„Warum sind die Leute hier alle so freundlich?“, frage ich den J. auf dem Weg vom Exploratorium zum Bus 43 aus dem Marina District zur Masonic, und der J. zuckt die Schultern. Doch es ist auffällig: Weder er noch ich haben in Berlin jemals einen Penner getroffen, der sich auf der Straße bei uns entschuldigt hat, weil sein Einkaufswagen im Weg stand. Und wenn in Berlin jemand als Tourist erkennbar ist, begegnen ihm die Berliner normalerweise mit einer Mischung aus Eile, Ungeduld und einer Prise Verachtung für jeden, der nicht Berliner ist. Hier sprechen uns ständig Leute an und fragen, wo wir hin wollen, wenn wir irgendwo Stadtpläne lesen. Sogar die Busfahrer lächeln und geben freundlich und zutreffend Auskunft. Die Berliner Busfahrer sind dagegen dafür bekannt, gern ohne Halt an Wartenden vorbeizufahren oder plötzlich anzufahren, wenn Leute hilflos schwankend im Gang stehen.
Nun könnte man die Berliner Unfreundlichkeit auf das Wetter schieben. Aber die Berliner sind ja auch im Sommer grob. Oder auf die schlechte wirtschaftliche Lage. Aber die ist hier, glaube ich, auch nicht besser. Ein Freund von mir macht für die deutsche Muffigkeit seit jeher die Nazis verantwortlich. Er hat sich da so eine lange Erklärungskette ausgedacht, die ich nicht mehr vollständig parat habe, aber es hat irgendetwas mit Scham und Kompensation zu tun. Ich kann mir das nicht recht vorstellen; außerdem waren die Berliner wahrscheinlich schon immer so.
Vermutlich ist es anders: San Francisco ist perfekt. Also richtig perfekt. Nicht perfekt auf so eine Art und Weise, die einen dann auch wieder nervös macht, weil alles ein bißchen zu aufgeräumt ist und sofort jemand herangesprungen kommt, wenn irgendwo ein Blatt vom Baum fällt. Oder es fällt auf, dass man gar keine Penner sieht, und man ahnt irgendwann, dass die Perfektion einen Preis hat, den man lieber nicht zahlen will. Hier dagegen habe ich den Preis noch nicht gesehen.
Außerdem liegt San Francisco am Meer. Die Luft ist deswegen kühl und rein. Es ist sonnig. Irgendwo rauscht immer das Meer. Das Umland, sagt man, sei schön. Auch das Essen ist gut: Es gibt Fisch und Meeresfrüchte, Austern und Schnecken. Es überhaupt gibt sehr, sehr gutes Essen. Sauerteigbrot mit gesalzener Butter und Pastrami. Ordentliche Käsetheken. Ein dicker, säuerlicher Joghurt, duftendes Obst. Kobe Steaks, Falafel und Ceviche, Brioche mit Quittengelee, Pâtisserien voller Macarons und kleiner, delikater Törtchen.
In einem solchen Umfeld kann man auch ganz gut freundlich sein, mutmaße ich. Schließlich sind die Leute in Kopenhagen, wo es ähnlich perfekt aussieht, auch ganz schön nett. Auf der anderen Seite würde ich aber auch nicht darauf schwören, dass die Berliner, würden sie mit den Leuten hier mal die Stadt tauschen, nach ein paar Jahren ähnlich freundlich würden. Es muss also mehr als nur die Umstände sein. Es bleibt ein Rätsel:
Warum sind die Leute hier alle so freundlich?
Das „Granteln“ (so nennt man das hier in Österreich ;-)) ist, glaube ich, eine Mentalitätssache, und länderspezifisch.
Ich bin ein besonders hilfsbereiter Mensch, und wenn ich Menschen zu Fuss oder mit einem Rad die Landkarte studieren sah, fragte ich meist, wo sie hin wollen, um ihnen zu helfen, schneller den Weg zu finden. Ich lernte aber in 80 % der Fälle, dass die Menschen gar keine Hilfe möchten, und so habe ich mir im Laufe der Zeit eher abgewöhnt, mich helfend anzubieten.
