Natürlich lag’s an mir. Als die Textnachricht von Freundin B. einging, beantwortete ich gleichzeitig 22 E-Mails, redete Freundin A. per SMS einen persischen Boxer aus, versuchte, neue Briefumschläge zu bestellen und gestikulierte mit Kollege O., der im Türrahmen stand. Vermutlich hatte ich auch noch irgendwas zu essen im Mund. Egal: Ich notierte: „B. und Familie in Berlin: 26. September“. Dann fuhr ich heim und freute mich sehr, denn die lustige B., Scheidungsanwältin an der Ostsee, ist meine Freundin seit 2000, als wir gemeinsam Referendarinnen waren, und es gibt kaum herzlichere Leute als sie und ihren Mann.
Dass ich der I. und dem S. zusagte, mit ihnen am 19. September in Charlottenburg essen zu gehen, brachte ich mit dem Besuch der B. in Berlin natürlich nicht in Zusammenhang. Waren ja zwei Wochenenden, nahm ich an. Und außerdem habe ich in diesem verdammten Jahr so wenig Freizeittermine, dass ich ein bisschen nachlässig geworden bin, die so ganz präzise zu notieren.
Dass Freundin B. nicht den 26., sondern den 19. meinte, wurde mir erst klar, als eine Textnachricht kam. Sie führen jetzt im Charlottenburger Hotel los. Himmel, fast hätte ich die Nachricht nicht mal gesehen. Ich lese private Nachrichten nämlich manchmal tagelang nicht, weil mein Aufmerksamkeitsbudget nur für meinen Job reicht. Vor Schreck blieb ich einfach stehen.
„Mama, was ist los?“, japste mein liebenswürdiger Sohn, dessen Spekulationen über die Frage, ob Elon Musk genug Geld für einen eigenen Panda hat, mitten im Satz unterbrochen wurden. Wir standen nämlich vorm Pandagehege des Berliner Zoos, um uns herum fotografierten Dutzende Menschen jedes sichtbare Lebewesen, das nicht bekleidet war, und ich drängelte mich irgendwie durch die Massen Richtung Ausgang. „Maaamaaaaa.“, ächzte Sohn F. in exakt dem Tonfall, den seine Lehrerin vermutlich für die hoffnungslosen Fälle reserviert hat, denen es niemals gelingen wird, die zehn Gebote in der richtigen Reihenfolge aufzusagen. Dann folgte er mir zum Elefantentor.
Im Bus nach Hause lärmte Berlin. Immerhin vorschriftsmäßig maskiert schunkelte die Jugend der Stadt von City West zur City Ost. Neben uns sperrten missvergnügte Polizisten eine Straße, weil eine Fahrraddemo da vorbeiwollte, Sohn sprach über Aktien, ein Thema, über das ich ausgesprochen wenig sagen kann, und als wir ankamen, waren wir immerhin zehn Minuten vor der B. da. Wir kündigten an, Schnitzel zu holen, aber Schnitzel waren aus. Es gab also Pizza. Und es war schön. Entspannt, fröhlich, ach, zum Umarmen schön, und deswegen reagierte ich erst auf die vorgerückte Zeit, als das Telefon schnarrte. Die I. war inzwischen im Restaurant angekommen und fragte, ob sie schon einmal bestellen sollten. Ich sprang also auf und lief davon.
Der Weg nach Charlottenburg ist weit. Die Radfahrerdemo war inzwischen weg, aber dafür demonstrierten erst Kurden und dann Leute, die Vermieter enteignen wollen, weil sie keine Miete mehr zahlen möchten, und außerdem fuhr trotz der vorgerückten Stunde die ganze Stadt aggressiv und ziemlich schnell quer über Berlins Magistralen. Als ich ankam, hatten die I. und der S. die ersten beiden Gänge also schon gegessen.
Ich bestellte ganz schnell Tartar und Grüne Soße. Ich orderte Sekt, ich erzählte, lachte, hörte zu, lachte wieder, produzierte massenweise Meinung über Politik, Schulen, Kinder, Verfassungsrecht, Mitarbeiterführung, unsere Eltern und überhaupt alles, und freute mich fürchterlich, den S. und die I. zu sehen, weil ich die beiden Freunde bei unserem letzten Zusammentreffen so ein wenig wenig gesprochen hatte vor lauter anderen Leuten. Dann aß ich herrlich und in Freuden noch ein Dessert, und als ich ging war es 12. „Die Stadt ist zu.“, sagte der dicke, russische Taxifahrer und bot mir Milchbonbons an.
Als ich heimkam, war der Besuch weg und der F. schlief, seinen Plüschpanda im Arm. Auf dem Sofa lag der geschätzte Gefährte mit einem letzten Glas Wein, und als ich zu Bett ging, war ich ein bisschen dankbar für alles: Für die Freundschaft. Für die Großzügigkeit aller Freunde im Umgang mit dem Chaos, das sich mir lebenslang um die Füße wickelt, und für die Nachsicht, die Mann und Sohn den rasanten Wendungen meines Alltagslebens so entgegenbringen: Für die nicht zuletzt.