Food Inc.

Berlinale 2009

Es muss Leute geben, die kaufen Kartoffeln in Scheiben. Im Glas. Es gibt Menschen, die tauchen mit tiefgefrorenen Tortellini in Sahnesauce, Kohlrouladen in Dosen, abgepackten, fertig gefüllten Pfannkuchen und tiefgekühlten Salamibaguettes an der Supermarktkasse auf, bezahlen für das Zeug mehr als ich oder jeder andere normale Mensch für ökologisch erzeugte Kartoffeln, Tomaten, Käse, Eier und Salat, und ich möchte wetten, dass diese Leute dieselben sind, die, nach ihren Ernährungsgewohnheiten gefragt, in Umfragen stets behaupten, gesundes Essen sei ihnen zu teuer.

Dass aber der Inhalt eines solchen Einkaufswagens nicht nur viel zu fett, viel zu reich an Nahrungszusatzstoffen, viel zu süß und viel zu viel ist für einen normal bewegungsarmen Mitteleuropäer ist. Dass vielmehr auch die Ausgangsprodukte dieser (zudem nicht besonders anziehenden) Speisen auf eine Art und Weise produziert werden, die qualvoll für die Tiere, demütigend für die Arbeiter in Fabriken und Schlachthöfen und ruinös für die Umwelt und die Bauern ist, ist den meisten Menschen zwar halbwegs bekannt. Gleichwohl verliert der genaue Blick auf die industrielle Nahrungsmittelindustrie nichts an Ekel und Schrecken: Die Hühner, die fußballrund und viel zu schnell gewachsen wegen ihrer besonders fleischigen Brustfilets nach vorn kippen, wenn sie versuchen, aufzustehen. Die Schweine, die zu je 2.000 pro Stunde in einem riesigen Schlachthof getötet werden. Die Arbeiter, die sich illegal in den USA aufhalten und aus Angst vor Abschiebung keine Arbeitnehmerrechte geltend machen. Die Kinder, die an den Folgen einer rein ertragsorientierten Wirtschaftsweise krank werden und sterben, weil Bakterien ins Burgerfleisch geraten. Kühe, die genetisch veränderten Mais fressen statt Gras (laut einem Artikel in der ZEIT von dieser Woche vertragen diese Kühe gar kein Gras mehr). Die hochverschuldeten Bauern, die von Saatgutherstellern abhängig sind wie Leibeigene vom Lehnsherrn und bei aller Plackerei im Jahr gerade einmal $ 20.000 verdienen. Am Ende der Kette dicke Kinder und kranke Erwachsene.

Gute und starke Bilder findet der Filmmacher Robert Kenner für den Skandal, den das Essen aus dem Supermarkt vielfach darstellt. Die Erklärungen und Hintergrundinformationen der Sachbuchautoren Michael Pollan und Eric Schlosser flankieren die Berichte der Bauern, des Gewerkschafters und der Lebensmittelaktivistin, und die Geschichten, die der Film dabei am Rande miterzählt über die verratenen Träume der illegalen Einwanderer und das Ende des ländlichen Amerika wären – man ahnt es – allein wert, einen Abend oder viele zuzuhören, um zu verstehen, wie diese Welt so geworden ist, wie wir sie kennen.

