Der F. ist ein Sonnenschein. Normalerweise. Von 16 Wachstunden pro Tag strahlt der F. ungefähr 10, und während der restlichen Zeit hat er meistens etwas im Mund. Er interessiert sich für eigentlich alles und spricht übergangslos euphorisch über das Schmerzempfinden von Robotern, die Kleidung von Superhelden und das Innere von Kamelhöckern. Ansonsten ist er seit kurzem fünf, normal groß, normal schwer, normal begabt und normal sensibel, was das Zusammenleben mit ihm sehr erleichtert. Infolge einer seltsamen Spontanmutation ist er sehr ordentlich und räumt regelmäßig auf.
Am letzten Sonntag aber war alles anders. Wir sitzen also, es ist kurz nach eins, im NENI am Ku’damm und essen wirklich, wirklich viel. Es soll Leute geben, die das Essen im NENI langweilig finden, aber ich bin kaum irgendwo in Berlin so gut gelaunt wie hier. Es gibt israelisches Essen im obersten Stockwerk des 25HourHotels, vorm Hotel ist der Ku’damm, hinter dem Hotel kann man in den Zoo und weit über die ganze Stadt bis zur Siegessäule schauen. Es ist kein feines Restaurant, geradezu das Gegenteil von Hochküche, deswegen vermutlich laufen unsagbar viele Kinder herum.
Der F. jedoch mault. Er isst auch kaum etwas, obwohl wir die unter dem Namen Balagan verkaufte bunte Mischung von allem Möglichen bestellt haben und er eigentlich immer zumindest Fisch, Gurken, Falafel und Hummus liebt. Heute ist ihm nichts recht. Es ist zu hell, der Hummus sieht zu gelb aus, und irgendwann fängt er an zu meutern. Die Gedächtniskirche. Immerzu müsse er an den Krieg denken, der blöde Krieg. Die Kirche hätten sie abreißen müssen. Beim nächsten Mal will er woanders sitzen, denn so schmeckt ihm das hier nicht. Schließlich rückt er den Stuhl herum. Er nervt ein bisschen, aber immerhin: Das Denkmal funktioniert.
Beim F. allerdings funktioniert gerade nicht so viel. Im Aquarium hält er zwar gut durch. Zuhause allerdings wird wieder genörgelt. Der J. und ich schauen uns erstaunt an: Dass der F. nicht in die Kita will, kommt so gut wie nie vor. Er proklamiert auch sonst nicht, dass er genug davon habe, dass immer die Erzieherinnen bestimmen. Dass in der Vorschule ein bestimmtes Kind nerve, weil es bei der Unterweisung in die Kunst des Uhrenablesens nicht zuhören und keine vollen und halben Stunden sagen würde, so dass die Erzieherinnen immer dasselbe wochenlang wiederholen. Dass die Kinder einer anderen Gruppe, die mit seiner Gruppe gemeinsam vorgelesen bekommen, Kackwürste seien, weil sie seine liebevoll aufgebaute Megacity zerstört hätten, und dass der kleine N. nicht mehr sein Freund sei, weil er beim gemeinsamen Bauen mit Legosteinen regelwidrig rote und blaue Steine mische. Außerdem beklagt er sich über Kinder, die schreien, und den Umstand, dass in der in der Kita gern servierten Eiersauce zu wenige Eierstücke schwimmen, die auch nicht gleich groß seien.
Am Montag schnappt der F. dann endgültig über. Der von mir gemalte Drache hat einen zu dicken Schwanz. Die Aufkleber auf den Stühlen in der Kita sind nicht parallel angebracht. Es ist – der F. betritt gerade das Reich der zweistelligen Zahlen – eine Schweinerei, dass es zwar drei-und-drei-ßig, aber nicht ein-und-zwei-zig heißt. Eine solche irreführende Inkonsequenz ist nämlich omfair zu Kindern. Am Dienstag schließlich eskaliert der F. beim von ihm an sich sehr geschätzten Klavierspiel und will auf keinen Fall das Schmetterlingslied zur mitgelieferten CD spielen. Als er beim Essen nur trockenen Reis isst und seine Creme Caramel mir schenken will, werde ich hellhörig.
Und tatsächlich: 38,7° C.
Ich atme auf. Die Wesensveränderung ist nur temporär. Ich koche ein Huhn aus, bereite Pfefferminztee zu und bin zuversichtlich: Am Wochenende allerspätestens ist der F. hoffentlich wieder ganz der Alte.