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Die Sintflut in München

Wenn die Froschperspektive von Zeitgenossen illustriert werden soll, werden immer gern Tagebucheinträge aufgeführt, in denen am Tage eines Kriegsausbruchs oder so von Kino oder Verdauungsbeschwerden die Rede ist. Die Zeitgenossen stehen dann immer so etwas tölpelhaft dar.

Ein bißchen hemmt so etwas natürlich, wenn der Kapitalismus, wie es scheint, nicht nur an den Rändern ein wenig bröselt, und man selbst statt an die Finanzkrise am ehesten ans miese Wetter denkt. Man will ja nicht allzu dumm dastehen. Allerdings ist es schon eher schwer, nicht an den Regen zu denken, wenn man in viel zu leichten Schuhen klatschnass durch München irrt, weil man sich irgendwie im Umgang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verfranzt hat.

Noch vor wenigen Jahren hätten der J. und ich uns in solchen Momenten gestritten und möglicherweise zumindest bis zum Zielort getrennt. In Tunis beispielsweise. Auf dem Weg von Amsterdam an die Mosel. In Paris. Oder auch schlicht in den Parkhäusern an der Uni, in der der J. sich meistens nicht mehr erinnern konnte, wo sein Auto steht. Weil keiner von uns auch nur annähernd Karten lesen kann oder ein natürliches Orientierungsgefühl mitbringt, sind wir dann meistens eher länger unterwegs. Inzwischen tragen wir solche Momente aber mit Fassung und Demut. Es nützt ja nichts.

Diesmal laufen wir zum Auftakt erst zweimal um den Bahnhof. Irgendwie passt die Richtung nicht, dann wollen wir – es regnet mehr – doch lieber Bahn fahren, schließlich besteigen wir die Bahn und dann kommt eine Durchsage, die Bahn fahre heute nicht dahin, wo wir wollen. Wir steigen also aus und in eine Tram.

Diese allerdings scheint nicht so optimal zu sein, wie es anfangs aussah. Es ist nicht die 18, sondern die 27 oder umgekehrt, aber weil die Richtung stimmt, bleiben wir sitzen. Man kann das Museum ja auch schon sehen, trösten wir uns. Außerdem bin ich ohnehin schon völlig durchnässt. In meinen Ballerinas steht einen Zentimeter hoch das Wasser.

Der Regenschirm reicht ungefähr für meinen Kopf. Es gießt, als beginne heute die Sintflut. Käme eine Arche vorbei, ich fände das ganz logisch, aber natürlich kommt keiner, sondern irgendwann kommen wir beim Museum an. Inzwischen bin ich ungefähr so nass, als sei ich voll bekleidet in ein Schwimmbad gestiegen.

Ins Museum kommen wir auch nicht. Anscheinend will die ganze Stadt das Museum bevölkern. Statt ins Museum gehen wir also erst ins Museumscafé, dann schleppen wir uns eine Ecke weiter zum Essen, und als es irgendwann aufhört zu regnen, brechen wir auf. Es ist trüb, kein Vergleich mit Samstag, aber immerhin reicht es für einen langen Spaziergang zum Bahnhof zurück.

In den Schaufenstern der Maximilianstraße prangen die Taschen und Kleider, als gebe es keine Krise. Der J. und ich zeigen uns, was wir hübsch finden und machen uns ein bißchen lustig über Leute, die sehr hässliche Sachen kaufen und tragen. Wenn es abwärts geht mit der Welt, dann liegt es jedenfalls nicht an Kaufverweigerung durch den geschätzten Gefährten und mich, denke ich und wäge ab, was gegen eine grüne Echsentasche spricht. Irgendwo weit weg von hier knarrt und raschelt es im Gebälk. Irgendwo werden viele Leute telephonieren, wie nun umzugehen sein wird mit der Lage, in der jede Woche ein paar Ziegel vom Dach zu fallen scheinen, und ab und zu kracht ein morscher Balken einfach ein. Hier aber laufen wir durch die Innenstadt, kalt und nass kleben meine Schuhe an den Füßen, und als ich irgendwann im Flugzeug nach Hause sitze, fühlt die Welt sich an wie immer, auch wenn das vielleicht gar nicht mehr stimmt.

