Journal :: 10.05

Ich bin der Moderne so müde. Ich habe die Gehirnkunst so satt, diese Installationen, Objekte, Collagen, all diese Dinge, die auf den denkenden Betrachter angewiesen sind, um die Aura zu gewinnen, die Kunst von irgendetwas Beliebigem unterscheidet, das man in Baumärkten kauft.

Ich bin keine Intellektuelle. Ich mag nicht alles, was ich sehe, mit meinen eigenen Gedanken umkleiden. Ich mag nicht all diejenigen Dinge, die landläufig als schön gelten, vor dem abschätzigen Prädikat des „Kulinarischen“ verteidigen müssen. Ich bin den Drang der Moderne über, alle sichtbaren Dinge zu spalten, zu zerlegen, die eigene Reaktion zu prüfen und fein abzuwägen, ob die Dinge sprechen, und am Ende spricht doch immer das eigene Ich, dessen Ennui so abgegriffen ist, so alt und mürbe wie die Moderne, an der es leidet.

Ich mag eure Pilzgerichte nicht mehr essen, sage ich mir und fahre am Hamburger Bahnhof vorbei. Die Galerien von Mitte interessieren mich nicht, und die Keller von Kreuzberg und Friedrichshain – geschenkt. In der Gemäldegalerie am Potsdamer Platz ziehe ich Kreise, langsam, anwachsend vor dem stummen Staunen der Jungfrau, blass, vor goldenem Grund. Die bläuliche Andacht der Heiligen. Die Veduten Italiens mit ihren unfassbaren Wassern. Die Oberflächen fahre ich entlang mit meinen Augen, spüre die Kühle Florentiner Kontore und die Risse im Stein auf der Flucht nach Ägypten. Die fröhlich-rotwangige Kälte der Niederländer. Die knisternden Stoffe, ach: die atmende, erregende Berührbarkeit längst versunkener Haut. Gerührt fahre ich auf den blauen Adern Flanderns entlang Richtung Süden, lehne die Wange in die blutenden Wunden Christi, und stehe – fremd, aber vertraut wie vor lange vermissten Verwandten – vor den verhangenen Himmeln des Rokoko, den gebrochenen Farben.

Ich bin die Moderne so über, steige ich wieder aufs Rad und fahre zur C. Eure Kunst berührt mich nicht, proklamiere ich lautlos in die Luft hinterm Leipziger Platz. Was Ihr tut, bleibt mir nicht im Gedächtnis von Häuten und strömenden Blut. Was Ihr produziert, schleppe ich nicht in das Dunkel von Nacht und von Träumen, und was immer Ihr malt, formt oder denkt, hat mit mir nichts tun.

16 Gedanken zu „Journal :: 10.05

  1. Hach Modeste. Es gibt so Blogeinträge, die möchte man festhalten, ausdrucken, einrahmen, lesen, genießen, Luft holen, noch einmal lesen. Ich komme mir so klein vor wenn ich kopfschüttelnd aus dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt komme und lieber im Dom nebenan die Kunst der Vorfahren genieße, dies aber nie so schön in Worte fassen könnte. Die Moderne ist irgendwann von den Scharlatanen übernommen worden, gut zu beobachten in der damaligen MoMa-Ausstellung in Berlin, am Anfang große, erhabene, geniale Kunst (Bewegung in der Skulptur, Seerosen, Van Goghs märchenhafter Sternenhimmel) dann beginnend in den sechziger Jahren Klamauk – Farbkleckse, Striche, Müll. Wer da ernsthaft mit Talent gesegnet ist und sich gegen diese Quacksalber durchsetzen soll, tut mir leid. Das Publikum ist die Moderne sowieso über, das kann nur durch Subventionen selbsterhaltend funktionieren. Schade um die Kandinskys und Picassos, die es in jeder Generation geben dürfte, und die stattdessen in irgendeinem Betonkasten Versicherungen verkaufen.

  2. REPLY:
    Wie wahr; meinem Empfinden nach hat die Moderne spätestens in den 70ern begonnen, zu versanden. Mitunter geschieht es ja durchaus, dass man zunächst keinen Zugang zu einer bestimmten Kunstrichtung findet, zehn, zwanzig Jahre später jedoch zumindest ansatzweise versteht, was die Künstler damit gemeint haben, aber mir bleibt ebenfalls die Moderne aufgrund des Fehlens dieser Erfahrung fremd.

