Falsche Pferde

Ganz früher muss es traumhaft gewesen sein. Zumindest, wenn man der F. glaubt. Ganz früher gab es ein großes, weißes Haus am Stadtrand von Frankfurt. Einen Pool. Einen Vater, der von einem Wagen mit Fahrer abgeholt wurde, wenn er ins Büro fuhr, und eine Mutter, die viel lachte und sehr schön war. Zumindest für einen der Elternteile war es aber offenbar weniger traumhaft, denn 1984 trennten sich die Eltern. Die Mutter der F. behielt das Haus noch zwei Jahre. Dann wurde es verkauft. Sie kaufte sich eine kleinere Wohnung in Wiesbaden, denn in der kleinen Stadtrandgemeinde fiel man als geschiedene Frau aus allen Freundschaften heraus und wurde nicht mehr eingeladen. Die F. und ihr Bruder verbrachten jedes zweite Wochenende beim Vater und fuhren zweimal im Jahr mit ihm in Urlaub. Als die F auszog, begann die Mutter, ehrenamtlich behinderte Kinder zu unterstützen.

Nie hat sich die F. gefragt, wovon ihre Mutter eigentlich all die Jahre gelebt hat. Inzwischen weiß sie, dass die Mutter aus dem Hausverkauf genug Geld für ihre neue Wohnung bekommen hat, eine ganz ordentliche Rente, die ihrem Exmann von seiner Rente abgezogen wird, und laufenden Unterhalt über Jahrzehnte. Außerdem hat sie irgendwann noch einmal geerbt.

Als die F. vor ein paar Jahren geheiratet hat, gab es kein weißes Haus. Aber eine große Wohnung in Mitte, die allerdings nur gemietet war. Zwar keinen Pool, auch keinen Fahrer, aber ihr Mann gehört zu den wenigen Leuten, die in seinem Unternehmen auch heute noch Business fliegen dürfen, wenn sie irgendwohin fahren. Zwei Kinder.

Leider ging es auch mit der F. und ihrem Mann nicht ewig gut. Inzwischen hat er eine neue, große Wohnung, diesmal gekauft. Da lebt er mit seiner neuen Freundin. Irgendwann, als alle auf einem 40. Geburtstag ziemlich betrunken waren, hat die F. zumindest ein paar Freundinnen verraten, dass ihr Mann ihr vorgeworfen hatte, sie sei eigentlich tot und nur noch eine Funktion ihrer Kinder.

Sie lebt aber noch, deswegen braucht sie Geld. Leider verdient sie als freie Journalistin mit sehr gelegentlichen Aufträgen zu wenig für eine Wohnung in ihrem alten Kiez. Sie ist nach Moabit gezogen und wohnt dort auf 60 Quadratmetern. Unterhalt gab es einige Jahre für die Kinder. Jetzt ist ihr Sohn aber zu ihrem Exmann gezogen. Man darf die F. nicht nach Hintergründen fragen, denn sie fühlt sich von ihrem Sohn quasi verlassen und betrogen, obwohl sie weiß, dass das nicht so ist und man so etwas auch nicht denken sollte. Manchmal hat die F. Angst davor, dass auch ihre Tochter zu ihrem Exmann zieht.

Unterhalt für sich hat die F. nie bezogen. Wenn jetzt auch noch der Unterhalt für die Tochter wegfiele, würde es gar nicht mehr reichen. Vielleicht geht die F. dann zum Amt. Vielleicht zieht sie zu ihrer Mutter. Wahrscheinlich sieht sie ihre Kinder dann nur noch sehr selten, weil die Kinder ohnehin in ein Alter kommen, in dem sie weniger Kontakt suchen, als den Eltern lieb ist. Vermutlich lockern sich die freundschaftlichen Beziehungen zu ihren Berliner Freundinnen, wenn sie erst mal in Wiesbaden sitzt. Ich nehme an, sie erbt irgendwann die Wohnung ihrer Mutter. Dann wird sie dort alt werden. Spätestens, wenn sie Rentnerin wird und nicht mehr schreiben kann, wird sie auf Sozialleistungen angewiesen sein, oder ihre Kinder müssen für sie aufkommen. Ich weiß, dass sie sich davor fürchtet.

17 Gedanken zu „Falsche Pferde

  1. Ich finde es immer wieder frappierend, dass einige junge Frauen von der Reform des Ehegattenunterhalts von 2008 nichts wissen. Wenn ich meine Seminare für Gehaltsverhandlung halte, fällt immer mal wieder die eine oder andere aus allen Wolken – gerade die, die mir vorher von MannHausHundundKindern erzählten.
    Die anderen blasen die Backen auf „passiert mir nicht!“
    Ich verstehe es nicht.

