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Alfa Porto Coimbra

Im Zug zwischen Coimbra und Porto die Küste entlang. Vorbei am Meer. Der Atlantik ist grau und gefleckt. Der leere Strand, ein schmaler Streifen. Der Sand vom Salz verklebt, hart und einsam unter den schreienden Möven. Der Himmel so grau wie das Wasser. Die Fenster der Hotels klaffen schwarz und leer. Die Saison ist beendet. Der Zug fährt vorbei.

Kein Halt bietet sich an, für drei, vier Stunden am Wasser zu sitzen. Der Zug fährt durch. Keine Gelegenheit hier, den schwarzen Göttern der Tiefsee zu opfern, kein Tee im Café überm Meer. Die Kellner sind längst zurück in der Stadt. Die Liegen verpackt für den kommenden Sommer.

Bitte oszillieren sie, singt Tocotronic mir vor, und ich nicke gehorsam. Ein Flackern stelle ich mir vor, ein schnelles An- und Ausgehen, ein unzuverlässiges Leuchten, so unfassbar wie das Meer und so grenzenlos gar wie der Himmel.

Es regnet, regnet, regnet

Aus den Gullydeckeln strömt das Wasser in die Höhe wie eine Fontäne. Ich sehe nichts, der Taxifahrer kann an sich auch nichts sehen, und fährt doch mitten durch die Flut. Ich bin müde.

Der J. hat schlechte Laune, und vermutlich bin ich irgendwie schuld. Wir hätten in Berlin bleiben sollen, steht es unüberhörbar im Raum. Ich wollte doch weg. Wenn es hier nicht schön ist, liegt es deswegen ganz und gar an mir. Zwar war es trocken heute tagsüber, angenehm auch, zu Fuß unterwegs in Sintra, doch heute abend nehmen wir den falschen Ausgang der U-Bahn, landen irgendwo in einem Restaurant, das zwar ganz gut ist, aber außer uns sitzen dort nur aziemlich lte, eher so etwas unelegante Leute, auch nicht von hier, und nun regnet es wieder, regnet, als wolle es nie wieder aufhören, und ich zähle die Stunden bis zur Abfahrt.

Es wird noch viel regnen bis zum Montag, fürchte ich, und wünsche mir, ich wäre weit weg oder hier zumindest allein und nur für mich verantwortlich hier, und wenn es regnen würde, wäre das nur mein Problem und vielleicht nicht einmal gar so schlimm.

Flop

Der Wind peitscht den Regen fast wagerecht durch die Straßen. Es ist so ungefähr viertel nach drei, aber fast dunkel, und außer ein paar Touristen in bunten Outdoorjacken ist niemand auf der Straße. Ich habe noch nie den Wunsch gehabt, solche Kleidung zu besitzen, aber heute, heute hätte ich gern eine rote Northface-Jacke an, oder zumindest meine Barbourjacke, die gute Beaufort, aber die hängt trocken im Berliner Dielenschrank. Ich dagegen stolpere blind vor Regen und nass wie ein Fisch über die Praça do Comércio. Hinter mir stürmt der Atlantik. Neben mir flucht der J.

Auch die Portugiesen scheinen keine wetterfeste Kleidung zu besitzen, sondern drücken sich unter den klappernden Markisen an die Wände der Häuser. „Umbuchen!“, schimpft der J. und spricht über alles, was man daheim so machen könnte, wenn man heute abend vorzeitig heim fliegen würde. Zweimal Lissabon – Berlin. Ins Museum gehen, etwa, schlägt der J. vor. Ausgehen. Schlafen. Ich schüttele den Kopf. In Berlin bin ich gerade so schrecklich ungern. Unterwegs möchte ich sein, aber hier, und soweit hat der J. recht, ist es gerade wenig gemütlich und noch nicht einmal sehr interessant.

Im Hotel hat noch immer niemand das Zimmer aufgeräumt. Der J. ist abwechselnd vom Wetter frustriert oder schimpft über sein Gewicht. Alles, was ich gern besichtigen würde, setzt voraus, dass man das Haus verlässt, und zwischen uns und der regulären Abreise am Montag erstreckt sich noch ein langes, langes Wochenende, an dem ich nach Sintra fahren wollte, nach Tomar, irgendwohin, aber statt dessen sieht es nach schlechter Laune zu zweit aus, und zwar hier im Hotel.

Schon morgen vielleicht

Vielleicht morgen auf dem Bahnhof von Porto nur noch einmal kurz zurück. Wasser kaufen. Vielleicht sich hinter einem Verschlag verbergen, vielleicht dem Zug beim Wegfahren zusehen. Vielleicht nie wieder zurück.

Vielleicht am Abend am Duoro sitzen. Den Blick auf das Wasser. Nach zwei, drei Wochen, wenn das Geld nicht mehr langt, irgendwo kellnern. Stadtführungen für Deutsche und Briten. Vielleicht Prinzen erfinden und Drachen, lachen, wenn einer das merkt, und einen Namen sagen, der einer Toten gehört, wenn einer fragt, wie man heißt.

Nach drei Jahren nicht mehr wissen, wie der Name mal war. Sich einen Geburtstag ausdenken. Nach fünf Jahren legalisiert werden, vielleicht. Wenn einer nett ist, drei Tage bleiben und dann gehen. Für niemanden zuständig sein und verantwortlich nur für mich. Bei Nacht am schwarzen Wasser sitzen, sich erinnern an Berlin wie an einen Film oder ein Buch, Gesichter, grelle Fetzen, einzelne Sätze, und nur ganz selten eine Postkarte heim, damit meine Eltern nicht weinen.

Schwarze Magie

Wenn Sie, sehr geehrte Damen und Herren, guten Zugang zu den Mächten der Unterwelt haben, melden Sie sich bitte bei mir. Ich habe eine kleine und sicherlich zu erfüllende Bitte. Allerdings kann es etwas dauern, bis ich auf Ihre E-Mail antworte, denn zwar habe ich meine neue Wohnstatt bezogen, die Möbel eingeräumt, Bilder aufgehängt und aller Welt mitgeteilt, dass ich umgezogen bin, aber insbesondere Vodafone scheint das nicht zu interessieren.

Statt des zunächst zunächst angekündigten 13.08. soll das Internet nun erst am 06.09. wieder laufen. Ursache sei – so hat man mir gestern am weit entfernten Ende einer langen Irrfahrt durch die telekommunikativen Labyrinthe des Unternehmens mitgeteilt – eine notwendige Adresskorrektur, weil der Mann, dem ich telefonisch die neue Adresse durchgesagt habe, etwas falsch verstanden hatte.

Fürs Erste bin ich also nur übers iPhone online. Leider ist der Empfang ziemlich schlecht. Einen Stick oder so habe ich nicht. Auf meine Telefaxschreiben, ich bräuchte das Internet auf jeden Fall sofort und nicht erst am 06.09. reagiert niemand. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen.

Ich brauche Magie.

Anubis

Die Katze ist tot und liegt in der Küche. Schluchzend laufe ich ein paarmal quer durch die Wohnung, gebe bei Google „Katze reanimieren“ ein, und stochere im Hals der Katze erfolglos nach vielleicht Verschlucktem. Dann rufe ich beim Tierarzt an.

Der Tierarzt kommt zwanzig Minuten später. Er scheint schon geschlafen zu haben in einem ausgeblichenen Logoshirt, statt Kontaktlinsen trägt er Brille, aber auch wenn er noch schneller gekommen wäre, wäre die Katze wohl auch nicht wieder aufgestanden. „Soll ich sie mitnehmen?“, fragt der Tierarzt nach diesem Befund. Ich nicke. In einem braunen Karton verschwindet meine schwarze, zutrauliche, fröhliche Katze. Maunzend und knurrend läuft der Kater durch die Wohnung und schnuppert ihr nach.

Die Katze werde verbrannt, sagt mir der Tierarzt schon halb aus der Tür. Man werde sich bei mir melden. „Ist gut.“, stimme ich allem zu, weil das in einer großen Stadt wohl so ist, wenn man keinen Garten hat, in dem man seine Haustiere einfach vergräbt und dann einen großen Rhododendron pflanzt.

Ein paar Tage passiert erst einmal gar nichts. Dann klingelt das Telephon. Ich verstehe erst gar nicht, wer mich anrufen will, ich glaube an eine Telephonwerbeaktion, nein, wissen Sie, ich bin gerade im Büro …., aber dann fällt der Groschen doch. Es ist die Tierbestattung. Die Tierbestattung Anubis aus Pankow. Ich atme tief durch.

Wo sie die Asche hinbringen sollen, will die Tierbestattung wissen, und ich fange an zu stottern. Vor meiner Tür drücken sich Kollegen herum, die irgendwas besprechen wollen, E-Mails rattern in meinen Outlook-Account, mein Bürotelephon klingelt, und ich sage schnell irgendetwas Dämliches wie „weiß nicht, was meinen sie, für mich ist das jetzt auch eher so zweitrangig … ich hab‘ nicht so eine Gedächtniskultur.“ – Die Tierbestattung schweigt einen Moment beleidigt. Ich komme mir geizig vor, geizig und pietätlos, und das ist vermutlich auch Sinn und Zweck des Schweigens des Bestatters.

Ich könne eine Urne nehmen, sagt mir die Tierbestattung unbeeindruckt von meiner Abwehr. Ich lehne ab. Ich könnte die Katze auch auf einem Tierfriedhof bestatten lassen, beharrt man weiter. Ich lehne auch ab. Man werde die Asche zum Tierarzt bringen, schließt schließlich das Gespräch, bevor ich sagen kann, sie mögen die Asche einfach behalten.