Vielleicht sind unsere Busfahrer „gelernte Grantler“, weil sie kaum gegrüsst werden, wenn Fahrgäste den Bus betreten, es bedankt sich keiner für die Fahrkarte oder die Auskunft, und manchmal ficht es einen da wahrscheinlich an, genau dann wegzufahren, wenn der Fahrgast grade noch am Geldbörsel einstecken ist, und er sich sicher ist, dass der Fahrgast sein Gleichgewicht verlieren wird.
Ich finde, die österreichische – und dazu vermutlich auch die deutsche – Welt ist viel zu unhöflich und unfreundlich. Wie man in den Wald hineinruft…
Mir fällt verstärkt auf, dass Busfahrer, wenn ich zusteige (und ich grüße immer sehr freundlich und lächelnd), warten, bis ich Platz genommen habe, bevor sie wegfahren. Bei anderen machen sie das nicht.
Purer Egoismus – freundlich sein macht glücklich. 😉
Und ich gebe flyhigher absolut recht – diejenigen, die sich über die deutsche Servicewüste beschweren, sind die selben, die keinerlei Höflichkeit für Personal übrig haben und spätestens an schlechten Tagen dann auch ebenso behandelt werden. Übrigens habe ich als Touristiker das faszinierende Phänomen kennen gelernt, dass Urlauber die örtliche Freundlichkeit komplett anders einschätzen als Einheimische – eben weil sie enspannter und fröhlicher mit ihren Mitmenschen umgehen.
Spazieren Sie mal wohlgelaunt lächelnd durch den Bergmannstraßenkiez, mich haut es seit meinem Umzug nach Kreuzberg regelmäßig um und ich schalte (zunehmend weniger verdattert) in den „und dann wünsche ich Dir noch einen schönen Tag und ne, kannste so mitnehmen“-Modus um, der mir nach fast 20 Jahren Berlin immer noch unfassbar erscheint. Sie werden verblüfft sein, und an das Duzen gewöhnt man sich auch wieder.
Sehr animierend und anschaulich, was Sie über San Francisco schreiben, steht jetzt auf der Liste. Toll. Hoffentlich haben Sie noch ein bisschen. Weiterhin viel Vergnügen,
wünscht die Montez
Oh, das erlebe ich aber ganz anders. Mir begegnet hier jede Menge Freundlichkeit! Manchmal spiele ich absichtlich Touristin und erlebe sehr nette Reaktionen. Ich kann nicht klagen. Am Hackeschen Markt sitzen vor der Sparkassenfiliale immer abwechselnd zwei drei Schnorrer im altbackenen Punkerkostüm, zwei sind besonders nett und stehen auf wenn ich komme, um mir die Tür aufzuhalten, nett Guten Tag zu sagen und wenn ich gehe das gleiche Spielchen. Ich hab ihnen noch nie was gegeben, ich sage auch immer, dass ich kein Geld hole, nur gucke wieviel drauf ist auf dem Konto. Daraufhin beteuern die Jungs: aber das macht doch nichts! Trotzdem noch einen schönen Tag! Das ist so nett. Das Ritual ist so ähnlich wie von den Portiers im Adlon. Die machen auch immer diese schönen Verbeugungen. Auch wurde mir in diesem Jahr bereits dreimal ein Platz in der S-Bahn angeboten, ja aufgedrängt, von eher jugendlichen Männern, die eigentlich nicht nach guter Kinderstube ausgesehen haben. Halt – doch, einer war dabei, ein Franzose allerdings, der wirkte sehr wohlerzogen und erklärte noch auf meine Reaktion „oh! das ist aber freundlich, das erlebt man selten!“ „es wär nisch öflisch, ah?“ Ich bin jetzt ja auch schon älter, aber nicht gebrechlich, deswegen glaube ich immer noch an das Gute, das man vorneweg selber mitbringen muss. Man kann das glaube ich schon auch provozieren, dass das Miteinander ein bißchen charmanter wird. Man fängt selber an und glaubt fest an den Domino-Effekt. Der wirkt immer, ganz bestimmt. Wie sagt unser bunter Modezar Harald Glöckler so schön: das Geheimnis ist: wer viel gibt, bekommt viel.
