Allgemein

Sonnenbrille

Oje. Jetzt ist sie weg. In allen Taschen habe ich nachgesehen, in allen Schubladen und in meinen Schränken. Gestern habe ich geglaubt, sie sei im Büro. Heute musste ich feststellen: Nichts dergleichen. Meine Sonnenbrille ist weg, und ohne Brille kann es hier nicht wirklich Sommer werden, weil erst Sommer ist, wenn ich im Café sitze, ein Weißbier vor mir, nackte Füße in Ledersandalen und die Sonnenbrille vor mir auf dem Tisch, und der Sommer malt schaukelnde, schwankende Flecken auf meine Beine und auf meinen Weg.

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Mama Modeste regt sich auf

Die Aktion #Muttertagswunsch regt mich auf. Ich meine ausdrücklich nicht Frau Finke vom Blog Mama arbeitet, die eindrucksvoll zeigt, wie eine tolle Frau mit ihren Lebensplänen hinfallen kann und sich tatkräftig und tapfer am eigenen Schopf aus der Misere zieht. Aber viele der Wünsche, die sich bei Twitter wieder finden, meinen die geschätzten Mitmütter hoffentlich nicht ernst.

Ihr meint doch nicht wirklich, dass jemand in 20 oder 25 Stunden Teilzeit genau so tolle Häuser bauen, Prozesse führen oder regieren kann, wie jemand, der das 40, 50 oder 60 Stunden tut? Die meisten Projekte brauchen nun einmal Zeit. Ihr denkt doch auch nicht im Ernst, dass eine Kollegen als genauso verlässlich geschätzt wird, bei der man nie so ganz genau weiß, ob sie  am Montagmorgen erscheint, oder sich wegen eines kranken Kindes abmeldet. Haltet ihr es denn wirklich für zumutbar, dass dieser Frau genauso wichtige, zeitkritische und verantwortungsvolle Projekte übertragen werden, wie jemandem, der nur ein Zehntel dieser Ausfalltage hat? Wer soll das kompensieren? Und Ihr meint, da soll man als vertretende Kollegin auch noch immer freundlich lächeln? Auch, wenn man selbst den Tisch voll hat und pünktlich los muss? Und glaubt ihr denn in vollem Ernst, dass es richtig ist, jemanden, der nicht oder kaum in die Rentenkasse eingezahlt hat, später genauso viel auszuzahlen, wie jemandem, der jahrzehntelang jeden Morgen zur Arbeit gegangen ist? Ich weiß, Ihr meint, das rechtfertigt sich durch die Erziehung späterer Beitragszahler. Aber wenn ihr euch durchsetzt, wird ja mindestens die Hälfte eurer Kinder sich ebenfalls zu Hause mit Kindererziehung beschäftigen. Gibt es für deren Aufzucht dann weniger Rentenpunkte? Warum soll dafür jemand aufkommen, wenn das volkswirtschaftlich deutlich günstiger in Betreuungseinrichtungen geleistet werden kann? Ihr meint, eine allzeit präsente Mutter kann aber nichts ersetzen? Ganz ehrlich: Wenn ich um fünf in der Kita erscheine, rennt mein Vierjähriger meistens selig hinter eingebildeten Mammuts und Säbelzahntigern her, bastelt merkwürdige Artefakte oder singt. Zum Glück ist er in unserer Prenzelberger Kita damit auch nicht allein. Wenn Ihr alle Eure Teilzeitwünsche umsetzt, wäre er das aber, so dass auch wir faktisch gezwungen wären, früher abzuholen, damit er nicht als letztes Kind einsam auf der Schaukel sitzt, und uns damit beruflich beschneiden.

