„Die Studienbedingungen werden immer schlechter.“, ereifert sich mein kleiner Cousin telefonisch, und ich blättere auf dem Dortmunder Bahnhof gelangweilt in der Zeitung. Jaja, denke ich. Das werden sie schon immer, ohne dass dies den Absolventen, soweit ich das beurteilen kann, abträglich wäre. Ganz im Gegenteil werden die Praktikanten und Referendare, die ich in den letzten Jahre treffe, immer jünger zum Zeitpunkt der Prüfung, fleißiger und engagierter, wissen wesentlich mehr über den Lehrstoff als ich im selben Alter, und vor allem wissen sie geradezu unheimlich genau, was sie einmal werden wollen mit vierzig oder fünfzig oder so. Ich wusste noch Jahre nach meinem Examen nur sehr unvollkommen, was am Ende dabei herauskommen sollte. Meine beiden Praktika habe ich mehr zufällig ausgewählt, weil es sich gut anhörte und ich vor Ort noch nie war, und über den richtigen Job bin ich eher gestolpert.
Die verordnete Zielstrebigkeit eben aber sei das Problem, wütet mein kleiner Cousin weiter. Wer heute studiere, könne sich wegen der engen zeitlichen Korsetts keinerlei Phasen des Suchens, Grübelns und wahrhaften Studierens mehr leisten, nur fertig werden heiße es, und der Scheinerwerb habe als Ziel der ganzen Veranstaltung die Bildung längst verdrängt. Möglicherweise – nein: wahrscheinlich – werde man so Bachelor von irgendwas, aber gebildet werde man so nie.
„Darum geht es ja auch nicht.“, wende ich ein und ernte Entrüstung. Wo, werde ich hörbar rhetorisch gefragt, solle man Bildung erwerben, wenn nicht an der Uni. „Was weiß denn ich.“, antworte ich, die ich auf Bildung allerdings auch maximal mittelmäßig viel Wert lege. Irgendwo. Zuhause von mir aus, wenn man meint, dass man das braucht. Die Uni aber ist für den Erwerb von Bildung der eindeutig falsche Ort. Am anderen Ende der Leitung schnappt mein kleiner Cousin hörbar nach Luft. „Lass mich mal ausreden.“, sage ich und hebe an:
Ein normal gebildeter Mensch verfügt über einen gewissen Kanon von Dingen, die er einfach weiß. Die sichtbaren Merkmale gotischer Kirchen gehören ebenso dazu wie eine ungefähre Vorstellung, was Kant von Hegel unterscheidet. Der ordnungsgemäß gebildete Mensch hat vermutlich Krieg und Frieden gelesen, er kennt den Faust und den Zug der Zehntausend. Er weiß, wieso der Spanische Erbfolgekrieg ausbrach, wie die Jakobssöhne heißen, wie die Römische Republik regiert wurde und kann halbwegs exakt den Verlauf der Französischen Revolution beschreiben. Wenn ihm jemand Bach vorspielt, erzählt er etwas von Orgeln und Protestantismus, und dort, wo seine Bildung Lücken aufweist, hat er zumindest mit ein paar hoffentlich amüsanten Anekdoten aufzuwarten.
Spezialistenwissen aber gehört nicht zu dem, was man unter Bildung versteht. Vertieftes Spezialistenwissen, wie es etwa in Doktorarbeiten zum Ausdruck kommt, kann sich jeder normale Mensch in relativ kurzer Zeit aneignen, und vergisst es ebenso schnell. Thomas Mann etwa, entnehme ich der Mendelssohn-Biographie, habe kaum etwas dauerhaft und abrufbar gewusst, sondern sich etwa sein gesamtes ägyptologisches Wissen anlässlich der Josephs-Romane angelesen, und nach Beendigung derselben alles sofort wieder vergessen, ohne dass diese Vorgehensweise dem Romancier oder seinen Romanen erkennbar geschadet habe.
An einer Uni aber wird Spezialwissen gelehrt und eine ebenso spezielle, jeweils fachbezogene Methodologie, die man vielleicht beherrschen sollte, wenn man im jeweiligen Fach reussieren will. Um als gebildet zu gelten – wie erstrebenswert das auch immer sein mag – braucht man diese Kenntnisse und Fähigkeiten aber nicht. Nicht einmal für die meisten Berufe benötigt man die Fertigkeiten, die man an der Uni lernt. Wenn man überhaupt etwas Sinnvolles lernt, wenn man studiert, dürfte also weniger Bildung erworben werden. Vielmehr lernt man vielleicht weniger durch das Studium als anlässlich eines Studiums. Sich selbst zu organisieren etwa. Den Aufbau von Netzwerken, also halb professionellen, jedenfalls nützlichen Bekanntschaften, von denen die meisten Menschen ihr halbes Leben profitieren. Es sich ohne Zutun der Eltern zu richten, wenn man etwas haben möchte, was es nicht selbstverständlich gibt. Das ganz individuell richtige Verhältnis der Wertigkeiten von Komfort und Karriere.
Am anderen Ende der Leitung bleibt es still. Dann beginnt mein Cousin zu sprechen. Bodenlos sei das, ebenso zynisch wie unzutreffend, und passe zu einer Person, die oberflächlich zu nennen fast schon zu viel der Ehre sei, denn treffe zu, was ich behaupte, dann sei ein Studium im Grunde obsolet, auch ganz und gar ohne Universität könne man die von mir behaupteten Fähigkeiten erwerben, etwa durchs Herumreisen oder –lungern. Hätte ich recht, so könnte man auch jedem Menschen zwischen 20 und 25 einen Bibliotheksausweis in die Hand drücken und ihm viel Spaß wünschen die nächsten Jahre. „Fast.“, sage ich und lache ein bisschen über den Kleinen. Um ein Haar. Denn eins jedenfalls erwirbt man an der Uni, und nirgendwo sonst. „Und was soll das sein, wenn nicht Bildung?“, werde ich halb unwillig gefragt.
