Einfach mal durchatmen

Komisch, sage ich zum geschätzten Gefährten. So stressig, wie eine Frau Baum bei faz.net und eine Frau Voigt bei Spiegel Online schreiben, ist es bei uns irgendwie nicht. Es mag diese Eltern geben, die ständig unausgeschlafen beruflich abgehängt in schmutzigen Wohnungen sitzen, sich gegenseitig nur noch als überfordert erleben und sich in ihrer knappen Freizeit Selbstvorwürfe machen, dass sie Job, Haushalt, Partner und Kind nicht gerecht werden. So würde ich auch nicht leben wollen. So muss man – meine ich – aber auch nicht leben.

Zunächst: Es mag Gegenden geben, da gibt es keine Ganztagskita. In den Großstädten ist das aber anders. Ich zum Beispiel bin Berlinerin. Ich wohne mitten im Prenzlauer Berg und kenne einen Haufen Eltern. Für alle – uns eingeschlossen – war die Kitasuche zwar ein Riesending. Wir haben den F. auf 17 Wartelisten schreiben lassen und mit Anrufen, niedlichen Bildchen und stetigen Nachfragen um den schönsten Kitaplatz gekämpft. Wie aber alle – wirklich ausnahmslos alle – haben wir am Ende aber eine Kita gefunden. Unsere liegt rund 300 Meter entfernt am Ende der Straße. Der F. kann schon heute zu Fuß zur Kita laufen, und hat dabei manchmal viel Zeit zum Trödeln und manchmal keine. Also alles so wie im echten Leben. Morgens, wenn wir ihn bringen, treffen wir die anderen Eltern, die alle in den umliegenden Straßen wohnen. Die Kinder begrüßen sich, und die anderen Eltern erzählen ein bisschen, was sie so machen und was die Kinder so tun. Besonders gestresst hören sie sich nicht an. Ein schlechtes Gewissen, wie es in den Artikeln heisst, habe ich deswegen übrigens nicht. Der F. ist nämlich sehr gern in der Kita und sieht auf den über 1.000 Bildern, die wir zu Weihnachten von der Kita auf einer CD-ROM bekommen haben, auch ziemlich glücklich aus.

Wenn man eine Ganztagskita hat, kann man aber auch arbeiten. Klar, wer für sein verdammtes „Häuschen“ eine Stunde Arbeitsweg in Kauf nimmt, weil er sich das sonst nicht leisten kann, hat ein Problem. Man muss aber nicht  in einem Riesenschiff am Ende der Welt wohnen. Man kann auch gut mitten in der Stadt wohnen. Dann hat man meistens nicht so viel Platz, aber dafür viel mehr Zeit. Da muss man sich dann entscheiden, es sei denn, man ist ziemlich reich und kann auch in der Stadt 250 qm kaufen. Das muss man aber nicht. Wir wohnen auf vier Zimmern im Berliner Altbau, das ist eigentlich ziemlich schön. Ich glaube auch, dass dem F. dabei nichts abgeht. Am Ende der Straße ist ein Park, und die Kita hat eine großen Garten.

Wenn man jeden Tag arbeitet, macht man normalerweise auch Karriere. Wenn man das will. Und wenn man keine Karriere machen will oder kann, dann ändern die Kinder daran eigentlich nichts. Es mag noch die Chefs geben, für die Frauen mit Kind abgemeldet sind. Die Regel ist das aber nicht mehr. Man sollte allerdings nicht jede Extraaufgabe und jede Stunde über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus unter Verweis auf sein Kind ablehnen. Modelle gibt es da viele. Ich kenne zum Beispiel ein Paar, da arbeitet jeder einen Tag pro Woche open end, also durchaus mal bis 21.00 Uhr oder später oder nutzt den langen Arbeitsabend, um Abendtermine zu absolvieren oder auch nur, um mit den Kollegen einen trinken zu gehen. Für das Kind zuständig ist dann der jeweils andere. Ein Abend pro Woche ist nun nicht so wahnsinnig viel. „Da kann ich nicht, aber wie wäre es Dienstag?“, ist aber gleich eine ganz andere Aussage als „Abends habe ich keine Zeit.“

