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Wohin in Zingst

Noch zwei, drei Maschinen Wäsche, Socken zählen, die man hoffentlich nicht braucht. Wo ist eigentlich der Nivea-Ball? Und nehmen wir Eimer und Schaufel mit oder kaufen wir die da? Aufräumen müssen wir auch noch, denn des J. Eltern kommen zum Katzenhüten, und sollen nicht in Versuchung geführt werden, hier selbst einmal so richtig Ordnung zu schaffen.

Ein zufriedener Blick aufs Wetter an der Ostsee. Ein unzufriedener auf die Waage. Einen Bikini ziehe ich jedenfalls nicht an. Sonnencreme haben wir noch. Badeschuhe kaufe ich neu.

Den Weg nach Zingst hat der J. schon ausgedruckt. Das Zimmer ist reserviert. Aber was man da noch so machen kann, außer am Strand zu liegen, und wo man gut isst, das weiß ich nicht. Ich hege die schlimmsten Befürchtungen bezüglich der ostdeutschen Ostseeküste. Insofern: Tipps aller Art sind willkommen.

Himmelblau

Dann aber stehen wir, Samstag mittag um zwei, am Rande einer Weide irgendwo im Nichts, und mein Vater und mein Sohn zeigen sich gegenseitig die Gänse und die Kühe. „Uaaaah!“, machten die Kühe, behauptet der F., und mein Vater lacht. Meine Mutter macht ein Photo nach dem anderen, ich blinzele in die Sonne, und irgendwo hinter den Traktoren, hinter den Weizenfeldern und dem rankenden Hopfen hängen Kirschen schwer in den Bäumen, Aprikosen reifen hinterm Gartenzaun, und die Tage fließen ohne Fehl an mir vorbei, als wäre das Leben schön und die Unendlichkeit lächelte mir zu am Saum des tiefblauen Himmels.

Quick Chef

Wieso es ausgerechnet, sagt die D., bei ihr nicht klappt, das wolle sie doch wissen. Keine Ahnung sage ich und schließe mit der linken Hand den Rechner. Eigentlich wollte ich nur anrufen, um zu fragen, ob sie meinen überzählig ersteigerten Quick Chef kaufen will. So einfach komme ich aber nicht davon.

Andere Leute, meint die D., treffen den Mann ihres Lebens doch auch an der Käsetheke. Oder verlieben sich in ihren Chef. Oder ihren Arzt. Oder den Mann, der jeden Morgen in derselben Bahn wie sie nach Mitte fährt. Nur bei ihr habe das alles nicht gefruchtet. Wenn sie Käse kauft, komme sie immer mit Edamer heim und nie mit einem Gatten, und im Büro sei sie zwar Projektleiterin geworden, aber nicht Ehefrau und Mutter.

Selbst das Internet, sagt sie, habe auf ganzer Linie versagt. Sie habe sich angemeldet bei einem Portal mit E, aber aus irgendeinem Grunde habe sie trotz Bild und netter Worte in zwei Monaten nur zu einem einzigen Herrn einen so intensiven Kontakt aufbauen können, dass es zu einem Treffen gekommen sei.

„Und?“, frage ich, auf einmal doch sehr neugierig, und die D. schnaubt. Das Treffen habe stattgefunden. Sie hätten sich in der Traube in Mitte getroffen, weil es da ganz gut schmeckt, aber niemand dort isst, den sie kennt, und so hätte sie dann eine Stunde zur Mittagszeit einem Mann gegenübergesessen, der ziemlich klein, dafür sehr selbstbewusst gewesen sei und – anders, als sie es angenommen hatte – nicht an einer Uni, sondern an einer Fachhochschule studiert habe. Aha, sage ich und behalte für mich, was ich dazu sagen könnte. Ich habe eine andere Freundin, die vor ein paar Jahren aus demselben Grund eine hoffnungsvoll begonnene Romanze abgebrochen hat, und weiß seither, dass der Unterschied zwischen Uni und FH offenbar bedeutender sein muss, als ich angenommen hatte.