Madame macht das Beste draus

Schön, denke ich. So ganz und gar der Trägheit nachzugeben. Den schon bestellten Tisch wieder abzusagen, das Kinoprogramm erst gar nicht nachzuschauen. In keine Bar, zu keinem Konzert. Statt dessen zu Hause auf dem Sofa zu liegen, die Beine angewinkelt. Gegen die Scheiben trommelt der Regen, als wolle auch er herein. Die Geliebte des französischen Leutnants zu lesen, einen weißen Tee zu trinken und das Kuchenbacken auf später zu verschieben. Der W. kommt doch erst morgen.

Leise Musik. Ein wenig zu frösteln, das Plaid hochzuziehen bis unters Kinn. Ich habe die dicken Socken an, die meine Großmutter gestrickt hat vor fast schon zehn Jahren. Der Tee dampft. Die linke Hand auf dem Köpfchen der Katze, im Schlafzimmer hustet der ziemlich erkältete J.

Schon ganz okay, denke ich mir, gähne ein bißchen vor mich hin und verbiete mir, an den Sommer auch nur zu denken.

Bis es knackt

Man will ja nicht immer jammern. Aber dann jammert man doch: Mit meinem Knie ist inzwischen wieder alles okay, denke ich jedenfalls. Das Malheur mit meinem Auge und meiner Kontaktlinse haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, ja gar nicht mitbekommen. Nun allerdings fühlen sich meine Hüftgelenke irgendwie merkwürdig an, verbogen nachgerade, und wenn ich die Beine einmal unvorsichtig nach vorn oder hinten biege, dann tut es weh.

Ärzte werde ich nicht konsultieren. Morgen lasse ich mich massieren, da werde ich diese Kalamität auch einmal ansprechen. Ansonsten fühlt es sich so an, als würde alles besser, wenn jemand einmal kräftig an meinem Bein ziehen würde. Ich denke, dass es dann kräftig knackt, mir bricht der Schweiß aus, für einen Moment wird mir irgendwie anders, und dann ist es wieder gut.

Nun allerdings ist gerade keiner da. Der J. weilt in Nordrhein-Westfalen. Meine Freunde kann ich nicht abends um zehn mit der Bitte herausklingeln, mich an den Beinen zu ziehen. Meine Nachbarn kenne ich nicht, und so sitze ich hier und male mir Maschinen aus, kompakte, stahlblitzende Maschinen, die batteriebetrieben einen an den Füßen ziehen bis es knackt, aber solche Maschinen hat man ja nie, wenn man sie braucht.

Vorerst werde ich morgen die Dame fragen, die mich massiert.

Dr. Google und mein Knie

Wer im Internet Aufklärung über gesundheitliche Wehwehchen sucht, hat es nicht besser verdient. Auf der anderen Seite: Ich warte sehr, sehr ungern irgendwo, am wenigsten gern warte ich im Wartezimmer von Ärzten darauf, endlich dranzukommen, dabei bin ich sogar privat versichert, aber warte trotzdem immerhin so lange, dass es mich abschreckt, einen Arzt aufzusuchen, solange es irgendwie geht.

Langsam allerdings habe ich daran so meine Zweifel. Letzte Woche war schon doof. Ich war müde, ich war irgendwie so ein bißchen Hackfleisch, ein wenig benommen, halt so, und dann wache ich auf und mein rechtes Knie schmerzt. Schmerzt richtig. Schmerzt so, dass Fahrradfahren weh tut, aber immerhin besser ist als Herumlaufen, denn das tut richtig weh. Also so richtig.