  3. Madame,

    zuerstmal, manchmal zucke ich zusammen, wenn ich von Ihren Wegen lese, die fast exakt die meinen sind, und frage mich, wie oft wir uns schon begegnet sind.

    Als ehemalige Gemälderestauratorin möchte ich die Damen und Herren hier doch anregen, es sich nicht allzu einfach zu machen. Die Picassos und Kandinskys gibt es durchaus noch, in den seltensten Fällen in Versicherungsagenturen, sie sehen halt ein bisschen anders aus. Man findet immer wieder Goldstücke, wenn man nicht müde wird, sich durch den Haufen Quatsch zu wühlen und: Schon immer wurde über Zeitgenossen gemeckert, falls ich daran erinnern darf, sind sie vor gar nicht langer Zeit sogar im Fegefeuer gelandet. Ist also ein Evergreen, das aktuelle Unverständnis. Und schon immer sind 80 % der hochgelobten hochgehandelten später (meist) zurecht in Vergessenheit geraten.

    Zweitens: Nicht jeder aktuelle Künstler fordert intellektuelle Auseinandersetzung. Vieles wird aus Übermut und Freude an Schönheit geschaffen, und genau das sollten diese Werke beim Betrachten auslösen. Bestenfalls eine Art von Andacht und Ergriffenheit. Und tuns sies nicht, man drehe sich um, schüttle den Kopf und gehe weiter. Ich meckere dabei noch vor mich hin (tut auch gut).

    Und komme zum letzten Punkt. Viele dieser abstrakten Werke brauchen viel viel Zeit. Zu Anfang meiner Ausbildung arbeitete ich in einem Hamburger Restaurierungstelier. Dort stand ein merkwüdiges weisses Kästchen auf der Staffelei und ich dachte mit in meiner arroganten 19-Jährigkeit: So ein Nepp, ein weiss angemalter Setzkasten. Tag ein Tag aus sass ich neben ihm, retuschierte einen Nazarener, der mir immer einfältiger vorkam, der weisse Schoonhoven aber wechselte Schatten und Struktur im Tageslicht und wuchs mir mehr und mehr ans Herz. Leider hat man selten soviel Zeit, wenn man durchs Museum jagt.

    Und gegen die Alten Meister ist ja trotzdem nix einzuwenden. Aber Kunst und handwerkliches Können gleichzusetzen ist doch etwas platt.

    Ach ja, ich hab ein paar Jahre gar keine Kunst mehr angeschaut, aus lauter Überdruss. Für die Biennale brauch ich inzwischen ungefähr drei Stunden und am schönsten finde ich am Ende immer die Wände vom Arsenale.

    Nix für ungut und Ihnen freundlich zugewandt,

    Montez

  4. REPLY:
    Ach, ich weiß gar nicht, ob es sich bei dem Gros moderner Kunstwerke tatsächlich um Stümpereien handelt, und würde es vermutlich eher verneinen. Da ist viel Substanz, viele Ideen, mag sein, mehr Tiefe, als mir bekommt, aber meins ist das nicht. Ich suche – vielleicht ist es das – in der Kunst etwas anderes.

  5. REPLY:
    Nein, es geht mir nicht um eine Gleichsetzung von Können und Kunst, nur um einen Überdruß an Dingen, die gekonnt sein mögen oder nicht, das ist mir egal, aber mir nicht zusagen, völlig egal, wie ihre handwerkliche oder gedankliche Qualität sein mag.

  6. REPLY:
    Ja, die mag ich. Tatsächlich habe ich mich oft mit zeitgenössischer Kunst amüsiert, aber schön, herzberührend, verwandelnd und verzaubernd finde ich meist doch eher das 17., 18. Jahrhundert.

  7. Eine wirklich aussergewöhnlich schöne Beschreibung der wieder kälter werdenen Abende. Eine lustlose Beschreibung, aus der soviel Poetik kommt, dass es kribbelt.
    da

  8. Mmh, ein Eintrag, der im Sinn von montez kritischen Einwänden inhaltlich angreifbar, aber sprachlich zum Zungenschnalzen ist. „Ich mag eure Pilzgerichte nicht mehr…“ beginnt müde wie Hofmannsthal und wird dann sinnlich in der Beschreibung alter Meister. Darf ich daraus (unter Angabe des Links natürlich) in meinem „Fahrtenbuch“ zitieren?

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