Florentiner Notizen (6)

Kurz vor, während und nach meinem Geburtstag bin ich ja immer so ein wenig melancholisch. Ich denke nämlich das ganze Jahr wenig darüber nach, was ich eigentlich vorhatte, und was davon eingetreten ist, aber zu meinem Geburtstag habe ich bisweilen das Gefühl einer ganz erheblichen Lücke zwischen Sein und Sollen. Vielleicht wäre das immer so, egal, wie toll mein Leben von außen aussehen würde. Vielleicht schaue ich mich aber auch in zwanzig Jahren erschreckt um, und ich habe das falsche Leben gelebt. Das wäre dann schade. Bis jetzt ist mir aber noch gar nichts besseres eingefallen, was ich sonst mit meinem Leben anfangen könnte.

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Immerhin gefällt mir die Sammlung Stibbert. Dieser Herr Stibbert war nämlich richtig verrückt. Die Engländer im Ausland hatten ja allesamt den Ruf, ein wenig irre zu sein, weil natürlich bevorzugt diejenigen Engländer England verlassen haben, die zuhause an ein wenig zu viele gesellschaftliche Ecken angestoßen sind. Herr Stibbert ist nun bereits in Florenz geboren und nach wenigen Studienjahren nach Italien heimgekehrt, dort hat er dann ein ganzes Haus mit Ritterrüstungen und Bildern und Waffen und allerlei Zeugs gefüllt wie ein circa Fünfjähriger, der aus irgendeinem Grunde mit den Möglichkeiten eines wohlhabenden Vierzigjährigen gesegnet war.

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Leider durfte man nicht allein durch die Räume wandern. Wir liefen also hinter einer Führerin her, schauten uns alles an, freuten uns schrecklich und wanderten dann durch die Wärme der Mittagsstunden über die Piazza della Libertà zurück, vorbei am Dom, zurück bis in unser Hotel in der Via del Proconsolo und schliefen da bis zum Abend.

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Am Abend wandern wir ein letztesmal durch die Florentiner Nacht. Wir essen Fleisch und Nudeln, wir sitzen vor irgendeiner Enoteca und trinken Wein, und während wir langsam – es ist kurz vor Mitternacht – zum Hotel zurücklaufen, rundet sich auch dieses Lebensjahr, das angenehm war, bunt, nicht selten fröhlich, und kaum sichtbar, was fehlt.

11 Gedanken zu „Florentiner Notizen (6)

  1. Ein sehr anspruchsvoller Zweifel. Was könnte mehr Sinn machen als sein Kind großzuziehen, für sein Wohl und Glück zu sorgen, eine kleine Familie zu bleiben und seiner Arbeit nachzugehen, die sicherlich für den einen oder anderen nützlich und hilfreich ist. Und dann dabei noch einigermaßen zufrieden zu sein und zuweilen auch glücklich Das schaffen längst nicht alle. Das ist sehr viel und ganz großartig!

  2. Liebe Modeste,

    Ich war schon ewig nicht mehr auf Ihrer Seite (lese regelmaessig auf Rebellmarkt und SdG.

    Habe Ihre Blogs der letzten Wochen gelesen.

    Wirklich Klasse, wie Sie ueber alltaegliche Dinge schreiben und Ihre Leser teilhaben lassen.

    Der F. ist ja ein tuechtiger Bursch, da koennen Sie stolz darauf – Vierjaehrige sind einfach Klasse, aber es liegt an den Eltern dieses Potential weiter zu entwickeln und entfalten zu lassen!

    Ihre Melancholie zum Geburtstag kann ich nur zu gut nachvollziehen. Mir geht es auch so ja noch schlimmer, ich habe das auch am Jahresende und manchmal dann auch zu Chinesisch Neujahr (kein Witz!). Was mir hilft ist dann immer wieder Bilanz der positiven Dinge zu ziehen.
    Was hat man erreicht, wie viele Leute hat man im Laufe der Zeit ein Stueck gluecklicher und erfolgreicher gemacht.
    Je aelter ich werde desto mehr habe ich den Eindruck, dass die vielen kleinen Dinge eigentlich wichtiger sind als „grosse“ Sachen.

    Die wirklich wichtigen Dinge, haben selten etwas mit Ihrem materiellen Wert zu tun.

    Mir gibt dieses Bewusstmachen dann auch immer wieder meine Gelassenheit zurueck und laesst mich dann im Beruf locker meine Leistung erbringen und Menschen und Situationen entspannt und gelassen begegnen.

    Je verbissener und verkrampfter man ist, desto weniger scheint einem zu gelingen.

    Ich mache immer wieder Plaene und setze mir hohe Ziele. Die erreiche ich bei weitem nicht alle, aber ich entwickle mich doch kontinuierlich weiter.

    Meine Erfahrung ist die, dass immer wenn ich etwas zu sehr angestrebt habe, es oft nicht auf direktem Weg funktioniert hat, dann aber, wenn man nicht so krampfhaft bemueht war, sich ploetzlich berufliche Chancen aufgetan haben, wie aus dem Nichts.

    Auch in der Partnerschaft und bei Freundschaften kann das passieren.

    Wuensche Ihnen nachtraeglich alles Gute zum Geburtstag.

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    Hätte von mir sein können
    Gerne gelesen
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