Montag. Vivantes Friedrichshain
Da sitze ich also, morgens um halb neun, auf der Straße und versuche vergeblich aufzustehen. Es geht nicht. Ich komme nicht hoch. Nachbarn helfen mir auf den Bürgersteig, schleppen meine Taschen hinterher und schließen mein Rad an. Ein Ladenbesitzer kommt mit einem Glas Wasser, mein Sohn steht ratlos und heulend neben mir, und dann packen freundliche Hände zu und bringen mich zum Arzt. „Heute nicht wegen der Schilddrüse, wa?“, schallt es mir von der dicken, fröhlichen Schwester am Empfang entgegen, und dann liege ich auf der Untersuchungsliege, die Hausärztin berührt vorsichtig mein Knie, schickt die Schwester mit meinem Kleinen in die Kita und ruft einen Krankentransport. Eine halbe Stunde später werde ich ins Vivantes Friedrichshain gefahren. Es ist Montag. Kurz vor zehn.
Die Rettungsstelle brummt und summt vor Geschäftigkeit. Rettungssanitäter, Schwestern und ein Arzt laufen hin und her. Ich habe in sieben Stunden niemanden von den Leuten, die da arbeiten, herumsitzen oder auch nur langsam gehen sehen. Es muss höllisch anstrengend sein. Doch so schnell sich auch alle bewegen: Mir bringt das nichts. Es sind nämlich viel zu wenige Leute da, und so warte ich Stunde um Stunde auf einem Bett auf dem Gang darauf, dass etwas passiert. Irgendwann frage ich einen vorbeieilenden Pfleger, ob man mich vergessen hat, aber der schüttelt nur den Kopf und läuft weiter. Einer nach dem anderen. Es geht nach Dringlichkeit, und wer nicht blutet und schreit, ist anscheinend nicht dringlich. Ich warte also weiter.
Ich müsste mal verschwinden, und außerdem habe ich Durst. Ich kann aber nicht aufstehen. Ich frage deswegen jemanden, der aber auch nur weitereilt, und schaue auf die Uhr. Es ist nachmittags, halb zwei. Irgendwann werde ich massiv, etwas lauter. Dann fährt man mich immerhin vom Gang in einen Behandlungsraum. Irgendwann, noch viel später, kommt ein Arzt. Der immerhin ist freundlich, tastet Kopf und Körper ab, fragt nach Übelkeit, leuchtet mir in die Augen, und springt wieder auf. Ich soll geröntgt werden. Ein Pfleger schiebt mein Bett um die Ecke. Das Gerät surrt. Dann liege ich wieder auf dem Gang. Vor mir weint eine Britin mehrere Stunden, es läuft ihr nur so über die Wangen, aber niemand bleibt stehen. Ich spreche sie an, aber sie weint unablässig weiter.
Um kurz nach vier werde ich wieder in einen Behandlungsraum geschoben. Inzwischen ist mein Knie doppelt so dick wie normal, mein Mund ist trocken. Meine Füße eiskalt. Ich hätte mir die Kniescheibe gebrochen, wird mir erzählt. Ich solle mich morgen auf der Station melden, dann würde ich operiert. Man legt mir eine Schiene an, drückt mir zwei Krücken in die Hand und eine Thromboseprophylaxe in den Bauch. Dann werde ich entlassen. Wie mein Arztbrief besagt „zu Fuß“. Eine Schwester hilft mir bis in die Eingangshalle. Es ist 16.45. In der Halle kehre ich noch einmal um. Ich sollte noch eine zweite Thrombosespritze bekommen, aber die wurde offenbar vergessen. Man schiebt mir die Spritze in die Handtasche. Clexane 40. Dann schleppe ich mich vor die Tür inmitten hustender Raucher in Bademänteln und warte auf den J.
Dienstag. Bundeswehrkrankenhaus Mitte
Ich will nicht ins Vivantes Friedrichshain zurück. Ich recherchiere im Internet, ich frage herum, und dann rufe ich im Bundeswehrkrankenhaus in Mitte an. Klar, sagt man mir. Ich solle meine Sachen packen, man sage dem Empfang Bescheid und dann soll ich kommen. Der J. packt, bugsiert den F. und mich ins Auto und wir fahren los.
Ich bin nicht abergläubisch. Aber die Wartemarke 13 ist vielleicht doch kein gutes Omen, denn als ich am Empfang sitze, heißt es, man wisse von nichts. Dann werde ich um die Ecke zur Erstuntersuchung geschickt. Da schickt man mich wieder zurück. Ich solle nun aufgenommen werden.
Ich fülle einen Haufen Unterlagen aus. Dann humpele ich zurück. Es sind schon mehrere Stunden vergangen, aber die anderen Leute sitzen auch brav auf dem Gang und warten, warten, warten. Immerhin geht es nun weiter. Ich bekomme Blut abgezapft, ich werde hochgeschickt auf die Station und dann sitze ich vorm Schwesternzimmer. Der J. schiebt mich und meinen Koffer durchs Krankenhaus, fragt nach, drängelt, holt Wasser und irgendwann – es ist inzwischen ungefähr zwei – verliere ich die Nerven. Ich will nicht mehr. Ich will nach Hause. Ich bin seit morgens um neun hier. Ich habe noch keinen Arzt gesehen, mein Knie ist blau und schmerzt und pocht, und bevor ich in Tränen ausbreche, drückt mir eine Schwester nun doch ein Schmerzmittel in die Hand. Nehmen sie, heißt es. Dann sitze ich wieder da.
Das Krankenhaus sei randvoll, höre ich. Man werde deswegen erst – wann? – eine Voruntersuchung machen, und dann würde ich morgen aufgenommen. Aber die Voruntersuchung für die Narkose findet nicht statt.
Wie ich später höre, ist etwas schiefgelaufen. Ich hätte gleich unten bei der Aufnahme untersucht werden sollen, wurde dann aber gleich hochgeschickt. Man weiß nun nicht recht etwas anzufangen mit mir. Ich werde deswegen irgendwann zum Chefarzt geschoben, der eine Entscheidung treffen soll.
Hier geht nun alles recht fix. Ich werde reingerufen, mein Knie wird untersucht, und dann fragt der Arzt nach den Röntgenbildern. Die habe ich nicht. Die hat das Vivantes Friedrichshain. Ich solle mir die Röntgenbilder besorgen, wird besprochen, und am nächsten Tag wiederkommen. Vielleicht würde gar nicht operiert. Dann fahren wir heim. Auf dem Heimweg holen wir noch die Röntgenbilder – es geht erstaunlich schnell – und sammeln um kurz vor fünf den F. an der Kita wieder ein. „Schon besser, Mama?“, fragt er, und ich muss fast lachen. Eine Behandlung wäre gut. Oder zumindest zu wissen, was jetzt kommt.
Dienstagabend. Hausärztin
Ups, fällt mir ein, als ich zu Hause bin. Ich habe keine Thromboseprophylaxe mehr. Der J. läuft also los zu meiner Hausärztin, kommt mit einem Rezept wieder und hat die Spritzen auch schon bestellt. Clexane 80 steht auf dem Rezept.
War das gestern nicht weniger, frage ich mich, zwei Stunden später mit der Spritze in der Hand. Aber egal. Ich habe keine Ahnung, wie man diese Spritzen richtig setzt, schaue entsetzt bei youtube die Tutorials an und dann haue ich mir die Spritze möglichst schmerzfrei in den Bauch. Es geht, aber irgendetwas mache ich falsch. Am Samstag werde ich – aber das weiß ich noch nicht – aussehen wie ein dicker Leopard mit bemerkenswert unregelmäßigen blauen Flecken.
Mittwoch, Bundeswehrkrankenhaus Mitte
Am nächsten Morgen bringt der J. den F. in die Kita und die Röntgenaufnahmen ins Krankenhaus. Ich solle um 14.00 Uhr kommen, höre ich. Um 13.30 holt mich ein Taxi ab. Ich kenne den Taxifahrer, der mich in der Wohnung abholt, mich ins Taxi setzt, am Krankenhaus einen Rollstuhl holt und dann bis oben bringt.
Ich müsse nicht operiert werden, sagt der Arzt, als er die Bilder sieht. Ich bekomme nur eine bessere Schiene, die nicht bei jeder Bewegung rutscht und scheuert. Ich bekomme eine Verschreibung für die neue Schiene. Die Thromboseprophylaxe von gestern erweist sich in der Tat als total überhöht. Ich könnte, sagt man mir, einfach immer die Hälfte verwenden und den Rest wegschmeißen. Nun gut. Es klappt so mittel.
Donnerstagvormittag, Sanitätshaus Recknagel
Jetzt wird alles ganz einfach. Also abgesehen von dem gut 200 Meter langen Weg von mir bis zum Sanitätshaus. Ich hinke mit meiner rutschenden Schiene die Straße entlang, bekomme eine neue Schiene angepasst und hinke mit einer gut sitzenden Schiene zurück. Mein Knie pocht und schmerzt, ich werfe weitere Schmerztabletten hinterher. Sechs Wochen soll das dauern, sagt man mir. Zehn Tage muss ich das Knie möglichst ganz flach halten, kann quasi nirgendwohin. Zu Hause sitze ich eine halbe Stunde auf dem Sofa.
Dann fahre ich den Rechner hoch. Ich muss arbeiten.
Liest sich nicht schön (nicht das Geschriebene, sondern das Erlebte). Drücke Ihnen die Daumen, daß es besser wird und die Schmerzen nachlassen. Hoffentlich können Sie bald wieder schmerzfrei gehen…
Danke! Die Schmerzen sind schon besser, nur die Unbeweglichkeit nervt.
oje. die effizienz der krankenhäuser ist offensichtlich verbesserungsbedürftig.
gute besserung! hoffentlich sind die schmerzen gut zu managen.
gelegentlich sehe ich leute mit gestrecktem bein im rollstuhl, die sich herumkutschieren lassen, das sieht ganz entspannt aus…
Die Schmerzen sind schon wieder besser. Danke für die guten Wünsche!
bei meinem vorletzten knochenbruch im dezember 2012 habe ich mir fragmin zur thromboseprophylaxe gespritzt und war positiv überrascht, dass das keine blauen flecken macht.
Das klingt interessant. Ich werde meine Ärztin darauf ansprechen.
Oh je. Wünsche Ihnen rasch ihre Bewegungsfreiheit zurück. Ich musste unwillkürlich an „Das Fenster zum Hof“ denken. Aber in der Literatur/im Film ist das natürlich bedeutend unterhaltsamer als am eigenen Leib. Rasche Genesung!
Oje, ich hoffe, ich sehe von meinem Sofa aus nichts vergleichbar Verdächtiges.
O weh, o wei, Sie Ärmste. Ich wünsche Ihnen, dass die Schmerzen rasch ganz verschwinden und Ihr Knie gut heilt.
(Gestern konnte ich hier aus irgendwelchen Gründen nicht kommentieren, es ließ sich nicht speichern.)
Das höre ich immer wieder. Es scheint so, als gebe es bisweilen Probleme mit der Kommentarfunktion.
Ich wünsche von Herzen gute Besserung. Und nur noch freudige Überraschungen aus dem Gesundheitssystem.
Oh haue ha ! (sagt man bei uns im Norden, das „ha“ kurz und pistolenschussartig ausgesprochen), wenn was Schlimmes passiert ist. Die Geschichten aus den Notaufnahmen der Krankenhäuser gleichen sich, in Hamburg ist das auch nicht anders.
Gute Besserung und viel Geduld!
Hallo liebe Leidensgenossin,
mir ist am 26.09.14 exakt das Gleiche passiert, nur in einer anderen Stadt und wegen eines Knöchelbruchs. Auch mich hat man mit einer für mich unbenutzbaren Gehhilfe nach Hause geschickt – mein Einwand, ich wohne im III.Stock ohne Fahrstuhl und habe starkes Rheuma in Knien und Handgelenken, das es mir unmöglich macht, mich mit Gehhilfen fortzubewegen, wurde mit Achselzucken kommentiert. Ob es daran lag, dass der Arzt kaum Deutsch verstand oder daran, dass die Schwester murmelte, das sei ja „nicht unser Probelm“, weiß ich nicht so ganz genau. Mein Mann solle mich doch tragen *haha*, was er dann auch tat und sich an meinen immerhin doch ü100 Kilo fast einen Bruch hob. Ich nächtigte in der Wohnung einer erdgeschossigen Nachbarin und wurde am nächsten Tag gnädig auf der Inneren eines anderen Hospitals aufgenommen, weil mein Hausarzt ein gutes Wort für mich einlegte. Dort erfuhr ich, wie meine Misere heißt : „Versorgungsproblem“. Man überlegte, mich i eine Kurzzeitpflge im Altenheim abzuschieben, aber wegen des Rheumas durfte ich dann doch bleiben. Einen Orthopäden oder gar den geforderten Unfallchirurgen bekam ich jedoch mangels „Auftrag“ nie zu Gesicht, so dass ich nun auch mit einer rutschenden Schiene, ohne Beratung oder auch nur dem Ansatz eines Arztgespräches entlassen wurde. Ich erfuhr nur, dass zu der Schiene „eigentlich“ auch ein Schuh gehöre – wer den verschreibt? Keine Ahnung! „Frau S.“, so wurde ich ermahnt, als ich dann auch mal laut wurde, „halten Sie mal schön die Füße still (harrharr), wir hätten Sie keineswegs aufnehmen MÜSSEN“. Ich liege dann mal bei passender Konstitution dankbar auf den Knien, so dachte ich.
Es ist ein Horror. Was man tun soll,. wenn man dann mal „wirklich was Schlimmes“ hat und sich nicht mehr äußern kann – das beschäftigt mich seitdem sehr stark.
Gute Besserung für Sie und halten Sie die Ohren steif. Ich tu’s auch.