Am vergangenen Samstag gehe ich dann zum Tierarzt. Schon in der Tür kommt mir die Tierarzthelferin entgegen und drückt mir die Hand. Dabei zieht sie die ganz dünn gezupften Augenbrauen tief nach unten. Der Verlust. Trauer. Darüber Hinwegkommen. Und der Kater? – Ich vermeide jeden Blickwechsel mit dem J., um nicht laut zu lachen.

Schließlich übergibt mit die Tierarzthelferin einen braunen Briefumschlag und eine Urkunde. Auf der Urkunde steht mein Name, falsch geschrieben allerdings, der Name meiner Katze und die Bestätigung, dass die mir ausgehändigte Asche auch wirklich die Asche meiner Katze und nicht die irgendeines ganz beliebeiegen und fremden Tieres sei. Leicht belämmert (wohin nun mit dem Zeug?) gehen wir heim.

Am Sonntag ist der Schlachtensee dermaßen voll, dass sich das Asche Verstreuen mehr oder weniger von selbst verbietet. Unter der Woche bin ich zu beschäftigt, um mich mit der Katze zu beschäftigen. Heute habe ich auch keine Zeit gehabt, die Katze irgendwo zu entsorgen, aber morgen, morgen fahre ich irgendwohin. Fragt sich nur, wo.

Meine Katze

Die Treppen hochgelaufen, einen Schlüssel nach dem anderen in die Hand genommen. Die Tür geöffnet. Vollgesogen mit Wärme, den Geschmack von Sekt und Sherry. Gelächter im Ohr.

Die Tür weit geöffnet. Die stickige Luft hängt schwer auf den Dielen. Nach der Katze Ausschau gehalten, unwillkürlich. Die Augen geschlossen, um die Katze nicht nicht zu sehen.

Doch keine schwarze Katze kommt um die Ecke. Keine schwarze Katze maunzt. Niemand wirft sich vor mir auf die Dielen. Niemand schreit nach meiner streichelnden Hand. Ein bißchen Futter verlangt nur der Kater. Niemand antwortet mehr, wenn ich rufe, und niemals mehr rufe ich die Katze beim Namen. Die Katze ist tot.

Am See

Aber die ganze Zeit bist du nur in Berlin, ausgeschlagen mit Asphalt und Benzin, um dich herum klingeln Telephone, und nachts rattert irgendwo etwas immer weiter. Vielleicht bist das du.

Doch eine Stunde entfernt nur rauschen die Bäume. Schilf drängt sich zwischen Felder, Wiesen und See. Tief hängen die Äste der Weiden ins Wasser. Im Abendlicht spielen Mücken am Ufer. Kein Mensch ist zu sehen.

So viel höher scheint dir der Himmel und blauer als blau. Dass es wirklich Störche gibt, dass Rehe die Wälder duchstreifen, dass in alten Parks die Bäume Schatten werfen, erscheint dir unfassbar, und wenn die Vögel zur Nacht ihre Nester anfliegen, ist dir, als kämest auch du einmal nach Haus.

Hinter der Wand

Auf der anderen Seite der Wand sitzen Kannibalen. Heimlich haben sie sich ins Hotel geschlichen, gebückt durchs Treppenhaus, an die Wand gedrückt im zugigen Flur, schnell durch die Tür und lange, lange im Schatten einer Nische gelauert. Kaum geatmet. In der Dämmerung haben sie die angelehnte Tür des Zimmers 304 mit weich bestrumpftem Fuße aufgestoßen. Auf dem Boden robbend, aufgelehnt auf die Unterarme sind sie in den Raum gekrochen, haben unter dem Bett gewartet, stundenlang, bis das Licht ausging und es ruhig wurde im Raum. Atemzüge bloß, ein leises Röcheln, ein Seufzen im Traum.

Eine Hand, dann eine zweite auf der grauen Auslegeware. Ein magerer, haarlos entfleischter Kopf. Eine schnelle, kaum menschliche, wieselflinke Bewegung, ein Sprung, ein Schrei, spritzendes Blut und große, blanke, spitze Zähne und ein schwarzes Loch in der Mitte. Dann wieder Ruhe.

Im offenen Brustkorb sitzen die Kannibalen und teilen sich die erkaltende Leber. Mit einem Ohr an der Wand lauert der Erste auf Nachbarn, ein zweiter winkt ab: Noch ist es zu früh. Entspannt, grinsend, mit baumelnden Beinen am Schreibtisch sitzt der Dritte und zappt durch die wechselnden Sender. Dann schläft er ein.

„Später …“, rülpst der Erste zum Zweiten. Und: Give me five. Von innen verriegelt der Zweite die Tür, deutet auf die Wand mit seinen blutigen Fingern und öffnet ein paarmal freudig das Maul. Alle drei nicken.

Ich aber stehe zum zweiten Mal auf, drehe den Schlüssel fester ins Schloss und stelle den Koffer vors Fenster.