Dass aber die Welt der Nahrungsmittelproduktion anders aussehen könnte, sehen wir auch, illustriert anhand von Biobauern und Handelsketten auf der Suche nach anderem Essen. Dass dies teuer wäre, für viele nicht zu bezahlen, ist allerdings eine weitere Behauptung, die der Film erhebt, indem er eine Familie beim Kauf von Fast Food für $ 10,– zeigt, die steif und fest behauptet, für besseres Essen reiche das Geld nicht, und hier folge ich dem ansonsten großartigen Film nicht. Denn ich kann wie jeder andere, der kochen kann, für $ 10,– vier Leute problemlos satt bekommen, ohne auf einziges verarbeitetes Lebensmittel zurückzugreifen, Kochbücher könnte man füllen mit Rezepten, die dies ermöglichen, und so schwächt der Film die vielleicht entscheidende Wahrheit trotz dringenden Qualitätskaufappells im Nachspann leider ab: Wir selbst – niemand sonst – haben es in der Hand, wie mit Boden, Wasser, Tieren und Luft umgegangen wird. Wir müssen nicht essen, was in der Tiefkühltruhe liegt, und dann werden die Produzenten aufhören, derlei Dinge herzustellen. Wir können selber kochen, wir können besser einkaufen. Zudem: Wir brauchen meistens kein Auto und niemals einen Flachbildfernseher, aber schlechtes Essen bringt uns auf die Dauer um. Es ist unsere Schuld, wenn Nahrung so hergestellt wird, wie der Film es zeigt, und niemand wird Menschen von der Gier freisprechen, Schnitzel für € 2,99 zu verlangen, die nur unter den gezeigten Bedingungen produziert werden können.

Und nicht zuletzt (das thematisiert Food Inc. leider nicht): Wir sollten nur Aktien von Firmen kaufen, von denen wir wissen, dass ihr Gewinn uns oder anderen nicht schadet. Denn alle Unternehmen, die hier als gierige, rücksichtslose Profitmaschinen auftauchen, gehören am Ende Aktionären. Man sollte ein bisschen drauf schauen, was die Unternehmen, denen man sein Geld gibt, aus dem Auftrag machen, noch mehr Geld zu verdienen.

Food Inc.
USA 2008
Noch einmal am Montag, um 18.00 Uhr

22 Gedanken zu „Food Inc.

  1. Der Text musste geschrieben werden! So oft habe ich mich genau darüber aufgeregt. Manch einer hat wohl lieber Tomaten auf den Augen statt selbst einmal nachzudenken. Aber der Strom kommt ja auch vieler Orts aus der Steckdose 😉

  2. Ich weiß nicht, ob es sich in den USA ähnlich verhält, aber hierzulande hat sich irgendwann im Zuge des Wirtschaftswunders eingebürgert, dass es ein Zeichen von Wohlstand ist, täglich Fleisch zu essen. Würden sich sehr viele Menschen über diesen stillen gesellschaftlichen Konsens hinwegsetzen, sähe manches sehr schnell sehr anders aus.

  3. Mein Lieblingsbeweis, dass hierzulande gesundes Essen kein Privileg der Wohlhabenden ist: türkische Einwanderer. Was es im Süpermarkt zu kaufen und in den Familien zu essen gibt, kostet ganz bestimmt nicht viel Geld und ist meilenweit von hyperverarbeitetem Dreck mit zwanzigerlei Zusatzstoffen entfernt. Statt dessen: saisonal, kreativ, ökonomisch, gesund.

  4. Die hochverschuldeten Bauern, die von Saatgutherstellern abhängig sind wie Leibeigene vom Lehnsherrn …

    Vor geraumer Zeit las ich irgendwo, dass die inzwischen wegen der Finanzkrise heftige Probleme hätten, Kredite zu bekommen, um das Saatgut und den dafür nötigen Dünger einzukaufen. Ohne den wächst dieses Zeugs aber nicht so recht.

    Wen es interessiert: Auf 3sat lief in der Reihe hitec am 12. Januar 2009 eine Sendung über Epigenetik mit dem Titel „Gefährliche Mahlzeiten. Wie Nahrung unser Erbgut beeinflusst“. Die Sendung ist noch in der Mediathek abrufbar (Link), sie dauert knapp 30 Minuten, auf der Website der Sendereihe gibt es auch noch etliche Texte zum lesen.

  5. Die Frage nach dem „teuer“ bei vernünftigen Lebensmitteln ist natürlich das gleiche bescheuerte Geschwätz wenn es darum geht unterirdisch miese Realityshows zu begründen: Der Kunde will es so.