Im Ernst, meine Damen, so stelle ich mir politische Forderungen nicht vor. Ich habe auch keine Lust, irgendwas für eure Fünfzigerjahreidylle zu bezahlen. Und ich sehe nicht ein, warum ihr jahrelang studiert, um dann doch Brot zu backen und Patchworktiere zu nähen.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, sieht das deswegen folgendermaßen aus: Ich wünsche mir Betreuungseinrichtungen mit einem hohen Standard, die eine echte Vollzeit bequem möglich machen. Ich wünsche mir, dass Betreuungskosten voll absetzbar sind.  Warum nicht über die Abschaffung der unökologischen Pendlerpauschale finanzieren? Ich wünsche mir weiter, dass Väter und Mütter gleiche Ausfallrisiken haben. Ich habe gehört, in Skandinavien muss die Elternzeit paritätisch geteilt werden. Das wünsche ich mir auch für Deutschland. Etwas ähnliches stelle ich mir für  Zeiten vor, in denen Kinder krank sind. Vielleicht kann man hier paritätisch teilen an denjenigen Tage, an denen Kinder wirklich so krank sind, dass sie einen Elternteil brauchen? Für die lästigen Tage, an denen das Kind quietschfidel, aber mit verklebten Augen oder einem kräftigen Schnupfen durch die Wohnung hüpft, wäre die bessere Absetzbarkeit einer Betreuung daheim oder für sozial schwache eine kommunale  häusliche Tagespflege toll.

Ich wünsche mir weiter, dass das Ehegattensplitting ersatzlos entfällt. Ebenso wünsche ich mir ein Ende der beitragsfreien Mitversicherung von Hausfrauen in der Renten-und Krankenversicherung. Das Hausfrauenmodell, dass viele Frauen nach Ende der Familie Phase ins berufliche Abseits führt, würde so von vornherein vermieden. Wer das dann trotzdem möchte, soll solche Lösungen privat ausgestalten können. Denkbar wäre etwa eine  Versicherung, die der Mann für seine Hausfrau abschließt. Vielleicht sogar ein richtiger und versicherungspflichtiger Beruf? Na klar, das kann nicht jeder. Aber, ganz ehrlich, das gilt für vieles andere im Leben auch. Wer also eine private Haushaltshilfe, Kinder und Heimdekorateurin sucht: Nur zu.

Vielleicht haben wir dann in 20 Jahren solche Muttertagswünsche gar nicht mehr nötig. Und 50% Frauen in Führungspositionen.

Und rein.

Aber dann doch der endlose Himmel. Vor mir der Pferdehals, das weite, karge Land, und wie sich meine Beine irgendwann erinnern, dass sie das doch mal konnten. Mit Pferden und so. In meinem Kopf wirbeln all die Jahre durcheinander, in denen ich in Städten lebe und langsam vergehe, und als auf der anderen Seite des Zaunes mein Kind winkt und strahlt, schließt sich meine Welt zu einem ganzen, klaren Chrysolith und funkelt in der ersten Sonne des Jahres, als wäre dieser Tag der erste Tag von allen und die Welt makellos und rein.

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Weit weg und immer weiter

„Du bist meine Lieblingsmama“, gähnt der kleine Kerl und nennt sich mein „allerliebstes Kuscheltierchen von der Welt“. Ich singe ihm sehr, sehr leise Abendlieder vor und puste das feine, braune Haare zur Seite, das mir die Nase kitzelt. Schlaf gut, sage ich und sperre mit den roten Samtvorhängen die Stadt aus, bis nur noch ein sanfter Kindermond seinen kleinen Himmel füllt. Schon hat er die Augen geschlossen und träumt wohl vom Fallenstellen, von Mammuten, von der ganzen Tafel Schokolade, die er sich kaufen will, wenn die Oma ihm Geld gibt.

Mama, ächzt er noch im Schlaf und ich streiche ihm sanft über Brust und Arme. Vier ist er jetzt. In zwei Jahren kommt er zur Schule. In sechs Jahren wird er schon Sextaner sein, dem es peinlich sein wird, wenn ich ihn abhole und umarme. In zehn Jahren muss er sich vielleicht sogar schon ein bisschen rasieren. Ob er dann schon eine Freundin haben wird? Und ob er direkt mit 18 auszieht oder aber noch ein paar Jahre zu Hause bleibt? Doch ob er mit 15 für ein Jahr nach Portland geht, oder mit 19 in Paris studieren möchte: Von diesem Abend an, ach: von dem Moment an, an dem sie ihn mir im Krankenhaus Friedrichshain auf den Bauch gelegt haben, wird er sich immer weiter und weiter entfernen, bis ich ihn kaum noch sehen kann, und ich kann mir nicht vorstellen, ihn nicht jeden Abend schmerzhaft zu vermissen, an dem wir weiter entfernt sein werden, als jetzt.