Das Gespräch zum Essen sei so enttäuschend verlaufen, dass sie einen dringenden Termin vorgeschützt habe, nur um nicht noch einen Kaffee mit dem fremden Mann trinken zu müssen. Sie hätte es auch keine weitere Minute mehr ausgehalten, dass er immerzu über Politik sprach und dabei die ganze Zeit „der Grieche“, „der Russki“ oder „der Ami“ sagte. Als sie kurz auf die NSA zu sprechen kamen, sprach er sogar mehrfach und völlig ernst vom „Amiland“. Oje, sage ich und suche nach hinreichend tröstlichen Worten.

Immerhin, fährt die D. fort, sei ihr die Absage erspart geblieben, denn bevor sie absagen konnte, hatte er das schon  getan, und zwar unter Verweis auf ihr „nicht passendes“ Aussehen. Wozu ihr Aussehen nicht passe, habe der Mann dabei ganz offen gelassen, und es sei ein sicheres Zeichen für ihre Antipathie, dass sie diese Begründung nicht im Geringsten als verletzend, sondern nur als geschmacklos empfunden habe. Sie suche also weiter.

Immer noch im Netz?, frage ich und überlege, wann ich den Quick Chef ins Gespräch bringen kann. Ich hatte bei Ebay mehrere Quick Chefs knapp verpasst, weil mir immer ganz zum Schluss jemand 50 Cent voraus war, aber dann war ich doch – und das gleich doppelt – zum Abschluss gekommen. „Willst du …“, frage ich, aber die D. unterbricht mich. Ob mir noch etwas einfalle, fragt sie und klingt ehrlich interessiert. Ich verneine. Ich bin nicht gerade eine Spezialistin für die männliche Seele.

Am Ende, tröste ich die D., werde sie aber nicht allein auf dem Sofa sitzen. Schließlich haben ganz komische Leute Männer und Kinder. Da müsse man ja nur mal auf die Straße gehen, behaupte ich, dann sehe man schon, dass die Topf-und-Deckel-Sache sich letztlich ausgehe, und wie immer im menschlichen Leben zahle sich Beharrlichkeit vermutlich aus. Ich zum Beispiel hätte ja erst gar keinen Quick Chef ergattert, und jetzt auf einmal zwei. „Mir würde ja einer reichen. Und quick muss er auch nicht sein.“, lacht die D. und legt auf.

(Falls hier jemand meinen überzähligen Quick Chef haben möchte, bitte Mail an mich. Er ist gebraucht und kostet 18 EUR.)

Sommer

Im Sommer schlafe ich  nie wieder und habe Kraft und Hunger für drei. Breitbeinig stehe ich auf dem Spielplatz, breite die Arme aus und jubele in den Abend. Alle anderen Kinder schlafen, aber wir kommen gerade vom Pizza essen und nein, nach Hause gehen wir nicht. Es ist doch Sommer.

Im Sommer lache ich in der S-Bahn fremde Leute an, damit die auch mal lachen, und sitze rund und rotgepunktet im Wannsee und singe. Es gibt kalten Milchreis und Himbeeren, Melonen und eiskaltes Wasser, und zu Hause sitze ich hinter den vielen Töpfen, aus denen es grün und üppig quillt. In der Tapasbar gegenüber wurde gestern gefeiert. Heute ist es still, aber irgendwo, nicht weit weg, spielt jemand auf dem Saxophon, denn es ist Sommer, und es wird Nacht, und es muss ein Fest von Luft und Himmel sein, bevor es kalt wird, kälter und dunkel am Schluss.

Als früher

Alles anders, behaupten wir und trinken noch mehr Cocktails. Die Gesprächsthemen zum Beispiel. Früher wollten immer alle etwas ganz Besonderes machen und sprachen immerzu über die Vorbereitungshandlungen für dieses Besondere, das ein Buch sein konnte, ein Film, ein ganz besonderes Unternehmen, eine Diss, die die Wissenschaft rocken würde. Inzwischen finden sich die meisten Leute nur noch ganz für sich und heimlich sehr besonders, und sprechen ansonsten mit ermüdender Penetranz über Immobilien und Kinder.

Natürlich waren auch die Parties besser. Das ist jetzt keine Nostalgie. Es versteht sich von selbst, dass es für Parties ein Problem darstellt, wenn die Gäste um zwölf losmüssen wegen des Babysitters, niemand viel trinkt, weil ja alle am Sonntagmorgen um acht aufstehen müssen, und überdies jeder ganz genau weiß, wen er heute noch küsst.

