Chronik eines misslungenen Abends

Vor dem Rutz angekommen, haben die C. und der J. keine Lust mehr. Das Publikum des achten Geburtstags dieser in Ostberlin wohlbekannten Weinbar sei im Schnitt – geschätzt von der anderen Straßenseite – ungefähr hundert, wird sich beschwert, und so laufen wir weiter. Irgendwo ein paar Straßen entfernt schlägt es zwölf. Schade, bedaure ich, und denke ein bißchen wehmütig an den Wein, ein paar Häppchen und einen lässigen Tresenabend in Jeans und Shirt. Zum Umziehen nämlich war ich eine gute halbe Stunde zuvor zu faul, und laufe ungefähr in demselben Aufzug umher, in dem ich irgendwann morgens beim Bäcker war: Eine schwarze Jeans. Ein isabellafarbenes T-Shirt für € 4,90, weiße, billige Ballerinas und einen schwarzen Trenchcoat, dem ein Knopf fehlt. Schmuck trage ich keinen, geschminkt bin ich auch nicht, meine Haare stehen ab, und so kommt es mir ein bißchen ungelegen, als der J. und die C. so circa Höhe Reinhardstraße beschließen, es gehe nun ins Tausend. Ins Tausend also. Und das mir in diesem Aufzug.

Vor der Tür des Tausend stehen ein paar Frauen, die sämtlich besser angezogen sind als ich. Nicht, dass ich die Sachen geschenkt haben möchte, aber teuer waren sie ganz bestimmt, und dass die sichtbare Mühe beim Zurechtmachen nicht zum Erfolg führt, lässt mich das Schlimmste fürchten: Die Tür schickt die Frauen weg. Sie seien wohl ein bißchen zu alt und zu dick gewesen, spekuliert der J. etwas später. Männer lässt der Türsteher offenbar gerade gar nicht mehr rein.

Ein wenig Mühe kostet es also schon, auch den J. in die Bar zu bugsieren. Gut sieht er doch aus, mein geschätzter Gefährte, denke ich, und bin noch ein bißchen besorgter, und in der Tat erweise sich alle meine Sorgen als komplett berechtigt. Alle anwesenden Frauen sind auffälliger und ganz sicher kostenträchtiger gekleidet als ich, ganz überwiegend blond, im Schnitt etwa 22, und so fühle mich wie eine Hausfrau beim Staubsaugen bei einem Modelcontest, als ich schließlich neben der riesigen, spiegelnden Kugel an der Wand auf der Bank sitze und Sekt trinke. Es ist rappelvoll. Rechts, links, vor und neben mir schwenken sehr dünne, sehr junge Frauen ihre Handtaschen umher, fahren sich mit gespreizten Fingern durchs Haar und lächeln die durchschnittlich vierzigjährigen Männer auffordernd an. Die meisten Männer, fällt mir auf, sehen aus, als sei ihr modisches Ideal ein russischer Oligarch.

Die C. und ich begutachten Handtaschen und Schuhe und fragen uns, ob es eine gute Idee war, die Energie zwischen zwanzig und dreißig in zwei Staatsexamina zu stecken. Hätte man die damals ja noch im Übermaß vorhandene Zeit in Schönheit investieren sollen? Hätte ich es weiter gebracht, wäre ich damals zur Maniküre und nicht zur Vorlesung Staatsrecht II gelaufen? Was machen die Mädchen hier eigentlich beruflich? Und wie sieht es bei diesen zum allergrößten Teil vermutlich nicht reich geborenen Mädchen in zehn Jahren aus? Wird sich der Aufwand auszahlen, und eines Tages laufen jene Personen behängt mit Einkaufstaschen auf der Friedrichstraße an mir vorbei und schauen mich noch viel abschätziger an, als heute nacht an der Bar?

Einer weiteren Konfrontation mit den „was macht denn die da hier“-Blicken enthebt mich dankenswerter Weise der nachkommende M.2. Genauer gesagt geht die Beendigung der etwas unwürdigen Situation auf die Interaktion zwischen dem Herrn der Pforte und dem M.2 zurück, denn dieser ist auch auf Zureden der C. nicht bereit, noch einmal die Tür zu öffnen. Um den M.2 nicht allein einer einsamen weiteren Abendgestaltung zu überlassen, ziehen auch wir ab. Vor der Tür, sehe ich im Gehen, steht ein weißer Porsche 911, offenbar eine Sonderanfertigung, hinten mit Rennsitzen und Spoiler obendrauf, und am Bug irgendwie dicker, als ich dieses Gefährt in Erinnerung habe. Der Wagen sieht unglaublich aus, und ich hätte ihn jedem zweiten Gast dieses Ladens zugetraut.

