Oktober, 14

„Immerhin ein Kitaplatz.“, rufe ich der I.2 zu, die hinter ihrer Tochter her zur Rutsche läuft. „Super.“, antwortet mir die I.2 ein bisschen atemlos. Dass die Kita nicht nebenan, sondern zwischen so Plattenbauten keine zehn Fahrradminuten entfernt in Mitte steht, findet die I.2 nicht so schlimm.

Der J. dagegen ist ziemlich skeptisch. Der J. hat Vorurteile gegen Plattenbauten und alle, die in Plattenbauten wohnen, und sieht seinen einjährigen Sohn wohl schon umgeben von lauter rassistischen Kleinkindern mit kurzgeschorenen Haaren, deren erster Zwei-Wortsatz vermutlich „Ausländer raus“ lautet. Aussagesätze beschließen die vom J. in der Kita vermuteten Kinder alle am Ende mit „wa“, wie es unter sehr rustikalen Berlinern üblich ist. Wenn die Kinder nicht in der Kita sind, sehen sie fern.

Ich dagegen hoffe auf den Verdrängungseffekt netter, zugezogener Prenzlberger. Die Kita, behaupte ich, wird ganz bestimmt von Kindern aus unserer Nachbarschaft frequentiert. Im Plattenbau in Mitte wohnen doch vermutlich nur noch Rentner.

Im Übrigen – das sage ich auch dem J. – haben wir kaum eine Alternative. Die niedlichen Kleinkitas in der Nachbarschaft wollen ja alle, dass man Elternarbeit leistet, was bei uns nicht hinhaut, weil wir arbeiten, wenn andere mit Kleinkindern tanzen. Außerdem brauche ich eine Kita, die nicht so ewig lange im Sommer schließt. Ich frage mich immer, wie es eigentlich andere Eltern machen, aber wenn ich nachfrage, sind wir offenbar fast das einzige Paar, das aus zwei voll berufstätigen Personen besteht, die auch mal Abendtermine haben und mehr als 40 Stunden arbeiten gehen.

„Wir versuchen’s parallel noch bei den anderen Kitas.“, berichte der I.2, deren Tochter inzwischen die Wackelbrücke gegen andere Kinder verteidigt, und ziehe die Nase ein bisschen kraus. Ich habe mich ziemlich gefreut, als die Kitaleiterin letzte Woche anrief. Inzwischen hat mich der J. mit seinen Bedenken doch ein wenig angesteckt. Angestrengt überlege ich, wie man die Art und Güte der Miteltern und ihrer Kinder am Mittwoch abfragt, wenn wir mit der Kitaleiterin sprechen, und beschließe, die anderen Kinder ganz genau in Augenschein zu nehmen. Vielleicht sieht man ja was. Oder die Kinder sagen Sätze wie „Hammer, wa!“ oder tragen Runen auf dem T-Shirt.

(Abends dann mit der J. lange gut gegessen und geplaudert. Zu wenig geschlafen. Schöner Tag, schöner Abend.)

4 Gedanken zu „Oktober, 14

  1. Ach, lassen Sie sich doch nicht wuschig machen. Es ist genauso gut möglich, dass in den Kleinstkitas wohlstandsverwahrloste Kinder sind, die ihre Umgebung terrorisieren. Oder Mütter, die die Augenbrauen hochziehen, weil sie weiterhin Vollzeit arbeiten, anstatt Elternarbeit zu leisten.

  2. Das wa als Solches ist kein schlechtes Zeichen. Sollte es in Kombination mit Runen und Hammer auftreten, handelt es sich um eine Phase, die ganz bestimmt wieder vorbei geht.

    Und ich höre jede Menge von überkandidelten Kleinkitaeltern, die normale Menschen und Erziehende mit absurden Einwänden und Verbesserungsvorschlägen nerven. Kein Paradies.

  3. gewöhnen

    sie sich und ihr kind mal beizeiten an die egalité unseres bildungssystems. spätestens in der grundschule müssen sie sowieso damit klar kommen, und zwar vier jahre lang. es sei denn, natürlich, sie wollten gleich von anfang an auf privatschule setzen. allerdings höre ich da eine leichte gegentendenz, weil ich keine privatschulen ohne elternmitarbeit kenne. auch jenseits von waldorf & co. hat sich das prinzip inzwischen durchgesetzt.

    und was das abfragen bei der kita-chefin angeht, reicht es ja aus, nach dem wohnsitz der meisten kinder zu fragen (damit man freundschaften besser pflegen kann). das ist wertfrei und entspricht dem heutigen zeitgeist, wo eltern sich beizeiten zum chauffeur ihrer kinder degradieren, um „alles richtig zumachen“.

  4. ach, machen sie sich mal keine sorgen. es gibt weitaus weniger rassistische kleinkinder, als man es so vermuten würde, die kinder dort gehören vielleicht auch einfach zu eltern, die so viel arbeiten – die mit den kindern gemeinsam verbrachte zeit genügt dann sowieso nicht für politische oder sprachliche prägungen, die peergroup wird glaube ich mehr in den ersten schuljahren wichtig, wenn es zum ersten mal so richtig in die welt geht. der kleine f. wird von den erzieherinnen lernen, bestimmt die ausgeprägte höflichkeit, auf die in den ostberliner kindereinrichtungen großen wert gelegt wird, er wird immer „guten tag“ sagen und „aufwiedersehen“ mit handschlag, das sind ganz gute grundlagen für sein soziales leben.

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