Am Anfang war das Wort, dann aber erhob sich eine Gegenstimme, eine dritte Stimme befragte die erste nach den Hintergründen ihrer Ansicht, und schließlich – der Schöpfer der ganzen Veranstaltung war gerade schlafen gegangen – tobte ein großes Durcheinander, alle redeten gleichzeitig, und am Ende verstand keiner mehr auch nur sein eigenes Wort:
Angela Merkels Mann, so schreibt beispielsweise die Zeitung, will nicht den Kanzlergatten geben; die Kunstmesse München wird fünfzig, und der Kandidat einer Quizshow im Fernsehen bekommt eine zweite Chance. 557 Kilo, lese ich, muss ein Kürbis gewinnen, um einen Wettbewerb zu gewinnen, und die meisten Journalisten lesen die Süddeutsche Zeitung. Ein Brei von Neuigkeiten wälzt sich papieren durch meinen Briefkasten, durch mein Gehirn, und fällt wirkungslos irgendwo zu Boden.
Ich muss das, denke ich und lasse die Süddeutsche sinken, nicht wissen. Auf meinen Alltag hat all dies keinen Einfluss. In der Welt, in der ich mit einer Tüte voller Äpfel die Schönhauser Allee entlang nach Hause laufe, ist Guido Westerwelle belanglos, und Elke Heidenreich keine Literaturkritikerin. Meinen staatsbürgerlichen Pflichten komme ich nach; täte ich dies nicht – wen würde es stören? Welche Auswirkungen hat diese Welt aus roten Teppichen und grünen Tischen auf meine Welt aus dicken Büchern und langen Telephonaten, Gin Tonic im drei und heißer Schokolade im kakao und den neuen Schuhen der besten Freundin? – Brausend und mit tausend Zungen redend wie ein Meer aus bunten Bildern und belanglosen Neuigkeiten rauscht die Welt an meiner Welt vorbei.
Nie ist es still. Nie ist es wichtig. Die Politik? Lasst´s mich doch alle aus, denke ich: Der Einfluss der Politik auf meine Existenz ist ein denkbar geringer. Das Feuilleton? Nur einen Bruchteil der besprochenen Aufführungen werde ich jemals zu Gesicht bekommen, und was die Berliner Opern, die Berliner Theater auf die Bretter bringen, wird man mir auch so erzählen. Die Theaterkritik, geschrieben von Leuten, die anders sind als ich, für Leute, die noch anders sind, als ich es jemals sein möchte, ist so egal, so egal für mich wie die Kritik der Neuerscheinungen. Jaja, denke ich, wenn die ZEIT eine Inszenierung von Castorf verreisst, die Süddeutsche ein Buch von Juli Zeh lobt.
Nie hört das Brausen auf. Der O. macht sich Sorgen um Deutschland, und die C. würde niemals Sozialdemokraten wählen. Der J.² würde die GRÜNEN unterstützen, wenn Oswald Metzger wichtiger wäre oder Jürgen Trittin tot, und der J. kann die FDP nicht ausstehen. Ein Glück, denke ich, zumindest keinen Fernseher zu besitzen, ein offenes Tor für das Getriebe der Welt.
Wie es wäre, stünde das Mühlrad auf einmal still? Der Lärm würde verstummen, in der Mitte der Welt entstünde vielleicht eine große Leere, die neu gefüllt würde. Ein leerer, heller, stiller Raum, der Platz schaffen würde für eine Stimme, die zu leise ist, um gehört zu werden? Eine Raum der Ruhe, eine Mitte, in der vielleicht etwas sichtbar würde, das jenseits der vergeblichen, hässlichen Zuckungen dieser Spätzeit von einer entrückten, erhabenen Schönheit wäre, nach der wir suchen, und die wir nicht sehen können, betäubt von dem Quietschen eines Betriebes, den wir verachten, negieren, und doch nicht abschalten können.
klingt ein wenig nach depression… ?
ich hoffe aus eigener erfahrung das dem nicht so ist !
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Aber nicht doch, mir geht´s bestens. Nur ein wenig mediale Erschöpfung; und jetzt gehe ich schlafen und lese noch ein bißchen im 19. Jahrhundert herum.
Genau so. Stille wird sein. Nehmen wir sie voraus. Mit Wonne.
