Wer mit der S-Bahn nach Wannsee herausfährt, heraus zur Bismarckstraße, der kann beim Ruderclub den Weg zwischen den Eiben auch herauf laufen, und steht nur wenig später vor einem schlichten Grabstein. Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein, verkündet die Inschrift dem Wanderer an jener Stelle, an der im November 1811 Heinrich von Kleist die Unruhe der Welt per Pistolenschuss verließ: Ein grelles und bizarres Ende, die belanglose, zufällige Gefährtin, das ausgelassene Picknick im November am grauen See, und die Abschiedsbriefe, die voll der Würde und der Trauer dessen, der sich falsch ins Leben gestellt sieht, die Misere dieser 34 Jahre währenden Flucht noch einmal scharf beleuchten. Ein Ende, das dem Werk gut zu Gesicht steht, und, an einem sommerlichen Sonntag fast zweihundert Jahre später, etwas Tröstliches ausstrahlt, als habe der, der hier liegt, am Ende einen Frieden gefunden, der zwischen den zuckenden Gegensätzen seines Werkes wie in dem von stetem Ortswechsel und erfolglosen Ansätzen zu Tätigkeit geprägten Leben keinen Raum gefunden hat.
Der zerbrochene Krug, glaube ich, wird bisweilen aufgeführt. Vorm Prinzen von Homburg schreckt die Bühne offenbar ein wenig zurück, auch wenn dieses Stück Passagen einer reinen und schwerelosen Schönheit enthält, ein hastiger Tanz um den Tod herum, den der Prinz ersehnt, um dann wieder ängstlich zurückzuschrecken. Das Gewand von Pflichterfüllung und Kriegsruhm hängt nur lose um diesen Totentanz eines Getriebenen, und der Bühne vielleicht am Rosa-Luxemburg-Platz würde das Stück gut zu Gesicht stehen. Das Käthchen, nun gut, das mag für andere reizend sein. – Von den Novellen liest man die eine oder andere in der Schule zu einem Zeitpunkt, an dem die Kälte von Verhängnis und verderblichem Schicksal dem Leser noch fremd sein muss, und so entschwindet uns Kleist in einem Maße, wie es angesichts dieses todblitzenden, sehnsuchtsvoll eruptiven Werkes kaum zu erklären ist.
Gefällig mag der Tote nicht gewesen sein, der sich mit fast allen Freunden nach hastiger Annäherung entzweite. Körperliche Schönheit war ihm, den wenigen Abbildungen nach, nicht zu eigen. Ausstrahlung muss er besessen haben, und die Gabe, geliebt zu werden. Dass er, der keine Ehe eingehen konnte oder mochte, von der Liebe trotzdem mehr verstand, als es dem 19. Jahrhundert meist zu eigen ist, zeigt die Penthesilea, dieses großartige, brutale und lyrische Drama über die Liebe. Dass dieses Drama, voll der Schönheiten und einer tiefen Wahrhaftigkeit, den Weg auf die Bühne so selten findet, dass es nicht mehr geliebt, nicht mehr gelesen wird, kann ich mir kaum erklären.
Die Klimax des Verfallenseins, Stolz und Gier der Liebe reiner Ausdruck: Wie im vierten Auftritt Achilles schwört, nicht ins Lage der Griechen zurückzukehren, bis er Penthesilea erobert haben wird.
Doch müßt´ ich auch durch ganze Monden noch,
Und Jahre um sie frein: den Wagen dort
Nicht eh´r zu meinen Freunden will ich lenken,
Ich schwör´s, und Pergamos nicht wiedersehn,
Als bis ich sie zu meiner Braut gemacht,
Und sie, die Stirn bekränzt mit Todeswunden,
Kann durch die Straßen häuptlings mit mir schleifen.
Wie Penthesilea den Kampf aufnimmt,
den einen heißersehnten Jüngling siegreich
Zum Staub mir noch der Füße hinzuwerfen.