Überhaupt wird ja kaum mehr geküsst, zumindest sehe ich keine Leute mehr beim Küssen auf fremden Sofas oder beim Küssen in Bars. Fast alle Leute, die ich kenne, sind nämlich gar nie mehr verliebt. An der grundsätzlichen Beschaffenheit dieser Leute liegt das aber nicht. Dieselben Leute vor zehn Jahren, ach, was sage ich: vor fünf, fielen beständig von einer Verliebtheit in die andere, wandten sich dem X zu, während sie doch dem Y erst kürzlich eine gemeinsame Zukunft offeriert hatten, verloren ihr Herz im Supermarkt, am Flughafen, im Büro, an der Bar, sozusagen wo sie gingen und standen, und gerieten darob in Verwicklungen, die einer Rokokokomödie würdig gewesen wären.

Alles vorbei.

Ob es das jetzt war, grübele ich irgendwann später daheim, im Dunkeln im Bett. Ob sich Leute ab 35 einfach nicht mehr verlieben? Und wenn sie doch in Liebe fallen, ob dann sofort alles ganz schrecklich wird, also so finster mit Tränen, Ernst und Scheidungsvereinbarungen. Oder ob nach einer kurzen Pause der Idylle, ein paar Jahren mit ruhigem Glück und lustigen Kindern doch wieder Unruhe einzieht, dramatische Anrufe, Geheimnisse, Alibis für Freundinnen und lange Treffen in Cafés, bei denen man bespricht, was vom X zu halten sei, und ob man nicht ebenfalls glaubt, dass der Y … und alles wird wieder lustig und unernst in Himbeer und Weiß?

Mama Fliege

Es brummt. Es brummt erst rechts. Dann links. Dann irgendwo an der Decke. Dick und schwarz, lang wie ein Fingernagel schwankt die Fliege langsam und träge durch den Raum. „Husch!“, sage ich und wedele mit der Hand zum offenen Fenster.

Die Fliege aber verschwindet nicht. Vielleicht friert auch sie in diesem unverhofft wiederkehrenden März zu sehr. Vielleicht riechen die Äpfel auf meinem Tisch auch so gut. Vielleicht hat sie sich aber auch einfach verirrt, und nun kommt sie nicht wieder ins Freie. Es brummt also immer noch. Langsam, ganz langsam, wird das Brummen lauter, lästig, dann ärgerlich, schließlich unerträglich, wie mir scheint, und schließlich greife ich zu einem Buch. Verwaltungsprozessrecht. Schon sitzt die Fliege todgeweiht vor mir auf dem Schreibtisch.

Noch ahnt das Insekt nichts. Ruhig reibt sie zwei Beine aneinander. Ich rücke näher. Ob sie mich sieht? Aber würde sie dann nicht flüchten? Ob die Fliege Angst bekäme, wenn sie mich sähe? Alles Leben, weiß ich, strebt doch nach Erhalt. Ob die Fliege Schmerzen haben wird, wenn das Buch sie trifft? Und dann – kurz bevor die Hand sich hebt und das Buch sich senkt – schießt ein ganz und gar blödsinniger, ganz und gar naiver Gedanke durch meinen Kopf. Seine Mutter, denkt es in mir, wird traurig sein, wenn er nicht heimkommt, und sofort lache ich mich aus für diese  Idee.

Dann aber nehme ich das Buch, ein Glas und schiebe die Fliege vorsichtig über die Tischkante und lasse sie fliegen, hoch über Berlin.

Nicht ich

Nein, sage ich der Frau im Spiegel. Das bin doch nicht ich.

Ich sehe doch nicht so müde aus. Mir geht es doch gut. Und auch in der Frühe habe ich keine strenge Linie zwischen Nase und Mund, und noch lange kein einziges graues Haar inmitten der Schwärze.

Das bin doch nicht ich, sage ich der dicklichen Frau und kneife ihr fest in die stämmigen Seiten. Das bin doch nicht ich. Mir gehören doch die Kleider im Schrank, die ihr gar nicht passen, und wenn ich lache, sehe ich nicht aus, als täte ich das sonst eigentlich nie.

Wo bin denn ich, frage ich streng die Frau in dem Spiegel und sehe ihr fest in die Augen. Bin ich denn versunken zwischen den Zeiten, bin ich liegen geblieben irgendwo zwischen den Jahren, und warte ich irgendwo unter schattigen Bäumen auf einen Klang, einen Hauch, einen Zauber, und kehre zurück übers Jahr?

