Rede an die alten Männer

Gewiss, Sie können noch. Sie können noch Motorrad fahren. Sie können aus Ihrem Porsche steigen, nicht viel langsamer als vor zwanzig Jahren. Sie können – davon sind Sie überzeugt – beruflich ziemlich viel sogar besser als ein Dreißigjähriger, und dass, was Sie nicht können, erwartet auch keiner von jemandem in Ihrer beruflichen Position.

Die Frauen gefallen Ihnen nach wie vor. Sie sind gut im Spiel, glauben Sie, schließlich verdienen Sie heute besser als jemals in Ihrem Leben, und die Hemmungen von vor dreißig Jahren haben Sie irgendwann am Wegesrand liegen gelassen. Fragen kostet nichts, und Sie wissen, wie man fragt, um im Notfall ohne Gesichtsverlust den Rückzug anzutreten. Die Politik aller Lebensbereiche dagegen langweilt Sie ein bisschen. Sie wissen, wie der Betrieb funktioniert, in dem Sie stecken. Sie wissen, wie jeder sich speziell für das Zentrum der Welt hält, und Sie wissen auch, wie man andere glauben macht, das Zentrum der Welt zu sein. Sie haben bluffen gelernt in den vielen Jahren.

Auf dem Wellenkamm Ihrer Jahre glauben Sie sich damit nach wie vor. Dass Alter Ansichtssache sei, behaupten Sie gegenüber sich und allen anderen, und meistens traut sich niemand, Ihnen zu widersprechen. Indes sei Ihnen versichert: Sie liegen falsch.

Natürlich: Ein alter Mann darf vieles. Ein alter Mann darf Zigarren rauchen und viel, viel Geld ausgeben für gutes Essen. Ein Mann von dreißig, gar ein Junge von zwanzig Jahren wirkt stets ein wenig naseweis und blasiert, kennt er sich mit Wein aus, und diniert er im Vau mit seiner Freundin, so sieht das oft nicht gut aus, ein wenig sehr nach goldener Jugend und Nutzlosigkeit. Ein junger Mann sollte deswegen sorgfältig wählen, wo er isst, stets etwas günstiger, als er es sich eigentlich leisten kann, aber ein alter Mann soll zu leben verstehen, denn es gibt kein gutes Bild, wenn ein alter Mann zu lässig lebt. Ein junger Mann mit einer Bierdose sieht oft nicht einmal schlecht aus, und ein Essen aus dem Pizzakarton gehört zu den verzeihlichen Fehlern der Jugend. Ein alter Mann mit einer Tiefkühllasagne dagegen ist schlechthin erbärmlich.

Das könne sich aber nicht jeder leisten, sagen Sie? Nun, ein alter Mann – und das ist keine populäre Ansicht – hat Geld zu haben, wenn er leben will. Ein junger Mann kann an fremden Buffets schnorren, auf Empfängen herumlungern, auf denen er nichts zu suchen hat, und sich immerzu einladen lassen. Ein alter Mann hat Erfolg gehabt zu haben, und wenn er kein Geld hat, ist das ein erheblicher Schönheitsfehler. Armut hört irgendwann ab 35 auf, pittoresk auszusehen, und es bedarf einiger Anstrengung, um als alter Mann ohne Geld ein gutes Bild abzugeben. Es ist möglich, gewiss, aber einfach ist es nicht, sondern viel, viel schwieriger zu tragen als die kokette Geldverlegenheit eines Zwanzigjährigen.

Keinesfalls aber sollte Sie dies empören. Empörung ist ganz generell eine gefährliche Sache für einen alten Mann, denn Zorn über die bestehenden Verhältnisse, umstürzlerische Reden oder gar Taten sehen leicht ein bisschen lächerlich aus, wenn man Teil dieser herrschenden Verhältnisse ist, und das auch schon ziemlich lange. Ist man es aber nicht, tut man besser daran zu schweigen, denn unfreiwillige Erfolglosigkeit ist im Alter, wenn sich hieran nichts mehr ändern lassen wird, schon fast eine tragische Sache. Haben Sie dagegen den Erfolg nie gesucht, nun gut, dann können Sie aus sicherer Distanz über die Betriebsamkeit Jüngerer spötteln, aber seien Sie vorsichtig: Man wird bemerken, wie es mit der Freiwilligkeit Ihres Lebenslaufs steht.

