Die Bräunungsaussparung

Am Samstag kommen wir also in Ahlbeck an. Am Sonntag ist das Wetter eher soso. Am Montag aber knallt die Sonne. Ich sitze am Strand, blaues T-Shirt, Shorts und Flip-Flops. Im Gesicht: Eine riesige Sonnenbrille. Rechts rauscht die Ostsee, links liegt die kleine Tochter von Freunden in der Strandmuschel ihrer Eltern, in der Mitte liege ich auf dem Bauch und lese Nabokov. Ab und zu drehe ich mich um und döse in den blauen Himmel über der Ostsee. Irgendwo am unteren Ende meines Gesichtsfeldes kann man die Seebrücke von Ahlbeck sehen.

Es ist warm. Ich schließe die Augen, ich höre dem Meer zu und dem halblauten Quaken des Kindes, das im Laufe des Nachmittags total viel Sand isst und sich darüber schrecklich freut. Man könnte demnächst auch etwas essen, denke ich mir, wenn auch eher keinen Sand, ein Fischbrötchen vielleicht oder eine Waffel oder vielleicht auch beides. Vernünftigerweise sollte ich weder das eine noch das andere verzehren, sondern mich dauerhaft auf Magermilchjoghurt und Äpfel spezialisieren, aber – so beruhige ich mich – im Urlaub gelten andere Gesetze. Außerdem bin ich mit meinen stämmigen 65 Kilo Kampfgewicht auf Usedom eine der zehn schlanksten Frauen über 30 überhaupt, denn hier sieht jede Frau ab 25 aus, als hieße sie mit Vornamen Mutti.

Abends nehme ich die Sonnenbrille wieder ab. Ich bin braun geworden, stelle ich fest, trotz des LSF 20-Sprays. Ganz gut sieht das aus, finde ich, denn trotz aller gegenläufigen Propaganda halte ich Blässe zwar für gesundheitlich wünschenswert, aber nicht für so sonderlich hübsch. Wohlgefällig betrachte ich also meine Beine, auch meine Arme sind okay braun und nicht rot. Dann aber stockt mir der Atem. Mein Gesicht ist nur sehr partiell braun. Um meine Augen herum klaffen riesige, weiße Flecken. Herr im Himmel, denke ich mir. Die Sonnenbrille.

Das wird schon wieder, beruhige ich mich und beschließe, die nächsten Tage auf die Sonnenbrille zu verzichten. Wenn alles nichts nützt, werde ich die Sonnenbrille die nächsten Wochen auch in geschlossenen Räumen und bei Regenwetter tragen. Kommt es ganz schlimm, helfe ich mir Bronzing Powder nach, und wenn alles nichts nützt, setze ich auf das Mitleid und die Diskretion meiner Umgebung in Umgang mit diesem Problem.

Bitte sagen Sie also nichts.

5 Gedanken zu „Die Bräunungsaussparung

  1. Wie hättens das „nichts“ denn gerne ? Eher dadaistisch-monoton dahingesprochen, oder doch lieber mit der Intensität eines shakespeare’schen Monologes deklamiert ? Anzubieten hätt ich auch noch die existenzialistische Variante, von der ich aber aufgrund der dafür erforderlichen Bekleidung selber derzeit nicht viel halte, da selbst mir schwarze Rollkragenpullover bei 30° im Schatten zu warm sind.

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