Immerhin sitze ich nicht bei 15 Grad für Säcke voll Geld an der Ostsee, rede ich mir das Berliner Temperaturdesaster schön und gehe um zehn ins Bett. Ich bin schlecht gelaunt, denn meine Teigtaschen im Brot und Rosen waren nicht nur etwas zu al dente und mit einem ziemlich krümeligen Hackfleisch gefüllt, sondern auch zu wenig, um davon satt zu werden. Dann aber schlage ich Auerhaus von Bov Bjerg auf und stürze kopfüber in die Achtziger Jahre. Ich weiß das doch noch, erinnere ich mich an meinen Thermopullover, an meine Lieblingsjeans mit 15, den Geruch von Kirschtee und einen Karton voll Kassetten. Dann aber vergesse ich Kulisse und Kolorit und lese eine zeitlose Geschichte über die Zwischenjahre, diese schmale Scheibe aus Zeit zwischen den Zwängen der Schulzeit und den Zwängen von Uni, Beruf, Familie. Bei mir waren das immer nur ein paar wenige Wochen oder Monate, immer so gerade zwischen zwei Etappen gemogelt, und es tut mir ein bisschen leid, dass ich nie ein Auerhaus bewohnt habe, einen Ort außerhalb der Zeit, scheinbar eine Schüler-WG irgendwo in der Provinz, aber in Wirklichkeit ein schwankendes, labiles, wahrhaft schmerzliches Arkadien.
Fünf Bewohner hat das Auerhaus, alle auf der Durchreise aus einem Kinderleben in ein richtiges, eigenes Leben, ein eigenes Ich. Vorerst sind sie alle um die 18, Halblinge des Erwachsenenlebens, weder Fisch noch Fleisch und an die Gebote der Gesellschaft so wenig gebunden, dass auch ihre Regelbrüche noch etwas Unschuldiges haben, als seien sie an das Verbot des Stehlens etwa weniger gebunden als die, deren Füße schon fest in der Erde fußen.
Dem leichten, auch leichtsinnigen Unernst stellt Bov – und diese Spannung trägt das Buch auch über die untiefen Stellen – den äußersten, bittersten Ernst gegenüber: Nur wegen Frieder wohnen die anderen im Auerhaus, nur, um Frieder von einem weiteren Suizidversuch abzuhalten, wird hier gelebt, gefeiert, kaum geliebt irritierenderweise, und dieser schwarze Untergrund verleiht dem hell getuschten Treiben der Übrigen eine fiebrige Tiefe, und als ich das Buch zuschlug, viel zu spät für einen Mittwochabend, war ich so 18, wie ganz lange nicht mehr, und hätte gern mit dem Ich-Erzähler Höppner Hühnerknecht ein Bier getrunken und ihm erzählt, dass noch bessere Jahre kommen mögen, wenn man einmal erwachsen ist. Aber keine mehr, die man so sehr spürt wie diese.