Überhaupt sollten Sie den scharfen Blick Ihrer Umgebung nicht unterschätzen. Wo sich ein junger Mann auf eine freundlich-augenzwinkernde Nachsicht verlassen darf, was auch immer er treibt, wird man Ihnen auch dann auf Ihr Sollkonto buchen, wenn Sie glauben, dass es keiner merkt. Man sagt Ihnen nicht viel über Ihre Wirkung, etwa auf Ihrem Motorrad oder in Ihrem Wagen, aber seien Sie versichert: Man sieht. Man sieht eine ganze Menge, und dass niemand etwas zu Ihnen sagt, liegt ein bisschen an Respekt vor Ihrer Lebensleistung und in erheblichem Maße daran, dass jeder annimmt, Sie anzusprechen habe ohnehin keinen Zweck. Und: Ja, das gilt auch für die Frauen. Denn machen Sie sich nichts vor: Keineswegs ist Alter kein Hindernis. Natürlich gibt es vereinzelte Frauen, die Alter anzieht, aber das sind seltene Fälle. Die meisten Frauen der Altersstufen, denen Sie sich noch gewachsen fühlen, finden Annährungen dreißig Jahre älterer Männer bisweilen befremdlich, manchmal geradezu abstoßend, und dass Sie nicht mehr angewiderte Blicke ernten, wenn Sie fragen, wie es denn aussehe, liegt im Wesentlichen an der Harmoniebedürftigkeit der meisten Frauen und nicht daran, dass Sie gut gefallen.

Das sei ungerecht, sagen Sie, aber bedenken Sie doch: Frauen geht es schon seit zwanzig Jahren so, und ungefähr das, was Sie als Dreißigjähriger über die Kontaktversuche einer zwanzig Jahre älteren Dame gedacht hätten, wird Ihnen nun entgegengebracht, es sei denn, Sie sind sehr reich oder berühmt, und auch dann sollten Sie sich nicht vormachen, attraktiver zu sein als Sie sind. Überlegen Sie also gut, was Sie sich und Ihrem Gegenüber zumuten.

Was Ihnen dann noch bleibt, wollen Sie wissen? Sie werden es nicht gern hören, aber: Gutes Essen und herbstliche Gespräche vielleicht. Spaziergänge im raschelnden Laub. Die Literatur, Musik (aber hüten Sie sich vor elektrischen Gitarren), und wenn Sie die Frauen nicht lassen können, bewundern Sie auf Abstand. Seien Sie demütig: Wenn Sie wider Erwarten gefallen, seien Sie dankbar. Genießen Sie die letzten vollen, goldenen Tage Ihres Lebens und nehmen Sie Ihren Abschied ohne Bitterkeit. Er lässt sich so oder so nicht vermeiden.

74 Gedanken zu „Rede an die alten Männer

  1. REPLY:
    @punctum

    Ich nehme an, dass es ein anlassbezogener Ausbruch ist, der von der Formulierung ja ganz nett klingt. Deine Antwort hat mich aber auf etwas anderes gebracht: Du schreibst, sie habe vom Alter keine Ahnung. Das könnte dadurch belegt sein, dass ja nur von der Belästigung der jungen Frauen durch die alten Männer die Rede ist. Ich habe in der Jugend sowohl alten Männern als auch alten Frauen sehr interessiert zugehört. (Bei meiner Oma war da natürlich die Schokolade als Belohnung ein zusätzlicher Anreiz.) Aber als Dreißigjähriger hat es mich sehr interessiert, was 60-90-Jährige zu sagen hatten. Ich habe daraus die Information gezogen, wie sich Lebensansichten in den unterschiedlichen Stadien des Lebens verändern. Später habe ich das ja auch an mir feststellen können, obwohl ich mir in manchen Punkten hundertprozentig sicher war;) Ich denke, dass man sich einer fiktiven Erkenntnis nur annähern kann, wobei die Annäherung alternierend passieren kann.
    Damals galt eine Frau mit 50 wirklich schon als alt. Heute ist das eher die Ausnahme. Allerdings gibt es Frauen mit 30, die bereits alt sind, weil sie in den Gedankenentwicklungen abgestorben sind. Originaltext: „Ich bin jetzt dreißig, ich will doch nichts mehr lernen!“

