Woher, wohin – nicht Nacht, nicht Morgen

In meinem Himmel habe ich nur die Spatzen fliegen gesehen. Und wenn gute Mächte auch mich wunderbar geborgen haben sollten, dann habe ich ihre Präsenz trotzdem nie gespürt: Kein lockiger Bewohner des Olymps durchstreift leichten Fußes die Haine meines Lebens, und niemand greift nach Flamme und Schwert. Den Stierköpfigen habe ich nicht getroffen, und von meinem Sinai kommt keiner herab, den Tanz um die Goldenen Kälber meines Lebens zu geißeln und zu strafen. Die Allmacht des Einen oder die kleine Macht der Vielen legt keine Hand auf meine Schultern, die ich spüren kann. Wenn Einer über Allem sein Auge auf mir ruhen lässt – ich habe es nicht bemerkt.

Manchmal aber, meistens nachts, greift mir eine Angst ans Herz, ob doch eines Tages der Tag des Zorns über mich kommt, ob hinter den Kulissen dieses Lebens die Waage stehen mag, auf der ich eines Tages gewogen werde. Dann hoffe ich ein bißchen, nicht für zu leicht befunden zu werden, und fürchte das Schlimmste für mich, die sich, wenn es denn geht, fernab der Wurzeln des verworrenen Lebens auf jenen Wassern treiben lässt, die auch ein guter Vater über´m Sternenzelt trüb finden mag, um mich sodann als Lauwarme zu qualifizieren, welche bekanntlich auszuspeien sind aus seinem Munde. – Ob ein Plan waltet, eine Richtschnur, der ich nicht genügen mag mit meinem Tun und Treiben an den glatten Oberflächen der Welt, ob meine Spiele genug sind für dieses Lebens Wert vor höheren Augen, bezweifele ich dann und fürchte mich ein wenig vor dem, was dann kommen mag. Warum die Gnade des Glaubens mir nicht zuteil geworden ist, und keine festen Halteseile mich an unsichtbare Maße binden, frage ich mich dann und finde keine Antwort.

Hätte nicht, frage ich, ein gerechter Richter einen Hinweis geben müssen, oder das Gefühl der Allmacht jenes Höchsten mich ein einziges Mal erfüllen sollen, oder irgendwo aus den Tiefen der Quell sichtbar werden, der den Fluß des festen Glaubens speisen könnte, den ich bei anderen sehe, und an dessen Ufer ich nicht gelange? Woher aber nehmen die Gläubigen die Sicherheit, dass – wessen Auge auch immer – tatsächlich auf ihnen ruht? Warum sollte Der, zu dem man betet, Anteil nehmen an den sinnlosen Verrichtungen Sterblicher, erbetene Wünsche erfüllen, und die Guten am Ende vor die Schlechten setzen? Liegt nicht vielleicht vielmehr, wenn denn der Himmel nicht leer sein sollte, ein gleichgültiges Auge auf dieser Welt? – Das denke ich dann, und fürchte mich noch mehr vor der Leere und dem Ende und dem Erlöschen in Nacht und Staub und Mikroben.

Mag sein, der Himmel bleibt mir leer. Mag auch sein, irgendwann einmal, in vielen Jahren vielleicht oder auch morgen, spüre ich Seinen Anhauch im Nacken, oder es greift mir eine feste Hand ans Herz. Irgendwo auf den ziellosen Wegen meines Lebens, steht er dann und wartet. Ich werde Angst haben, vielleicht werde ich mich auch auf den Boden werfen, weil es hell sein wird, stelle ich mir so vor, und weiß nicht, ob ich mir das wünschen soll.

23 Gedanken zu „Woher, wohin – nicht Nacht, nicht Morgen

  1. Nach all deinen wunderbaren Worten zu urteilen, ist in dir weit mehr Fülle, Erkenntnis und Wahrheit als in vielen, die von sich behaupten, zu „glauben“.

    Verantworten müssen wir uns – ob wir glauben oder nicht – letzlich vor uns ganz alleine.

  2. es ist egal

    ob du dich von einem glaubenskonstrukt leiten lässt oder nicht. gebete sind oft leere phrasen, wenn sie nicht der seele und dem herzen entspringen. schon allein, dass du dir solche gedanken machst, scheint mir hinweis genug, dass du so etwas wie eine „kirche“, die dich als schäfchen vereinnahmt, nicht brauchst. in dir ist alles. alles. alles. das licht genauso wie das dunkel. die hölle und der himmel. alles und nichts. wenn es so etwas wie gott gibt, dann ist er in mir. in dir. in uns allen.

  3. Assoziation: „Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Menschen, der leben will, widersteht sie nicht. Wo war der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht, bis zu dem er nie gekommen war? Er hob die Hände und spreizte alle Finger.
    Aber an K.s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm tief ins Herz stieß und zweimal dort drehte.“ –

    Uebrigens hat es mal eine Zeit gegeben in der schwere Nachttraeume als gutes Omen, ja, als Boten des Gluecks gedacht wurden.

  4. Es gibt mehr

    in uns und um uns, als wir erahnen. Es hat etwas vor uns gegeben, es wird etwas nach uns geben, und vieles existiert , von dem wir nichts wissen . Nur manchmal, meist nachts, steigen diese Ahnungen in uns auf, machen uns unruhig und ängstlich, und lassen uns das Universum fühlen. Das ist gut, damit wir uns nicht so wichtig vorkommen, und damit wir nicht immer so sicher und satt sind.
    Es gibt mehr als wir denken.

  5. REPLY:
    Der innere Gott

    Denkbar ist aber auch immer noch, dass Gott kein Wesen außerhalb des Menschen ist, sondern ein Bewusstseinszustand, den der Mensch in tiefster meditativer Versenkung in sich selbst erreicht. Die Gnostiker haben Ähnliches geglaubt, und in meiner Jugend hing ich eine kurze Zeit einer Lehre an , die das zuspitzte zu der Vorstellung, dass jeder Mensch der Schöpfer seines Lebendigen Gottes sei, bzw. diesen aus dem eigenen Geist hervorbringt. Der Buddhismus, aber auch die Mystik, sind in ihrem Gedankengut solchen Vorstellungen näher als denen eines Gottes „von außen“. Wenn ich an etwas glauben will, würde ich solche Vorstellungen vorziehen. Auf der anderen Seite, ganz nüchtern und aufgeklärt, ist da die Psychoanalyse und der Historische Materialismus, die den Glauben des Menschen auf die kreatürliche Urangst gegenüber einer feindseligen und für beseelt gehaltenen Umwelt erklären, und Julian Jaynes geht in „Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenruch der bikameralen Psyche“ noch viel weiter. Demzufolge soll es eine Zeit gegeben haben, als die Evolution des menschlichen Gehirns noch nicht so weit war wie heute und die Menschen einer schizophrenen Person ähnlicher waren als einem heutigen Durchschnittsmenschen: Alles, was wir heute als komplexe Gedankenketten, Gewissensbisse, plötzliche Eingebungen etc. wahrnehmen, sei damals in Form akustischer Halluzinationen aufgetreten. Die Götter wären persönliche kleine Männer/Frauen im Ohr gewesen, die mit der evolutionären Entwicklung des Hirns verschwunden und zum in die Außenwelt verlagerten religiösen Mythos geworden seien; nichts Anderes beinhalte die Geschichte vom verlorenen Paradies. „Ihr werdet sein wie Gott, erkennend Gut und Böse“ – der stimmenhörende Mensch des Pyramiden- und Megalithzeitalers wäre demzufolge glücklich und unmündig gewesen.

  6. REPLY:
    Wahre Innerlichkeit

    Für mich als nicht-praktizierenden Rationalisten war der beste denkbare Ort nach dem Ableben schon immer der, an den die schönsten und interessantesten Frauen auch hinkommen – egal, wie unbequem er auch sonst sein mag. Das erleichtert die weltanschauliche und spirituelle Auswahl ungemein. (So werde ich z.B. muslimische Märtyrer nie verstehen, die mit der Aussicht auf 14 nachweislich sexuell unerfahrene junge Weibspersonen, die sie noch nicht einmal vorher gesehen haben, mit Linienmaschinen in Bürotürme bumsen. Wobei „jung“ noch gar nicht mal gesagt ist! „Eine brauchbare wird schon dabeisein“ – das halte ich für eine doch sehr gewagte Variante der Pascalschen Wette!)
    (Edit: Und was, wenn der Siebte Himmel der Märtyrer nur eine Art zweiter Heiratsmarkt ist, auf dem die ganzen welken Schrippen landen, die zu Lebzeiten keinen abgekriegt haben? Das sind metaphysische Fragen, die mich wirklich ängstigen würden! Aber Gott sei Dank Nichts zu danken bin ich ein Ungläubiger, zumindest im muslimischen Sinne…)

  7. REPLY:

    [Blödelmodus aus]
    Aber im Ernst: allein schon das buddhistische Bodhisattva-Ideal zeichnet sich durch eine Schlichtheit und Schönheit aus, die alle noch so hochgezüchteten, geschmäcklerischen Konstrukte eines „Westerners“ blaß und erbärmlich aussehen läßt. (Es gibt dabei nur dich, das brennende Haus hinter dir, aus dem du dich gerade befreit hast, und die Feueraxt, die du aufgreifst, um wieder hineinzugehen und noch andere herauszuholen.)
    Westlicher Hedonismus kann – als jene Art Primitivreligion, die er ist – nicht mithalten, wenn es um echtes menschliches Leid geht. Und ob die alltäglichen Wehwehchen, die für ihn im „glücklichsten“ Falle in Kauf genommen werden, es wert sind, bezweifle ich auch.

  8. REPLY:

    Gut, Booldog, nach dieser Logik würdest Du zumindest Modeste im Jenseits wiedertreffen. Wobei der Buddhismus mit seiner schlichten, schönen Weisheit nicht so ganz allein ist – auch der Daoismus hat seine stille, würdevolle Größe, und ich bin nicht sicher, ob nicht auch die Bahaí – Religion oder die ismaelitische Sekte des Islam ihre besonderen Vorzüge haben. Beide aus unserer Sicht so „orientalisch“ anmutenden Religionen sind aus der Perspektive Asiens allerdings bereits in der lauten Welt des Westens verortet.

  9. Schlichtheit, Schönheit – sollte außerhalb und über uns vielleicht doch jemand herrschen, dann werden ästhetische Kategorien Ihn wohl kaum beschreiben. Meine ganz persönliche Vorstellung des Überirdischen ist allerdings ohnehin nicht von Stille und Frieden, sondern eher von Donner, Blitz, brennendem Dornbusch, Schwertern und Blut geprägt. Den Buddhismus fand ich – mag sein in meiner ganzen grenzenlosen Oberflächlichkeit – schon immer besonders wenig unterhaltsam.

  10. REPLY:

    Was das Paradies bevölkert von schönen Frauen angeht, drängt sich dem gottlosen Laien allerdings natürlich die Frage auf, ob jenes Paradies dann auch den Ort der Glückseligkeit für die schönen Frauen selber darstellt. Denn vielleicht – horribile dictu – stellen sich diese Damen den Siebten Himmel ja ganz anders vor? Nach Jahrzehnten diätetischer Entbehrung eindlich einmal so richtig zuschlagen? Sahnetorte schon zum Frühstück? Und nach Jahren Belagerung durch Kohorten ebenso hartnäckiger wie unerwünschter Verehrer das Paradies als eine Art männlichkeitsbefreiten Ponyhof? Fragen über Fragen…

  11. REPLY:

    Ich habe keine Ahnung, ob die schönen Frauen sich das Paradies als einen Berg von Sahnetorten oder eine Art männlichkeitsbefreiten Ponyhof erträumen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Märtyrer in ihren Wunschvorstellungen nicht vorkommen. Die langweilen einen doch bestimmt zu Tode – und das in alle Ewigkeit.
    Für mich hört sich das eher nach Hölle an.

