Misere

Misere 1: Mein Urlaub

Montag gehe ich wieder ins Büro, und erholt habe ich mich rein gar nicht. Zingst hat mir nicht gefallen, und außerdem war gefühlt immerzu Familie anwesend, ohne dass sich die Hoffnung, diese werde sich um F. kümmern, erfüllt hat. Der F. will sich nämlich gerade nicht von mir trennen und weint, wenn er mit Omas und Opas am Strand bleiben soll.

Die anschließende Woche in Berlin, von der ich mir viel versprochen hatte (Babybaden im Monbijoupark! Museum! Freundinnen!) fiel irgendwie aus. Zum einen hat der F. in der Woche des gemeinsamen Schlafens in einem Zimmer wieder Gefallen an dieser Konstellation gefunden und ist schwer daran zu gewöhnen, dass er jetzt wieder allein nächtigen soll. Zum anderen waren wir im Wesentlichen, habe ich das Gefühl, bei IKEA und haben danach alles aufgebaut. Ein Küchenschrank steht noch aus.

Aber auch ansonsten: Fehlanzeige. Meine Verabredung gestern Abend fiel aus, weil der Große meiner Freundin T. krank geworden ist. Immer, wenn wir uns sehen wollen, ist nämlich entweder eins ihrer drei Kinder oder mein Kind krank. Statt dessen war ich mit dem J. und dem F. essen. Weil der J. keine Lust auf Thaisuppen hatte, waren wir auch noch im Chez Maurice, wo ich viel zu viel gegessen habe. Als ich heute morgen aufgewacht bin, habe ich dem J. und mir selbst derartige Vorwürfe deswegen gemacht, da war der Morgen auch wieder gelaufen.

Misere 2: Adipositas

Mit meinem Übergewicht macht mir sowieso nichts Spaß. Ich traue mich gerade nicht einmal, mich massieren zu lassen, weil ich fürchte, dass die Masseurin sich ekelt. Und bei  Zumba oder beim Joggen würde ich die ganze Zeit fürchten, dass die anderen Leute meine geringe Leistungsfähigkeit gedanklich mit meinem Gewicht verknüpfen und mich dafür verachten.

Kosmetik scheint mir an mich Wal auch irgendwie verschwendet. Ich kaufe auch quasi nichts ein, weil ich keine Lust habe, Sachen in 42 zu besitzen, einer Größe, die manche renommierte Modehäuser aus Prinzip nicht einmal produzieren. Ab und zu stehe ich vorm Spiegel, greife mir in den Speck und schärfe mir laut ein, dass Übergewicht das Leben einerseits verkürzt, andererseits auch irgendwie entwertet.

Dass ich nach der Geburt nicht wieder richtig abgenommen habe, beeinträchtigt, fürchte ich, in den Augen des Restes der Welt auch meine Leistung als Mutter. Ich höre ständig lobende Worte über Mütter, die nach drei Monaten schlanker sind als je zuvor, und überlege mir dann, was die lobenden Leute eigentlich denken über mich, die sich 18 Monate nach der Geburt immer noch nicht im Griff hat. Immerhin: Heute bisher zwei Möhren und ein kleiner Rest von vorgestern, Blumenkohl mit Safran, Zwiebeln, Rosinen und Oliven aus meinem neuen Kochbuch. Heute Abend esse ich Salat, Salat, Salat.

Misere 3: Kreativität

Ich schreibe eigentlich gern. Ich kann nur nicht so besonders gut schreiben. Meinen Roman den ich letztes Jahr verfasst habe, als ich Elternzeit hatte, wollte ja keiner, und mein neues Projekt macht Spaß, taugt aber vermutlich auch nicht viel. Nun macht das vermutlich nichts. Man muss ja nicht publizieren, nur weil man ganz gern schreibt. Man muss ja auch nicht auftreten, nur weil man gern Klavier spielt. Oder ausstellen, weil man ganz privat gern Blumen malt. Mein Problem an der Sache ist aber: Ich mache nicht gern Sachen einfach so und ergebnislos. Und ich komme mir irgendwie blöd vor, weil ich 37 bin und es nicht zu mehr gebracht habe als zu einem Allerweltsjob und einem kleinen Kind.

Dieses Gefühl eines ständigen Defizits beeinträchtigt wiederum meinen Spaß am Schreiben. Ich habe die Handlung nun fertig projektiert. Ich habe die Personen gezeichnet. Das erste Kapitel dieses Wochenendes auf dem Lande ist – wohl oder übel – fertig. In den nächsten Monaten werde ich das Ding fertig schreiben. Wenn es mir wieder besser geht, macht es vielleicht auch wieder mehr Freude. Vielleicht macht überhaupt irgendetwas wieder richtig Freude. Zur Zeit indes: Misere.

