Allgemein

Montag, 3. August

„Na klar!“, antworte ich, als der F. fragt, und fahre nach der Kita direkt einkaufen und nicht nach Hause. Die Nudeln gibt es morgen, statt dessen landet ein Stück Melone im Einkaufswagen, ein Kastenweißbrot, Appenzeller und Frankfurter, eine Schachtel Kekse, Waffeln, Hummus, Mochis und Karottencracker. Zwei Flasche Bier kaufe ich noch, ein bißchen Saft, und dann sitzen wir schließlich im Park. Schon wird es acht. Langsam versinkt die Sonne hinter dem Märchenbrunnen, ein Mann hebt seine Freundin auf den ausgestreckten Beinen waagerecht dem knallblauen Himmel entgegen, und zwei kleine, blonde Mädchen laufen in weißen Kapuzenhandtüchern über die Wiese.

Der F. zieht einen riesigen Stock hinter sich her und bekämpft feuerspeiende Drachen. „Ich schlaf heute hier!“, kneift er auf dem Rücken liegend die Augen zu und wälzt sich auf der sommerwarmen Erde: Nirgends schöner als hier.

 

Samstag, 1. August

Nach über zwanzig Minuten reißt die Piñata, und alle vier Kinder rennen in einen Regen aus Konfetti, Süßigkeiten, Flummis und anderen kleinen Geschenken. „Wir müssen weiter.“, verabschieden wir uns von dem dreijährigen Gastgeber und seinen Eltern, drücken Mütter, schütteln Kindern und Vätern die Hand, und sitzen schon wieder im Auto.

Zwanzig Minuten später steigen wir in Grunewald aus dem Auto. Mit einem Weißwein sitze ich auf der Terrasse, schaue den B. an, der Steaks auf seinem neuen Grill wendet, schaue den Kindern beim Versteckspielen zu und esse unfassbar leckeren Mangosalat.

„Das war ein schöner Tag.“, sagt mir der F., als er abends im Bett liegt, die Decke bis unters Kinn hochgezogen, und aus der kleinen Faust löst sich ein bisschen buntes Konfetti.

Sonntag, 26. Juli

Im Lokschuppen 2 im Technikmuseum bleibe ich stehen. Ich nehme den F. an die Hand, ich schaue in die alten Eisenbahnabteile hinein und erkläre, dass ich auf diesen stumpfroten Sitzen bis an den Ammersee gefahren bin. Ich führe den F. und die ein Jahr jüngere Freundin S. zu einer Vitrine und zeige ihnen den Autoreisezug und erkläre, was es für ein Gefühl war, damals, auf dem Weg in den Urlaub, und erinnere mich an Bienenstich und Kakao im Mitropawagen. 35 Jahre ist das her.

„Wir sind auch schon im Speisewagen gewesen.“, erinnere ich den F., und der nickt. „Da habe ich Pfannkuchen gegessen.“, weiß er noch, strahlt beim Gedanken an den Palatschinken im Budapest – Hamburg EC vor einigen Wochen, und ich stelle mir vor, wie auch der F. einmal durch einen Lokschuppen 3 oder so laufen wird, Kinder an der Hand, und ihnen den ICE zeigen wird, die Speisekarten aus dem Bordbistro und ihnen erklärt, wie das war, damals, auf dem Weg durch ein strahlendes, neues, nie gesehenes Land.

Samstag, 25. Juli

Am Samstag Abend sind wir mit der Welt zufrieden: Wir sitzen am Monbijouplatz, der J. und ich, m schwarz-glänzenden Dae Mon, und der fabelhafte Hyun Wanner bringt uns die Karten. Wir altern mit unserer Gastronomie, stellen wir fest, und dass wir denselben Leuten seit so ungefähr 2000 begegnen. Damals, im 103 an der Kastanienallee, sage ich, und dann erinnern wir uns alle beide an die großartigen Abende, die sanfte, orangefarbene Melancholie, den Duft von Lilien und Zigaretten und den schrecklichsten Weißwein Mitteleuropas. Schön war’s, sagen wir, wie die ganz alten Leute sagen, und dann bestellen wir entschlossen Rieslingsekt und so ein amerikanisches IPA und freuen uns über die schönen Gläser.