Abends bin ich ziemlich durch. Am nächsten Morgen geht es, abends ist es dann wieder irgendwie blöd, und dann kommt das Wochenende. Hochlegen, denke ich. Schonen. Aber dann stehe ich doch einen Abend lang auf einer Gartenparty herum, mein Knie prickelt inzwischen, und irgendwie schmerzen nun auch meine Leiste und mein Knöchel. Zu Hause klappe ich den Rechner auf und gebe alle Symptome bei Google ein. Die Antwort ist so nicht brauchbar und ganz schön diffus.

Sonntag geht es dann so halbwegs. Morgen ist nun Montag, Ärzte öffnen, ich könnte in der Mittagspause einen Orthopäden aufsuchen, aber dann gibt es nichts zu essen, ich gehe doch so ungern zum Arzt, und so sitze ich hier nun, gebe alle Symptome bei Google ein und frage das Netz: Geht das nicht von allein auch wieder weg?

Die Antworten sind allerdings nicht sehr ermutigend und nicht einmal sehr klar.

berlin.amour

Ach, Berlin, denke ich. Du großartige Schlampe. Du fettes Weib mit den verwischten Tatoos und den Krampfadern am Hintern. Dir zuzuhören, wenn du in der U-Bahn deine Feinde beschimpfst, wenn du nachts einmal quer von den Klos bis zur Theke das nächste Bier für dich und deinen Süßen bestellst, und wenn du – elfenhaft und verjüngt und verschönt – morgens um vier an der Oberbaumbrücke der Sonne beim Aufstehen zuschaust und seufzt.

Aber seien wir ehrlich: Im Winter hassen dich irgendwann selbst deine Freunde. Deine Unfähigkeit, einmal nur den Winterdienst zu wuppen wie eine ganz normale Stadt. Der Dreck und die Dunkelheit. Die Distanzen, die auf einmal unüberwindlich werden, weil für ein Auto kein Platz ist in deinen Straßen, die Radwege buckelig vereist sind und die BVG voller Wahnsinniger, die schlecht riechen und mit sich selbst und anderen bedrohlich klingende Gespräche führen.

Sowas wie Frühling und Herbst gibt es bei dir nicht. Du bist ja nicht so für Schnickschnack, und Zwischentöne findest du doof. Überhaupt bist du immer ganz für oder gegen irgendwas und überlegst es dir immer so schnell anders, dass man keine Gelegenheit hat, sich auch nur eine Minute zu langweilen. Du bist brutal und cool und manche haben Angst vor dir, weil man nie weiß, was du in drei Monaten sagst oder tust.

Ganz du selbst bist im Sommer. Im Sommer riechst du nach Hundedreck und klebrigem Asphalt und bist trotzdem unwiderstehlich. Ich liebe es, wenn du in Mitte auf dem Kantstein sitzt, die Füße auf der Torstraße, und es ist morgens um halb vier und du trinkst Wodka und kannst kaum mehr sprechen und lallst mir etwas vor über das absolute Kunstwerk, das so perfekt ist, dass man es nicht sehen kann, denn sonst würde man blind. Du bist abstoßend und größenwahnsinnig und siehst fabelhaft dabei aus.

In deinen Parks gibt es schon im Juli mehr gelbes Unkraut als Rasen, aber du hast Spaß mit einem Federballspiel vom Flohmarkt und grillst mit allen deinen Freunden so lange Würste und Lämmer schwarz, dass ihr alle noch bis zum Herbst an Krebs sterben würdet, wenn die Leute recht hätten, die predigen, dass alles schlecht ist, was Spaß macht. Diese Leute haben es ohnehin nicht leicht mit dir: Du rauchst immer noch, weil du findest, dass das gut aussieht, du isst den größten Dreck und trinkst aus Prinzip. Überall in Deutschland ist Rauchen heute ziemlich verboten. Nur bei dir gilt das Rauchverbot ausschließlich in öffentlichen Gebäuden und Mutter-und-Kind-Cafés.