Wie er sie unterwirft. Wie sie ihn lieben kann nur in dem Glauben, ihn ihrerseits besiegt zu haben. Die Unerträglichkeit des Irrtums, ihm unterlegen zu sein, das Losreißen aus der Verfallenheit, und schließlich das Dahinschlachten, die Rache für die Unterwerfung durch den Helden, der den Kampf herausgefordert hat, mit Hunden und Sichelwagen. Das Rasen der Penthesilea, der Donner rollt heftig, die törichte Verständnislosigkeit des Achilles, der glaubt, die Liebe der Penthesilea bewahre ihn vor ihrem Schwert. Er naht sich ihr, nur leicht bewaffnet, bemerkt den Ernst der Rasenden zu spät, und hebt die Händ´ empor, und duckt und birgt in eine Fichte sich, der Unglücksel´ge, den man auf der Bühne nicht bedauern wird, weil es Lohn genug sein mag, so geliebt zu werden. – Sie aber
…spannt, mit Kraft der Rasenden, sogleich
Den Bogen an, dass sich die Enden küssen,
Und hebt den Bogen auf und zielt und schießt,
Und jagt den Pfeil ihm durch den Hals…
Die Gewalttätigkeit der lodernden Liebe: Wie sie die Hunde auf den Sterbenden hetzt. Ihn mit Zähnen zerfleischt, ihn gleichsam aufisst,
Sie schlägt, die Rüstung ihm vom Leibe reißend,
Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust,
Sie und die Hunde, die wetteifernden
Besser beobachtet gibt es die bewusstlose, blutige Ekstase nicht, die von der Liebe aus dunklen Gründen nicht zu trennen ist, gibt man sich dem anderen ganz preis: Mehr, als wir wissen, muss Kleist geliebt haben, denn allein aus der Imagination ist diese tiefe Erkenntnis kaum vorstellbar.
Das Finale schließlich, fällt schon deutlich ab: Der Tod der Penthesilea, die kalte Verzweiflung, dass die Erfüllung der Liebe auch stets ihr Untergang sein muss, und dann der Dolch und das jähe Ende. Besser, intimer, wahrhaftiger, hat das 19. Jahrhundert den Rausch der Liebe an keiner Stelle geformt. Die Besinnungslosigkeit der Begierde, den zerstörerischen Wunsch, einander vor lauter Liebe in Stücke zu hacken, und zu hoffen, dass die blutigen Brocken diesmal ein heiles Ganzes ergeben – kein zweites Beispiel der Literatur jener Epoche ist mir bekannt, in dem die schwarze, widrige Seite der Liebe so ergreifende, wahrhaftige Bilder gefunden hat.
Ach, und was es Tristes aussagt über uns und unsere Welt, die tieferen Schichten auf der Grenze zwischen Hell und Dunkel nicht auf der Bühne sehen zu wollen. Und so geht man denn, an einem sonnigen Sonntag, am kleinen Wannsee am Grab Heinrich von Kleists vorbei, lächelt der Unsterblichkeit, und lege eine schwarze Rose auf den Grabstein.
Leg doch noch zwei Rosen dazu, bitte. Vielleicht…? Eine für Henriette Vogel, die vielleicht weniger belanglos war, als die Forschung meint – seit Reschkes „Verfolgte des Glücks“ ist sie mir lieb. Und eine für Ulrike, Kleists Schwester, die für ihn alles tat, was ein Mensch tun konnte, dafür wenig Dank erntete und erfahren mußte, daß sie nicht genug getan hatte. Seine letzten Worte gelten ihr, und sie war eine interessante, energische Frau (Luise F. Puschs Sammelband Schwestern berühmter Männer erzählt von ihr). Ob Henriette ihn geliebt hat, weiß ich nicht, aber Ulrike hat ihn sehr, sehr geliebt.
Kleist. Eine ganz rätselhafte, faszinierende Figur. Wie schön, an ihn und die Macht seiner Sprache erinnert zu werden.
Kennst Du eigentlich die Nachtwachen des Bonaventura?
REPLY:
Vor ewigen Zeiten einmal gelesen, ohne großen Eindruck hinterlassen zu haben.
REPLY:
Warum gerade Kleist so wenig gelesen und geliebt wird, verstehe ich nicht recht, mir scheint er sehr gut zu unserer aktuellen Verfassung zu passen, aber geistige Moden muten ja häufig ein wenig zufällig an. Ich bin, gestehe ich, in Kleist ein wenig verliebt, und habe ihn im Traum, einmal vor einigen Jahren, sogar getroffen.
Klassische Bildung ist ja nicht wirklich verbreitet oder angesehen, sondern nur ihr
Surrogat.
Daher hat ein durch Studienräte vermitteltes literarisches Volksempfinden
irgendwann einmal beschlossen, dass Goethe, Schiller, eventuell noch Hölderlin
und Herder wichtig und groß und ergo zu lesen seien, und damit ist für Meisten die
Kiste zu. Die Rezeption der Schriftsteller des Zeitalters der Romantik (nicht der
romantischen Literatur) beschränkt sich ja auch im Großen und Ganzen auf
Schlegel, Tieck, Novalis, Eichendorff und als Gegenpart Heine, wer hat denn
Büchners (only the good die young) Leonce und Lena oder Dantons Tod gelesen?