Madame will mal brüllen

So. Jetzt ist mein Text also weg. Gut, er war vielleicht nicht besonders toll, weil in meinem Dasein eben so wenig passiert, wie das bei Vierzigjährigen mit bürgerlichem Job und Familie eben so zuzugehen pflegt. Trotzdem ärgere ich mich. Über wen? Wer kann das wissen.

Zeitung könnte ich lesen. Aber dann ärgere ich mich. Ich habe nichts gegen Komiker, aber warum findet die versammelte deutsche Presselandschaft einen Komiker und seine Probleme wichtiger als die verzweifelten Syrer an der mazedonischen Grenze, in Syrien, in Lagern in der Türkei? Ich ärgere mich jedesmal, wenn ich online Zeitung lese, über die Selbstgerechtigkeit der Kommentatoren, die sich offenbar für unfehlbar halten und ihr eigenes Weltbild für absolut wahr statt relativ fehlbar. Ich habe inzwischen ziemlich viel Geld für blendle ausgegeben, weil da wenigstens keiner kommentiert.

Wenn ich mal was schreibe, ärgere ich mich über die Autokorrektur. Irgendwann fahre ich aus der Haut, weil ich Worte dreimal schreibe, und dann ändern die sich jedesmal in irgendetwas, was ich nicht schreiben will. Gehe ich vor die Tür, ärgere ich mich über Radfahrer, die dermaßen rapide über die Bürgersteige brettern, als gebe es ein Gesetz, nach dem dort, wo besonders viele Kinder verkehren, besonders schnell gefahren werden muss, um die Überbevölkerung einzudämmern. Apropos: Viele Kinder nerven mich auch.  Erzieht die eigentlich keiner? Die Berliner Verwaltung regt mich auch auf wie jeden rechtschaffenen Berliner. Außerdem habe ich mehrere Tage weniger gegessen, war danach aber schwerer als zuvor. Natürlich ärgere ich mich auch über das Wetter.

Die Konvention erfordert es leider, sich gleichgültig zu geben. So wenig, wie man, freut man sich, auf der Straße tanzen und sich auf die Brust trommeln darf, kann man auf der Straße herumpöbeln und mit Kraftausdrücken um sich werfen. Das macht man alles ganz heimlich, und bisweilen, heute zum Beispiel, ärgere ich mich über dieses Verbot, sich öffentlich zu ärgern, und würde gern, sehr gern, mich jetzt auf der Stelle auf die Straßenkreuzung stellen, dort – man sieht derzeit weder Menschen noch Autos – dreimal ganz laut Dreckswelt schreien.

Dann gehe ich wieder rein.

Vom Untergang

Ich bin ja nicht so Exzess. Ich arbeite eine echte Vollzeit, ich habe ein kleines Kind, da bin ich selten unterwegs, um mal einen tiefen Blick in Abgründe zu werfen. Wenn ich dann doch mal an Abgründen vorbei komme, weiche ich meistens aus, weil ich am nächsten Morgen doch aufstehen muss. Ich bin – sehen wir den Tatsachen ins Auge – ein ziemlich erlebnisarmer Bürger mit gemäßigten Ansichten über nahezu alles, einem gewissen Hang zur Bequemlichkeit. Ich bin das Juste Milieu.