Überhaupt: Deine Kinder. In den Innenstadtbezirken hast du mindestens eins und nimmst es überallhin mit. Ich habe gelesen, du hättest gar nicht mehr Nachwuchs als woanders, aber du versteckst dich nicht in Vororten, sondern setzt dich mitten in die Stadt. Da sitzt du dann, trinkst Rhabarberschorle, isst eine Waffel und plauderst mit einer Freundin. Man sagt dir nach, du seist schrecklich anstrengend in deiner Rolle als Übermutter, aber ich weiß: Gegenüber den Vorortmamas mit dem Van bist du die lockerste Frau der Welt und deine Männer sind auch mit 40 noch ziemlich lustig.

Wenn du alt bist, wohnst du irgendwo im Westen. Ich kenne dich nicht, aber ich sehe dich manchmal, wenn ich in Charlottenburg bin. Im KaDeWe trinkst du Champagner mit deinen steinalten Freundinnen. Manchmal höre ich euer schrilles Lachen und hoffe, dass ich auch noch was zu lachen habe, wenn ich achtzig bin. Abends sieht man dich manchmal in der Deutschen Oper, dann führst du deinen Pelz und deinen Schmuck aus aus der Zeit, als du noch Frontstadt des Westens warst und für die Freiheit in Dahlem Sahnetorte essen musstest.

Tot aber, meine Liebe: Tot bist du nie. Du stehst erst mittags auf, wenn das geht, aber liegen bleiben wirst du nicht. Du hast dich immer aufgerappelt. Du bist nicht sentimental und hältst ganz gut was aus, wenn du musst. Wenn nicht, haust du schrecklich gern auf die Pauke. Du bist keine Dame, Berlin, aber du machst was her.

Soviel Spaß hatten wir zwei die letzten zehn Jahre. Cheers, Berlin. Auf all die Jahre, die noch kommen.

Ob da nichts fehlt

Ach, denke ich auf dem Rad zurück ins Büro. Ist denn niemand mehr verliebt? Leben fast alle Menschen, die ich kenne, längst zu zweit in ihren Wohnungen, sitzen abends mit einem Glas Wein auf dem Sofa und betrachten ihren langjährigen Partner wohlgefällig als eine hochgeschätzte Selbstverständlichkeit, die man ungefähr so gut kennt wie seinen Unterarm? Ist das aufregendste Ereignis im Leben aller meiner Freunde das Warten auf eine Schwangerschaft, auf den Tag, an dem das Kind sitzt, spricht oder sich aufrichtet oder die Suche nach dem absoluten Haus?

Haben denn Kinder und Häuser den Nerv komplett ausgebrannt, der früher anfing zu zucken, wenn man einen Abend mit jemand ausgegangen ist, der einem schön und spannend und wild und klug erschien? Denkt eigentlich niemand mehr außer mir, wenn er tolle Leute trifft, ob er die auch hätte haben können und wie die wohl so ohne alles aussehen und ob es schön wäre, mit denen, oder irgendwie anders als das, was man hat.

Ob den anderen denn nichts fehlt, überlege ich mir und trete in die Pedale. Heiß ist es heute, so heiß wie früher, als der Sommer noch nach Abenteuern roch, nach Asphalt und blühenden Bäumen und Hundehaufen und Bier und Parfum. Heute abend aber wird in meiner Welt trotz Sommer nichts mehr passieren, denn die Sommer für mich, so scheint’s, sind vorbei, und was mir bleibt, ist vielleicht nur ein kühler Herbst mit fallendem Laub und ruhigen, klugen, abgeklärten Gesprächen weit abseits von Lachen, von Flieder, von Sommernächten und Rauch.

Nachtgesänge

Im Erwachen heute morgen um acht verklingt die Musik. Ich löse mich auf in meinem schwarzen Kleid, die runde Bühne wird weich, der Raum zerfließt, und aus meinem Mund kommen keine weiteren Töne. Das Publikum scheint längst gegangen zu sein. Vielleicht ist es auch zerfallen. Wer weiß das genau.