Interessant, so etwas von Dir zu lesen
Etwas makaber vielleicht, aber was Du Dir da wünscht, ist das Dasein als Hobbit. Nichts mitbekommen von den „großen Dingen in der Welt da draussen“, statt dessen die reine Konzentration auf das eigene Leben. Ob das tatsächlich möglich ist, ist eine Frage im LOTR und ob man, wenn man mal „da draussen war“, überhaupt wieder richtig zurück kann, eine andere.
Offensichtlich bin ich einer von diesen reizenden Jünglingen – naja jung war mal, aber DNA steht auch im Regal …
Es müsste ja nicht einmal ganz still stehen bleiben, das Mühlrad. Sich nur wieder etwas langsamer drehen. So wie Ende der 70er, nur mit Internet.
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Was ist denn daran so makaber? Ich halte es für einen sehr gesunden mental-hygienischen Impuls, sich von Zeit zu Zeit aus dem medial erzeugten Dauer-Erregungssystem auszuklinken. Man muss es ja nicht mit der Attitüde von Gustave Flaubert tun, der sinngemäß sagte: Die Welt schert sich auch nicht um mein Elend – also muss sie damit leben, dass mich ihr Elend kalt lässt.
Ob man, wenn man mal „da draußen“ war, wieder zurückkann, hm, kommt drauf an, ob man das dann noch als erstrebenswert erachtet. Ich für mein Teil möchte nicht mehr dahin zurück, fremdgesteuert reagieren zu müssen auf jede neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Vielleicht ist mir das deswegen klar geworden, weil es ja mein Beruf ist, selber mitzuwirken beim Säue durchs Dorf treiben. Und weil ich das, was ich da tue, schon von Zeit zu Zeit hinterfrage.
Schlagartig klargeworden bin ich mir über dieses Problem, als ich anno 91 durch das frisch in mein Wohnzimmer verlegte Kabelfernsehangebot zappte und irgendwann spät nachts wie hypnotisiert vor den grünstichigen CNN-Bildern aus Bagdad saß und Pete Arnett zuhörte, während in der Nähe seines Hotes die Granaten einschlugen. Irgendwann so gegen morgens um halb vier sagte ich zu meiner damaligen Freundin: Liebste, jetzt isses aber mal gut. Wenn nicht die Luftschutzsirene hier aufm Block gleich losheult, gibt es wirklich keinen vernünftigen Grund, sich das noch länger reinzuziehen. Keinem Menschen dort hilft es, dass ich hier betroffen vor der Glotze sitze. Stattdessen laufe ich Gefahr, morgen mein Tagwerk nicht gebacken zu kriegen, und dann ist noch mehr Übel auf der Welt und nicht weniger. Punkt. Ende der Vorstellung.
Die Fragen, was hat das alles mit mir zu tun, muss ich das wissen, wenn ja, erfordert es Handlungen meinerseits, sollte man sich von Zeit zu Zeit schon stellen. Wie gesagt, schon aus Gründen der mentalen Hygiene…
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Missverständnis
@Mark793: Der Link in meinem Kommentar erklärt vielleicht, was ich meinte. Es geht nicht darum, dass der genannte Wunsch an sich makaber ist. Sondern dass er in Form des Eskapismus heute an der Begeisterung für z.B. Herr-Der-Ringe-Filme und -Bücher festgemacht wird und sogar in diesem selber wieder vorkommt (das Leben als Hobbit). Wogegen aber Frau Modeste gerade diese Bücher und ihre Leser, naja, verachtet.