Die anderen Gäste sitzen ein Stück weit weg, und wir beobachten die Köche. Wir waren mal vor drei Jahren mit einem anderen Paar im Fischers Fritz am Gendarmenmarkt einen Abend in der Küche, da hätte ich auch schon eigentlich die ganze Zeit nur zuschauen können, wie aus Sachen in Töpfen, die eigentlich ganz normal aussehen, dieses Superessen wird, das aussieht, als sei es eigentlich nur zum Fotografieren gemacht. Schmeckt aber trotzdem toll. J.s einseitige Mandu, also so ein knusprig gebackenes, dreieckiges Nudelblatt mit Krabbenhack und Nüssen. Davon eine große Schüssel und dann ins Bett. Mein Tatar war sehr okay, aber ein bisschen zu sauer. Das liegt aber vermutlich an mir. Ich will das ganze Zeug nicht, das bei Tatar so herumliegt. Von mir aus: Fleisch. Pfeffer. Salz. Und ein bisschen Tabasco.

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Angenehm fällt mir auf, dass es kein Brot gibt. Und Reis gibt es auch nicht. Ich werde deswegen um elf zwar satt, aber nicht so ekelhaft überfüttert sein, wie damals, als im Paris Moskau das Essen dermaßen auf sich warten ließ, dass ich einen halben Laib Brot gegessen hatte, bis die Vorspeise erschien. Oder der Abend im Crackers, der insgesamt wirklich okay war, bis auf das indiskutable Essen. Da war ich froh, dass wenigstens das Brot ganz gut war. In weiser Voraussicht, oder in Kenntnis ihrer Schwächen, hatten sie da gleich eine ganze Briochesonne in den Korn gelegt. Hier: Zum Glück ganz entbehrlich.

Kohlenhydrate gibt es eigentlich nur zum Zwischengang. Ich erhalte kalte Nudeln, aus Buchweizen, wie ich der Karte entnehme, scharf gewürzt mit Kochujang, also so einer ziemlich speziellen Chilipaste, mit frischem Gemüse und einem Wachtelei, das vielleicht ein wenig zu durch ist, aber perfekt passt. Von allen Gängen ist dieser der traditionellste, der, der am ehesten nach einem koreanischen Restaurant schmeckt, von denen Berlin inzwischen voll ist, aber das Dae Mon ist etwas anderes.

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Der zweite Gang des J. ist mit „Pfifferlinge, Kräuterseitlinge, Mais“ höchst unzureichend beschrieben. Das Essen ist dermaßen aromatisch, dicht, duftend, dass ich, wäre in diesem Moment ein Abgesandter des Bundes Deutscher Veganer e. V. auf mich zugegangen wäre, versprochen hätte, allem Tierischen abzuschwören. Es war einfach köstlich. Und es sah toll aus.

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Das Black Angus mit Bulgogi Cubes hatte es da schon fast schwer, schwankte, erholte sich wieder, und siegte dann doch, bravourös, flankiert mit sehr, sehr guten Banchan in vier kleinen Tellern, und der schwarze Kabeljau war auch nicht zu verachten. Da saßen wir dann da, alle beide, schon etwas schwer atmend, und starrten in die Küche.

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Dessert, japste ich. Schweinebauch, japste der J. Oder umgekehrt, und dann bestellten wir einen prächtigen, rotlackierten Schweinebauch mit knallgrünem Gemüse, und jetzt weiß ich, was es dort, wo die Englein singen, zu essen gibt. Der Nachtisch war dann auch noch ganz okay, aber beim nächsten Besuch esse ich einfach noch ein Hauptgericht mehr. Und einen nächsten Besuch wird es geben.

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Freitag, 24. Juli

Am Freitagmorgen bin ich schon morgens um halb neun durchaus misanthrop. Ich habe den F. und mich selbst heute allein aus dem Bett gehievt, gewaschen, bekleidet, eine Brotdose mit Filinchen und Obst gefüllt und zwei Marmeladenbrote für sofort geschmiert, entrindet und in kleine Stücke geschnitten. Ich habe parallel meine E-Mails gelesen, manche auch beantwortet, und lange Gespräche mit dem F. über sein Leben als Frosch geführt. Dann habe ich den F. auf den Rücksitz meines Rades gesetzt und bin losgefahren. Jetzt stehe ich also in der Kita.

In unserer Kita ist derzeit viel los. Außer unseren Kindern sind nämlich noch Kinder einer anderen Kita da, die gerade Sommerschließzeit hat. Einige Erzieherinnen der anderen Kita sind auch da, die sitzen jetzt alle zusammen am Rande der Sandkiste und buddeln mit den Importkindern. In der Garderobe kenne ich deswegen auch nicht alle anderen Mütter. Auch die Mutter, die ausgerechnet direkt vor dem Regal mit den Kisten für die Brotdosen steht und telefoniert, habe ich noch nie gesehen.

Ich gehe an der Frau vorbei, hänge F.s Rucksack an sein Garderobenfach, höre mir weiter an, wie es sich als Frosch so lebt, bis er Freunde sieht, mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange drückt und wegläuft. „Quak, quak!“, höre ich ihn noch brüllen, dann ist er in einer wuselnden Gruppe von Kindern verschwunden. Der F. ist von ausgesprochener Geselligkeit, ich mag mir gar nicht vorstellen, wie unglücklich er wäre, wäre ich Hausfrau und hätte ihn daheim behalten.

Jetzt bleibt mir nur noch, die Brotdose zu verstauen. Da steht aber immer noch die fremde Mutter und telefoniert hörbar gereizt, offenbar beruflich. Ich habe aber auch einen Beruf, ich muss jetzt los, also stelle ich mich vor die Frau und deute freundlich lächelnd mit der Hand auf die Kisten hinter ihr.

Die Frau reagiert gar nicht. Sie spricht weiter in ihr Handy, ziemlich laut und ziemlich ungehalten offenbar, und jetzt werde auch ich ungeduldig. Ich halte die Dose hoch, deute auf das Regal hinter ihr und trete noch einen Schritt auf das Regal zu. Da nimmt die Frau das Handy kurz vom Ohr und herrscht mich an. Ich müsse jetzt kurz warten. Ich gehe wortlos auf sie zu, lange die Dose an ihr vorbei, berühre dabei fast ihre Haare und lasse sie in die Kiste fallen.

„Ich muss aufhören. Den Muttis hier geht das nicht schnell genug.“, nörgelt die Frau am Telefon, und ich schicke ein schnelles Stoßgebet zum Himmel und wünsche der fremden Frau eine Autoumsetzung, einen kompletten Datenverlust, und dass ihre Kollegen ihr heimlich in den Kaffee spucken. Mit Scharlach und Pfeifferschen Drüsenfieber. Und einen dicken Pickel soll sie auch bekommen. Dann fahre ich ins Büro.

Donnerstag, 23. Juli

Ich fahre so gern durch Berlin. Ich fahre so gern über die Spree, ich mag den Fahrtwind an den Beinen, und ich mag den Lärm der Stadt, den Staub und die Gerüche. Ich mag sogar den Kotti. Ich fahre gern den Cottbusser Damm herab und höre die anderen Radfahrer lachen und klingeln. Berlin ist im Sommer ein Fest.

Vor der Bar Txokoa wartet schon Mek, weil ich ein bisschen zu spät bin. Vor ihm steht ein Bier, auf dem Tisch liegt die Karte, und dann wird es schwierig. Es sieht alles toll aus. Wir bestellen deswegen so gut wie alles, außer Salat, und als wir aufgegessen haben, bestellen wir noch alle drei Desserts.