Und ja freilich: die Amerikaner haben das in der Kinderstube vermittelt bekommen, dass diese kleinen Alltagsfreundlichkeiten alles für alle leichter und schöner machen. Das ist amerikanisches Kulturgut. Habe ich jedenfalls allenthalben wahrgenommen. Besondere Freundlichkeiten sind der Standard, an den man sich traditionell hält. Ich finde das auch sehr schön. Bei uns muss man halt oft den Amerikaner oder die Amerikanerin geben und selber anfangen.
Wir waren 2 Monate im US-Südwesten unterwegs und haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Sehr freundliche Leute, immer wieder nette Gespräche auf Spielplätzen, im Service sowieso. Ein Rätsel, vielleicht, aber eines, über das ich mich immer wieder gefreut habe :-). Umso mehr hat mich beim Nachhausekommen erstaunt (und geärgert), dass viele der Niedortgewesenen sehr genau wissen, was es mit der Freundlichkeit auf sich hat: Aufgesetzt. Nicht echt.
Weshalb und wie auch immer, mir ist ein freundliches Hi-how-are-you immer noch lieber als säuerliches Schlechtgelauntsein. Und wie Vorschreiberinnen schon sagten: Es hebt die Laune.
Viel Spaß euch noch!
(Nur das Essen, das war wirklich nicht toll. Lag vielleicht aber auch daran, dass wir hauptsächlich auf dem Land unterwegs waren.)
Also, so aus meiner Erinnerung heraus, Berlin ist tatsächlich ein wenig speziell. In Hamburg bleiben Leute mit Stadtplan meist auch nicht lange allein (dahinter steckt aber oft dieser manchmal schon penetrante Stolz der Hamburger auf „das schöne Hamburg“, die erklären dann halt gern). Wenn ich damals so aus dem Zug in Berlin fiel, mußte ich mich auch erstmal an diesen „Ton“ gewöhnen. Andererseits gilt das ja vielen auch als ungeheuer großstädtisches Flair, als rauhem Charme, der Berlin so speziell mache. Ich glaube, ich bin da nicht so der Typ für. Vielleicht sollte ich auch mal nach San Francisco. Stadt am Meer ist immer gut, das ist ja das einzige, was z.b. Wien fehlt.
Mir wurde gerade in Berlin immer recht freundlich Auskunft gegeben. Was mich speziell überrascht hat, war die Hilfsbereitschaft von Jugendlichen in der S-Bahn.
Relationen
Dies ist alles eine Frage der Relation. Ich empfehle Ihnen ganz schnell mal nach Moskau zu fahren und schon kommt Ihnen Berlin fast penetrant fröhlich, warm, hell, sauber und freundlich vor.
(Ich weiß nur nicht, wie man San Francisco nach Moskau empfände. Ich denke, dass man paranoid würde. ‚Alle wollen was von mir. Hier ist eine Verschwörung der Freundlichkeit im Gange.‘ Der Kontrast könnte wahrscheinlich die Psyche verderben.
Was lernen wir also daraus: Nach Moskau niemals direkt nach San Francisco fliegen, sondern immer schön Zwischenstopp in Berlin machen.)
Das mit dem Wetter kann nicht stimmen, denn in Kanada, an der Ostküste waren die Leute auch extrem relaxed und freundlich. Und da ist es nicht nur warm und gemütlich. Da herrschen mehr schottische Wetterverhältnisse.
Sehr oft ist es die Architektur, die Geschichte, wirtschaftliche Lage und die zusamensetzung der Stadt (was Menschen angeht) der Grund warum es hier so und dort anders ist. Fahr über die Brücke nach Oakland und da sind die Leute ganz anders und da willst du ab 9 Uhr Abends auch nicht mehr allein auf die Strasse gehen. Sie sind nicht mehr so freundlich, sie haben mehr Arbeitslosigkeit, sie haben mehr Kriminalität, sind etwas gröber…und sie atmen die selbe schöne kühle Luft wie die in SF und in Bay Area generell.
Berlins Architektur ist kalt, es ist eine flache unsägliche Gegend wo in Winter und Herbst die kalte Luft weht und man nichts gegen tun kann, die Berliner Geschichte ist nicht grade freundlich und sanft gewesen und weder die Preussen noch die Burgunder gehörten zu den warmherzigsten aller Gestalten.