Rosa Donut

Sonntagmorgen. Noch ist der Tag ganz frisch, blank geputzt und optimistisch. Im Café im Erdgeschoss ordnet der Besitzer die Torten appetitlich an, und außer ein paar Joggern schlendern nur zwei, drei Leute mit Hunden die Straße herab Richtung Park.

Beim LEKR auf der Ecke aber ist es voll. Hier wäre es schon voll, wenn niemand im Laden wäre, denn irgendwie ist es Herrn Li gelungen, das Sortiment eines voll sortierten Supermarktes in seinen Eckladen zu stopfen, und deswegen ist eigentlich nicht mehr so besonders viel Platz für Leute. Leute aber sind ziemlich viele da, denn alle andderen Leute, die hier wohnen, haben sich, wie wir auch, abgewöhnt, Samstag oder gar Freitag zu überlegen, was sie essen wollen, oder ob noch etwas fehlt. Dazu kommen Notfälle: Heute etwa hat der F. sich übergeben nach einer unglaublichen Fresssause gestern auf dem Hoffest in Brodowin, und bekommt deswegen bis auf Weiteres nur noch Zwieback.

Mit dem Zwieback in der Hand stehe ich also an der Kasse. Vor mir, hinter mir und neben mir stehen alle anderen Leute. Eier werden hier gekauft, Käse und Joghurt, Zeitungen, denn Herr Li führt auch Zeitschriften, die man außerhalb des sehr gut sortierten Fachhandels eigentlich nicht vermutet, und manche Leute kaufen hier auch ihr Gebäck. Die Frau vor dem Backwarenregal mit den süßen Sachen etwa, die da etwas unschlüssig die Blätterteigteilchen mustert, und ihren vielleicht dreijährigen Sohn fest an der Schulter hält.

„Ich will das rosane!“, blökt der Sohn auf einmal überlaut und streckt die Hand nach den Donuts aus. „Nein!“, kreischt die auf einmal gar nicht mehr so besonders unschlüssige Frau los und zieht ihren Buben zurück. Klarer Fall, denke ich. Saccharophobie. Diese krankhafte Angst vor Zucker ist hier weit verbreitet, seit quasi jeder zweite Bewohner dieser Stadt keine Kohlenhydrate mehr isst.

Von der Frau, die hier ihrem Sohn den Donut entwendet, hätte ich das dann aber doch nicht gedacht. Die Kohlenhydratfeinde sehen nämlich eigentlich anders aus, nicht so teigig, auch eher insgesamt etwas sehniger, die Haare straff zurück, braun, ganz viele kleine Fältchen statt einiger großer, also so ein bißchen wie Jil Sander früher. Die Frau sieht aber nicht so aus wie Jil Sander, sondern eher so, wie ich mir die Dame vorstelle,die bei Jil Sander reinemacht, und tatsächlich treibt auch nicht der Zucker die Frau mit dem Sohn um, denn sie brüllt ihrem Sohn zur Begründung ihrer Ablehnung des Donuts zu: „Dit is‘ doch nur für Mädchen!“

Vor mir verkneift sich ein hochgewachsener Mann mit schwarzer Brille und einem ganzen Stapel französischer Zeitungen das Lachen, und neben mir starrt ein ungefähr achtjähriges Mädchen mit Buttermilch und Sesamknäcke die Frau unverhohlen an. Als merke sie nichts, wiederholt die Frau ihre Ansage, leicht variiert diesmal, und behauptet: „Dat is‘ nüscht for dir.“ – Neben mir gluckst es nun vernehmlich.

Der Sohn sieht einmal von rechts nach links durch den Raum. Sehr ernsthaft sieht er aus und sehr, sehr erwachsen, und vielleicht, stelle ich mir vor, wird es sich eines Tages an diese Szene erinnern, wenn er darüber nachdenken wird, wann ihm zum ersten Mal klar wurde, dass seine Mutter und er unterschiedliche Leute sind, die anders denken, anders fühlen, und sich manchmal peinlich sind, auch wenn sie sich lieben. Nimm dir den rosa Donut, wenn du ihn willst, rufe ich dem Kleinen in Gedanken zu. Wenn nicht heute, dann später, aber dann ganz bestimmt.

