Bilk

Nun, meine Damen und Herren, öffnet sich der Vorhang und gibt eine tropische Szenerie frei. Es ist nicht spät, so ungefähr 21.00 Uhr, aber stockdunkel und im Hintergrund rauscht das Meer, im Vordergrund sitzen sehr wenige Leute auf einer sehr großen Veranda ziemlich verloren auf Rattanmöbeln vor ihren Getränken. Vor einem dunkelblauen Himmel wogen die Silhouetten einiger Palmen tiefschwarz hin und her.

Ganz rechts außen sehen Sie ein Paar in mittleren Jahren ermattet auf zwei Sesseln sitzen.  Er trägt ein blaues Hemd zu seinen Khakis und trinkt ein Bier namens „Chang“. Auf dem Etikett sind zwei Elefanten abgebildet, die betrachtet er ab und zu versonnen. Sie dagegen sitzt bis in die letzte Faser gespannt vor ihrem Gin Fizz. Neben ihr liegt ihre Tasche mit ein paar Einkäufen vom Nachtmarkt, und beiden ist anzusehen, dass sie eigentlich ganz gern woanders wären. In ihrem Hausboot etwa und zwar flach auf dem Rücken liegend nach einer alles in allem ganz und gar überbordenden Mahlzeit aus wirklich allen Lebensmitteln, die auf dem Nachtmarkt von Choeng Mon ganz gut aussahen, oder am Strand auf ein paar verlassenen Liegen. Das wäre auch gut. Das Meer würde rauschen, und ansonsten wäre Ruhe.

Von Ruhe kann auf der Veranda keine Rede sein. Das Hotel hat nämlich zwei Musikanten angeheuert, die nun sehr allein auf der einsamen Veranda stehen und allabendlich ein Potpourri der größten Bar-Hits aller Zeiten singen. Das ist schon an sich eine etwas schauerliche Angelegenheit, wenn tatsächlich so gut wie niemand da ist, der dem Gesang zuhören würde, bekommt das Ganze aber zu allem Überfluss auch noch eine so leicht melancholische Schlagseite, die man insbesondere dann nicht so gern hat, wenn man zu viel gegessen hat wie unser Paar hinter seine Getränken.

Im selben Moment, in dem Sie, verehrtes Publikum, sich fragen, warum die beiden eigentlich nicht aufstehen und gehen, fällt Ihr Blick auf den leeren Raum zwischen Musikanten und der Verandabestuhlung. Dieser Raum ist nämlich gerade nicht leer. Hier steht, ach was: wackelt, wippt, hüpft und klatscht ein kleiner Kerl im Streifenshirt teils im Takt der Musik, teils einfach nur irgendwie und zeigt alle Anzeichen der Ekstase. „Bilk!“, brüllt er von Zeit zu Zeit. Das soll „Musik“ heißen, und zwar nicht irgendwie nur Geräusch, sondern sozusagen den Superlativ von Musik, also Musik ganz, ganz groß geschrieben, Rausch, Lust und Überwältigung in einem.

Den beiden Musikanten ist die Erleichterung anzusehen, dass zumindest irgendwer – und sei er auch nicht einmal zweijährig – ihre Tätigkeit würdigt. Die Kellner hinter der langen, geschwungenen Bar freuen sich ebenfalls, kneifen den Buben in seine auffallend runden Backen und streicheln ihm den Kopf. Unser Paar jedoch auf den Rattansesseln schaut sich von Zeit zu Zeit halb amüsiert, halb kopfschüttelnd an und versucht, sich den Verlockungen ihres Sohnes F. zu entziehen, der immer wieder versucht, seine Mutter Modeste am Handgelenk hinter sich her auf die Tanzfläche zu schleppen, um dort mit ihm zu klatschen, zu stampfen und laut und gemeinsam glücklich auszurufen: „BIlk!“

Statt dessen schleppt eine verständnislose Mutter eine halbe Stunde später ihren widerstrebenden Sohn F. ins Hausboot. „Nein! Komm! Bilk!“, hören Sie ihn noch schluchzen, dann aber senkt sich der Vorhang wieder und die Musikanten sind nun ganz allein.

13 Gedanken zu „Bilk

  1. Wenn Sie Ihren Sohn nach der Rückkehr umgehend bei einem Anbieter musikalischer Frühbespaßung anmelden und im unmittelbaren Anschluss Violine lernen oder alternativ in einem Knabenchor mitsingen lassen, könnten Sie eventuell noch verhindern, dass er der übernächste „(Schlager)König von Mallorca“ wird … 😉

  2. Wie süß! Keine Sorge, die Hossa-Phase, wahlweise mit Begeisterung für David Hasselhoff-Songs, lassen die Knirpse meist schon mit 5 Jahren hinter sich. Nur immer schön beschallen und viel singen, mit allem was die Musikwelt so zu bieten hat – auch Klassik – da kann dann nur ein durch und durch musikalisches Kind bei rauskommen!

    1. Oder eben der König von Mallorca. F. ist derzeit aber noch umfassend begeisterungsfähig. Ich habe ihn schon zu Beethoven durch unser Wohnzimmer tanzen sehen, das geht alles. Nur bei zeitgenössischer Ernster Musik steigt er aus, aber das geht ja vielen so.

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