    Wenn in einem 5.000 Seelennest der 4. Discounter aufmachen muss, weil er das Feld ja nicht den 3 anderen Konkurrenten überlassen kann, dann geht das natürlich nur über den Preis, den das Sortiment ist sowieso überall das Gleiche. Der Kunde nimmt dass dann natürlich dankend an .
    Es ist also die Frage wer angefangen hat mit dem immer höher, schneller, weiter…

    Desweiteren geht es um die Menge, Walküre hat da ganz recht. Seit ich kein Auto mehr habe und auf das Fahrrad beim wöchentlichen ‚Foodshopping‘ angewiesen bin kaufe ich viel weniger, dafür weitaus besser und sinnvoller ein. Supermärkte betrete ich fast nur noch für Waschmittel, Klopapier etc. . Für das gleiche Geld bekomme ich gute Ware bei der ich nicht die Hälfte wegwerfe, weil die Augen wieder größer waren als der Magen. „Teuer“ ist somit sehr relativ.

    … und ich werde den Film wahrscheinlich nicht anschauen, weil mich diese Dokumentationen des Wahnsinns langsam echt in den Selbigen treiben 😉

  6. Eigentlich…

    … sollte es doch eine Binsenweisheit sein, daß Fast Food oder Fertigprodukte in der Regel gut doppelt so teuer sind wie eine selnstgekochte Mahlzeit, insbesondere wenn es darum geht die ganze Familie zu verköstigen. Und das sogar ohne bei den Zutaten auf den Preis zu schauen, sondern stattdessen auf die Qualität – das zahlt sich nämlich beim Essen doppelt aus. Ich habe das noch von meinen Großeltern und Eltern gelernt, daß man an allem sparen kann, aber keinesfalls am Essen – sie haben die Kriegszeiten erlebt, als es schlicht nichts gab und man improvosieren und auch hungern mußte, das prägt natürlich.
    Das Problem ist aber, daß viel zu viele nur noch auf den Preis schauen – im Falle von ALG II-Empfängern verwundert das auch nicht wirklich – und daher kein Stück darüber nachdenken, wie der wohl zustandekommt und was man dafür letztendlich erhält. Insgesamt ist so einiges faul im Staate Dänemark… oder vielmehr global. Global sollte überhaupt zum Unwort des Jahrtausends gekürt werden.

  7. REPLY:

    Ja, und T-Shirts kosten von selbst € 4,90. Kommentiert man dergleichen, gilt man sehr schnell als herzlos gegenüber sozial Schwachen, dabei sind viele, die so gedankenlos konsumieren, keineswegs arm. Da wird die Hartz-IV-Mutti gern vorgeschützt.

  8. REPLY:

    Ja, das ist eine sonderbare Sache. Ich esse tatsächlich ganz gern Fleisch, aber sich jeden Tag die Schnitzel in den Mund zu schieben, fände ich auch schlicht nicht so besonders lecker. Vielleicht spielt hier aber auch Phantasielosigkeit eine Rolle. Fleisch braten, Spinat auftauen und Pommes frites in die Friteuse werfen ist halt einfach und bedarf keiner Planung.

  9. REPLY:

    Ja, das ist lecker. Die vielen Gemüsegerichte, die Eintöpfe und Salate mit Hülsenfrüchten. Auch nicht schlecht: Die asiatischen Küchen, die mit meistens wenig Fleisch, viel Gemüse und Reis oder Reisbandnudeln eigentlich perfekt sind für Leute, die den ganzen Tag sitzen. Die deutsche Küche hat oft den Nachteil, dass wenig Kräuter und Gewürze verwandt werden. Dann schmeckt es natürlich nur mit viel Fett.

  10. REPLY:

    Ja, diese Riesenpackungen sind natürlich auch der schiere Wahnsinn. Natürlich treibt das die Effektivkosten. Wenn der J. und ich im Discounter Lauch nur im Kilopack und Äpfel nur im Beutel zu 3 Pfund bekommen, geben wir natürlich mehr aus, als wenn wir im Biosupermarkt oder auf dem Markt zwei Stangen Lauch und die vier Äpfel, die wir wirklich essen, erwerben.

