Bücher am Strand

Ich bin ja eigentlich gegen eBooks. Ich will schon aus lauter Neugier sehen, was Leute lesen. Mich interessiert, ob der dicke Mann mit dem offenen Hemd auf der Liege ganz vorne am Strand vielleicht Jane Austen liest. Oder Bret Easton Ellis. Oder die strichdünne Frau mit der strengen Brille und den vier hässlichen Kindern wirklich Russin ist, wie ich vermute.

Hier im Hotel allerdings hält sich die Neugier in Grenzen. Völker- und geschlechterübergreifend lesen die anderen Gäste, die noch Papier in Händen halten, von morgens bis abends Krimis. Da wird es bei den elektronischen Lesern nicht anders aussehen. Kriminalromane sind, so scheint es, nämlich die Bücher derer, die ansonsten angeblich nie zum Lesen kommen, weil sie jeden Tag stundenlang fernsehen müssen.

Neben den Krimilesern gibt es noch ein paar vereinzelte Leserinnen von Liebesromanen, also der Sorte, bei denen man gleich sieht, dass es gut ausgeht. Sachbücher werden nur ganz vereinzelt gelesen, meist Biographien. Am ganzen Strand scheint es – zumindest soweit sich das mir erschließt – nur zwei markante Ausnahmen zu geben: Eine ältere Frau mit orangefarbenen Haaren und Hühnerhals liest Arthur Koestler. Und ein dicker, roter Kerl mit wahrhaft erschreckendem Haarwuchs auf Rücken und Schultern liest seit Tagen im Pschyrembel, und wenn ich noch ein paar Tage darüber nachgrübeln muss, warum er das tut, spreche ich ihn an. Vielleicht bekommt er dann aber auch einen Heidenschreck und kauft sich ein eBook.

(Und wir: Der J. liest „Der bleiche König“. Ich habe gerade E M Delafields „Tagebuch einer Lady auf dem Lande“ und „Dracula“ durch und mache jetzt wieder weiter bei Evelyn Waugh.)

4 Gedanken zu „Bücher am Strand

  1. Dass Krimis und seichtere Liebesromane so gern und viel am Strand gelesen werden, dürfte daran liegen, dass man meistens relativ leicht in die Stories hineinfindet und es von daher auch nichts macht, wenn man zwischendurch einmal einratzt. Es gibt keine Figuren mit unzähligen Vor-, Vaters- und Kosenamen wie in der russischen Literatur, keine endlosen Sätze, bei denen man am Ende schon wieder vergessen hat, wie sie anfingen, erst recht, wenn einem die Sonne aufs Hirn scheint. Außerdem sind es Bücher, bei denen es einem nicht so viel ausmacht, wenn sie mit Sonnencreme und Sand paniert werden.

    Immerhin ist es doch erfreulich, dass die Leute überhaupt noch so viel lesen am Strand und nicht nur die Bild-Zeitung. Ich lese übrigens durchaus auch* Krimis und Thriller am Strand – und ich besitze gar keinen Fernseher.

    * nicht ausschließlich, aber eben auch

    1. Ich denke ja immer wieder darüber nach, einmal eine Reihe Studienausgaben russischer Romane herauszugeben, in denen alle nur einen unabgekürzten und eingedeutschten Namen tragen. Ich denke, die russische Literatur würde hiervon sehr profitieren.

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