REPLY:
Büchner, der ist wirklich großartig. Die Inszenierung von Leonce und Lena im Berliner Ensemble allerdings ist dermaßen abscheulich, der hat vermutlich einer ganzen Generation Berliner Schulkinder dauerhaft und tiefsitzend eine Büchnerphobie verursacht. Ich liebe ja sehr die Werner-Herzog-Verfilmung des Woyzeck mit Kinski, wie ja Kinski überhaupt.
Endlich einmal Penthesilea
erwähnt und geschätzt zu finden, macht mich sehr froh.
Ich mag das Stück sehr und habe es zweimal auf der Bühne erleben dürfen, einmal 1991 am Wiener Burgtheater, inszeniert von Ruth Berghaus (mit der hinreißenden Anne Bennent in der Hauptrolle), und einmal in einem winzigen Kölner Kellertheater irgendwann zu Beginn der 80er… diese Inszenierung hat mir sogar noch besser gefallen, mit ihren mehrfach besetzten Rollen und einer unbändigen, intensiven Choreographie.
Mich hat immer sehr berührt, daß sich Penthesilea ja nicht mit einer echten Waffe erdolcht, sondern mit der Gewalt ihrer eigenen Empfindungen:
„Denn jetzt steig‘ ich in meinen Busen nieder,
Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz,
Mir ein vernichtendes Gefühl hervor.
Dies Erz, dies läutr‘ ich in der Glut des Jammers
Hart mir zu Stahl; tränk‘ es mit Gift sodann,
Heißätzendem, der Reue, durch und durch;
Trag‘ es der Hoffnung ew’gem Amboß zu,
Und schärf‘ und spitz es mir zu einem Dolch;
Und diesem Dolch jetzt reich‘ ich meine Brust…“
Und jetzt mache ich den Rechner aus und lese das ganze Stück…
Hab Dank für Deine innigen Worte darüber!
REPLY:
Die Berghaus-Inszenierung wollte ich sehen, aber mein damals noch sehr Erziehungsberechtigter hielt das aus irgendwelchen Gründen für keine gute Idee. Ich habe die Penthesilea deswegen leider noch nie auf der Bühne gesehen.
Den Tod der Penthesilea hat Kleist ja im übrigen fast wie ein Happy End gestaltet: Penthesilea stirbt ja nicht an der Last ihrer Gefühle als Opfer, sondern tötet sich aktiv mit dem Dolch ihrer Empfindung, der ja nicht von ungefähr auf der Hoffnung Amboß´ bearbeitet worden ist. Ihr Hinterhersterben gewinnt so ja nicht den Charakter einer bußfertigen Selbstbestrafung, sondern den eines Nachfolgens und der Vereinigung. Ein wenig klingt in diesen Zeilen der Liebestod – diejenigen Takte des Tristan, die ausdrücken, was ich mit Worten nicht sagen kann: Was die Liebe mir ist.
Oh ja, Tristan: alles bereits in jenem einen Akkord…
Penthesilea sehen könntest Du übrigens
hier.
alkmene
liebe frau modeste, danke für diesen schönen text!
was die liebe angeht, bin ich mir nicht sicher, ob nicht das schicksal von alkmene im amphytrion noch tragischer ist als das von penthesilea. schließlich meint sie ihren amphytrion aus tiefstem herzen zu erkennen:
Nimm mir
Das Aug’, so hör’ ich ihn; das Ohr, ich fühl ihn;
Mir das Gefühl hinweg, ich athme ihn noch;
Nimm Aug’ und Ohr, Gefühl mir und Geruch,
Mir alle Sinne und gönne mir das Herz:
So läßt du mir die Glocke, die ich brauche,
Aus einer Welt noch find’ ich ihn heraus.
aber in wahrheit hat längst jupiter sie in gestalt des gatten verführt.
REPLY:
Mit Alkmene habe ich nie Mitleid verspüren können – denn auch die Illusion ist mehr, als das Schicksal fast jedem von uns gewähren wird. Und einen Amphytrion auch nur in den Armen zu halten vermeinen – nein, es gibt härtere Schicksale. Und das, was man liebt, verwüsten zu müssen, gehört fraglos dazu.