  11. REPLY:

    Man sollte – das habe ich schon häufiger gedacht – in der Schule wieder kochen lernen. Richtig kochen, also die Fertigkeit, aus Rohprodukten etwas Essbares herzustellen. Basisgerichte wie Knödel, Risotto, Gemüsesuppen, Forellen oder Bouletten, Topfkuchen oder Brathähnchen. Die Variationen kommen dann schon von selbst, aber die Kinder bekämen ein anderes Verhältnis zur Nahrung, wüssten, wann etwas wächst, wie man eine Woche plant oder eine Gesellschaft gibt. Je weniger Leute über Essen wissen, um so schlechter wird die Nahrung sein, mit der sie sich begnügen.

    Tischkultur wäre natürlich auch nicht schlecht.

  12. REPLY:

    Das wäre in der Tat eine lohnenswerte Sache – denn wer lernt das als Kind heutzutage schon noch zuhause?

    Ich habe mit Vergnügen meiner Oma und meiner Mutter in der Küche auf die Finger geschaut und dabei viel gelernt – wobei die beide immer „frei Schnauze“ gekocht haben. Später habe ich mich dann selbst an Rezepten probiert, diese gegebenenfalls auch mal variiert – es ist alles kei Hexenwerk, und es gibt kaum etwas entspannenderes als gemütlich zu kochen und liebe Gäste zu bewirten (erstmaliges Ausprobieren von Rezepten mache ich allerdings lieber nur für mich).

    Tischkultur ist dann ja schon wieder ein Thema für sich – aber auch da gilt wohl, daß man das entweder von Haus aus lernt oder aber eben nicht.

  13. REPLY:

    Ich habe bei meiner Großmutter kochen gelernt. Das war entsprechend eine schon damals nicht sehr zeitgemäße Küche, die natürlich recht fleischlastig war, da war von Krautwickeln bis Schmorbraten und Rehrücken alles dabei. Es gab aber auch viele Gemüsegerichte, und was im Garten wuchs, wurde auch verarbeitet.

  14. Fleisch

    Täglich sehe ich, wie Mütter, die mit ihren Kindern, vom Kleinstkind im Kinderwagen, Babys, bis hin zu großen Kindern, an der Fleischtheke des Metzgers stehen. Dort bekommen die Kinder von den Wurst-Verkäuferinnen, durch die Bank, fette Wurstscheiben geschenkt. Die Mutter dann: „Wie sagt man?“ – „Danke“ das die fette Wurstscheibe mampfende Kind…

    Die Kinder werden von frühester Kindheit an bereits angefixt mit diesem ekelhaften fetten Wurstscheiben…und Fleisch!

    Diese Metzgerei hat im Raum auch einen Stehimbiss. Dort wird täglich auch eine vegane Mahlzeit, die sehr schmackhaft ist angeboten. Diese esse ich des öfteren und schaue mir dabei das Schauspiel an der Wurst- und Fleischtheke an. Übrigens das vegane Essen nehme fast nur ich und einige ältere Leute. Der Rest haut sich, täglich, Schweinshaxen, Schweinsbraten, Hackfleisch, Leberkäs, Würstel rein, aber täglich…

    Mütter mit ihren Kindern, die beim Tengelmann, statt beim Metzger einkaufen, holen noch rasch(!) eine Leberkassemmel vom Imbissstand, für die 7jährige Tochter oder Sohn, weil das Kind schon wieder Hunger hat…

  15. Unser täglich Brot.

    Wenn der Film so gut ist wie dieser hier:
    http://www.filmstarts.de/kritiken/42355-Unser-t%E4glich-Brot.html

    Dann sollte man reinschauen.

    „Die Bilder der Werbung, in denen Butter gerührt wird und ein kleiner Bauernhof mit verschiedenen Tieren gezeigt wird, hat nichts mehr damit zu tun, wo unser Essen tatsächlich herkommt. Es herrscht eine Entfremdung in Bezug zu der Entstehung unserer Nahrung und zu diesen Arbeitswelten, die es lohnt, aufzubrechen.“ (Nikolaus Geyrhalter)

    Also, die Doku ist schön ruhig erzählt und enthält eindringliche Bilder.
    Schön ist auch, dass der (nicht immer freiwillig) an der Produktion beteiligte Mensch gezeigt wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken