Besorgte Bürger Mütter

Neulich war ich auf einem Kindergeburtstag. Vierte Geburtstage finden eigentlich meistens ohne Eltern statt, dieser war aber eine Ausnahme, und so stand ich an einem Samstagnachmittag mit Kaffeetasse und Apfelkuchen in einem Garten, irgendwo jubelte das Geburtstagskind mit seinen Gästen, und um mich herum machten sich alle anderen Mütter (ein Vater war auch dabei) Sorgen.

Als die Kinder ganz klein waren, kamen die Eltern vor Sorge fast um, weil die Kinder weinten, obwohl sie die ganze Zeit herumgetragen und immer, wenn sie danach verlangten, gestillt wurden und deswegen eigentlich keinen Grund hatten, sich aufzuregen. Als die Kinder älter wurden, machten sich die Eltern Sorgen, weil die Kinder entweder zu spät liefen oder zu spät sprachen, oder mehr Zeit als andere brauchten, bis sie in der Kita bleiben mochten. Nun sind die Kinder alle vier, lieben die Kita, laufen ganztags, sprechen fürchterlich viel und sind ausnehmend gesund. Die Eltern machen sich jetzt also Sorgen um die Schule.

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Ich schwöre, ich weiß alles über das Profil aller Schulen in Prenzlberg und Mitte. Ich kenne die Namen aller möglichen Lehrerinnen, die als ganz schön harsch gelten oder nicht genug loben. Ich bin Prenzlmutter, und die Kita ist eine Montessorikita, deswegen fürchten sich die Eltern mehr vor Leistungsdruck, Frontalunterricht und negativem Feedback als vor dressierten Chinesen, aber dafür, dass die Einschulung noch ziemlich genau zwei Jahre in der Zukunft liegt, bringen sich alle vor Sorge halb um.

Irgendwo hinten im Garten spielten die Kinder fangen. Mein Sohn lief mit einem geliehenen Lichtschwert herum und brüllte ab und zu „Yedi!“, und über uns donnerten die Flugzeuge über Pankow. In mir war nicht ein Gramm Sorge, allein schon, weil ich niemanden kenne, den die Berliner Schule ohne Abitur wieder rausgelassen hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeine Lehrmethode gibt, bei der ein halbwegs normalbegabtes Kind nichts lernt, weil Kinder schrecklich gern lesen können möchten, wissen wollen, wieso Raketen fliegen, und warum die Pharaonen falsche Bärte trugen. Mein F. liebt außerdem Medaillen, Urkunden und wird außerordentlich gern gelobt, wie eben die meisten Kinder, die möchten, dass die Lehrerin sie für ein schlaues, freundliches Kind hält. Ich glaube auch, dass einzelne doofe Lehrer Kinder nicht entmutigen, sondern lehren, wie man blöden Leuten ausweicht, die nerven, und dass man ein normales Kind überfordern kann, kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich habe mich in der Hälfte der Schulzeit tödlich gelangweilt, auch mit einem Jahr weniger ist da noch Luft genug. Genau das sagte ich dann auch.

Die anderen Mütter schauten mich an, als würde ich meinen Vierjährigen allein mit meiner ec-Karte per Zug nach Reit im Winkl schicken. Hinten im Garten lachten die Kinder laut und gellend, irgendwer musste einen Scherz gemacht haben.

Vermutlich wird keins der Kinder auf diesem Geburtstag in der Schule richtig scheitern. Es feierte eins der ruhigen, vernünftigen Kinder der Kitagruppe und hatte die anderen eher zurückhaltenden Kinder eingeladen, die neigen noch nicht einmal dazu, ungebührlichen Lärm zu veranstalten, sie sind auch nicht besonders frech. Die Eltern sind durchweg wohl situiert, ein bisschen alternativ, fast alle promoviert, Leute also, die das Bildungssystem zu bedienen wissen, und so werden in einigen Jahren auch diese Sorgen sich als gänzlich unbegründet erweisen, aber so sicher wie das Amen in der Kirche werden die besorgten Mütter dann den nächsten Anlass finden, sich schrecklich zu sorgen.

7 Gedanken zu „Besorgte Bürger Mütter

  1. —————KOMMENTAROMAT—————
    Made my day
    —————KOMMENTAROMAT—————
    Sie laufen ja richtig zu herbstlichen Höchstform auf, erst der vernünftige Post zu Frau Lohfink und nun die besorgten Eltern!

    Ich habe mich auch meist in der Schule gelangweilt…ich bin deshalb ganz entspannt, was meinen vierjährigen Neffen betrifft…:-)

  2. Guten Abend,
    noch vor 8 Jahren hätte ich das alles vermutlich genau so auch geschrieben.
    Da war noch keines unserer vier Kinder in der Schule.
    Inzwischen sind sie es alle 4.
    Die jüngeren beiden in der Grundschule, die älteren beiden im G8-Gymnasium – bundeslandbedingt gibt es hier kein G9 mehr.
    Ich bin „wohl situiert, ein bisschen alternativ, (…) promoviert“, das Klischee trifft auf mich zu.
    Und mit den Jahren habe ich erlebt, dass es möglich ist, fröhliche, wissbegierige, freundliche, begeisterungsfähige Kinder in die Hände der Schule zu geben – und in den falschen Händen, nämlich denen, die Angst mache, die laut,schroff und überfordert sind, die ungeduldig und auch zu oft mal ungerecht sind, treten plötzlich Ängste und psychosomatische Störungen auf, die frohes Lernen unmöglich machen, zu Misserfolgen führen und schliesslich zu der Überzeugung, nichts zu können.
    Auswirkungen über Jahre. Vielleicht auch nicht mehr gut zu machen.
    Um nicht als pauschaler Lehrerkritiker rüberzukommen (bin selber „Lehrerkind“ und komme aus einer Dynastie von Lehrern):
    Bei einem anderen Kind habe ich erlebt, wie wunderbar Schule sein kann, wenn man der glückliche Schüler ist, der an eine Lehrerin mit Herz, Verstand, Gespür und einfach dem richtigen Berufsethos kommt. Dann kann ein Kind am Ende der Grundschulzeit sagen „An keinem einzigen Tag bin ich ungern hingegangen…“ – was für ein Geschenk!
    Das wünsche ich wirklich allen Kindern und zum Glück gibt es auch von der Sorte viele!

    Aber eine grundsätzliche Gelassenheit ist mir von Einschulung zu Einschulung mehr und mehr abhanden gekommen – und ich bin ein wahrhaft gelassener und positiver Mensch…eigentlich…

    Viele Grüße!

    Silke

  3. Hihi

    Meine Mutter erntete früher und heute schon immer Unverständnis unter ihresgleichen, wenn sie kundtat, dass sie nichts davon bemerkt hat, dass ich Abitur gemacht habe.

    Warum auch? Schule war meine Sache

    Einfach mal weniger Sorgen machen – entspannt ungemein

    Ich fürchte nur, solche Mütter werden diesen Zustand der Entspannung nie kennenlernen

    LG
    Mechthilda

  4. Und wenn man dann auch genauso entspannt reagieren würde, wenn das Zauberkind in ferner Zukunft nur einen Realschulabschluss schaffen können würde, dann gäbe es überhaupt keinen Grund mehr sich Sorgen zu machen.
    Leider lässt sich nicht alles nach Wunsch kontrollieren, aber Vertrauen ist schon mal eine sehr gute Basis.

  5. Schönes Geraderücken der Dimensionen. Privilegierte in einer Stadt, in der laut Vera-Ergebnisse der vergangenen fünf Jahre durchschnittlich die Hälfte der Drittklässler gerade die Mindeststandards erreichen, ein Drittel noch drunter liegt.

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