Zwar schmecken die getrüffelten Kartoffelkroketten nicht nach Trüffel, aber dafür einfach so gut, dass ich den in den letzten Jahren zu den Akten gelegten Plan, eine Fritteuse zu kaufen, noch einmal kurz revidiere. Gut, es wäre nicht gesund für mich und meine Familie. Aber wenn ich dann so etwas essen kann, wann immer ich will? Der Paprikadip ist dafür leider etwas lasch, und der Manchego auch nicht netter als bei der Tapasbar gegenüber.

Vom pochierten Oktopus dagegen möchte ich sofort noch einen Teller. Tapas sind ja darauf angelegt, dass es immer zu wenig gibt, das weiß man, und gewöhnt sich dann doch nie daran, dass das Konzept von Tapas so eine vorprogrammierte Mangelsituation beinhaltet. Ich will doch keine Miniaturen. Für mich ist mehr einfach mehr.

Der Oktopus ist aber auch in wenig ziemlich gut. Oktopus ist ja generell schwierig, weil der sehr, sehr schnell gummiartig hart wird. Es gibt vermutlich ein Zeitfenster von ungefähr 10 Sekunden zwischen roh und hart, aber hier haben sie das getroffen. Da liegt er also, sechs ungefähr zwei Zentimeter lange Stücke, die drei oder vier spargelartige Stangen von ähnlichem Ausmaß umgeben. Sind das die Zimtkartoffeln, frage ich mich kurz, aber dann sind sie weg. Die Baskische Sauce schmeckt im Übrigen auch ganz klasse.

Zu wenig gibt es auch vom Baskischen Entrecôte. Was daran das Baskische ist, verstehe ich nicht richtig. Es handelt sich um ein kleines, aufgeschnittenes Steak, das auf der zurückhaltend gewürzten Süßkartoffelcreme liegt, flankiert von fünf kleinen Bratpaprika. Das Fleisch ist sehr gut, auch wenn es vielleicht für mich hätte noch eine Spur blutiger sein dürfen, aber das gilt, was mich betrifft, ja für quasi jedes Fleisch. Der Einwand gilt also nicht. Auch das Hirschsteak ist gut, fast noch besser als das Rind, und das Kartoffelgratin ist mit genau der richtigen Menge Speck abgeschmeckt. Die Desserts sind alle drei mehr als ordentlich, auch wenn die Sorbets ein wenig wässerig ausfallen. Das geht dann bei mir schon aber in dem dritten Glas Wein oder so unter. Und in dem warmen Sommerabend. Und so einer perfekten Gesprächssituation, also so Stunden, in denen man nie darüber nachdenkt, welches Thema man jetzt anschneiden sollte, und was man jetzt noch sagen könnte. Ich rede also mühelos mehrere Stunden, und der Mek redet zurück, und dabei trinke ich noch mehr Wein, und der Mek noch mehr Bier, und irgendwann wechseln wir das Lokal.

Ganz am Schluss stehe ich dann wieder auf der Oberbaumbrücke. Jemand spielt „Almost Like Being in Love“ auf der Trompete, hübsche, sehr junge Menschen laufen von Kreuzberg nach Friedrichshain und umgekehrt, und als ich zwanzig Minuten später im Bett liege, duftet die ganze Welt nach Sommer und Glück.

Mittwoch, den 22. Juli

Im letzten Jahr waren wir einmal drei Tage in Annaberg, der Herr SvenK, seine fabelhafte Frau, der J., der F. und ich. Das Wetter war abscheulich, selbst Paris hätte bei diesem Wetter grässlich ausgesehen, und als es am Sonntagmorgen immer noch zum Weglaufen war, gingen wir hin und taten genau das. Wir fuhren weg. Nach Dresden. Da war es schön, und als wir Dresden verließen, verabredeten wir, wieder nach Dresden zu fahren. Zwinger. Grünes Gewölbe, Elbsandsteingebirge, schöne Stadt generell. Wir wollten im Taschenbergpalais wohnen, weil das so super aussah, und in der Karl-May-Bar geistige Getränke trinken.

