Liegst du da, zwölf Jahre alt, auf der großen Wiese am See, und schaust in den Himmel. Juni ist’s, der Himmel stählern blau, fast weiß, und das Licht leuchtet jeden Grashalm, jede Pore gleißend aus. Du warst baden, obwohl das Wasser noch so kalt ist, dass außer dir und deinen Freunden T. und N. niemand badet. Jetzt liegst du in deinem nassen Badeanzug auf dem großen, roten Handtuch und lässt dir vom Wind die Haut prickelnd eiskalt und trocken pusten.
Schaust du den Wolken nach. Graue Fetzen am hellen Himmel, die sich langsam auflösen, als könnten auch sie nicht widerstehen.
Was du vom Sommer erwartest? Lange Ausflüge mit dem Rad vielleicht. Übernachten bei Freundinnen im Garten. Zwei Wochen Ferienlager, zwei Wochen Urlaub in Frankreich oder Dänemark mit Familie, tägliches Schwimmen im See und Ausritte weit über Land. Noch bist du daheim.
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Schaust du wieder nach oben. Tiefblau ist der Himmel, später August, schwer und gelb wie eine vollreife Frucht hängt der Mond überm Meer. Zu dritt liegt ihr auf dem Dach einer alten Garage, 17 bist du und zum Sterben verliebt in den G., der nichts von dir wissen will. Über dir wehen kleine, feste, weiße Wölkchen über den Reetdächern von Kampen, und neben dir sitzt dein Freund J.2, starrt in das dunkle, flirrende Laub des Kirschbaums und dreht an einem Rubikwürfel herum, dessen Felder alle gleich schwarz aussehen, und hört und hört nicht auf. Er hätte gelitten unter deiner Uneindeutigkeit, wird er dir irgendwann viele Jahre später erzählen, aber in Eindeutigkeit warst du immer schon schlecht.
Was du vom kommenden Jahr erwartest? Ein paar Kurzgeschichten willst du schreiben, die mäßig sein werden, aber du bist auf sie stolz. Klare Verhältnisse willst du schaffen, endlich Schluss mit den Unsicherheiten, den Graustufen, dem Leichtsinn und den vielen Fluchten, und weisst vielleicht schon, dass daraus nichts werden wird, nicht dieses Jahr und auch kein anderes. Du bist aus Unruhe gemacht und ziehst mit den Wolken.
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Etwas ist anders am Himmel, denkst du, und legst den Kopf in den Nacken. Etwas fehlt vielleicht, etwas liegt lange unter der Erde, ihm zu Füßen ein Stein, aber du pustest dir die Spinnweben aus dem Gesicht und schreitest entschlossen voran. 42 bist du und es ist Freitag.
Die Blätter hat der Bauhof schon zusammengefegt, die ganze goldene Pracht, und die Nester hängen schwarz und leer in den Bäumen. Der Himmel scheint sich zurückgezogen zu haben, als sei er heute weiter weg als an anderen Tagen, aber das kann auch am langen Abend liegen, an der Bachmesse in H-Moll in der Philharmonie, oder besser gesagt: An den Moskau Mule danach.
Du hast aufgehört, dir klare Verhältnisse zu wünschen. Du willst nicht einmal mehr irgendwo ankommen, weil du das Ankommen viel schlechter verträgst als das Reisen. Du bist manchmal aus Feuer und oft aus heisser Luft. Du bist so gut wie alles und sein Gegenteil. Bei Nacht kannst du manchmal fliegen, du kannst aus Blut und Knochen bestehen und aus Regen und Wind, und manchmal bist du die Wolken.