Das Internet am Strand

Zehn Uhr morgens. Ich sitze am Strand. Im wippenden, fleckigen Schatten einer Kokospalme beuge ich mich über mein iPad und lese in der ZEIT, die ich seit Kurzem nicht mehr als einen dicken Stapel Papier geschickt bekomme, sondern auf dem iPad lese. Das ist toll so, denn endlich kann ich die ZEIT auch im Bett oder in der U 2 lesen oder eben auf Koh Samui am Strand.

Vor mir im Sand spielt der F. und gräbt unter ununterbrochenem Murmeln mehrere Löcher in den Sand. Dabei macht er laute, brummende Geräusche, weil er heute eine Maschine darstellt. Unweit von ihm sitzen noch mehrere andere Kinder am Strand, die alle irgendwie Löcher buddeln oder Erdhaufen aufschütten. Hinter ihnen lagern irgendwo ihre Mütter, die allerdings – Deutsche und Briten ausgenommen – alle schlanker sind als ich. Besonders die Russinnen fallen mir auf, die ich heftig um ihre Figur beneide. Zu alledem sind sie auch noch gut angezogen.

Auch die anderen Leute am Strand hantieren mit Tablets oder Telefonen. Ab und zu knipst jemand in der Gegend herum oder schwenkt sein Telefon quer über den Strand, um die fliegenden Händler mit ihren Kokosnüssen, die wippenden Palmen und die Wellen einzufangen. Das stellen die gleich bestimmt alles auf facebook, denke ich mir. Oder die haben alle auch ein Blog.

Natürlich bin auch ich auf irgendwelchen Bildern. So als Staffage. Vorn das Meer, hinten dicke Touristin, wie es sich gehört, und so lande ich dann auch in den facebook-Accounts  der schönen Russinnen oder Japanerinnen, die sich zudem unablässig gegenseitig und selbst ablichten. Vielleicht stellen sie sich, denke ich mir, sogar ein bisschen absichtlich vor die eher etwas pummeligeren Hotelgäste, damit ihre eigene Schlankheit noch mehr auffällt.

Ich bin aber nicht nur circa 20 Kilo schwerer als die dünnen Mütter. Ich trage, um niemanden zu belästigen, auch keinen Bikini, sondern einen großen, blauen Badeanzug, und wegen einer jüngst überstandenen Bindehautentzündung trage ich meine alte Brille. Mit einem Wort: Ich sehe schlimm aus.

An und für sich ist das natürlich egal. Mein Gott, ich bin 38 und habe Urlaub. Wie ich aussehe, ist deswegen eigentlich komplett egal. Hier kennt mich doch keiner. Doch die ganzen iPhones in den Händen der ganzen Leute machen mich doch etwas nervös. Denn bis jetzt mag die Gesichtserkennung bei Google und so noch nicht so besonders weit gediehen sein. Was aber, wenn in fünf Jahren die Technik so weit entwickelt ist, dass man bei Google nur „Modeste“ eingeben muss, und dann erscheinen alle Bilder aus den facebook-Alben völlig fremder Leute? Bilder, auf denen man mich sieht, wie ich mein iPad auf meine Speckrolle stütze? Oder Bilder, auf denen ich die Nase kraus ziehe, die Brille leicht verrutscht, und ich wirke, als hätte ich schweres kognitives Problem? Was werden meine Nachbarn sagen, was meine Mandanten? Werden die Leute, die mich eh nicht ausstehen können, die Bilder dann hohnlachend weiterverbreiten? Werden Schulkameraden des F. mich so sehen und ihn hänseln, weil ihre Mütter bildschön sind, seine aber aussieht wie Miss Piggy? Bekümmert ziehe ich mir mein Handtuch über den Bauch und schaue beschämt zu Boden.

4 Gedanken zu „Das Internet am Strand

  1. „Werden Schulkameraden des F. mich so sehen und ihn hänseln, weil ihre Mütter bildschön sind, seine aber aussieht wie Miss Piggy?“

    So wird es geschehen. Ich habe einen Blick in meine Glaskugel geworfen. Ich würde den kleinen F. sicherheitshalber gleich nach der Rückkehr zur Trauma-Therapie anmelden. Oder prophylaktisch zur Adoption freigeben. Sicher ist sicher! Man könnte ihn auch gleich direkt am Strand den tollen Bikini-Russinnen anbieten. Das spart den ganzen bürokratischen Aufwand! Man muss praktisch denken.

  2. Ich kann Sie beruhigen. Die Bildersuche bei Google zeigt aktuell vor allem einen französischen Fußballer, der bei Hoffenheim unter Vertrag steht. Und sich äußerlich doch mehr als nur geringfügig von Ihnen unterscheiden dürfte.
    Es würde mich auch wundern, wenn dies hier (http://www.youtube.com/watch?v=Si3ZuWtTN_g) nicht auch entsprechend auf las jirafas rusos anwendbar wäre.

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