Oje, denke ich und schlendere, die Hände in den Taschen, über den nassen Sand, den Kindern hinterher. Der J.2 erzählt von seinem neuen Job, jeden Tag im selben Büro, und hört sich ein wenig so an, als trauere er dem Beraterleben doch durchaus hinterher. In Gedanken zähle ich die Jahre, die er aus dem Koffer gelebt hat. Montag morgen nach Tegel, Donnerstag Abend zurück, Freitag Office Day und zwei Tage zu Hause: Die meisten Leute macht das auf die Dauer krank und einsam, aber er mochte diese ganz besondere Form der Abwesenheit über fast zehn Jahre, und findet sich im neuen Leben offenbar nicht so ganz mühelos zurecht.
Ob es das Leben im Hotel war, frage ich mich. Dass man nicht abwaschen muss, und die Abwesenheit von zu viel Besitz um einen herum. Dass man morgens sein Frühstück einfach vorfindet. Oder ob es die Leute waren. Dass man immer nur Kollegen und kaum Familie oder Freunde um so hat, und deswegen sehr selten die Zumutungen der Nähe an einen herangetragen werden. Das Sich-verhalten-müssen. Die Pflicht, wirkliche Gespräche führen zu müssen und nicht nur einfach so etwas zu sagen. Der J.2 ist ein kluger, sensibler Mensch, um so schwerer diese beständige Last, auf der Emotionalitätsskala immer die zehn ansteuern zu müssen, und es nicht bei der vier belassen zu dürfen.
Oder es war nichts davon. Keine Bequemlichkeit, weder in den täglichen Dingen noch emotional. Vielleicht war es schlicht so eine Freude an der Unsichtbarkeit, am Hier-wie-dort-sein, an der Beweglichkeit, die über Jahre – ich glaube, fast zehn – dazu führt, dass man nie wirklich irgendwo ist, sondern wie ein Läufer auf einem lange belichteten Bild nirgends wirklich und überall zugleich, ein farbig-rotierender Schatten, Wolken am stürmischen Himmel, und nun, des Wirbelnd beraubt, verdammt zur Sichtbarkeit und – wenn mich nicht alles täuscht – schon ein ganz klein wenig gelangweilt.
Ich weiß aus langjähriger Erfahrung, wie das ist, wenn man zum „fahrenden Volk“ gehört. Das Leben verändert sich, man hat für viele Dinge nur sehr eingeschränkt Zeit. Während der Woche sitzt man in einer fremden Stadt im Hotel, alle privaten Aktivitäten bündeln sich am Wochenende, viele Dinge wie Behörden, Handwerker, Schultermine müssen genau geplant werden.
Und man verändert sich selbst dabei über die Jahre. Auf das nichtreisende Umfeld wirkt man oftmals ein wenig verschroben. Die Lust, privat zu verreisen nimmt ab, man will einfach „zu Hause sein“.
Von daher finde ich den Schritt Ihres Bekannten bewunderswert. Ich bin gespannt, ob die „Wiedereingliederung“ gelingt. Nach mehr als 20 Jahren des Mit-dem-Koffer-Unterwegsseins scheint dieser Weg zurück für mich versperrt.
Danke! Bin selbständig und seit über zehn Jahren unterwegs und werde das nicht ändern. Der Gedanke der Unsichtbarkeit war für mich neu und ist sehr treffend. Die Hotelzimmer sind für mich „klosterähnlich“. Keine Dinge, die mir Verantwortung aufbürden, wenig Ablenkung, Konzentration ist möglich. Bleibe gerne unsichtbar.
Familienleben bedeutet ein hohes Maß an Verantwortung, täglich wichtigen Entscheidungen, die im Alltag banal erscheinen, weil sie sich oft wiederholen. Die ständige Routine langweilt auch zuweilen, man hat das Gefühl nur für andere da zu sein und sich selbst nicht weiter zu entwickeln. Alles zuliebe der Kinder.
Da ist das Reisen eine willkommene Flucht aus der „Falle“. Und jetzt hat sie zugeschnappt…
Ich selber habe viele Jahre in der Saisongastronomie gearbeitet und dieses Leben beendet, als ich eine Familie gegründet habe. Zu behaupten, ich hätte die Saisontingelei nie vermisst, wäre gelogen. Abgesehen von der Arbeit natürlich hatte ich dort keine Verpflichtungen, um mich herum die verschiedensten Menschen sowohl unter den Gästen als auch unter den Kollegen, und erlebte Begebenheiten, mit denen man Fernsehserien füllen hätte können. Familie – speziell mit einem Kleinkind – war für mich danach auch immer ein wenig Eingesperrtsein.
Der beste aller Ehemänner war bis vor wenigen Jahren ebenfalls nur am Wochenende zu Hause (und auch das nicht immer, da auch an weiter entfernten Orten tätig) und betrachtet diese Zeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge; manche Gegenden und Kunden waren fast wie Urlaub, andere hingegen an Ödnis nicht zu überbieten (Die ewig gleichen Businesshotels irgendwo im Nirgendwo mit lausiger Infrastruktur in der Umgebung.). Es überwiegt bei ihm aber die Freude an mehr Freizeit und nicht zuletzt die Erleichterung darüber, nicht mehr an jedem gottverdammten Montag um drei Uhr morgens aufstehen zu müssen, um den Pyjamaflieger zu erwischen.
Ich liebe Reisen und den Koffer packen. Aber keine Routine. Abwechslung. Als Freiberuflerin bin ich viel unterwegs. Einsam fühle ich mich nicht. Solange es Menschen gibt kann ich nicht einsam sein. Denn ich bin offen und gehe gerne auf andere Menschen ein.
Herzlichen Dank für die Anregung