„Hören sie mal!“, grätscht es da auf einmal laut und schrill in meine Gedanken. Eine große, etwas knochige Frau baut sich breit und drohend vor der Mutter des Kleinen auf, und ich verziehe das Gesicht, weil ich schon weiß, was jetzt kommt. „Rosa …“, höre ich. „Geschlechterstereotypen.“ Schnell zahle ich und packe Zwieback und Tee zusammen. Einmal drehe ich mich noch um, als ich gehe, und sehe dem Jungen noch einmal ins Gesicht. Alle Ambivalenz ist geschwunden, zusammengezogen hat sich die Miene über der Nasenwurzel zu einem Ausdruck von Entschlossenheit und Wille, und wenn der Junge jemals den rosa Donut wollte, und seine Mutter blöd fand und beschränkt, dann hat er es jetzt vergessen. Fest steht er an ihrer Seite, und der rosa Donut ist, tja, nur etwas für Mädchen.

 

Sozusagen gar nichts

„Wie habt ihr das gemacht?“, fragt mich die N. nach der Organisation des demnächst stattfindenden Kitawechsels des F. in eine verhältnismäßig nachgefragte Kita hier um die Ecke und breitet ihre Arme vorsichtig hinter ihrem Sprössling aus, damit er im Falle des Falles nicht von der Wippe auf den Boden fällt, sondern in ihre ausgestreckten Arme. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite der Wippe nämlich, mache ich hinterm fröhlich wippenden F. genau dasselbe. Vermutlich sehen wir gerade ziemlich dämlich aus.

„Ach, gar nichts.“, wiegele ich ab. „Ihr habt den Platz jetzt aber nicht einfach so bekommen?“, bohrt die N. nach. Einfach so gibt es auch im verhältnismäßig gut versorgten Berlin nämlich keine Kitaplätze, zumindest nicht hier im Prenzlberg. Meine Freundin I. etwa fährt vom Kollwitzplatz jeden Tag nach Mitte, bringt ihr Kind weg, und fährt dann wieder in den Prenzlberg zurück. Dabei gibt es eine Kita gegenüber, die ihr Kind – aus welchen Gründen auch immer – aber nicht aufgenommen hat, und auch wir sind sind mehrere Monate täglich in eine ziemlich weit entfernte Kita gefahren, in der Kinder mittags Wurstgulasch essen, Väter tätowiert sind und Mütter manchmal Kopftuch tragen oder Nagelstudios wahlweise frequentieren oder betreiben.

„Habt ihr Elternarbeit versprochen?“, werde ich weiter gefragt, und verneine. Wir haben in diversen Kitas, die sich nie gemeldet haben, alles Mögliche versprochen, aber hier haben wir weder Kochen, noch Putzen, noch irgendwelche pädagogischen Beiträge in Aussicht gestellt. In dieser Hinsicht haben Juristen oder andere Bürobewohner nämlich ohnehin Pech. Wessen Eltern etwa Bildhauer sind oder Tanztherapeuten, der wird in Kitas, hört man so, immer ganz gern genommen und dann die Mütter oder Väter zu regelmäßigen Unterweisungen der lieben Kleinen verpflichtet. Da sind wir raus. Wer will schon, dass eine Rechtsanwältin mit den Fünfjährigen regelmäßig Schriftsätze schreibt?

Die N. wirkt unzufrieden. Vermutlich sucht sie gerade nach den richtigen Worten, mit denen man gute Bekannte unverfänglich fragt, ob sie die Kitaleiterin bestochen haben, wie teuer das war, und wie man das korrekt bewerkstelligt. „Wir haben jetzt also auch nichts versprochen oder so, wiegele ich präventiv ab, gebe aber zu, dass auch ich kurzzeitig intensiv darüber nachgedacht habe, wie man das macht und was wohl kostet. Glücklicherweise mussten wir uns nicht einmal dem Tribunal anderer Eltern stellen, die, wie wir gehört haben, in manchen Kitas die anderen Eltern vorladen, um sicherzustellen, dass die Eltern der anderen Kindern ganz genau so sind wie sie selbst.

