Ich glaube, sie war eine Cousine. Sie war eine Cousine meines Großvaters, sie war das einzige, späte Kind eines Notars und seiner Frau, die lange seine Köchin gewesen war, bis er sie dann kurz vor der Geburt der Tochter geheiratet hatte. Wenn ich nachrechne, war das 1915.
Irgendetwas war mit ihr. Sie „konnte nicht gut sprechen“, wobei ich nicht weiß, ob das in einer Familie, in der alle durcheinander und sehr, sehr viel sprechen, einfach eine stille, nicht besonders wortgewandte Person bezeichnet. Oder ob sie behindert war. Wie auch immer: Sie besuchte eine Mädchenschule und ging mit 15 ab. Mein Großvater erzählte einmal beiläufig, eine Lehrerin – das waren damals Nonnen – hätte sie beschimpft und geschlagen, so dass sie sich vor Beginn des Schuljahrs einmal im Keller versteckte, eingeschlossen wurde, und erst die Polizei fand sie, die wohl wusste, wo man Kinder wiederfand, die weggelaufen waren.
Sie heiratete nie. Sie führte ein paar Jahre zwei ihrer Cousinen den Haushalt, die eine Buchhandlung führten, und dann bekam sie einen Herzinfarkt, mit knapp über 40, lag noch zwei Jahre im Bett, und starb. Ich weiß nichts über sie: Ein weißes, leeres Gesicht mit straff nach hinten gekämmten Haaren und ein bisschen hängenden Wangen.
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Das Entsetzen, das den K. befiel, als er feststellte, dass der kleine K. aus seinem Fotoalbum ein anderer K. war. Weil der kleine K., der nicht er gewesen sein konnte, auf dem Schoß seiner Mutter auf der Taufe eines Vetters saß, der tatsächlich zwei Jahre älter war.
Der erste K. war, das bekam der K. aber erst nach vielen, vielen Jahren heraus, ein paar Wochen nach dieser Taufe an Keuchhusten gestorben. Das muss 1952 gewesen sein. Lange dachte der K., er wäre nach dem Tod des ersten K. gezeugt und dann kurzerhand auch K. genannt worden, damit der Schmerz nachließe und alles würde, wie zuvor. Erst nach dem Tod seiner Mutter bekam er heraus, dass er tatsächlich das Kind einer entfernten Verwandten war, und die Eltern ihn kurzerhand adoptierten, was dann sowohl die leibliche als auch die verwaiste Mutter sehr glücklich machte, und den K. lebenslang mit der Frage zurückließ, ob er eigentlich ein ganz richtiger K. ist oder nur eine Art stabiler Schatten eines kleinen, blonden Jungen, den seine Mutter innig umarmt.
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Dass auf ungezählten Bildern im Fotoalbum der Großeltern des T. in den Vierzigern und Fünfzigern eine junge, dann etwas ältere Frau abgebildet ist, mittelgroß, schlank, lange, dunkle Haare, die keiner kennt und über die keiner etwas weiß, und ca. 1952 ist sie auf einmal weg.