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Natürlich kann man keine klare Trennung zwischen Innen und Außen in dem Sinne vornehmen, dass ein rein privates Hobbbit-Leben überhaupt nur möglich wäre, für eine solche Existenz führe ich auch nicht das richtige Leben, und bin vermutlich noch nicht einmal der richtige Mensch. In einer Blockhütte am Ende der Welt wäre ich vermutlich eine ziemliche Fehlbesetzung.Dass Informiert-sein an sich eine gute Sache sei, ist aber wohl auch nur eine der selbstreferentiellen Lügen einer Mediengesellschaft, bei der am Ende wenig ´rumkommt. Vielleicht verhindert der Dauerbeschuss sogar das Wachsen von überzeitlichen Dingen: Im Mitelalter erschien nicht einmal jedes Jahr ein Buch, aber viele dieser Bücher haben bis heute ihren Wert, weil die Ängste und Träume, die Klugheit und die Schlechtigkeit der damaligen Welt in diesen Werken offenbar werden. Noch im betriebsamen 19. Jahrhundert wurde bei weitem nicht soviel „schnelles“ Papier erzeugt, und die Produktion an überzeitlich wertvollen Werken beschäftigt uns bis heute. Ob aus den vergangenen zehn Jahren mehr als vier, fünf Werke der deutschen Literatur in fünfzig jahren überhaupt lesbar bleiben werden, halte ich doch für ein wenig zweifelhaft. Die Gründe für dieses Abflachen sind sicherlich vielfältig, aber es mag schon sein, dass ein Zuviel an reiner Information ein zuwenig an Reflexion erzeugt, die der Schöpfung vieleicht zwangsläufig vorhergehen muss.
Ich finde Pseudonachrichten aber auch einfach lästig. ich möchte mit dieser Billigwelt, in der sich Fernsehmoderatoren gegenseitig interviewen, schlicht nichts zu tun haben, leider ist das auch für jemanden ohne Fernseher und ohne Radio kaum möglich.
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Ich fände es schon faszinieend, das Ende dieser Welt, das Sinken der Netze, und die Stille, die von etwas eingenommen werden wird, was hoffentlich substantiell anders sein wird und völlig neu.
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Ich wünschte, das wäre überhaupt noch möglich.
Seien sie einfach unglaublich erkältet, legen sie sich in ein Thymian Bad um 24.00 Uhr in der kaum befahrenen Christinenstraße, hören sie dazu American Analog Set und zünden sie ein paar Grablichter an. Soviel Stille erträgt man nicht lange.
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Bekanntlich ertrage ich Stille ohnehin kaum, und springe dann wie eine Besessene durch Berlin. Ich wünschte, das wäre anders; aber wer kann für sein Naturell.
Und natürlich: Gute Besserung, Herr Burnston.
Fahren Sie doch eine Woche nach Hiddensee. Gleich eine andere Welt da. Nur den Wellen zuschauen, ein wenig schlendern. Dann kehrt man mentalgereinigt (und vielleicht auch körperlich, wer denn um diese Zeit in die Ostsee mag) ins städtische Gewühl zurück.
Das Gequake mag ich auch nicht mehr ertragen. Dieser Wirbel um Nichtigkeiten, in dem Nachrichten über Erdbeben gleichberechtigt über solche, ob ein Popstar Sex in Berlin hatte oder nicht, stehen. Da lese ich lieber von Liebe, Tod & Teufel.
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Überhaupt dieses Immer-zuviel an Nachrichten, Neuigkeiten, die stetige Beschleunigung der Achterbahn. An Hiddensee habe ich freilich noch gar nicht gedacht, derzeit überlege ich, ein paar Tage nach Paris zu fahren.
Das ist er..
.. der Wunsch, den wir neben anderen hegen für die vielen Preise der Globalisierung. DenWunsch nach Entschleunigung, nach einem mitkommen lassen miteinander und der Einsicht die unwichtigen Dinge noch rigoroser wegzudrücken. Nach einer Selbsterziehung, die es einem mal gewährt sich im Strudel mitreissen zu lassen, aber auch die Kraft gibt beizeiten den Stecker zu ziehen. Den Luxus zu leben bei sich sein zu dürfen. Abnehmend bestimmt von den Dingen. Den Raum in sich zu betreten und zu sehen, dass sich dann auch neue Räume gemeinsam mit anderen auftu’n. Wie anders sollte man sonst Mensch werden im besseren Sinne?
ich sach ma: berlin ist schuld, bzw. der regierungsumzug dorthin. seitdem dreht sich das medienkarussell so schnell um die profilneurotischen politiker, dass nur noch angekündigt wird. umsetzung fehlanzeige. im beschaulichen bonn war der veröffentlichungswahn der eigenen meinung noch nicht dermaßen fortgeschritten, die wege waren kürzer, verhandelt wurde noch im hinterzimmer der kneipe und die kameras warteten nicht 24/7 auf statements. wie herr winkel schon sagte, back to the 70s – leider impossible.