Natürlich wird Stuckrad-Barres Buch Panikherz vor allem von Leuten wie mir gelesen. Wer kauft und liest in Deutschland sonst auch Bücher. Und weil Stuckrad-Barre auch Jahrgang 1975 ist, bewege ich mich in Panikherz in einer bekannten Welt. Die Achtziger, dieses endlose Bad in lauwarmer Langeweile. Die Neunziger, in denen es dann endlich losgehen sollte, ohne dass genau festgestanden hätte, was es denn eigentlich ist. Nur, dass es größer, lauter, bedeutender sein sollte, als die geordnete Welt unserer Kindheit in der westdeutschen Provinz, das war wohl den meisten von uns klar, die wir Mitte der Neunziger einen Umzugswagen voll Kisten gepackt haben, um irgendwo ein Leben anzufangen, von dem wir vermutlich alle mehr erwartet, als bekommen haben, wie es denn so geht.

Anders als ich hat Stuckrad-Barre die Suche nach Bedeutung ungleich ernster genommen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ausgerechnet im Segment der Musik- und Fernsehunterhaltung das echte Leben zu suchen, aber in Panikherz liest sich das eigentlich alles ganz schlüssig und rund. Warum auch nicht.

Die ersten feinen Risse zeigen sich just dann, als Ende der Neunziger Stuckrad-Barre Erfolg hat. Soloalbum ist ein tolles Buch, ist ein erfolgreiches Buch, auf einmal ist sein Autor ein Star, und ich erinnere mich noch an eine Lesung in einem vollgestopften ziemlich großen Raum, in dem ansonsten Bands auftraten. Ich habe Stuckrad-Barre damals ein bißchen beneidet, nicht weil er dieses Buch geschrieben hatte, sondern weil er überhaupt ein Buch geschrieben und sogar bei einem Verlag untergebracht hatte, während ich andauernd Romane schrieb, die ich dann alle ob mangelnder Qualität wegschmeißen musste.

Dass Erfolg nicht glücklich macht, war schon damals jedem klar. Natürlich macht Erfolg aber auch nicht unglücklich. Er legt nur die Schluchten frei, von denen man vor Eintritt des Erfolgs immer dachte, sie würden sich schließen, wenn erst einmal irgendetwas eintreten würde, was man sich gerade so wünscht. Wenn die Gletscherspalten dann immer noch klaffen: Dann war es eben nicht dieser Erfolg. Dann fehlt etwas anderes. Abnehmen. Rausch. Sex, was auch immer, und so folgt man Stuckrad-Barre ins Innere der Hölle. Dieser Teil des Buches ist sicherlich der stärkste. Stuckrad-Barre gelingen große, groteske Bilder von der Getriebenheit, der Sucht, dem Untergang in Selbstekel, Willenlosigkeit und den vielen Verlusten. Dass er den ganzen Weg abwärts nicht aufhört, genau zu beobachten, und ein präzises Abbild der Welt schafft, deren vorwiegend Berliner Kulissen auch ich gut kenne, würde mein Interesse am Buch auch dann wach halten, wenn nicht schon der Untergang an sich ein Thema wäre, das ein Buch dieses Umfangs trüge.

Dass der schon fast völlig Zerschlagene am Ende von seiner Familie und Udo Lindenberg gerettet wird, erleichtert den Leser und bedient die Erwartungen an eine geschlossene Dramaturgie. Ganz aber, ganz glaube ich nicht an die Geschichte von Höllenfahrt und Errettung, und als ich schließlich im Postbahnhof sitze, und Stuckrad-Barre mager und blass liest, unterhält und witzelt, lache ich zwar, versinke in einer gerührten Nostalgie, und wehre mich doch vergeblich gegen das Gefühl, dass das das Ende der Geschichte noch nicht ist, denn vielleicht gibt es keine Wege zwischen dem Untergang auf der einen und der Gleichgültigkeit auf der anderen Seite, und wir alle müssen wählen, was uns bitterlich fehlt.

Benjamin von Stuckrad-Barre, Panikherz. 2016.

Sommers die Berge fleckt.

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Bleib mir doch weg mit deinen Verschwendergriechen und allem Papier aus deinem blutenden Brüssel. Ich will auch nicht wissen, wo man in Athen heute feiert, wenn man noch sorglos ist oder schon sehr verzweifelt. Ich will auch heute nicht wissen, wo die Boote landen, die unser aller Schande sind, und wo man in Heraklion gut essen kann: Geschenkt.

