Morgens scheint die Sonne. Der Prenzlberg ist sonnig und hell, und mit der neuen, silberglänzenden Tasche in der Hand spaziere ich ganz, ganz vorsichtig über den Kollwitzplatz. Der Schnee von Wochen hat sich festgetreten zu einer ungleichmäßigen, gesplitterten, buckeligen Eisschicht. Ab und zu gleite ich ein Stück zur Seite, und dann bekomme ich einen Schreck. Gleich, gleich werde ich fallen. Dann falle ich doch nicht.
Weil Berlin im Winter noch etwas unwirtlicher ist als alle anderen Städte schauen die Berliner im Winter alle ziemlich verdrossen in die Gegend, als habe die ganze Stadt ein halbes Jahr schlechte Laune. Würde man einen Passanten nach der Uhrzeit fragen, würde man wohl angebellt, seh‘ ich aus wie die Zeitansage?, und würde man anlasslos fremde Leute anlächeln, sperrten die Berliner einen wohl ein. Sogar an einem hellen Wintertag wie diesem scheinen die Leute auf der Straße die Zähne zu fletschen und nach ihren Kindern zu rufen, als sei Friedrich oder Marie ein tiefschwarzes, böses und höllisches Schimpfwort.
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Angekommen wird alles wieder gut. Es gibt Kaffee und Semmeln, Käse, Obst und Quiche Lorraine, es gibt Gelächter und Freunde, und ich sitze vier Stunden lang oder so auf dem Sofa und lasse mir etwas erzählen, lache, erzähle selbst, vergesse das Erzählte auf der Stelle und esse zwischendurch ein Stück Ananas, ein wenig Käse, eine schmale Scheibe Zwiebelkuchen, Schokoküsse und noch viel mehr und fühle mich wohl.
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Gegen fünf dann fange ich an zu kochen. Ich habe Gemüse abonniert, das kommt in einer grünen Kiste freitags zu mir, und wenn es da ist, dann muss ich es essen. Das meiste Gemüse ist wohlbekannt und mir durchaus geläufig. Niemals aber kaufte ich in einem ganz gewöhnlichen Geschäft etwa eine derbe, violett schimmernde Steckrübe, noch nie habe ich Pastinaken erworben, und wie es scheint, war letztgenannte Abstinenz auch genau richtig. Die Steckrübe zwar war einwandfrei und wohlschmeckend, zunächst in Honig und Butter karamellisiert und dann in Orangensaft geschmort mit Ingwer und Rosmarinnadeln. Die Pastinaken aber, ein weißes, leicht verkrümmtes Wurzelgemüse, hätten mich um ein Haar umgebracht: Ich rühre also in den grob geraspelten Pastinaken herum, gieße eine Vinaigrette mit viel Honig und Apfelessig über den Salat, und dann schmecke ich ab. Es schmeckt gut.
Im selben Moment schlägt die Pastinake mir mit der geballten Faust zwischen die Augen. Die Welt wird etwas glasig, leicht verzerrt, mein Mund beginnt zu prickeln, meine Unterlippe wird dick, und die Schleimhäute fangen an, trocken und zum Zerreißen gespannt zu vibrieren. Der J. soll sich um die Katzen kümmern und bekommt meine Bücher, schießt es mir durch den Kopf. Auf jeden Fall Feuerbestattung. Ich schwanke also durch die Küche, setze mich auf einen Stuhl, und dann stehe ich wieder auf und torkele ins Bad. Ich habe immer Cetirizin, denn ich bin nicht lebensfähig ohne diese Substanz. Zwanzig Minuten später ist dann auch alles wieder gut.
Am Ende essen alle die Pastinaken außer mir. Zur Steckrübe gibt es nach Foie Gras auf Blattsalaten Rosmarinkartoffeln und Kalb und einen leichten, sehr kühlen, fast sommerlichen Riesling. Ich habe Törtchen gekauft in der fabelhaften Werkstatt der Süße, die C. erzählt von ihrem neuen Job und der neuen Wohnung, und ich taste mit der Zunge die nun wieder abgeschwollene Stelle am Gaumen ab, die eine Nuance empfindlicher bleibt als an allen anderen Tagen.
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Sonderbare, schwer bestimmbare Träume von Rolltreppen und großen, schweißnass schlafenden Tieren.