Genauso Hausarbeit. Ich weiß nun nicht, wie Frau Voigt wohnt, in deren Augen Hausarbeit ein echtes Problem zu sein scheint. Wir machen da einfach nicht so viel. Wir haben einmal wöchentlich eine Putzfrau, kochen annähernd täglich tendenziell abwechselnd und ansonsten leben wir mit den Unvollkommenheiten unseres Haushalts. Wir backen also kein Brot, gießen unsere Blumen nur manchmal, und manchmal verfluchen wir einander, weil einer keine sauberen T-Shirts mehr hat oder so. Das finde ich aber in Ordnung. Genauso, wie ich es in Ordnung finde, dass der J. Dinge anders macht als ich. Dann haut es nämlich auch hin mit der halbwegs gerechten Haushaltsteilung: Man braucht eine gewisse Akzeptanz für den Umstand, dass der andere Teil der Familie Sachen anders regelt, andere Speisen kocht und anders aufräumt. Der J. etwa kann von selbst nur etwa zehn Gerichte und hat erst im letzten Jahr angefangen, aus Kochbüchern zu kochen. Das darf ich dann auch nicht kritisieren, wenn ich will, dass er auch weiterhin kocht und nicht immer nur ich. Ich bekomme deswegen zwar nicht immer das, was ich kochen würde, aber ich gewinne Zeit. Die kann ich dann etwa beim Malen mit dem F. oder beim Vorlesen oder schlicht allein in der Badewanne oder mit einem Buch verbringen, und eines Tages wird der J. ebenso gut oder besser (aber auf jeden Fall anders) kochen als ich. Das ist super, finde ich, und für den F. ist es bestimmt nett, von zwei Leuten jeweils ein bisschen anders lecker bekocht zu werden. Genauso ist es mit Babysittern, die gewährleisten, dass man auch mal als Paar vor die Tür kommt und sich statt über kaputte Staubsauger, böse Kollegen und Bindehautentzündungen im Kindergarten auch noch über Hamlet im DT, den neuen Film von den Coen Brüdern und das Essen im reinstoff unterhalten kann.

Vermutlich sind aber gar nicht die Kinder das Problem, sondern – das schreiben letztlich auch beide Autorinnen – der stetige Wunsch nach Optimierung, also der Herstellung eines Zustandes unrealistischer Perfektion. Dieser Wunsch ist aber schon seiner Natur nach nicht erfüllbar. Das zu realisieren ist allerdings nicht immer einfach, weil mit dem Abschied von der perfekten Mutter, Rechtsanwältin, Köchin, Aktivistin und Hobbygärtnerin mit dem perfekten After-Baby-Body natürlich auch Einschränkungen verbunden sind, die weh tun. Also ein Verzicht auf Geld, weil man eine Beförderung nicht mit aller Macht verfolgt. Oder auf gutes Aussehen, weil man Samstag morgen keine Lust auf die Kosmetikerin hat, sondern ausschläft. Oder es gibt regelmäßig immer mal wieder Kartoffelpüree aus der Tüte mit Würstchen aus dem Glas. Dann kann man sich entweder irgendwie asozial und schlecht fühlen oder satt und glücklich. Oder – und jetzt wird es für die meisten Leute hart  – man verzichtet notfalls auf die besten potentiell erreichbaren Noten der Kinder, weil man keine Zeit und keine Lust hat, die Hausaufgaben notfalls selbst zu machen. Ich bin beispielsweise wild entschlossen, für die Schulkarriere des F. keinen Finger zu rühren. Entweder haut das von selbst hin oder nicht. Dasselbe gilt für Instrumente, Sport etc.

Letztlich hat man damit immer eine Wahl. Man kann man sich die Latte hoch legen, und dann hat man Stress. Oder man lässt die Latten irgendwo in der Ecke liegen. Man setzt sich ungebürstet und mit einem gekauften Picknick vom Bäcker auf eine Wiese, spielt mit dem Ball, liest Geschichten vor und brüllt zwischendurch kurz mal „seid jetzt alle still!“, wenn das Handy klingelt und jemand im Büro was will. Abends geht man dann heim, kocht nur, wenn man Lust hat, küsst sich auf dem Sofa und hebt die Gläser vom Flohmarkt auf das schöne Leben. Mit Kind.