  12. REPLY:

    Eine pragmatische Lösung wären ja nach Geschlechtern getrennte Paradiese mit jeweils vom Herrn der himmlischen Heerscharen eigens bereitgestelltem gegengeschlechtlichem Unterhaltungspersonal.

  13. REPLY:

    Och, der Amida-Buddhismus hat aber hohe Paradies-Qualität. Als die Titanic allerdings die großen Weltreligionen im Leistungsvergleich brachte, schnitten die Ewigen Jagdgründe der Hopi am Besten ab.

  14. REPLY:

    Was die unheimlichen Seiten des Überirdischen angeht, sind außerdemingens noch altorientalische Religionen außerhalb des jüdisch-christlich-islamischen Horizonts interessant.
    *mitganzdumpferstimmeintonier* OSIRIS IST EIN SCHWARZER GOTT.

  15. REPLY:

    Wenn Ihr hier schon mit alten Kulten um Euch schmeißt: Wie wäre es denn mit
    der Religion der Phryger? Im Mittelpunkt standen Orgien, um der Fruchtbarkeits-
    und Muttergöttin zu huldigen, quasi hemmungslose Ausschweifung als
    Gottesdienst.

  16. REPLY:

    Das fehlt mir gerade noch – das hört sich ja fast so erschreckend an wie ein Jenseits voller s*xuell frustrierter Märtyrer. Gerade in jenen Regionen der letzten Dinge bin ich, glaube ich, konservativ, und werde im Fall der Fälle mein Wohl an der breiten Brust bewährter Weltreligionen suchen.

  17. REPLY:

    Da finde ich dann die pragmatische Lösung am anheimelnsten.
    Allerdings sind, glaube ich, gar keine getrennten Paradiese nötig,
    sondern nur die Anwesenheit des Unterhaltungspersonals.
    Die gängige Form des christlichen Himmels mit Harfenspielern auf
    Wolken mutet allerdings langweilig an. Ein Musik-Fanzine brachte ja
    schonmal ein Interview mit Satan, in dem dieser sagte, es gäbe weder
    Belohnung noch Bestrafung nach dem Tode, sondern in Wahrheit erfolge
    eine freie Wahl nach persönlicher Neigung, und die eher stillen und in sich
    gekehrten Seelen kämen in den Himmel, die Action-Leute hingegen in die Hölle,
    die man sich als permanentes großes Rockkonzert vorstellen könne, was ja
    auch in dem Satz: „Das geht höllisch gut ab hier!“ zum Ausdruck käme.
    Satan selbst sei auch kein böser Versucher, sondern ein Heizungsunternehmer,
    der z.B. für die Tourismusverbände Islands, Neuseelands und der Azoren Vulkane
    und Gysire betreibe.

  18. REPLY:

    Oh, da bin ich aber enttäuscht. Den Herrn Jenö Lakatos habe ich mir stets doch ein wenig interessanter gedacht, einen geleckten und geschleckten Verführer. Allerdings soll der Herr ja in den letzten Jahren doch etwas heruntergekommen sein – Krausser soll ihn ja mal getroffen haben.

  19. REPLY:
    na ja …

    Nun ja, das Bild von Kirchengliedern als von der bösen Kirche vereinnahmten
    Schäfchen ist natürlich auch eine beliebte leere Phrase, die dadurch nicht wahrer wird.

    >alles. das licht genauso wie das dunkel. die hölle und der himmel.
    >alles und nichts. wenn es so etwas wie gott gibt, dann ist er in mir. in dir. in uns allen.

    Kann sein. Kann nicht sein. Ich persönlich schätze das traditionelles Gottesbild: mit dem
    kann ich mich streiten, mich abgrenzen, identifizieren, kurz: einen Dialog ausüben.
    Er stellt mich in Frage und ich ihn.

    Apropos Amida-Buddhismus: wer sich für seine Paradies-Vorstellungen interessiert
    sei auf die Homepage meiner Wenigkeit verwiesen: http://www.littera.de/buecher/sukha.html
    Hischam

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