An die Ostsee

Wie leer Deutschland ist, denke ich auf dem Weg zur Ostsee und frage mich, wie die Deutschen jemals auf die Idee gekommen waren, Deutschland sei zu klein und bräuchte unbedingt Kolonien in Afrika oder am Ural. Rechts und links der Autobahn stehen diese kleinen, verkrüppelten Kiefern und schiefen Birken, die die Berliner schön finden, weil es hier ja sonst nichts gibt, was man schön finden kann, und zwischen dieser eher schütteren Landschaft fahren drei, vier Kraftfahrzeuge durch die Gegend. Wir auch. Wir fahren nach Heiligendamm.

Wir haben es ein paarmal mit anderen Unterkünften an der Ostsee versucht. Wir waren im Sommer in Zingst. Vor drei Jahren auf Usedom. In Zingst bedienten die langsamsten Kellner der Welt. Oder vielleicht stand in der Küche der langsamste Koch der Welt. Zum Frühstück gab es blöden Scheibenkäse und den Camembert, den die Mensa fritiert, wenn es da gebackenen Camembert gibt, und am Strand waren restlos alle anderen Leute tätowiert. Ich leiste mir gar nicht so viele Vorurteile, aber Leute mit Tätowierungen finde ich erst einmal sonderbar. Es gibt da durchaus Ausnahmen. Aber in dieser Massierung will ich nirgendwo sein, wo sich quasi jeder irgendwas Irres auf die Haut malen lässt. In Usedom dagegen war alles voller Rentner, also so diese beigejackerte Rentnersorte, und ordentlich essen kann man da auch nicht. Also Heiligendamm. Außerdem haben sie da gute Betten.

IMG_0369

Überhaupt ist es schön. Ich mag den Style, also dieses aufgeräumt-neoklassizistische Pastell. Ich habe mich mit dem Halb-Meer Ostsee abgefunden. Ich sitze gern in der einsamen Damensauna, weil ich mich in gemischte Saunen nicht mehr traue, seit ich denke, dass ich nicht mehr so aussehe, dass das keinen stört. Für Kinder ist es auch nett, gutes Essen, ein eigenes, ziemlich tolles Haus für Kinder zum Spielen und Basteln und so, und außerdem sind da dermaßen viele anderen Kinder, dass man sich auch ganz gut fühlt mit dem eigenen kleinen Kerl. Das ist nämlich andernorts öfters so eine etwas frustrierende Sache: Wo man selbst gern ist, sind Kinder nicht recht willkommen, und in diesen quietschbunten Höllen, die als Familienhotels deklariert werden, will und kann man sich nicht aufhalten. Wie das eigentlich die anderen Leute aushalten. Oder finden die knallbunte Comictiere vielleicht einfach schön?

Ein bisschen schade: Richtig voll war es wieder nicht. Gut, nun ist es November. Und die Anlage ist groß. Aber es war auch schon voller, selbst im März, glaube ich. Und öfters in den letzten Jahren. Mit Schaudern denke ich daran, dass es schnell vorbei sein könnte mit dem Refugium an der Ostsee, wie es ja erst kürzlich fast aus war in Heiligendamm. Fahrt hierhin, oh Ihr Berliner, schicke ich deswegen inständige Gebete an den Herrn der Küste. Fasst Euch ein Herz, setzt Euch ins Auto, spart die paar Kröten anderweitig ein und haut Euch in den Spa. Der ist nämlich richtig gut. Genießt das prächtige Frühstück, bei dem es nicht irgendwelchen minderwertigen Supermarktmist gibt, wie meistens an der Ostseeküste, sondern richtig gute Wurst und Fisch und Rohmilchkäse und sehr, sehr gute Eierspeisen, die richtig serviert werden für Leute wie den J. und mich, die Buffets eigentlich hassen. Überdies ist das Essen im Kurhaus richtig gut geworden, noch mal deutlich besser als früher, und die ganze Anlage sieht nicht mehr so steril und neu aus, sondern hat so ein wenig Patina, so eine leise, sachte beginnende Zerschlissenheit, die ich mag.

Schade, wenn es vorbei wäre. Deswegen: Fahren Sie. Es lohnt sich. Ich bin ganz sicher.

(Und ich bekomme kein Geld von denen, damit ich das behaupte.)

Ein Gedanke zu „An die Ostsee

  1. ja, es lohnt sich. fahrt hin berliner, fahrt hin! auch vierbeinige begleiter sind herzlich willkommen. der c. und die y. bekamen ihre eigenen bequemen körbchen und einen gruss aus der küche nach der anreise. natürlich haben die beiden es sich nicht nehmen lassen, sofa und bett mit den körbchen zu vergleichen. und auch am strand des hotels waren die beiden racker gern gesehene gäste. das die ostsee halt die ostsee ist, lässt sich verschmerzen, wenn man sich bei zeiten an die langen heimreisen von sylt nach berlin erinnert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken