Wenn ich Pfalz höre, denke ich an Helmut Kohl. An dieser Assoziation wird man irgendwann die Kinder der Siebziger erkennen, deren gesamte Kindheit in die endlose Regierungszeit des Riesen von Oggersheim fiel, und bei Deidesheim denke ich deswegen an Bilder, auf denen Helmut Kohl Staatsmänner aus dem Ausland mit Saumagen vollstopft, quasi so eine Art fettiges Initiationsritual, durch das durchmusste, wer mit den reichen, aber schlechtgelaunten Deutschen dieser Zeit Geschäfte machen wollte.
Saumagen habe ich nicht gegessen. Statt dessen waren der J. und ich mit dem unpfälzerischsten aller Pfälzer – unserem lieben Freunde R. – und seiner Frau im L. A. Jordan, das irgendwie zu dem Imperium Bassermann-Jordan gehört, deren Weinflaschen es selbst im biertrinkenden Berlin zu allgemeiner Bekanntheit gebracht haben.
Das Essen war großartig. Gang um Gang zog an mir vorbei, ich verschlang, schwelgte, schmeckte, bellte in den klaren Himmel der Pfalz alle zwanzig Minuten ein gieriges „verweile doch, du bist so schön“, und wenn das L. A. Jordan jemals eine Dependance an der Spree eröffnet, werde ich zwei Monate vor Eröffnung sabbernd mit Messer und Gabel in der Hand vor der Türschwelle kauern, um das erste verkohlte Rind mit Trüffel zu verspeisen, das die Küche verlässt.
Weil der R. und die I. ihre Tochter dabei hatten, und auch wir nicht ohne den F. verreisen, saßen an einer Ecke des Tisches die beiden Kinder in Hemd und Kleidchen. Wir hatten für beide Pommes Frites und Saibling bestellt, es gab Traubensaft und ein Eis nach dem Essen. Ab und zu verließen die Kinder den Raum, um draußen zu spielen, malten, sahen sich Bücher an, und unterhielten sich untereinander und mit uns. Es ging sehr gut, und gegen 22:30 verließen wir mit unseren gähnenden Kindern das Lokal.
Als ich so alt war wie der F. heute, durfte ich beim großelterlichen Essen am Sonntag nicht aufstehen. Und auch nicht sprechen. Oder lesen. Ich saß am unteren Ende des Tisches, übte mich in Gedankenfluchten und starrte an die Wand. Ich bin sehr froh, dass das heute nicht mehr so praktiziert wird, auch wenn ich nicht ungern zu meinen Großeltern fuhr und nicht ganz wenig, was ich über das Altertum, das Barock, Bertrand Russell oder Leibniz weiß, schweigend am Mittagstisch erfahren habe. Aber wenn ich im Netz über einen offenbar breit diskutierten Ansatz lese, Kinder nicht zu erziehen, vermute ich oft, dass so ein Abend im L. A. Jordan mit bewusst unerzogenen Kindern nicht möglich wäre, und dass dieses Modell Kindern viel Weltwissen und viele Erfahrungen der Erwachsenenwelt vorenthält, von der Gastronomie über die Oper bis zur Malerei, und dass dies den Kindern vielleicht einmal fehlen wird, wenn sie 25 sind und sich weniger sicher bewegen als andere.