Kaum ist Sohn F. ein paar Tage bei den Großeltern, verkommen der J. und ich zusehends. Der Koffer mit den Urlaubskleidern bleibt unausgepackt tagelang im Flur. Während ich hoffe, dass der J. die Spülmaschine ausräumt, hofft der J., ich würde mich erbarmen. Außerdem verlieren wir sofort jede vernünftige Tagesstruktur, essen bis 16.00 Uhr überhaupt nichts und dann innerhalb weniger Stunden ganz viel. Nehmen wir nur gestern.
Morgens liege ich bis elf im Bett. Ich lese erst die Süddeutsche, dann einen Roman von Anne von Canal, dann koche ich mir Kaffee und döse ein bisschen so vor mich hin. Der J. ist schon seit Stunden beim Golf. Irgendwann schleppe ich mich in die Dusche und singe dort ganz laut und lange ein unbekömmliches Potpourri aus Cole Porter, Volksliedern und Wham. Das geht nämlich nicht, wenn der F. daheim ist, der steht dann schnell vor der Badezimmertür und fragt lautstark, was ich da singe. Knallrot und durchgeweicht ziehe ich mich an. Rotes Kleid, Sandalen. Danach lasse ich mich um die Ecke zwei Stunden lang verschönern und berate die Kosmetikerin in Herzensdingen. Weil ich so alt bin wie ein Baum behaupte ich, dass es eigentlich egal ist, wen sie heiratet, Hauptsache, er ist nett und macht die Wäsche.
Als der J. auftaucht, wandern wir so ein bisschen durch den Prenzlauer Berg. Vermutlich hat kein deutsches Stadtviertel einen schlechteren Ruf, weil jeder Sachbearbeiter in jeder deutschen Kleinstadt mit Kombi und Jägerzaun davon überzeugt ist, dass hier die wahren Spießer wohnen. Weil deswegen hier niemand wohnen will, kostet der Quadratmeter 5.000 aufwärts.
Beim Fischladen in der Danziger essen wir Fischbrötchen und sehnen uns ordentlich nach dem Salz des Meeres. Vorm Café Liebling schauen wir den anderen Prenzlbergern zu, wie sie ihre Hunde und Kinder und Sonnenbrillen durch den Samstag tragen, bestellen Hugo und Bier und sprechen über die Wohnung, die der J. einmal am Helmholtzplatz hatte. Dann gehen wir nach Hause und grillen.
Irgendwann ziemlich spät brechen wir wieder auf. Vorm KROM trinke ich einen hessischen Apfelwein, wir sprechen über einen Bekannten, der mal gegenüber gewohnt hat und tatsächlich in einem Computerspiel mitspielt, über eine tote Großtante, und ich erzähle dem J., das ich tatsächlich ein von Theodor Herzl signiertes Buch besitze. Als die hübsche Kellnerin im Onesie um zehn den Außenbereich dicht macht, gehen wir zu Johnny.
Bei Johnny im Sorsi e Morsi trinkt die ganze Nachbarschaft. Es ist voll und lustig, es gibt Negroni und Prosecco und Wein, wir sprechen miteinander über unser Kind und ob Sohn F. wirklich einmal in das Dorf zurückgeht, aus dem der J. gekommen ist, wo der F. nach eigenem Bekunden eine Kanzlei unterhalten und Hunde und Pferde haben will. Jagen möchte er, Hühner haben und einen Traktor, und vielleicht, denke ich, macht er das ja wirklich, und des J. Ausflug nach Berlin wird in der Familiengeschichte des J. eine kurze, bizarre Episode bleiben. Vielleicht wird er glücklich, der F., als jagender Herrenreiter, aber nie, nie wird er dort irgendwann nachts nach viel zu viel Wein und Prosecco euphorische Gespräche mit einer chinesischen Amerikanerin aus New York, einem hellblonden Polen und einer Frau aus Mississippi, die italienisch spricht, führen, während draußen auf einmal ein kurzer, warmer Regen fällt und die Stadt sauber wäscht für ein paar kurze Stunden.