Das rosa Rauschen
Schon tückisch die Maschen der Profilneurotiker, die sich seit der Schulzeit für so wichtig halten, dass sie nach Abitur und Studium noch promovieren und dann auch noch in Parteien, Unis oder Bürgerinitiativen den Ton angeben wollen. Und das nur, weil ihre Eltern belanglos oder eben extrem erfolgreich waren. Wenn man das Gewese der Nachrichtenproduzenten verlassen will, empfiehlt sich nicht unbedingt das Weglassen von Fernseher oder Zeitung sondern das Selektieren der Informationen. Zugegeben es kostet Zeit, aber man kann schnell Filterregeln aufbauen: Talkshows sind immer Müllhalden humanen Wiederkäuens, Nachrichten sind die politisch erwünschten Desinformationen um Massen zu ködern, Spielfilme sind oft der forntale Angriff auf niedere, hier vor allem materielle Instinkte.
Aber: Es gibt noch Videso von Jacques Doillon oder Andreij Zulawski Filmen. Es gibt noch CDs von Joni Mitchell und Nick Drake. Es gibt noch Bücher von Thomas Bernhard, Cowper Powys oder Paul Eluard.
Das Rauschen der schnellen Welt um uns, die ihre schlechtesten Seiten in Medien konserviert, vergisst die Stare am Himmel, das Gekreische der ziehenden Reiher, den morgendlichen Nebel am Ufer und die beschlagenen Scheiben nach einer zärtlichen Nacht. Ich finde es toll, dass die Medinewelt eine zeigerfunktion übernommen hat und uns all das einmalig zeigt, was wir beim zweiten Blick in Sekundenbruchteilen als marginal gefiltert und ausgesondert haben.
Ich mag all die beschäftigungstherapeutischen Jobs wie Journalist, Politiker oder Vorstandschef. Was glaubst du, würde in der Kriminalstatistik passieren, wenn die sich nicht am rosa Rauschen beteiligten. Die kathartische Wirkung, die man den Huren zuschreibt, geht in Wirklichkeit von dem Gewese der Wichte aus, die wir jeden Tag in den Medien sehen, hören und lesen. Sie verstehen eben nicht zu leben. Das ist vielleicht auch gut so, da bleiben tagsüber die Bürgersteige, Parks und Flussufer leer, weil sie Katzbucken müssen. Und das nur, damit sie an der Ampel ihre quietschgelben Sportwagen 15 Minuten am Tag den staunenden Sekretärinen zeigen können…
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Das nennt man Fishing for Get-Well-Cards, was ich da betreibe. Schande über mich;)
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Die Einsicht in die unwichtigen Dinge, setzt natürlich voraus, die wichtigen Dinge erst einmal zu erkennen, und manchmal, Herr Mayer, frage ich mich, ob nicht vielleicht die Dinge, die ich als unwichtig erachte, vielleicht die wichtigen Dinge sind, weil es mehr nicht gibt. Oder nicht für mich.
Ob es, Herr Rossi, wirklich am Regierungsumzug liegt…wieviele Stunden ich schon in Gesprächen verbracht habe, die sich um gänzlich regierungsferne, aber nicht weniger sinnbefreite Dinge wie den Erwerb einer goldenen Winkekatze oder die Entscheidung für eine grüne oder blaue Barbourjacke drehten, kann ich gar nicht sagen. Vielleicht ist es sogar umgekehrt: Nicht der Regierungsumzug zieht die erhöhte Unruhe des Nachrichtenaufkommens nach sich, sondern die Beschleunigung der Welt bewirkt die Beschleunigung der öffentlichen Angelegenheiten.
Was, Herr Moravagine, andere Leute so für relevant halten, wundert einen aber auch immer wieder, und man ist ordentlich froh, nicht in derselben Welt unterwegs zu sein, wie diese Leute. Manchmal fragt man sich, ob nicht auch diese Leute nachts erwachen und sich fragen, ob sie nicht sehr weit weg sind vom Kern der Dinge, und glauben, verkehrt gelebt zu haben, wenn es denn einmal zu Ende geht.
Diese Dinge stehen jedem offen. Die Frage ist wann und wie. Dass ich selbst sehr jovial darüber schreibe und trotzdem noch immer meine Reibungspunkte und Kämpfe damit habe will ich nicht verschweigen Madame Modeste…
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Wie Ende 70er mit Intergezz Webdings? Captain Future!