19 Gedanken zu „Einfach mal durchatmen

  1. Danke für die ehrlichen und so wahren Worte. Viel zu viele Eltern streben nach absoluter Perfektion- großes staub- und fleckenfreies Haus mit Auto(s) in bester Lage, wunderschöne, wohlerzogene, intelligente, in jeder Situation gut gekleidete und biologisch ernährte Kinder, die Klassenbeste in der Kita/Schule mit dem allerbesten Ruf sind. Genau diese Eltern kriegen wahrscheinlich mit spätestens 45 erste Herzinfarkte und BurnOuts, weil sie so gestresst durchs Leben hetzen.
    Darum bin ich dankbar für Mütter wie Sie, die Blogs schreiben wie diesen. Ein bißchen Normalität in einer Welt voller Perfektionisten und solchen, die diesem Ideal vergeblich nacheifern.

    1. Wahrscheinlich ist der Irrtum, nur ein in jeder Hinsicht gesellschaftlichen Leitbildern entsprechendes Leben sei schön, die Quelle von ziemlich viel Unglück, nicht nur als Eltern, sondern auch als Berufstätiger, als Partner, als Mann/Frau oder Freund.

  2. Hallo,
    schön, daß Ihr Kind so unkompliziert ist. Unseres nicht, es ist Autist und damit ist es für uns unmöglich, es so lange betreuen zu lassen, daß wir in Ruhe das nötige Geld erwirtschaften können, das für den von Ihnen beschriebenen Lebensstandard nötig wäre. Ich fühle mich ständig zerrissen zwischen Kind und Arbeit – habe oft das Gefühl nicht beidem gerecht zu werden.
    Vielleicht haben Sie auch einfach nur eine Portion Glück, daß Sie nicht so leben müssen wie eingangs beschrieben?

    1. Sicher, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen bedeutet mehr Bedürfnisse, vor allem mehr Bedürfnis an Zeit. Ich lese seit Jahren bei Moni Wassweissich und bewundere sie nicht wenig, wie sie das wuppt. In den beiden verlinkten Artikeln ging es aber nicht um besondere Kinder, sondern um Elternschaft ganz generell. Die stellen die beiden Autorinnen meiner Meinung nach nicht nur überzeichnet, sondern komplett unzutreffend dar. Sicher haben wir auch Glück gehabt, weil der F. ein unkomplizierter Kerl ist. Ich bin als Freiberuflerin auch ein bisschen flexibler als andere Leute, das stimmt sicher auch. Trotzdem, so liest sich Elternschaft wie eine ganz fiese und ziemlich freudlose Sache, und ich lebe eigentlich deutlich entspannter als früher, als ich viel mehr gearbeitet und gleichzeitig zu viel gefeiert habe. Ich schlafe mehr, lese mehr, bin mehr zu Hause und insgesamt mehr im Gleichgewicht.

  3. Meiner Erfahrung nach ändert sich diese entspannte Nummer schlagartig mit der Geburt von Kind Nummer 2. Leider. Da geht es manchmal nur noch ums pure Durchhalten, wenn z.B. der Nachwuchs zeitgleich krank ist oder sich sonstige Widrigkeiten einstellen. Schule ist dann noch mal ein ganz eigenes Thema.

    1. Dass Kind 2 noch einmal einen Extraaufwand bedeutet, glaube ich gern. Gleichwohl, so schrecklich, wie die oben verlinkten Artikel Elternschaft malen, kann das gar nicht sein. Und was die Schule angeht, so plane ich, das Modell meiner Eltern zu wiederholen, die sich nie groß um irgendwas gekümmert haben. Die einzige Direktive lautete da, nicht sitzenzubleiben. Das müsste machbar sein.

      1. Na ja, den Stress macht man sich mit der Schule ja nicht in erster Linie selbst, sondern die Schule sorgt schon in den ersten Jahren für so viel Druck bei den Kindern, dass wir als Eltern erst mal selbst lernen mussten, wie damit sinnvoll umzugehen ist. Das empfinde ich als die eigentliche Herausforderung. Und ich rede hier übrigens von einer ganz normalen Regelschule.