Erst mal wurde daraus aber nichts. Wir hatten zu tun. Dann hatten wir ziemlich viel zu tun. Und schließlich hatten wir mal wieder ganz gut zu tun. Mit Herrn SvenK sah es auch nicht besser aus, der hatte fast noch viel mehr zu tun, und deswegen war es irgendwann Frühling. Es war sogar ganz schön im Mai, wir hätten nach Dresden fahren können, einige Male hatte ich auch schon die Homepage des Hotels aufgerufen, aber dann ging ich doch nicht auf „senden“. Keine Reservierung. Inzwischen habe ich die Idee begraben.

Vielleicht fahre ich noch einmal nach Dresden. Vielleicht streifen wir noch einmal durch den Zwinger, vielleicht laufen wir durch die Neustadt. Ich habe eine Freundin, die ein paar Jahre in Dresden gewohnt hat, die habe ich damals sehr gern besucht. Zur Zeit jedoch denke ich nicht an August den Starken. Ich denke nicht an Raffael. Nicht an das üppig-sinnliche Barock, nicht an die Großzügigkeit der Elbauen, auch nicht ans Elbsandsteingebirge und erst recht nicht die Wanderung vor Jahren mit der C. und der J. Wenn ich an Dresden denke, dann denke ich Lutz Bachmann, dann denke ich an die unsagbar dummen und selbstgerechten Leute, die bei diesen Demonstrationen gefilmt worden sind. An Leute, die Flüchtlinge, die vor dem Krieg weggelaufen sind und Schreckliches erlebt haben, überfahren wollen und anpöbeln. Zu solchen Leuten mag ich nicht fahren, und so buche ich am Mittwoch Abend wieder nicht ein Wochenende Dresden, sondern ein Haus in Dänemark, einsam an der Südküste Sjaellands. Nichts als Holz, Sand und das graue, kühle Meer.

Montag, 20. Juli

Hah!, trumpfe ich auf. Da habe ich auch was in petto. Leider nicht selbsterlebt, sondern von unserem Babysitter, der A.. Ich erlebe ja quasi nichts mehr, sondern lebe eigentlich nur noch von Anekdotenfremdbetankung. So ist das nämlich im Alter. Ich war deswegen auch schon eher Jahre als Monate nicht mehr bei Performances, weil ich mich da nie so besonders gut amüsiert habe, und seit ich nicht mehr so viel Zeit haben, natürlich die Ereignisse als erste weglasse, auf die ich eh nicht so viel Lust habe. Also Bilder ja, Skulpturen vielleicht. Performances nein.

Bei F.s Babysitter sieht das natürlich noch anders aus. Die ist nämlich Studentin, kinderlos,  und hat deswegen noch die Kapazitäten, sich bei einer Performance hinzusetzen, wie sich später herausstellt: Mitten auf die Bühne, und dann zuzuschauen, wie jemand sich in eine Zwangsjacke verpacken lässt, um sich dann auszuziehen.

Sie meinen, das klingt nicht originell? Das fand sie auch, und dass er sich dann auszog, machte die Sache auch nicht besser. Nackt, brüllend: Fehlte noch Blut. Das hing zu diesem Zeitpunkt noch in einer Blase über der Bühne, und als der Nackte die Blase schreiend aufschlitzte, ergoß sich eine ganze Menge Schweineblut auf das arme Mädchen. Das war natürlich nicht so schön. Vor ihr hampelte der Künstler herum, auch voller Blut, und außerdem trug er schwarze Kerzen auf dem Kopf, und das Wachs lief ihm über das Gesicht und verklebte ihm die Haare.