Ich will hier nicht schwimmen. Ich will am Ufer stehen, die Hand über den Augen, das leere Lächeln der Kouroi im Rücken, und auf der Innenseite des Meeres sollen die tausend Schiffe nach Osten fahren, und ich will ihnen nachsehen. Den Eibenstab in der Hand.

 

Er ist nicht da.

Ich habe gehört, sie habe ihn überall gesucht. Sie hatte erst seinen Bruder angerufen, dann seine Mutter, auch wenn die sie nicht besonders mochte und nur des Babys wegen akzeptierte, das in ein paar Wochen kommen würde. Sie rief sogar seinen besten Freund D. an, der ihn auch nicht gesehen hatte, angeblich, und als sie im Büro anrief und bei seiner Sekretärin landete, wusste die, wie sie behauptete, auch nichts. Da saß sie also in einer Dreizimmerwohnung in Moabit, konnte sich kaum mehr bewegen vor lauter Bauch und hatte drei Tage lang Angst. Am dritten Tag kam er wieder.

Am ersten Tag, am zweiten noch vielleicht, hätte sie ihm eine Szene gemacht. Vielleicht hätte sie geweint, geschrien, ihn gefragt, wo er war, aber am dritten Tag war sie so froh, dass er da war, dass er zur Geburt mitkommen würde, dass sie mit dem Kind nicht allein sein würde, dass er die Miete und den Löwenanteil der Ausgaben tragen würde, weil sie nur 800 EUR Elterngeld bekam wegen ihres lausigen Jobs, dass sie einfach erleichtert war, ihm einen Kaffee kochte und zu Bett ging. Sie hatte tagelang nicht geschlafen, und jetzt war sie erschöpft. Eine Woche später war das Kind da.

Er war ein guter Vater. Er stand nachts mit auf, er kaufte ein, kochte, erledigte seinen Teil der Hausarbeit, spielte mit der kleinen Tochter und wurde zweimal befördert. Heute ist die Tochter sechs. Doch wenn im September eingeschult wird, werden sie wohl nicht gemeinsam kommen, denn er scheint ausgezogen zu sein, auch wenn seine Sachen noch da sind, die Bücher, die CDs, nur ein paar Kleider fehlen, und das Notebook. Und sein alter, abgeschabter Bär.

Sie hatte, als er zum erstmal verschwand, noch alle angerufen, aber sie hatten ihr nicht mehr gesagt als damals. Vielleicht ist es die Sekretärin, denkt sie manchmal, denn die schmettert immer etwas zu fröhlich, dass sie auch nicht wisse, wo er steckt. Vielleicht ist sie aber auch nur unsicher und fühlt sich mit den Verleugnungen nicht wohl. Am Samstag taucht er meistens auf, holt die Tochter und zischt, wenn sie noch reden will, dass das jetzt schlecht sei vor dem Kind. Meistens kommt er mit der Tochter erst am Sonntag wieder. Er scheint eine neue Wohnung zu haben, aber auch die Tochter sagt ihr wenig oder nichts.

Das gemeinsame Konto scheint es nicht mehr zu geben. Sein Gehalt landet jedenfalls nicht mehr auf dem Konto, dessen Karte in ihrem Portemonnaie steckt. Sie hatte ein paar schlimme Nächte deswegen, aber als sie ihn fragte, kam eine der wenigen Antworten zurück. Er zahle natürlich weiterhin die Miete. Auf dem Konto landen nun monatlich 600 EUR.

Von 600 EUR kann sie nicht leben. Ich weiß nicht, wie ihre Aussichten sind, wieder arbeiten zu gehen. Sie wollte, meine ich mich zu erinnern, Kinderbücher illustrieren, aber daraus scheint nichts geworden zu sein. Vorerst spart sie eisern, gönnt sich nichts, liegt lange wach, hat einen Termin mit einer Anwältin, die ihr Fragen stellt, die sie nicht beantworten kann, und weiß nicht mehr, wie sie sagt, ob sie sich ihn zurückwünschen soll oder sich wünschen soll, sie hätte ihn niemals getroffen.