  2. REPLY:

    Ich weiß nicht. Auf der einen Seite habe ich den Typ „geistiger Busengrabscher“ (geistig, weil nicht real handgreiflich werden, aber die Grenzüberschreitung spürbar ausstrahlend) öfter erlebt, meist Männer im Alter von 50-65, oft Chefs oder Teamleiter (ganz besonders ausgeprägtes Exemplar: Regisseur, Intendant oder Kurdirektor Typus „dünne Lederjackenträger mit Schmerbauch“). Andererseits: Ich hatte mal einen Chef, der mit einer 20 Jahre jüngeren Frau sehr glücklich wurde, und die mit ihm. Ich kannte mal einen damals 70 jährigen, für den das Motorrad zu spießig gewesen wäre – er flog mit der Cessna durch die Weltgeschichte, landete auf irgendwelchen Wiesen, schlug unter der Tragfläche sein Iglu-Zelt auf. Die Frauen liebten ihn. Keine 20jährigen, aber Enddreißigerinnen, die One-Nights-Stands mit dem alten Herumtreiber schätzten. Die Welt ist viel zu bunt, um kleinlich zu sein. Es gibt den Typus, den Du beschreibst, aber drumherum noch sehr viel Anderes. Zu Verlangen, dass Belästigung unterbleibt ist nur allzu berechtigt. Anderen Leuten vorzuschreiben, wie sie zu leben haben hat keine Legitimation.

  3. REPLY:

    Sind Sie ernsthaft der Auffassung, die Thematisierung der – sicher unstreitigen – vielfachen Belästigungen durch ältere Männer, die sich zu Unrecht für unwiderstehlich halten, belege eine Unkenntnis des Alters, welche wiederum geistige Unbeweglichkeit kennzeichne? Falls ja, fehlen mir im Zuge dieser Gedankenführung mindestens zwei logische Zwischenschritte, indes mag dies auch an dem von Ihnen suggerierten geistigen Verfall liegen.

  4. REPLY:

    Nun, Che, ich lebe davon, dass Menschen anderen Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben, und habe zu Verboten ebenso wie zu nicht sanktionierten Missbilligungen naturgemäß ein etwas entspannteres Verhältnis. Zudem: Niemand verbietet oder missbilligt einen älteren Herrn, der glücklich ist oder glücklich macht. Diejenigen indes, die sich zu Unrecht für hochattraktiv halten und sehr, sehr pampig reagieren können, verrät man ihnen, dass dies unzutreffend sei, werden in meinen Augen zu recht missbilligt.

  5. REPLY:

    OK, da bin ich dann wieder bei Dir. Dein Posting lässt andere Interpretationsmöglichkeiten offen, nämlich die, Leuten vorschreiben zu wollen, wie sie konkret zu leben haben und wie nicht, und auch noch ihrer Altersgruppe gemäß, und das hat dann etwas strukturell ultrakonservatives. Wenn das so nicht gemeint ist ist es ja gut.

  6. REPLY:

    Verzeihen Sie, aber das ist nicht mein Anliegen. Ich finde einfach den bunten Strauß von Verhaltensregeln, der hier „den alten Männern“ überreicht wird, einschließlich der Aufforderung, sich endlich aus dem Leben zu verabschieden, unfreiwillig komisch. Für Sie mag das ein Nebenaspekt sein. Mich hat dieser Punkt an Modestes Rede am meisten interessiert, denn er enthält eine Verallgemeinerung, die Missverständnisse provoziert und die sich sehr gut auf die Spitze treiben lässt.