Das Blut roch total ekelhaft, und sie verschwand noch vor Ende der Performance. Hinter ihr kreischte der Künstler noch ein wenig herum. Sie wusch sich notdürftig ab, steckte alles, was sie trug, in die Waschmaschine, fluchte dabei nicht ganz wenig, und verspürte trotz eines wirklich hohen Grades an Grundgutmütigkeit doch eine Prise, also quasi einen Teelöffel, Genugtuung, als sie hörte, dass der Künstler noch in derselben Nacht ein Krankenhaus aufsuchen musste, weil ihm größere Mengen des schwarzen Wachses in die Ohren gelaufen waren. Das ist, wie man hört, nämlich für diese nicht so gut.

Sonntag, 19. Juli

Irgendwann aber hört der Regen auf, und ich sitze auf der Terrasse von M. und M., schaue über die ganze Stadt und esse Chorizo und so einen Blumenkohlsalat von Ottolenghi, der vermutlich sehr gut schmecken würde, wenn der Blumenkohl nicht etwas sehr durch wäre. Dazu trinke ich Bier.

Im Kinderzimmer lärmen alle drei Kinder und kreischen vergnügt vor sich hin, irgendwo verkriecht sich die Sonne müde hinter Charlottenburg, und während in Kreuzberg, in Friedrichshain oder Neukölln immer noch getanzt wird, packe ich meine Sachen zusammen und fahre heim. Ich bin so müde.

Samstag, 18. Juli

Um 19:30 kommt Babysitter A. Um 19:40 laufen wir los. Um 19:45 sind wir auf der Ecke Hufelandstraße/Greifswalder Allee, und dem J. fällt ein, dass er diesen Schinken von Piketty doch kaufen will. Wir also da rein, 19:55 wieder raus. Punkt 20:00 fährt die M 4 uns vor der Nase weg. Da stehen wir dann also, Haltestelle Hufelandstraße, und funkeln uns böse an. Du bist schuld, schnaube ich. Ne, du, sagt der J. Dann schreibe ich eine schnelle Nachricht an die I., dass wir nicht wie verabredet um 20.00 Uhr eintreffen, aber das hat die I. sich vermutlich schon gedacht.

20:10 verlassen wir die Bahn und laufen zu meinem Büro. Da habe ich einen Parkplatz im Keller, und auf dem Parkplatz steht das Auto. Um zum Parkplatz zu kommen, muss man allerdings durchs Treppenhaus, und durchs Treppenhaus kommt man nur mit Schlüssel. Ich habe aber keinen Schlüssel. Der liegt nämlich daheim neben dem Herd. Aus der einen Handtasche geholt, um ihn in die andere Tasche zu räumen, aber dann unterbrochen worden durch den F., der unbedingt Popcorn essen wollte. Wir also wieder zurück. Es ist 20:30.

Um 20:35 reicht es mir. Vorm International besteigen wir ein Taxi. Mein Gemütszustand unterscheidet sich nur noch unwesentlich von dem des Hauptprotagonisten in „Fallen Down“, als er im Stau nicht weiterkommt, und als der Taxifahrer – es ist 20:45 – mehrmals fragt, wo er langfahren soll, beiße ich ihn verbal kräftig in den Hals. Dann ist er stumm und fährt uns erst zum Schlüssel und dann wieder zurück. Um 21.05 Uhr sitzen wir im Auto.

Unsere Freunde wohnen in Grunewald, wo wir sonst niemanden kennen, und auch unser Navi kennt Grunewald irgendwie nicht. Deswegen werfen wir zwar das Naiv an, aber fragen parallel mein iPhone. Ich traue Apple nämlich mehr als BMW. Da fahren wir also, Leipziger runter, Potsdamer Straße, Kleistpark, und dann irgendwie Erdender Straße, Trabender Straße, noch einmal um die Ecke. Dann sind wir da. 21.30 Uhr. Wir steigen aus. 90 Minuten zu spät. Mögen die Spiele beginnen.