Aber Dich

Als Du Geburtstag hattest, stehen wir auf der Bötzowstraße und es ist Nacht. Ich schiebe mein Fahrrad, meine Füße schmerzen, und im Rücksitz schläft unser Kind. Ich trage meine hochhackigen Schuhe seit 18 Stunden, ich habe über 1.000 km zurückgelegt, habe irgendwo im Ruhrgebiet weit übers Land geschaut und den Horizont so klar gesehen wie selten. Ich habe Dich und unseren Sohn im Gedränge des Lafayette entdeckt, und sofort war der helle, laute Raum zwischen Dir und mir vor der Fischtheke voll von Blitzen, sprühenden Funken, Fontänen und goldenem Licht. Im Ishin waren wir und haben Sushi gegessen, das wir alle lieben, im Lafayette zurück haben wir Kaschmirpullover gekauft, Crémant getrunken und unser Kind hat getanzt.

Als Du Geburtstag hattest, haben wir Dir Karten geschrieben. Die haben wir in der buchbox gekauft Unser Sohn kann nur ein paar Worte schreiben, aber „Papa“ gehört dazu, und eine Karte hat er für Dich ausgesucht, auf der Dein Lieblingstier abgebildet ist. Die Karte hat er Dir geschenkt, und ein Buch, und auch von mir hast Du eine Karte und ein Buch bekommen. Wir waren dann beim Centro Italia und bei Ikea und bei boesner, wo sie leider einen Rahmen für unser tolles neues Bild von Katia Kelm irgendwie falsch zugeschnitten haben, und wir haben uns angeschaut und beide gleichzeitig gesagt „Berlin“ und gelacht.

Als Du immer noch Geburtstag hattest, haben wir Kuchen gebacken und Bier getrunken, geschlafen und überlegt, ob wir wohl die am lautesten schnurrende Katze der Welt besitzen, und es weiß nur keiner, weil wir das nicht messen. Als Du gerade noch Geburtstag hattest, hast Du Deine Zähne geputzt und ich habe Dich angesehen und mich gefragt, bis wann Du so gut aussiehst wie heute, denn irgendwann sehen ja alle alten Männer irgendwie komisch aus, sogar so Edelgreise wie von Weizsäcker oder so, und irgendwann fängt das ja an.

Als Du Geburtstag gefeiert hast, klingelte es von morgens um elf bis nachmittags um vier. Es gab Wurst und Schinken und Eier und Blinis mit Lachs, es gab Kuchen von mir, und einen, den die liebe C. gebacken hat und der wie eine Pizza aussah. Es gab Salate und Hummus und Hot Dogs aus der großen Partybox von Ikea, und es war laut und schön und die Kinder spielten quasi überall auf dem Boden. Als ich dann losging, um mit einer Freundin ins Kino zu gehen, bliebst Du in der Küche mit den letzten Gästen und schwenktest eine Flasche Bier und sahst ziemlich glücklich aus.

Als ich heimkam, räumten wir ein bisschen auf. Auch die Karten für Dich stehen nun in der Küche an der Wand. Auf der von mir steht: Love and Adventure. Und immer etwas Gutes zu essen.

Neu

Dank der großartigen und nicht genug zu lobenden Frau Koma können Sie nun auch bei mir

(dumpfer Trommelwirbel, ein roter Vorhang öffnet sich)

automatisch in diversen sozialen Netzwerken Blog wie Blogtexte mögen, automatische Kommentare hinterlassen und sich überhaupt wieder mal mehr zu Wort melden. Im Ernst, es macht keinen Spaß, wenn sich im virtuellen Salon nur lauter schweigenden Gäste verschämt in den Ecken herumdrücken. Sagen Sie Ihre Meinung und hauen Sie auf alle verfügbaren Pauken. Und wenn Sie mir einen besonderen Gefallen tun möchten: Ich möchte demnächst mein Bloglayout ändern. Ich brauche einen schönen, roten Vorhang.

Haben Sie so etwas zufällig bei sich herumliegen? Frei von Rechten Dritter und verfügbar für mich?