  4. Guter Ansatz, die Messlatten tiefer anzusetzen, das machen Sie genau richtig!

    Aber: die meisten Kinder schlafen nicht lang, sondern, jahrelang nicht durch und sind Frühaufsteher, hat zur Folge dass andere Eltern tatsächlich dauerhaft unausgeschlafen sind.
    4-Zimmer-Wohnung in der City, absoluter Luxus, gibt es wahrscheinlich nur in Berlin und wer weiß wie lange noch.
    Und was ist mit den dauernden Infektionen, die die Sprösslinge aus der Kita mitbringen? Unser Sohn war jahrelang durchgehend von Herbst bis Frühjahr krank, auch über das 10. Lebensjahr hinaus.

    Und die Schule -leidiges Thema – so haben sich meine Eltern damals auch verhalten und ich habe ein passables Abitur von ganz alleine geschafft. Wären Sie auch bereit einen Haupt- oder Realschulabschluss mit anschließender Lehre zu akzeptieren? Dann ist diese Haltung konsequent und geht so in Ordnung.

    Sport ohne Eltern ist auch schlecht möglich, wenn man zum Beispiel einen leidenschaftlichen Fußballer-Jungen am Wochenende zu Spielen fahren muss, weil der Verein für Kinder keinen Bus zur Verfügung stellt.

    Abwarten, es wird noch anstrengender werden. Gute Nerven behalten – so wie Sie das bisher unter Beweis stellen – das ist eine hervorragende Basis.

    1. Klar, es gibt mehr oder weniger anstrengende Kinder, wie es ja auch mehr oder weniger anstrengende Erwachsene gibt. Aber wozu sich mehr Stress machen, als unbedingt nötig? Dazu gehört für mich die Schule. Ich war selbst eine nachlässige, nicht besonders gute Schülerin. Retrospektiv ist das aber egal; ich habe davon keine beruflichen Nachteile davongetragen. Ich glaube allerdings auch nicht, dass mein Unwille, mich um seine Noten zu kümmern, den F. das Abi kosten wird, maximal ein paar Prozentpünktchen auf der Note. Ich kenne eminent dumme Leute, die da irgendwie durchgeschleust wurden.

      (Außerdem heisst es doch immer, Milieu sei die halbe Miete, und die Chancen auch ziemlich dämlicher Anwaltskinder ganz gut. Da will ich mich jetzt einfach mal drauf verlassen.)

  5. Dachte ich mir’s doch, bei der Bildung hört die liberale Haltung auf, unter Abitur geht gar nichts. Manchmal kommt es aber auch trotz Milieu anders als man denkt. Viel Glück!

    1. Ach, da will ich gar nicht so sein. Letztlich fehlt es mir da vermutlich schlicht an Phantasie, aber wenn sich am Ende herausstellt, dass in diesem hübschen Köpfchen einfach rein gar nichts passiert, geht er halt zum Zirkus. Oder wird Tellerwäscher. Die sollen es ja gelegentlich auch weit bringen.

  6. Juhuu! Noch eine Familie, die es locker nimmt. Ich verheddere mich im Stress auch erst dann, wenn ich etwas will, was uns überfordert. Mit dem Wissen ist doch echt gut zu arbeiten.
    Und außerdem: zwei Kinder sind nicht unbedingt zeitaufwändiger als eins. Phasenweise sicher. Aber nicht generell. Und wir bauen drauf, das Kind 1 unser Kind 2 irgendwann beschäftigen kann und wir dann den Zeitausgleich haben. Beispielsweise Sonntagmorgen, wenn die Kinder schon wach sind aber spielen können und Mama und Papa erst fürs Frühstück gebraucht werden.

    1. Dass das klappen kann, sehe ich jetzt erstmals, wenn der F. am Strand oder bei Freunden auf andere Kinder trifft und augenblicklich abgemeldet bin. Noch sind das recht kurze Phasen, in denen Bilder gemalt und Bälle geworfen werden, aber die Richtung stimmt.

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