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Die harten Fakten und der Tratsch

Entgegnung in einer abgeschlossenen Debatte

Wie man weiß, sprechen Frauen ja vorwiegend, wenn nicht die ganze Zeit, über Privates, und die meisten Männer meines Bekanntenkreises mutmaßen mit einer Prise durchaus belustigten Grauens, die Frauen ihres Lebens sprächen beim Italiener um die Ecke vorwiegend über sie. Alles Wissenswerte über Körperbehaarung und Lebensgewohnheiten würden die Damen, mit denen sie ihr Dasein teilen, zwischen Crostini und Panna Cotta auf den Holztisch werfen, und die Freundinnen ihrer Freundin wüssten über sie ebenso gut Bescheid wie die Freundin selbst.

Etwas reizend Triviales, so wissen die meisten Herren ganz genau, schwebt über jenen Tischen, an dem die hübschen Damen sitzen. Chloe oder Versace, ins Hartmanns gehen oder im Jolesch bleiben – dies seien die Entscheidungen, die beim Crémant unter Frauen mit einer dem Manne fremden Ausführlichkeit getroffen würden, und so stehen diejenigen Männer, die stolz darauf sind, zu wissen wie der Hase läuft, einem Abend unter Damen mit einer gewissen amüsierten Jovialität gegenüber. „Die M. hat heut‘ Weibertratsch.“, heißt die zu dieser Gemütslage passende Auskunft, wo sich die geschätzte Gefährtin gerade befände. Frauen, kurz gesagt, plaudern, quatschen oder tratschen über Handtaschen und Waschbrettbäuche, den Kauf goldfarbener Ballerinas und gepunkteter Jackenkleider, die Brigitte-Diät und die beste Blutwurst Berlins.

Männer, weiß man ebenso genau, neigen nicht zum Tratsch. Stumm, mit von der Last des Lebens zerfurchter Stirn, reiten Männer einsam durch die ausgedörrte Prärie, schießen Kojoten und sprechen am Lagerfeuer bei ungeschlachten Brocken blutig gebratenen Fleisches über die Dinge, die im Leben wirklich zählen, die harten Fakten hinter der schillernden Oberfläche, die Schrauben, die die Welt im Innersten zusammenhalten sozusagen, und so wird dort, wo Männer zusammensitzen, nicht über Handtaschen geplaudert, nein, hier konferiert man über technische Innovationen, schnelle Autos beispielsweise, datenverarbeitungstechnische Weltwunder für den Privatgebrauch, und es versteht sich von selbst, dass Männer sich nicht ein X für ein U vormachen lassen, sondern Fakten, Fakten, Fakten sprechen lassen, und ihre Zeit nicht mit Gesprächen über Lidschatten vertändeln, sondern Unternehmenskennzahlen und Produktentwicklungslinien analysieren, dass es eine wahre Lust ist.

Diese Konzentration auf die, wie jedermann weiß, wirklich wichtigen Dinge des Lebens kennzeichnet auch Männer, die ein Blog unterhalten. Statt über Dinge, die man nicht essen (oder zumindest verkaufen) kann, blogt der Mann zielgerichtet über Datenverarbeitungsprogramme, die nicht funktionieren, sagt der Politik einmal deutlich seine Meinung oder teilt der Welt seine Ansicht über die Entwicklung dieses oder jenes Unternehmens mit. Damit leisten Männer einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, und so ist es quasi folgerichtig, dass dort, wo die großen Jungs Fußball spielen, Frauen nur als Cheerleader vorkommen: Mulier taceat in ecclesia, so hallt des Apostels Donnerruf durchs world wide web.

So nimmt es denn kein Wunder, dass jenes nachsichtige Zwinkern des Mannes gegenüber dem Weibertratschabend seiner Freundin einem bisweilen auch online begegnet. Mit leicht öliger Galanterie konzediert der eine oder andere wohl sogar den Eigenwert des Dekorativen, um sodann zurückzukehren dorthin, wo es um wirklich wichtige Dinge geht, und statt über eine Handtasche für 2.000 Euro über einen Computer für denselben Preis gesprochen wird, und statt von Glück oder Unglück, Liebe und Tod, Schmerzen und Sehnsucht von dem einen oder anderen Wechsel an der Spitze einer Aktiengesellschaft oder der Entwicklung der öffentlichen Haushalte geschrieben wird, denn Männer, muss ein schwaches Weib bewundern, wissen, worum sich die Welt wirklich dreht, und ernten für dieses Distinktionsvermögen verdientermaßen die Aufmerksamkeit, wenn nicht die Anerkennung, anderer Blogger.

Man kann das natürlich auch anders sehen.

Wie man einen Gürtel trägt

„Die neuen Gürtel zaubern eine feminine Silhouette“
Vogue

„Sie wissen, wie man den Gürtel trägt?“, fragte die Verkäuferin mich mit einem freundlich-nachsichtigen Tonfall, der deutlich erkennen ließ, dass ich ihrer Ansicht nach einem Kundentypus angehöre, bei dem man sich da nicht so sicher sein konnte. „Ich denke doch.“, nahm ich den dargereichten breiten, weißen Gürtel entgegen und schlang ihn um meinen Bauch. Einige Zentimeter unterhalb des Bauchnabels blieb die ebenfalls weiße, lederbezogene, riesige Gürtelschnalle hängen und markierte gut sichtbar die breiteste Stelle meines Körpers. Leiser, aber verzweifelt, gurgelte ich vor mich hin.

„Ist vielleicht nicht ganz optimal?“, die Verkäuferin schritt mit vorsichtigen, winzigen Schritten um mich herum und sah mir auf den Bauch. Bei ihr sah der an und für sich nicht unähnliche Gürtel irgendwie anders aus, fiel mir auf.

„Können sie mir ein anderes Modell empfehlen?“, löste ich den Gürtel wieder und sah mich suchend um. „Das wird jetzt sehr viel genommen.“, reichte mir die Verkäuferin einen anderen Gürtel und trat einen Schritt zurück. Sehr lang und sehr schmal hing der Gürtel in meiner rechten Hand. „Zweimal in-between Hüfte und Taille!“, befahl die Verkäuferin, lächelte professionell und strich sich mit dem kleinen Finger der linken Hand die langen, braunen Haare aus dem Gesicht.

Ich tat, wie mir geheißen.

Mit der rechten Hand zog ich den Gürtel fest. Mit der linken Hand dagegen suchte ich nach der Partie meines Körpers, die die Verkäuferin zu meinen schien. „Hier?“, fragte ich schließlich und schnallte den Gürtel etwa drei Finger über dem Hüftknochen fest. Über und unter dem Gürtel quollen Stoff und Speck nach vorn und bedeckten das schmale, silberfarbene Lederband, das beim Ausatmen zudem haltlos nach unten fiel, bis es wiederum, einer toten Schlange nicht unähnlich, auf den Hüften lag. Dies aber war falsch.

„Diese Saison werden die Gürtel wieder körpernah getragen.“, bemängelte die Verkäuferin und nahm mir den Gürtel wieder ab. Langsam schien das Verkaufsgespräch sie zu strapazieren. Ihre grau und grün schattierten Augenlider begannen zu vibrieren, sie griff sich noch viel öfter ins Haar, und verfluchte wohl innerlich den Moment, in dem sie mich angesprochen.

„Versuchen sie doch noch einmal den hier.“, bemühte sich die Verkäuferin gleichwohl weiter und zog aus einem ganzen Ständer voller Gürtel einen breiten, elastischen Gürtel aus Lackleder, der mit zwei ineinander zu schiebenden Metallschnallen befestigt werden sollte. „Der Gürtel wird auf der Taille getragen.“, flötete die Verkäuferin und zog den Gürtel knapp unterhalb meiner Brust einmal um meinen Körper. Knalleng saß der Gürtel über meinen Rippen und beengte mir die Atmung. „Den besser nicht.“, ächzte ich und riss mir das korsettartige Gebilde wieder vom Leib.

„Was ist denn mit dem da hinten?“, griff ich nach einem breiten, weißen Gürtel mit einer seifengroßen Glitzerschnalle. „Aber gern – wird viel getragen.“, ergriff die Verkäuferin die Chance, sich nun schnell der schwierigen Kundin zu entledigen. Ebenso erleichtert warf ich den Gürtel so gut wie unanprobiert auf den Kassentisch, bevor auch dieses Produkt die Chance haben würde, mich durch grotesken Sitz zu enttäuschen. „Den können sie mehr als eine Saison tragen. Der Glam-Look hält sich.“, pries die Verkäuferin mir den frisch erstandenen Gürtel an.

„Wollen sie ihn gleich tragen?“, fragte sie und schob mir ein Tütchen mit Ersatzstrass zu. Ob andere Leute so etwas aufbewahren und Strass nachkleben, wenn er abgeht?, fragte ich mich und bedankte mich überschwenglich für Strass und Mühe. „Den behalte ich gleich um.“, schlang ich mir den Gürtel um meinen Bauch. Gar nicht schlecht sah das aus, dachte ich und strebte der Rolltreppe zu.

„Sie müssen den Gürtel fester schnallen.“, rief die Verkäuferin mir halblaut hinterher und deutete mit heftigen Handbewegungen an, wie der Gürtel zu tragen sei. Vergnügt schüttelte ich den Kopf, und die Rolltreppe entzog die Verkäuferin meinen Blicken.

Rauchen

I.

Nach dem Essen, wenn um den Tisch herum sich schwer atmend zurück gelehnt wird. In diesen schweigsamsten Minuten des ganzen Abends, kurz bevor der Kaffee kommt, und die Kellnerin die Dessertteller abräumt und fragt, ob man die letzten Weinreste noch trinken werde. Träge den Kopf zu schütteln, halblaut und eher allgemein in die Runde gerichtet das Essen zu loben: Das Lauchzwiebelsüppchen mit Stubenküken zu einem Riesling, von dem ich mich fortan ernähren möchte. Das Bärlauchpurée zum Milchzicklein, von dem man mehr hätte essen mögen, als da war. Die säuerliche Frische des Spargelsalats mit der Jacobsmuschel. Dagegen das etwas zu alltägliche Dessert, und die Freunde nicken, schweigen, loben ihrerseits. Schwer hängt der Friede eines wirklich guten Essens dickbäuchig von den Balken unter der Decke des Lokals.

Herrschende sollten keinen Eintopf essen, denkst du bei dir und preist stillschweigend die Harmonie nach gutem Essen. Krieg und Frieden, Schmitt und Kelsen, Thomas Mann und Thomas Bernhard – ermattet rühren die Gegensätze Zucker in ihren Kaffee, und der weiße Rauch des Friedens verschleiert den Raum.

II.

Nachts. Auf irgendeinem Sofa sitzen, in irgendeiner Bar, und du und die Bar und das Sofa sind vollgesogen mit Nikotin. Jeder Hohlraum in dir, jede Zelle deines Körpers, ist angefüllt mit weißem, träge sich drehenden Rauch, und in dem Aschenbecher auf der Lehne des Sofas liegen die Leichen aller Zigaretten dieser Nacht wie abgeplatzte, gekrümmte Larven.

Zum Reden bist du längst zu müde. Mit halbgeschlossenen Augen, den Kopf nach hinten auf die Lehne des Sofas gelehnt, sitzt du da und schweigst, lässt dir Musik vorspielen und rauchst, rauchst, rauchst. Was dein Nachbar erzählt, kannst du kaum mehr hören vor Müdigkeit und Musik, und so lässt du ihn reden, lächelst ihm zu, und siehst den Schwaden nach, die langsam, graziös und sehr, sehr weiß nach oben steigen.

III.

Morgens. Wenn das Licht schmerzt beim Verlassen der falschen Nacht eines Clubs und brennt dir Löcher in die Haut. Eine ganze Schachtel musst du geraucht haben, nein, mehr, und der kalte Rauch umgibt dich wie eine nächtliche Aureole aus Aussatz und Schmutz, die dich von den frischgeduschten fremden Leuten trennt, die neben dir zur U-Bahn laufen.

Niemals gehörst du mehr der Nacht als in diesen Momenten, und auf den Rand des nächsten Blumenkübels gelehnt steckst du dir eine letzte Zigarette an, gewöhnst deine Augen an Morgen und Helligkeit, und holst dir die Nacht zurück für ein paar Züge.

Nikotinfreies Lamento

Leider, meine sehr verehrten Leserinnen und Leser, werde ich voraussichtlich im kommenden Jahr endgültig den Geist aufgeben und begraben werden, wo zwar nicht der Pfeffer, aber die Gräser wachsen, denn diese, wie man weiß, sind verantwortlich für ein Siechtum, das nun auch vor dem Allerheiligsten, vor der modestinen Substanz selbst sozusagen, nicht halt gemacht hat. Tränende Augen, Geräusche in der Lunge, als schleife da eine Fahrradkette rasselnd über die Bronchien, das undamenhafteste Niesen der Welt: Petitessen, Ärgernisse geradezu homöopathischer Natur, ach, dies jedoch sprengt nun endgültig den Rahmen dessen, was ich Natur einerseits und Immunsystem andererseits nachzusehen geneigt bin:

Mit dem Rauchen ist es nun aus.

„Sie müssen doch merken, wenn sie keine Luft mehr bekommen.“, kanzelte mich der Mittwoch morgen nach ganztags aufrecht liegend verbrachtem Feiertag aufgesuchte Allgemeinarzt ab. „Sie werden das allergische Asthma nicht mehr los, wenn sie weiter rauchen.“, beendete er eine 16 Jahre umfassende Raucherkarriere mit einem einzigen Satz und entließ mich fassungslos, die letzte, halb angebrochene Schachtel in der Tasche.

„Das geht nicht!“, überlegte ich kurz – aber wahrheitsgemäß – zu erwidern, verwarf den Gedanken dann doch als kindisch, und schleppte mich sehr langsam und sehr kurzatmig erst in die Apotheke und dann nach Hause. Alle zwanzig Meter legte ich eine kurze Pause ein. Alle hundert Meter lehnte ich mich ein bißchen gegen die Wand, und daheim begab ich mich sofort ins Bett, denn im Liegen ist der Bedarf an Atemluft am geringsten.

Nach dreißig Minuten ging es los. In der Küche, so blies es mir die Sucht in die Ohren, lag meine Tasche, in der Tasche lagen Zigaretten, das Feuerzeug auf dem Esstisch, und der Aschenbecher stand ordnungsgemäß auf dem Balkon. Genussvoll – wenn auch nur in Gedanken – zog ich den weißen Rauch tief in die Lungen. Bei der Simulation des Rauchvorgangs indes musste ich husten, der unappetitliche Inhalt meiner Lungenflügel drängte sich nach und nach bröckchenweise durch die Speiseröhre nach oben, und ich verzichtete vor diesem Hintergrund darauf, die Vision einer einzigen, einer göttlichen, einer wahrhaft dionysischen Zigarette in die Tat umzusetzen.

Am Abend wurde es schlimmer. Die Welt bestand – obschon ich die Wohnung bis Samstag nicht verließ – ausschließlich aus Rauchern und lag voller Zigaretten. Nichts Großartigeres hatte die Menschheit mir zu bieten als eine einzige Zigarette, und mit schmerzender Lunge, einem Husten, der am Leibe jugendlicher Rekruten für ein Dutzend Wehrdienstuntauglichkeitsbescheinigungen ausgereicht hätte, lag ich übellaunig, aber nichtrauchend, im Bett.

Wer mich ansprach, lief fortan mit blutenden Bisswunden durch die Stadt. Mein Körpergewicht steigt von Stunde zu Stunde. Weder ein Biergartenabend noch ein Nachmittag auf dem Helmholtzplatz vermögen mein Wohlgefallen zu erregen. Auf meiner Stirn steht der kalte Schweiß und fragt, ob ein kurzes, angenehmes und asthmatisches Leben einem langen unerfreulichen Dasein ohne Zigaretten nicht vorzuziehen sei.

Was mich der Heuschnupfen nächstes Jahr kostet, wissen wohl nur die Götter. Rechnen Sie also mit dem Schlimmsten. Und legen Sie mir – sollte es eintreffen – eine Schachtel Zigaretten aufs Grab.

Ein Festival des Selbsthasses an einem Samstag im Mai

Wie ich der einschlägigen Fachpresse entnehme, sollen Oberschenkel – jawohl: dieses Stück Bein zwischen Knie und Rumpf – keinesfalls konisch geformt sein. Walzenförmig ist das Bein der Zukunft, eine sehr dünne Walze allerdings, und ganz gleich hat sein Umfang kurz unter dem Hüftknochen zu sein im Verhältnis zum Umfang knapp vor dem Knie. Entspricht ein Bein aber nicht dieser weltweit anerkannten Norm, dann, o unglückliche Beinbesitzerin, dann ergeht es Ihnen wie mir, und zunehmend gedrückt schleppen Sie sich an einem Samstag durch die Geschäfte und versuchen, Ihre Beine in sehr, sehr schmale Hosenbeine zu bugsieren, in denen – und das ist das Schlimmste – andere Leute wirklich gut aussehen. Die C. zum Beispiel, die mit immerhin 1,68 gleichwohl in Größe 34 passt, und – um dem Fass den Boden auszuschlagen – nicht einmal verhungert aussieht dabei, sondern einfach gut.

Klein, fett und hässlich schleppe ich meine Körpermassen der shoppenden C. durch Charlottenburg hinterher, zupfe resigniert an einigen herumhängenden Jackenkleidern, die an dünnen Leuten super aussehen, und die ich nicht einmal zugeknöpft bekomme, und kaufe vor lauter Verzweiflung, und um auch etwas gekauft zu haben, ein Kostüm, von dem der J. drei Stunden später behaupten wird, es sei zu eng.

„Größer gab’s das nicht.“, werde ich ächzen und die Kostümjacke auf mein Sofa werfen. Mich selbst würfe ich gern hinterher, indes liegt dort bereits der J. und schüttelt den Kopf über den blödsinnigen Einkauf. „Wegschmeißen!“, werde ich schluchzen, und das Kostüm im Schrank verstauen für später, wenn ich wieder schlank sein werde, was – wie wir alle wissen – niemals eintreten wird.

In Mitte will man mir auch nichts verkaufen. Die C. kauft ein Kleid, das es in meiner Größe dermaßen nicht gibt, das sich nicht einmal das Anprobieren lohnt, und mit hängenden Ohren, schniefend vor Heuschnupfen und Enttäuschung laufe ich heim. Die C. shoppt weiter.

„Die wollen mein Geld nicht.“, jammere ich dem J. vor und betaste meine Arme und Beine. „Blödsinn.“, schüttelt der J. den Kopf und spricht von Hosenanzügen, die mir besser stünden als die begehrten zarten, femininen Kleidchen, und meiner himmelschreienden Dummheit, wider besseren Wissens stets nach Kleidungsstücken zu greifen, die für einen Frauentyp entworfen worden sind, den der J. schonungsvoll als „anders gebaut“ bezeichnet. Verachtungsvoll kneife ich mit geschlossenen Augen in meinen Speck, bis es schmerzt und die Nägel rote, schmerzende Stellen hinterlassen. Hässlich sieht das aus, denke ich, aber auch irgendwie egal.

Manchmal wär’s gut, fünfzig zu sein, denke ich und schaue dem J. beim Musikhören zu. Wenn es erst einmal egal ist, ob man schlank ist, weil dann ohnehin die anderen an der Reihe sind, schön und geliebt zu sein, die jetzt gerade einmal geboren sind oder demnächst eingeschult werden. Auch nicht schlecht wäre es, irgendwo zu leben, wo die schönen, die beneideten, die zarten und zierlichen Frauen ihre Zartheit und Zierlichkeit genauso wenig herumzeigen könnten, wie ich mein Fett herumzeigen muss, und alle stäken in riesigen, unförmigen, vielleicht schwarzen Gewändern. Den Tschador haben dicke Frauen entworfen, sage ich laut, aber der J. hört mir nicht zu, sondern nickt im Takt der Musik aus seinen Kopfhörern, die, so denke ich mir, von lauter blitzdünnen, biegsamen und wohlgekleideten Frauen gesungen wird, die Größe 34 tragen, eisgekühlten grünen Tee trinken und Frauen wie mich mitleidig auslachen, wenn sie mit ihren Freundinnen einkaufen gehen und dicke Frauen sehen, die verzweifelt Kleidungsstücke über die Stangen schieben in der Hoffnung, es gäbe das Begehrte auch in Größe 40 oder so, aber das ist natürlich alles Quatsch.

Absenz

Über diese Geschichte im befreundeten Kreise kann man nicht schreiben, denn die Hauptperson liest mit und hat sich’s verbeten. Über jenen familiären Vorfall nur aufs Verlogen-Vorteilhafteste, und dann macht’s keinen Spaß. Nicht einmal über sich selbst kann man schreiben, denn bald fragen jene, denen man es schuldet, glücklich zu sein, mit nur leicht gezügeltem Unmut, was nicht stimmt.

Fest gezogen sind die Stricke von Höflichkeit und freundschaftlicher Diskretion. Enger noch das Korsett des Tages, in dem wenig, weniger, ach: kaum noch Zeit bleibt für all das, was angenehm ist, leicht, ziel- und zwecklos.

Vielleicht später wieder, denkst du dir, und weißt doch, dass es vorbei ist. Vielleicht woanders, vielleicht nie wieder, vielleicht nur noch für dich daheim.

Vielleicht auch erst einmal vier Wochen.

Hauptbahnhof

Hier ist alles hart. Dass es woanders Erde gibt und Gras, Wind und Sonne, ist unvorstellbar. Wer hier nicht friert, hat keine Seele, und ich ziehe mir die Jacke enger um den Leib. Der ICE nach Leipzig hat 25 Minuten Verspätung, teilt eine leidenschaftslose Stimme alle paar Minuten mit, und auf dem Bahnsteig steht ein pummeliges Mädchen in einer viel zu großen Daunenjacke und teilt Kaffee aus, damit die Fahrgäste nicht zu schlecht gelaunt werden, während der Zug irgendwo anders auf der Strecke steht.

Einen Film könnte man hier drehen, der im Weltall spielt, schaue ich mich um, und statt auf der ICE-Strecke nach Süden würde der Zug dort, wo der Bahnhof aufhört, in ein laut- und lichtloses Nichts eintauchen, durch eine Schwärze gleiten, in der keine Lichter von menschlichen Siedlungen künden, und wo gar nichts wäre, außer ein paar scharfkantigen, blinden, grauen Brocken Gestein und Geröll, die durchs Weltall fallen, um irgendwo aufzuschlagen, wo keiner es hört.

Ich hätte Handschuhe mitnehmen sollen, reibe ich mir die Finger und schaue auf die Tafeln über dem Bahnsteig, die den Zug in zwanzig Minuten ankündigen und um Verständnis für die Verspätung werben. Wenn der Zug nicht kommt, fährt du nach Hause, verspreche ich mir, und schließe für ein paar Sekunden die Augen. Schön wäre das, sich ein paar Stunden Zeit zu stehlen, so lange zu schlafen, bis ich mich wieder spüren kann, bis die Betäubung verschwindet, und einen Herzschlag lang stehe ich schon fast wieder auf der Rolltreppe, fahre hoch und verlasse den Bahnhof dorthinaus, wo die Taxen stehen.

„Der Zug fährt gleich ein.“, wirft mir ein fremder Mann ungefragt zu, lacht, als habe er einen Witz erzählt, und verlegen lächele ich ein bißchen mit. „Danke.“, sage ich und drehe mich schnell um, bevor er noch etwas sagen kann, und eine Bekanntschaft beginnt, für die ich zu müde bin, viel zu müde, wie für alles, was heute noch kommen kann oder morgen oder irgendwann sonst.

Schlafen, denke ich, und steige dann doch in den Zug. „Nach Leipzig bitte einsteigen.“, schließen sich die Türen, und nun freue ich mich doch auf die Lesung und bin ein bißchen gespannt, wie es wohl wird in Leipzig, ob die Sachsen mich mögen, ob die Texte gut genug sind, und der Abend es wert sein wird, im Bahnhof zu frieren, zu warten und durch die Kälte zu fahren, statt einfach zu Hause zu sein und zu schlafen.

Leipzig, Berlin

Zu den schlimmsten Ängsten, die ich mir so halte, gehört ja die Vorstellung, ganz allein auf einem riesigen Platz zu stehen, rechts und links das schiere Nichts, und lauter Häuser mit geschlossenen Fensterläden, hinter denen sich fremde Leute über mich lustig machen.

Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht verständlich, dass mehr als die Angst vor Lesungen die Angst vor Lesungen ohne Publikum mich umtreibt, herumzustehen, auf die Uhr zu starren, und keiner kommt. Gegen diese – bisher zum Glück noch nicht verwirklichte – Furcht tritt sogar die Angst, mich vor Leuten vollkommen zum Depp zu machen, in den Hintergrund, und so freue ich mich auch dann über Ihre Anwesenheit

Am 22.03.2007
Um 21.00 Uhr
Im Volkshaus Leipzig
Karl-Liebknecht-Str. 32
04107 Leipzig
Zur Webloglesung des Handelsblatts

Und

Am 23.03.2007
Um 19.00 Uhr
In der Weekend-Gallery
Schlossstraße 62
14059 Berlin
Zur Lesung der EXOT-Redaktion,

wo ich – jeweils umgeben von anderen, reizenden und sehr begabten Menschen Texte verlesen werde, die in diesem Weblog veröffentlicht worden sind.

Die Verwerflichkeit des Eingehens von Ehen

Ich habe es immer gewusst, und nun ist es amtlich: Hochzeiten, meine Damen und Herren, sind das Schlimmste, Hochzeiten sind unbedingt zu vermeidende Ereignisse, und nur sehr, sehr netten Leuten ist es zu verzeihen, wenn sie mitten im Mai, zur besten Reisezeit also, Hochzeit feiern.

Nehmen wir beispielsweise einmal die I. Eine zweifellos reizende Person, ein lustiger, blonder Kugelblitz, eine immer gern gesehene Erscheinung auch ihr fabelhaft freundlicher Bräutigam, indes – die Hochzeit steht in Kürze bevor, und macht bereits jetzt, zwei Monate vor dem großen Tag, nichts als Ärger.

Nichtsahnend sitze ich also letzte Woche an meinem Arbeitsplatz, jonglierend mit Hörer, Stift und Diktiergerät, rechts und links umgeben von riesigen Stapeln Papier, massiven Mittelgebirgen bestehend aus Akten, und nicht eingedenk des mir gleichwohl an sich bereits bekannten Hochzeitstermins der I., da klingelt das Telephon. „Modeste“; melde ich mich, denn es ist mein eigener Apparat, und habe die C. an der Strippe.

„Modeste, was machst du Pfingsten?“, werde ich kalt überrascht, und stammele irgendetwas, was Verfügbarkeit kommuniziert haben muss, denn die C. fährt fort. Nach Madrid könne man fahren, die Flüge seien günstig, ein Hotel auch nicht das Problem, und ich möge buchen. Die rechte Hand am Hörer, die linke auf der Tastatur, taste ich mich durch das Menü, gebe Datum und Uhrzeit ein, Namen und Kreditkartennummer, und beende das Gespräch, denn nervös wippen meine Akten auf papierenen Zehenspitzen hin und her, und erst Stunden später, knapp vor Mitternacht und vollkommen ausgesaugt von den Anforderungen des Tages, stehe ich im heimischen Korridor.

„Pfingsten fahre ich mit der C. nach Madrid.“, teile ich dem geschätzten Gefährten freudig, wenn auch erschöpft, mit und werfe meine Stiefel in die ungefähre Richtung der Schuhschränke.
„Pfingsten hast gesagt?“, gibt der J. zurück und legt sein Gesicht in Falten. Pfingsten werde nirgendwo hingefahren. „Wie jetzt?“, frage ich ein wenig unwillig, überlege, was dem geschätzten Gefährten in den Sinn gekommen sein mag und knülle meinen Mantel auf das Sofa.

„Hast du I.’s Hochzeit vergessen?“, lässt der J. die Bombe platzen. Ziemlich begossen und ein klein wenig fassungslos stehe ich im Wohnzimmer. Verdammt. „Ich will aber lieber nach Spanien!“, lasse ich mich in einen Sessel fallen und ziehe die Füße vor lauter Trotz ganz weit Richtung Kopf.

„Hilft nichts.“, weist der geschätzte Gefährte mein Ansinnen zurück und spricht mir streng zu. So etwas würde man mir nicht verzeihen, heißt es, und im Übrigen gehöre es sich einfach nicht, am Ehrentag lieber Freunde einfach abzuhauen. Das sehe ich dann auch ein, irgendwann, ein paar Stunden später.

Die J., so verabrede ich am darauf folgenden Sonntag, werde mich als Reisebegleitung vertreten. Die C. ist’s zufrieden, die Hochzeit wird mit meiner Beteiligung stattfinden, und nur ich, nur ich sitze daheim, male mir alle Schönheiten Madrids aus und zische leise vor mich hin:

Hochzeiten sind das Schlimmste.

Madame Modeste will eine Kur

Manchmal, meine sehr verehrten Damen und Herren, fühle ich mich alt. Wenn ich zwanzig Minuten zügig gehe, lockern sich schwarze Brocken in meiner Lunge und fallen mir aus dem Mund. Meine Magenschleimhaut zieht sich sofort zusammen, wenn ich Sekt trinke, reißt ein und gibt handtellergroße Stellen frei, die sodann von der Magensäure angegriffen und unter unangenehmen Körperempfindungen verdaut werden. Von Tag zu Tag werde ich zudem geräuschempfindlicher und male mir manchmal aus, wie ich Leute, die Lärm veranstalten, mit einer lautlosen, aber tödlichen Waffe zum Schweigen bringe.

Gegen diese Erscheinungen kann man natürlich überhaupt nichts machen. In meinem Alter, sage ich mir dann, ist das eben einfach so, und beobachte sorgfältig Leute, die noch älter sind als ich, ob ihnen ab und zu ein Arm abfällt oder ein paar Zähne im Brot steckenbleiben, wenn sie etwas essen.

Eine Kur müsste man machen, sage ich mir dann manchmal, lege mich ins Bett und male mir ganz genau aus, wie das wäre, in Bad Gastein etwa oder Altaussee oder so. Morgens würde ich um sieben aufstehen, würde joggen oder unter Anleitung Gymnastik machen. Rohkost gäbe es immerzu, so dass ich abnehmen würde, dass die Pfunde nur so krachen. Ab und zu – vielleicht wöchentlich – würde man mich in Schlamm legen oder kalt abspritzen für bessere Haut.

Den ganzen Tag müsste ich Wasser trinken. Angestellte des Kurbetriebs in weißen Kitteln würden sanft zu mir sprechen und mir warme Steine auf den mürben Bauch legen, damit sich mein Kräftezentrum regeneriert. Abends höre ich jeden Tag, denke ich, das Beste von Johann Strauss. Nach drei Wochen wäre ich quasi 22, schlank, straff und furchterregend energiegeladen. Dann fahre ich zurück nach Berlin.

Kuren aber gibt es, soweit ich weiß, nur für noch ältere Leute, krebskranke Rentner, Rekonvaleszenten, denen nicht kleinere Ärgernisse, sondern schwere Gebrechen zur Last fallen, und jemanden wie mich schickt auch ein skrupelloser Arzt nicht so einfach drei Wochen nach Bad Ems.

Zwar wird also, überlege ich, daher wohl nicht die Gemeinschaft aller in meiner Krankenkasse Versicherten meine Kur bezahlen. Aber kann man auch einfach so auf Kur und zahlt das selber? Gibt es die Selbsteinweisung in die Kurklinik? Macht das außer mir vielleicht schon irgendwer? Oder bleibt mir nichts übrig, als eins dieser neumodischen Wellness-Hotels in Anspruch zu nehmen? Sind die Wellness-Hotels gar die Kurkliniken von heute? Oder fahre ich besser ins osteuropäische Ausland und kure da?

Fragen, Fragen, und sogar Google bleibt stumm.