Wir gehen also langsam, zu viert nebeneinander, die stille Friedrichstraße hinab. Um nach Hause zu fahren ist es entschieden zu früh. Aufs Reingold habe ich keine Lust, eine Rückkehr zum Rutz passt der C. und dem J. immer noch nicht, und so stehen wir zwanzig Minuten später vorm Shochu. Es ist gold und schwarz hier drin, und die Kissen haben kleine, aufsässige Mähnen. Wie wohl mein Kater mit einem solchen Miniaturirokesen aussehen würde, frage ich mich, und streiche über das harte, dicke Fell.

Die Bar hat eigentlich keine Lust mehr auf uns. Es gebe nur noch eine Runde, stellt sich uns eine Frau in den Weg, als wir kommen. Das sei okay so, bescheiden wir die Dame und setzen uns hin. Eine halbe Stunde später kommen die (in meinem Fall hervorragenden) Getränke. Eine weitere halbe Stunde später dreht irgendjemand das Licht in unserer Ecke dermaßen auf, dass wir gehen. Die Rechnung haben wir schon vorher unaufgefordert in einer Dose auf den Tisch gestellt bekommen.

Einen letzten Wein trinke ich noch, es ist spät, im Visite ma tente in der Schwedter Straße. Die Kellnerin lächelt uns müde und freundlich an, wie immer. Auf der Galerie, hinten in der Bar, feiern ein paar Franzosen irgendetwas, lachen, Gläser klirren, und für einen Moment stelle ich mir vor, es sei elf und nicht drei, und der Abend läge noch vor uns. Hier. Oder anderswo.

Aber nicht da, wo wir waren.

20 Gedanken zu „Chronik eines misslungenen Abends

  1. seien sie froh um das staatsrecht zwei. die zeit zwischen zwanzig und dreißig sollte man nie in frage stellen, sie war automatisch richtig. wie wär’s denn mal mit schöneberg oder neukölln? fremd ist man ja überall.

  2. REPLY:
    Schöneberg ist ja nicht so meine Sache, allerdings kenne ich da nicht viel. Kreuzkölln mag nett sein, aber vielleicht fehlt es mir da auch ein bißchen an Ortskenntnis, wo man hingehen sollte.

  3. REPLY:
    Naja, als Einheimische möchte man ja auch mal woanders hin als immer nur da, wo man meistens sitzt. Im Tausend werde ich aber sicher nicht heimisch, obwohl der Laden gut aussieht, und auch der Service freundlich und angenehm ist. Das Publikum ist halt nicht so mein Fall.

  4. REPLY:
    Vermutlich wird alles auf Erden überbewertet, aber das Nachtleben unterzubewerten führt möglicherweise in schnurgerader Linie in einen beschaulichen Vorort, wo man dann Samstagnacht mit einem befreundeten Paar DVD-Abende abhält.

  5. Wenn Sie die Zeit zwischen 20 und 30 nicht in zwei Staatsexamina investiert hätten, müssten Sie jetzt womöglich auch Männer anlächeln, die aussehen, als sei ihr modisches Ideal ein russischer Oligarch. Sie müssten sich häufiger in dieser Bar langweilen und später vielleicht auch noch mit einem von denen allein daheim.

  6. REPLY:
    Das kann durchaus spannender sein* als auf-Teufel-komm-raus um die Häuser ziehen zu müssen… aber kommen Sie mal in unser Alter, dann lernen sie das auch noch zu schätzen 😉

    * entsprechende Heimkino-Technik mal vorausgesetzt

  7. REPLY:
    Ich bin gespannt. Mir prophezeien ja eine ganze Reihe Menschen seit Jahren, demnächst würde auch ich die Freuden der Häuslichkeit schätzen lernen, aber bisher hat weder ein 60-Stunden-Job noch das zunehmende Alter mich auf die heimische Couch getrieben. Verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk (zumindest in diesem Punkt) gehe ich allabendlich irgendwohin. Gerade war ich chinesisch essen.

  8. Ich hab mich immer gefragt, was man in solchen Läden eigentlich tut. Hab lange genug hinter Bartresen gestanden und zugesehen, aber nie eine Antwort erblickt.

    Da sitzen sie und glotzen. Jeder glotzt jeden. Gespräche, Dialoge? Kaum, die Musik ist zu laut. Und wenn mal nicht, was dann? Sich unterhalten? Neue Leute kennenlernen? Hab ich in Bars noch nie erlebt.