Auf dem Weg ins Bad lächele ich über mich selber. Ich kann nämlich nicht singen. Nicht einmal für den Schulchor hat es gereicht, nicht einmal zum häuslichen Singen mit Gitarre und Freunden, damals, als man das noch so machte. Ich bin streng unmusikalisch, so wie manche Leute farbenblind sind, und dass ich immer die Texte kann, hilft mir nicht im Geringsten. Wenn ich singe, bröckelt Mörtel, Karzinome wachsen und es donnert, damit ich aufhöre mit dem Krach.

Bei Nacht, im Traum aber singe ich immer wieder, stehe nachts auf einer Bühne, ich singe mal Arien, schön angezogen und mit prächtigen Tenören. Ich stehe an einem Standmikro, so ein großes aus den Dreißigern, und singe von Männern, von der Liebe und vom Suff. Manchmal singe ich Schubert, den ich so liebe, dass man ihn spielen soll, wenn ich sterbe.

Ich würde gern singen. Ich kann nicht singen. Mir bleibt nur die Nacht.

Latein

„Kein Wunder bei 30° C.“, kommentiert der J. meinen Bericht und drapiert ein Stück Zahnpasta auf seiner Bürste. Wahrscheinlich hat er recht. Es ist eindeutig zu heiß hier für ordentliche Träume, aber wenn die Klimaanlage läuft, ist es zum Schlafen zu laut.

So schlimm ist es ja auch nicht, wenn die Blogpolizei (oder eine andere Stelle der öffentlichen Verwaltung) mich verpflichtet, drei Wochen lang ausschließich auf Latein zu posten. Ich schreibe dermaßen wenig, da fallen drei Wochen Blogpause schließlich kaum auf. Notfalls – aber wirklich nur notfalls – würde es vielleicht sogar reichen für ganz, ganz kurze Postings in schönstem Küchenlatein, aber selbst dazu wäre es gar nicht gekommen, denn ich habe Widerspruch eingelegt gegen diese Maßnahme der Blogpolizei, zur Niederschrift bin ich im Amtsgebäude erschienen, das halt so roch, wie Amtsgebäude eben so riechen, und habe einem gelangweilten Beamten im Pullunder meinen Widerspruch diktiert.

Vermutlich auch wegen der Hitze hier hat sich der Traum dann in sonderbaren und ein wenig bruchstückhaften Verästelungen verloren. Ich weiß noch, dass der Widerspruch zurückgewiesen wurde, aber ob ich Klage eingelegt habe, dass ist mir nicht mehr bewusst, werde dem aber nachgehen, wenn ich erneut Gelegenheit haben werde, möglicherweise gleich heute nacht.

Mit einem Zug nach Westen

Auf einmal, nach Jahren, der Wunsch, Berlin zu verlassen. Auf keinen Fall aber: Irgendwo anders zu sein. Sich so schnell zu bewegen, dass einen keiner mehr sieht. Nichts als ein farbig pulsierendes Schwingen; ein hoher, sirrender Ton. Zwischen Wüste und Meer in einem engen Abteil, verschwitzt, inmitten stumpf brütender Fremder. Nicht gefragt zu werden und keinen zu fragen, wer wüsste auch, was. Nur das Rütteln von schadhaften Schienen, Staub und das Flackern von schmutzigem Licht.

Zwei Stunden vorm Ende der Welt dann am Wasser zu rasten. Grau muss es sein am Strand, und die Erde leicht wehend wie etwas, was keinen mehr trägt. Sich anzuvertrauen schließlich dann doch dem bleiernen, brackigen Wasser und immer weiter zu schwimmen bis es hell wird, gleißend, ach: großartig, glühend und unendlich still.

Romantik als Symptom

An sich bin ich ziemlich patent. Ich laufe herum, ich belle in Telephonhörer, ich kann in 15 Minuten vier Paar Schuhe, ein Kleid und zwei Oberteile aussuchen, bezahlen und das Geschäft wieder verlassen. Ich kann einen Empfang für zehn oder hundert Leute organisieren, ich kann Papiere schreiben, die andere Leute ernst nehmen oder zumindest so tun, und an guten Tagen kann ich viel größere Tiere als mich dazu bringen, durch brennende Reifen zu springen. Ich habe das Windmachen gelernt. Ich bin ziemlich effizient und ein klein wenig nüchtern.