  2. Meiner Erfahrung nach führt Kinder zu bekommen zu fundamentalen Veränderungen im eigenen Leben. Um eine (Paar-)Beziehung über starke Veränderungen hinweg zu aufrechtzuerhalten muss man neben gutem Willen vor allem viel Zeit und Arbeit in die Beziehung investieren. Gerade an (gemeinsamer) Zeit aber mangelt es jungen Eltern besonders. Wenn man nicht aufpasst, haben sich irgendwann so viele Dinge angesammelt, die nicht rechtzeitig besprochen und geklärt wurden, dass der Weg zurück verbaut ist. Das ist dann in jedem Fall eine Tragödie für alle Beteiligten. In Fall der F. kommt die wirtschaftliche Abhängigkeit noch erschwerend hinzu.
    Man kann getrost davon ausgehen, dass die Lage in nicht-bürgerlichen Milieus um ein vielfaches schlimmer ist – sowohl was die Anzahl der Alleinerziehenden als auch deren wirtschaftliche Situation betrifft.
    Es ist erschreckend zu sehen, wie weit die gesellschaftliche Vorstellungen von der Funktion der Ehe und gesetzliche Regelung auseinanderklaffen.

  3. Tja, so isses, wenn man nicht wirklich auf eigenen Beinen steht und das eigene Einkommen nicht reicht. Warum denkt sie nicht darüber nach, nicht nur vom Schreiben zu leben, sondern warum nicht z.B. vom Haareschneiden, Babysitten, Nachhilfe geben oder whatever? Frau kann ja meistens nicht nur eins. Und 60 qm finde ich ehrlich gesagt nicht schlimm. Wenn wir uns unsere 70 qm mal nicht mehr leisten könnten, würden wir ein oder gar zwei Zimmer auch an Untermieter vermieten. Lieber solch eine Lösung und in der gewohnten Großstadtumgebung bleiben als in die Vergangenheit zurück zum Geburtsort zu ziehen und dort zu verkümmern wie eine alte Topfpflanze.

  4. Vom Amt bekommt sie die 60 qm nicht bezahlt. 440 Euro mit Heizkosten ist der Richtwert für einen Einpersonenhaushalt.

    Zum Haareschneiden braucht man in Deutschland einen Meister. Das ganze schwarz, wie auch „Babysitten, Nachhilfe“ bringt zu wenig zum Leben und einem in den Sozialleistungsbetrug – wenn Amt und so.

    Bevor sie die Wohnung in Wiesbaden erben kann, geht die Wohnung für die Pflege der Mutter drauf. Außer F. zieht nach Wiesbaden und pflegt die Mutter selbst. Selbst dann darf sie sich die Wohnung erbschaftmäßig mit ihrem Bruder teilen.

    Was die Lage im „nicht-bürgerlichen Milieu“ betrifft. Geht es denn schlimmer? Die Fallhöhe ist sogar kleiner.

    Ich verstehe die Überschrift nicht so ganz. Wo hat Frau F. aufs falsche Pferd gesetzt? Hatte sie jemals eine Alternative? Mir scheint das nur eine gereifte Version des „Irgendwasmitmedien-Prekariats“ zu sein.

    Frau F.s gibt es viele. Zu viele. Wobei das natürlich ähnlich auch Männern ergehen kann.

    Wenn ich das posting und die Kommentare lese, dann erschrickt das mich. Mal angenommen F. ist 40. Dann hat sie noch ca. 30 Jahre Berufsleben vor sich. Statt sich zu fürchten, ist es noch nicht zu spät eine Ausbildung oder Studium zu beginnen und abzuschließen. Es gibt sogar Programme für Azubis über 40. Das eigentliche Problem ist, sich vom Traum zu verabschieden. Weisses Haus, Mittewohnung, Journalismus – und ein in ihren Augen wahrscheinlich durchschnittliches Leben zu führen.

    1. Oje. Die Ärmste. Ich fürchte, sie ist in kleinster Weise dem gewachsen, was nun kommen wird. Ich empfinde ihre Lethargie als halbwegs anstrengend, aber da bricht ein ganzer Lebensentwurf zusammen. Ich hoffe, sie heiratet wieder.

      1. Schwache Hoffnung. Gerade in Berlin. Wobei ich das Gefühl habe, dass Berlin für das fatale Beharren auf Lebensentwürfen ein besonders guter Ort ist. Ohne das begründen zu können.

  5. Ja, so war das damals in den Siebzigern. Ein weisses Haus mitten in Frankfurt. Ein schwarzer Mercedes mit Fahrer, der meinen Vater abholt und bringt. An glücklichen Tagen, wenn meine Mutter mit irgendwelchem Tüdelkram beschäftigt war und ich sonst nicht versorgt, holte er mich sogar von der Schule ab. Mit Schirmmütze auf! Dann durfte ich vorne sitzen und der sehr liebe und kluge Herr S. und ich führten gepflegte Konversation über Gott und die Welt.
    Pures Glück! Lord Fauntleroy ein Scheiß dagegen!
    Ich zehre heute noch davon.

  6. Vll sollte die F den großen Schnitt machen, Kinder dem Vater überlassen (ja Männer können erziehen, viele sogar sehr gut), zur Mutter zurück ziehen und ihr berufliches Leben noch Mal auf `Start` setzen. Muss doch noch was anderes geben als Jornalismus… Und auch wenn ich das als waschechte Berlinerin vll nicht sagen sollte, aber Berlin ist nicht der Nabel der Welt!

    1. Ich glaube, die F. war sehr gern Hausfrau und tut sich schwer damit, einen Brotberuf zu ergreifen. Das mag man unverständlich finden, aber ich vermute, das Beste wird es sein, sie heiratet erneut.

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