    Die Leute, mit denen ich gern bin, grillen am Fluss. Auf dem Rückweg ein Stopp im Biergarten. Es wird kühl, also warum nicht ein Doppelkopfspiel am alten Küchentisch der WG. Das nach sechs Runden in eine politische Diskussion ausartet. Dann ist der Wein alle, zwei gehen los, die anderen machen im Garten das Lagerfeuer klar. Wer war der Typ mit der Gitarre? Rufen wir ihn doch an. Die alten Stühle könnten wir noch kleinhacken. Herrje, schon wieder um zwei, was solls. Hallo Bulle. Ja, wir machen leiser. Rezitieren halt Gedichte oder singen leise alte Lieder. Dann schlafen wir. Aufgeräumt wird morgen. Nach dem Frühstück im Garten.

    So kenn ich das und so mag ich das. Dieses Szenegehampel wir mir immer fremd bleiben. Excuse moi, Mademoiselle.

  9. REPLY:
    ganz im ernst: bevor ich – egal an welchem tag – weggehe mache ich mit meiner angebeteten lieber alle denkbaren schweinereien durch. oder koche. oder beides. oder ich lege mich in prallstem zeitluxus um 10:00 ins bett [na gut, das passiert im schnitt 1 mal pro jahr].

    p.s.: auf-teufel-komm-raus hat für mich immer etwas von karneval. der beweggrund ist letztendlich der gleiche.

  10. REPLY:
    … das ist auch irgendwie mehr so mein ding. ich habe ebenfalls jahrelang hinter der theke gestanden und die doch meist etwas oberflächliche welt davor nicht wirklich begriffen, auch wenn ich ihre spielregeln perfekt beherrscht habe. nächsten monat fahre ich mit meinem clan ein paar tage nach bayern zum rafting. das hat irgendwie mehr substanz.

  11. REPLY:
    Die Phase, wo man abends zu müde ist, um noch wegzugehen, kommt auch erst später, in der zweiten Hälfte der 30er. Da will man dann um halb elf Uhr abends einfach nur noch ins Bett und fragt sich mit Verwunderung, wie man das früher eigentlich geschafft hat, als man sich um diese Zeit erst aufbretzelte, um auszugehen. Ich kann Sie aber beruhigen, diese Phase geht auch wieder vorbei.

  12. Ich denke, solche Abende kommen immer wieder mal vor, vielleicht, um einen dazu zu befähigen, die gelungenen Abende umso höher einzuschätzen. Als Zeichen des Alters oder einer inneren Leere sehe ich sie nicht, eher als Aufforderung, die Feste zu feiern wie sie fallen. Carpe diem et noctem, nicht wahr ?

  13. REPLY:
    @Remington

    Die Beschreibung hat viel für sich!
    Ich selber möchte gerne beides. Heute vielleicht nicht mehr so sehr. Ich bin gerne zuhause. Aber kürzlich in Frankfurt mit zwei Bloggern, die in Reminiszenzen geschwelgt haben, weil die alten Plätze noch immer so sind wie vor 20 Jahren, das sagt mir zu.
    Und dann im Gegenzug dazu Wr. Staatsoper, danach fein essen oder dazwischen noch ein Spaziergang im Burggarten und das Straßenbild Wiens genießen, das muss auch sein.
    Oder im ehemaligen Schachkaffee, dass leider mittlerweile nur mehr bis 1 geöffnet hat, manchmal bei Kaffee und „Frankfurtern“ ehemalige Schachmeister zu treffen.
    Aber zuhause habe ich genau den Luxus, den ich brauche. Meinen Flügel!

  14. Frau Arboretum könnte recht haben. Der Reiz solcher Abendaktivitäten ließ bei mir auch ab Mitte 30 deutlich nach. Dabei waren zu dem Zeitpunkt die ab meinem Vierzigsten geänderten Lebensumstände mit Frau, Kind und Familienleben noch nicht mal ansatzweise zu ahnen.

    Ich stellte in jener Zeit fest, dass mich diese allabendliche Geselligkeit, die permanente Suche nach irgendwas, weswegen man diese Abende als irgendwie gelungen verbuchen könnte, mit der Zeit immer mehr anstrengte. Und irgendwie merkte ich auch, dass ich mit dem Alleinsein wesentlich besser klar kam, wenn ich wirklich alleine war, als wenn ich mich in Gesellschaft (oder gar größeren Menschenmassen) bewegte.

    Ich halte es indessen nicht für unausweichlich, dass jedem so eine Phase bevorstünde. An Ihrer Stelle, werte Frau Modeste, würde ich spätestens, wenn das Gefühl sich häuft, dass der Abend mal wieder nicht der Bringer war und das eigentlich tolle Leben mal wieder anderswo getobt zu haben scheint, meine Freizeitgestaltung und die damit zugrunde liegenden Erwartungen kritisch hinterfragen.

    Aber vorher nicht.

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