    Inzwischen hat der bräsige, paternalistische Typus, der hier eigentlich gemeint ist, durch die zahlreichen Kommentare Gestalt gewonnen. Ich kann Ihnen versichern, dass er auch jungen Männern durch sein herablassendes Dominanzgebaren auf die Nerven geht. An Verständnis für den Ärger, der den Anlass für dieses schöne Spektakel bildet, fehlt es mir also nicht.

  7. REPLY:

    Huch – jetzt lese ich das hier eher zufällig (und auf dem Weg ins Bett) und bin etwas verwirrt. Ich möchte nur anmerken, dass ich hier keinesfalls als „punktum“ kommentiert habe. Das wäre auch gar nicht mein Stil. Und im übrigen halte ich den Text keineswegs für blasiertes Geschwafel. Das nur mal am Rande.

  8. Vielen Dank

    .
    für die erfrischende Beleuchtung einer jugendlichen Geisteshaltung! Das Amusement war so überwältigend, wie die gewonnene Einsicht!

    Aber bitte grämen Sie sich nicht, in spätestens sieben Jahren ist dieser unappetitliche Spuk endgültig vorbei. Dafür gibt es 40 Gründe 😉

  9. REPLY:

    Ja, das sagten mir mehrere Freundinnen, die die 40 überschritten haben. Die Bewerber werden noch älter und noch dreister, weil mancher offenbar meint, eine Frau über 40 könne froh sein, wenn da überhaupt noch jemand auftaucht.

    Überflüssig zu erwähnen, dass diese Annahme meistens nicht stimmt.

  10. REPLY:

    In einer Zeit, in der 50 jährige Frauen erfolgreich auf 30 machen, auch ohne Madonna zu heißen und alt Sein mit dem Pensionsalter beginnt, mit wachsendem Alter die Damen aber auch wachsendes Selbstbewusstsein an den Tag legen dürften die alten Säcke mit dieser Kalkulation völlig ins Leere fahren;-)

  11. REPLY:

    Ich dachte eigentlich mehr an die regelmäßige Fitnesscenter-Geherin und Beauty-Shop-Kundin und daran, dass in meiner Kindheit 50 jährige Frauen tatsächlich so herumliefen wie heute 70jährige-in Kleidung, die eben nur alte Leute anzogen, mit Dutt, Kapothütchen oder Kopftuch.

  12. Jeder Penisträger, der vorne eine 4 oder gar noch andere Zahlen stehen hat, und der sich imstande sieht, einen halben Meter eigenkritisch zurückzutreten, weiß, dass Modeste in ihrem Eröffnungsbeitrag recht hat.
    Wie attrahiert von einem unwiderstehlichen Magnetismus, gravitiert die Männlichkeit in die „Faster horses, older whisky, younger women“-Sehnsuchtssphäre. Es kommt aber darauf an, wie man damit umgeht.
    Alles hängt davon ab, die Zeichen an der Wand früh schon zu entziffern. Bereits in der Phase der noch eine Residualbestimmung von Jugendlichkeit mit sich führenden dreißiger Jahre sollte der Gedanke des „Dahin!“ zugelassen werden, wenn plötzlich den 3-Tage-Bart nicht länger die Aura des Verwegenen umglänzt, sondern unrasiert nur noch ungepflegt ist.
    Noch früher gilt es den Zeitpunkt zu erspüren, zu welchem die minderjährige Geliebte auch der zuständigen Staatsanwaltschaft ein nur bedingt bewunderndes Olala! abpresst.

    Jenen unwiderstehlichen Magnetismus erkennt die Psychoanalyse als infantilen Regreß, welcher das Kinderglück beschwörerisch bewahren will. Diesen Magnetismus zu sehen und zu akzeptieren, ohne ihm doch Macht einzuräumen über die eigene Subjektivität, ist eine Definition von Erwachsensein.

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