekleideten Frauen gesungen wird, die Größe 34 tragen, eisgekühlten grünen Tee trinken und Frauen wie mich mitleidig auslachen, wenn sie mit ihren Freundinnen einkaufen gehen und dicke Frauen sehen, die verzweifelt Kleidungsstücke über die Stangen schieben in der Hoffnung, es gäbe das Begehrte auch in Größe 40 oder so, aber das ist natürlich alles Quatsch.

16 Gedanken zu „Ein Festival des Selbsthasses an einem Samstag im Mai

  1. Statt mit der C. zum Ku’damm hätten Sie mit mir auf meine heutige dienstliche Abendveranstaltung kommen sollen. Wer da Kleidergröße 34 trug, war fett (und ich somit jenseits von allem). Aber lange habe ich mich nicht mehr so begehrenswert und besonders, so stark und witzig gefühlt.

    Denn die Figürchen, die neben mir standen, waren nichts als dünn und Abziehbildchenhübsch. Ich musste über diese krampfige Unbeholfenheit und mangelnde Souveränität fies grinsen. Da war kaum eine interessant. Und in Ballerinas, Baby Dolls und Leggins sahen selbst diese Grazien wie Tönnchen aus. Die momentane Mode kann nur die Rache einer dicken Designerin sein. Süße Rache.

  2. Hallo Modeste, dick sein findet im Kopf statt. Klingt Plattitüden-bescheuert, ich weiß. Aber es ist wirklich so. Den Horror-Einkauf, den du schilderst, erlebte ich sowohl auf der Suche nach Kleidergröße 46 wie 36. Was ich damit meine: Ich trage heute kleinere Größen als vor zwei Jahren – aber macht mir das Einkaufen mehr Spaß? Nein. Weil ich mich nicht schlank sehe. Weil ich in meinem Herzen mehr Speck an den Hüften habe und das gar nicht so schlimm finde. Weil ich bei meiner Abnahme gelernt habe, dass ich mich nicht über 15 Kilo mehr oder weniger definieren will. Und was wieder Plattitüden-bescheuert klingt, meine ich wirklich ernst. In meinem Herzen bin ich dick, wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich mich dick – obwohl ich es nicht bin. Und ich finde es nicht mal schlimm. So! Und jetzt geh ich Kuchen essen 🙂 Liebe Grüße, Nella

  3. Määäp. Falsches Geschäft, hätte ich ja jetzt gesagt, wenn mich jemand gefragt hätte. 🙂
    Es müsste ja noch etwas zwischen „hippe Klamotten in unrealistischen Jugendgrößen“ und „bunte Batikmode für die Frau mit Format“ geben?

  4. so ging´s mir vor ein paar monaten in paris. lauter schöne hosen, aber nur für jungs mit zigarettenbeinen. nach der dritten anprobe gab ich auf. die 30er in frankreich entspricht ner 28er hier. und ab 32 waren die schicken modelle nicht mehr vorrätig. hab dann aber noch ein schönes scharzes glitzerhemdchen gekauft, was mir ein wenig über die depression geholfen hat. aber nur ein bisschen.

  5. In den 80ern waren mal potthässliche, eckige Autos modern. Genauso kommen mir die Frauen mit Kleidergröße 34 vor.
    Runde Formen sind doch viel schöner.

  6. Schön, dass Sie wieder da sind! Und: Schönheit kommt von innen oder liegt im Auge des Betrachters – beides wohl. Und deshalb können wir auch in zehn/fünfzehn Jahren noch schön sein. Und geliebt werden sowieso…

  7. Geschätze Frau Modeste,

    was – um Himmels willen – ist nur mit Ihnen geschehen seit jener Bloggerlesung, die Sie seinerzeit so abenteuerlich nach B. geführt hat?
    Haben Sie Ihr Gewicht verdoppelt…? Sind Sie – obskures Phänomen –
    vielleicht um -zig Zentimeter geschrumpft…?
    Meine damalige ‚Augenscheinnahme‘ – sowohl aus der Nähe,
    als auch aus der Distanz – gaukelt mir offensichtlich ein völlig anderes Erscheinungsbild vor, als Sie es hier von sich glauben machen wollen…
    Ein wenig Larmoyanz – das gestehe ich gerne zu – gehört allerdings unbedingt zum Handwerk…!

  8. Selbst muss ich mir anerkennend auf die Schulter klopfen, weil ich Sie nicht voreilig von meiner Blogroll geschubst habe, verehrte Madame. Ich bin stolz auf mich. Und auf Sie noch viel mehr.

  9. REPLY:

    ah, da waren wir sicher auf der gleichen veranstaltung.
    ich habe so in worte gefasst: da gibt es mädchen, die ihr geld mit ihren körpern verdienen und da gibt es frauen wie mich (und die spreepiratin?), die ihr geld mit den mädchen und/oder den vorgängen drumherum verdienen. klingt wie zuhälterei, ist es aber nicht. das heißt medienbranche.

  10. Nun ja, als jemand, der wie ihre Freundin wirklich von Natur aus mit Kleidergröße 34 gesegnet (oder gestraft- je nach Standpunkt ist), drei Anmerkungen dazu, die vielleicht auch ein wenig tröstlich sind- die erste: versuchen Sie einmal einen Anzug in Größe 34 zu finden, der nicht aussieht, als sollte ihn Ally MacBeal tragen. Die zweite: zierlich wird meist nicht unbedingt mit Kompetenz in Verbindung gebracht, sondern eher mit dekorativer Sekretärin, und drittens- nach den Staatsexamen (wahlweise auch anderen Zeiten von Stress oder Krankheit) habe ich nur 45 kg gewogen- auch nicht ideal. Es hat alles seine Vorteile…

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