Anders sieht es nur aus, wenn ich krank bin. Wenn ich zum Beispiel am Montag morgen in einem Taxi sitze, ich fahre durch Berlin, und dann schießt auf einmal eine fremde Frau zwischen zwei parkenden Autos hervor, das Taxi bremst, meine Handtasche fliegt durch den Innenraum, und mein Kopf einmal heftig nach hinten und nach vorn, dann hat es sich mit mir und meiner handfesten Normalperson. Zumindest, wenn ich am nächsten Morgen ernsthafte Sorgen habe, mein Kopf bricht demnächst mal ab, lege ich mich erst für zehn Stunden zum Schlafen ins Bett (zumindest nachdem mir ein Arzt gesagt hat, es sei nichts kaputt), und dann verfalle ich in meinen „Krankes-Mädchen-Modus“.

Auf meinen Füßen liegt dann meine Katze. Ich dämmere erst ein paar Stunden so vor mich hin, bemitleide mich, schwanke alle paar Stunden ins Bad, und irgendwann versuche ich etwas zu essen. Wenn es mir nicht gut geht, esse ich nur weiche, breiige Speisen, selbst wenn ich gar nichts am Magen habe. Grieß ist gut. Milchreis noch besser. Auch so eine Pampe aus Weißbrot, heißer Milch und Zucker ist nicht übel. Dazu gibt es süßen Tee mit Milch und Kandis.

Auch literarisch – wenn es denn wieder geht – soll es weich und breiig sein. Jetzt Thomas Bernhard ginge gar nicht. Überhaupt, Lesen ist es gerade nicht so. Vielleicht ein Film. Null Tote, keine Gemetzel, Hitler darf auf keinen Fall vorkommen. Ein Merchant/Ivory Film, so etwas. Jenseits von Afrika. Sex and the City, und dann Szenen, die ich besonders romantisch finde, zweimal schauen. Ich will niemals heiraten, weil ich die Ehe aus grundsätzlichen Erwägungen ablehne, aber ich habe heute zweimal Miranda in Staffel 6 dabei zugesehen, wie sie Steve einen Heiratsantrag macht. Wäre ich nicht so müde, ich würde Pride and Prejudice einwerfen und Colin Firth bewundern.

Sobald es mir schlecht geht, platzt meine Alltagsperson von mir ab und ich überlege, wieso für mich eigentlich nie einer singt. Gut, ich würde möglicherweise lachen – aber woher will die Welt das wissen, wenn es keiner versucht? Wieso wäscht mir eigentlich niemand die Haare? Nur weil nicht einmal ich selbst in der Lage bin, mir vernünftig die Haare zu waschen, ohne dass es richtig wehtut? Wie würde ich – nur so rein theoretisch – eigentlich in einem Brautkleid aussehen?

Einige Stunden später geht es dann wieder. Die Brautkleid-Idee habe ich verworfen, weil Brautkleider ohne Eheschließung keine sehr sinnvollen Investitionen darstellen. Langsam fange ich an, die Bildschirmküsse zu zählen und kritisch zu bewerten. Zwei vollbefriedigend. Einmal ausreichend. Durchgefallen.

Etwas Scharfes zum Essen wäre es jetzt auch ganz gut, nach dem ganzen süßen Brei. Vorsichtig, schließlich schmerzt mein Nacken nach wie vor, schaue ich in den Kühlschrank und nehme mir ein Stück Käse. Dann lese ich nach, was man mir auf meinen Blackberry schickt. Bei Mails, die mir besonders wenig gefallen, fletsche ich ein bißchen die Zähne.

„Geht schon wieder ganz gut.“, maile ich und versuche, den Kopf nicht zu drehen. Morgen geht es wieder los, sage ich zur Katze. Übel ist mir nicht mehr. Schwindelig wird mir nur noch, wenn ich aufstehe, und auch die anderen Symptome sind vorbei. Vorbei.