10 Gedanken zu „Misere

  1. 1. am unerfreulichen urlaub lässt sich ja nun nichts mehr ändern. (mit den erwartungen ist das immer so eine sache.) aber es ist noch immer sommer. überall. und anscheinend noch einige zeit lang.
    2. klamotten sind eine feine sache. aber der ihnen eigene hedonismus ist ja auch nicht zu verachten. ihre leserschaft liebt sie dafür. wenns ein paar pfund auf der hüfte macht, bleibt nur die frage: was denkt der j. darüber? keines anderen menschen meinung ist von belang. erst wenn er es unerfreulich findet, sollten sie sich gedanken machen.
    3. sie können schreiben. man kann es hier ja sehen. wie das mit der langen form ist, kann ich freilich nicht beurteilen.

    das alles klingt mir doch sehr (nein, ich sage nicht dieses m…-wort) nach erfolgsdruck. sie müssen einen tollen urlaub haben (ok, das verstehe ich noch am besten), schlank sein und erfolgreich kreativ. sonst gibts kein glück. (übrigens finde ich, ohne genaueres zu wissen, ihren job nicht mittelmäßig,) kann sein, dass ich profan bin oder mich das leben dazu machte. aber das leben besteht nie aus äusserlichem glück. wir müssen es in uns haben. und die bereitschaft, es zu sehen. sch…, äh, pfeif auf die meinung der anderen. die uns einreden wollen, dass konfektionsgrößen jenseits 38 ein no-go sind, fischbrötchen was für arme und das sonnen inmitten all der tätowierten lästig. klar gibts schönere sachen, immer. aber auch viel, viel schlimmere. sand, meer und himmel sind für alle da. (auch in asien. nur der weg da hin ist weiter.)

    in zwanzig jahren werden sie sehen, wie sinnlos es war, sich über all diese sachen gedanken zu machen. genießen, himmel, das können sie doch! tun sie´s.

  2. kein trost, aber ein angebot. habe die kommende woche frei und werde jeden tag, der sich dafür eignet, auf dem see verbringen. ein extra-boot ist vorhanden und Sie müssen auch nicht paddeln, ich schleppe Sie gern über den see. dort können wir dann bäuche vergleichen und uns in der sommerhitze einen oder zwei auf die lampe gießen.

    1. Zu gern! Allerdings muss ich ab morgen wieder ins Büro. Vielleicht am nächsten Samstag, wenn dann das Wetter noch mitspielt? Ich würde Sekt beisteuern. Und Kuchen. Falls unsere Bäuche uns unzureichend erscheinen.

  3. Das sind doch weise Worte der Erphschwester! Sehe ich genauso (bin übrigens in 20 Jahren von Größe 40 auf 48 aufgegangen, das ist wirklich kein Spaß mehr).

    „Allerweltsjob“ fulltime, Mann und Kind, das ist ne ganze Menge, das muss man erst mal schaffen ohne Teilzeit. Und bloggen können Sie, es macht Spaß hier zu lesen. Das mit der Kreativität kommt später wieder, Ingrid Noll hat schließlich auch erst mit 60 angefangen Krimis zu schreiben.

  4. Wo kommt den dieses böse Leistungsdings her? (Ehrliche Frage.) Da waren doch mal Langmut, vielleicht ein wenig Ennui, Hadern nur als Spielart der Koketterie. Muss nun alles nützen, Sinn und ein Ziel haben? Aber vielleicht gehört das schlicht zwingend zum Erwachsensein.

  5. Der Erstkind-Mütterblues. Es ist schwer, sich damit abzufinden, dass Ferien nicht mehr dasselbe sind wie früher, wie das restliche Leben auch… Es hilft aber nicht, einfach an dem festzuhalten, was ohne Kind gut war. Spätestens mit dem zweiten Kind sind Dinge wie Urlaub im Hotel, Essen in Restaurants oder ähnliches sowieso illusionär.
    Mit Kind(ern) sind andere Sachen gut. Welche muss man neu heraus finden (oft haben aber Leute mit Kindern da ganz gute Ideen) . Statt sich an alte Ideen davon klammern, was schick oder angesagt ist, ist hier viel Raum für Kreativität. Zudem bietet sich auch die wunderbare Chance, seine Prioritäten zu prüfen. Ist es wirklich wichtig was man wiegt (War es 42? Wo ist das Problem??? Falls das tatsächlich ein Problem ist: ab ins Fitness-Studie oder einen Personal-Trainer buchen)?
    Tja und das Problem mit der Kreativität ist ja oft, dass sie ein bisschen Raum braucht, nicht vor allem Erfolg. Zu viel Job und Kind sind da nicht hilfreich. Meine Erfahrung ist aber, dass es wirklich unglücklich macht, wenn man keine Zeit oder Kraft mehr dafür hat, kreativ zu sein. Mehr als die falsche Kleidergröße.

  6. Hm, mir geht es wie Ihnen. Nur dass Sie Buch und Job austauschen können. Ich habe zwar ein Buch veröffentlicht, aber keinen Job und die Aussichten, in diesem Leben je einen halbwegs vernünftig bezahlten Job zu bekommen, sind im Grunde aussichtslos. Im Übrigen ist das Erscheinen des Buches für mich eine der frustrierendsten Erfahrungen meines Lebens, gleich nach dem Stillen. (Und von einem Urlaub an der Ostsee kann ich nur träumen, da mein Mann seit Jahren keinen Urlaub im Sommer machen kann.) Aber ich will nicht weiter klagen, da ich inzwischen wenigstens traumhaft schön wohne.

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