Tatsächlich, unterstreiche ich nochmals, haben wir eigentlich gar nichts gemacht. Nur regelmäßig per E-Mail nachgefragt. Bilder geschickt, auf denen der F. besonders niedlich aussieht. Der J. hat sich mehrfach zur Sprechstunde der Kitaleiterin begeben, weil wir gehört haben, dass fragende Väter besonders sympathisch und irgendwie hilfebedürftig wirken. Mit Titeln und Berufen gewinkt, was wir ansonsten eigentlich nie machen und was uns entsprechend peinlich ist, und entschlossen jedes Unbehagen verdrängt, dass diese monatelangen Anstrengungen inzwischen so selbstverständlich sind, dass auch die N. sie locker unter „gar nichts“ subsumiert.

(Von der Anfrage am nächsten Tag, was der J. bei seinen Bettelzügen zur Kita denn so angehabt habe, will ich an dieser Stelle barmherzig schweigen.)

 

So viele Jahre

Die Jahre aber fallen wie Laub.

„Hier war ich dreimal die Woche.“, sage ich zum Mek auf dem Weg zur Tür, und versuche mich zu erinnern. 2004, war das. 2005. Ich wurde 30, und saß mit der C. und dem J. und noch ein paar Leuten Abend für Abend auf den beigefarbenen Bänken und lehnte an der Wand. Ich habe P&S geraucht damals, glaube ich, und dann irgendwann diese Zigaretten ohne Parfum, deren Namen ich heute nicht mehr weiß. Ich war so gern da, damals, denn im orangenen Licht, so bildete ich mir ein, sah die Welt so aus, wie sie eigentlich immer aussehen  sollte, und ich mit ihr. Überhaupt waren wegen der günstigen Beleuchtung  die meisten Leute damals da ziemlich schön.

Irgendwann durfte man nur noch auf einer Seite der Bar rauchen, nämlich auf der unbeliebteren, der Seite zum Zionskirchplatz nämlich, und auf der anderen Seite war es auf einmal nicht mehr ganz so voll. Der Wein wurde von dieser Maßnahme leider nicht besser. Der Riesling war der schlechteste Wein der gesamten Ostberliner Gastronomie. Dafür gab es schon immer frischen Minztee und braunen Zucker. Auf den Regalen an der Wand zwischen den Fenstern standen Lilien und dufteten in den Raum.

Damals servierte eine lange, sehr, sehr dünne Schwarze mit Zöpfen, und eine kleine, dralle Kellnerin mit Tätowierungen an den Armen und im Nacken. Später haben wir sie im Grill Royal wiedergetroffen und in der King Size Bar, und mit einer ganzen Entourage oder auch allein an der Bar saß immerzu Maxim Biller irgendwo herum und schaute ziemlich streng die anderen Leute an, als ob die ihm irgendwie missfielen.

Ich habe da Hunderte gelassen, ach, vielleicht einige Tausend Euro. Gefrühstückt haben wir da nämlich manchmal auch und überhaupt ziemlich viel gegessen. Das Frühstück für zwei war sehr okay, auch das Club Sandwich mochte ich ganz gern. Meistens aßen wir aber gegenüber bei Sushi Hangi, wo es auch eine ordentlich Udon Suppe gab. Verabredet waren wir meistens weder zum Essen noch zum Trinken, sondern kamen so nach und nach vorbei, und wer Hunger hatte, ging kurz rüber und kam dann wieder zurück. So viel Gin Tonic und Sekt auf Eis.

Irgendwann aber kamen wir nicht mehr, und mir will scheinen: Auch nicht mehr die anderen. Es wurde leer. Eine Weile waren wir mehr im Visite ma tente in der Schwedter Straße wegen unseres Nachbarn Alban. Und im Dave Lombardo. Oder saßen am Helmholtzplatz in der Eka Bar, und schließlich zogen wir um. Viel zu weit weg ist der Zionskirchplatz seitdem. Die Kastanienallee auch viel zu ruhig. Die Freunde von damals haben Kinder und gehen selten weg. Doch letzten Samstag, das Dave Lombardo war voll, saßen wir dann doch im orangefarbenen Licht und sahen gut aus. Die Kellner kannten wir nicht mehr. Die Karte hat sich verändert. Doch Maxim Biller kam uns entgegen, als wir kamen, und zwei, drei andere Gäste waren auch damals schon da, und die Zeit rundete sich durch die fallende Nacht, und im Dunkel waren wir die, die wir immer schon waren.