„Einen Abschluss.“, sage ich und lege auf, denn in zwei Minuten kommt mein ICE nach Berlin.
den jungen mann beseelt scheinbar noch der alma-mater-gedanke. weg von der mama zu hause hin zur nährenden wissensmutter. daß erwachsenwerden (die spiele der erwachsenen zu lernen) und etwas allein zu ende bringen das ziel ist, wird er sicher noch begreifen.
sie haben so recht, frau modeste. ich bin der lebende beweis dafür, daß uni nicht bildet. kant, hegel, gotische kirchen? hä?
aber gut zu wissen, daß der durchschnittliche normalbürger eine doktorarbeit schreiben kann, wenn man ihm nur einen bibliotheksausweis in die hand drückt. hätte man mir das früher gesagt, hätte ich mir zehn jahre uni erspart und das geld stattdessen in ein paar bücher über genetik und einen langen urlaub investiert. merde.
So abwegig ist das mit dem Universitätsausweis gar nicht. In Amerika befindet sich der Student die meiste Zeit in den „Libraries“. Er wird auch mit Leselisten zugestopft, die unsere Studenten in Österreich und vermutlich auch in Deutschland weit überfordern würden.
Es geht um das Selbst-Erarbeiten und aus Bekanntem etwas Neues formen zu können. Das kann nicht in der Vorlesung beigebracht werden.
In guten Mittelschulen wird mittlerweilen auch schon der Frontalunterricht durch die Projektarbeit ersetzt oder zumindest weitgehend ergänzt.
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Was aber Bildung überhaupt ist, ist eine interessante Frage. Anläßlich der ersten PISA-Studie habe ich einmal eine recht „elitäre“-Diskussion im deutschen Fernsehen verfolgt. Was da an Unsinn verzapft wurde, war bemerkenswert.
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Die Aufzählung der einzelnen „Bildungspunkte“ hat mich sehr amüsiert. Ich bin sicher ungebildet, weil mir der Ablauf der französischen Revolution vollkommen schnuppe ist. Was mir nicht so schnuppe ist, sind die Gesetzmäßigkeiten von Revolutionen. Genauso wie in Frankreich Lavoisoir, einer der größten Wissenschaftler seiner Zeit, abgemurkst wurde, hat das 1917 auch in Russland begonnen. Auch hier hat es mit dem Adel begonnen, später hat man vorsichtshalber gleich die ganze Intelligentsia ausgerottet.
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Und wenn schon der Faust erwähnt wird: nicht die Gretchen-Geschichte ist der Hammer, sondern die Empfehlung von Mephistofeles an Faust, dem Kaiser einzufküstern, dass er Banknoten drucken soll. Die Bedeckung des Geldes ist durch die ungehobenen Erze gegeben, deren Vorkommen ja in reichem Maße vorausgesetzt werden kann.
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Genau die gleiche Argumentation hat Enron zu Beginn seines Aufstiegs verwendet. Sie haben Werte bilanziert, die erst in der Zukunft erwartet wurden. Mit bekanntem Ausgang.
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Unter Bildung würde ich mir erwarten, die angeführten Beispiele verknüpfen und allgemeine menschliche Charakterzüge herausarbeiten zu können. Wenn es nur um das Wissen ginge, könnte kein Mensch das Bildungsniveau von Wikipedia erreichen:)
Ich stelle übrigens fest, dass Bildung heutzutage keinen Wertmaßstab mehr darstellt.
Die Inhalte interessieren nicht und angeben kann man auch nicht damit. Und gebildete Menschen verhalten sich manchmal noch blöder als ungebildete. Oder?
Mist!
Und ich hatte immer gedacht, ich wäre halbwegs normal gebildet. Anscheinend nicht.
Sehr gelacht, ein sehr schöner Text. Ich habe gerade eine Radio-Kolumne vor Augen (Ohren), eine Art „Papa, Charly hat gesagt…“ mit leicht vertauschten Rollen.
Es ist übrigens wirklich erstaunlich, was man alles wie schnell vergißt. Jedenfalls Dinge, mit denen man sich an der Uni durchaus mit Leidenschaft beschäftigt hat. Ginge es mit dem Vergessen bei anderen Dingen doch bloß genauso.
Ich konstatiere: bin nicht mal halbgebildet, sondern eher viertelgebildet. Was Ihre These bestätigt: Bildung erwirbt man nicht automatisch an der Uni, denn da war ich sogar recht lange.
Ihren kleinen Cousin kenne ich nicht. Aber wenn ich höre, wie ausufernd die Bachelor-Studenten mangelnde Freiheiten beklagen frage ich mich: wieso habe ich in meinen vielen Jahren, an vielen Unis und vielen Fakultäten so selten Studenten getroffen, die auch Vorlesungen ausserhalb ihres Faches besuchen? Oder sich ausserhalb lebenlaufverschönernder Maßnahmen engagieren?
Um ehrlich zu sein: ich halte das bei den meisten für ein Scheinargument. Würden sie einen Magister-Abschluß alter Schule anstreben und hätten alle Freiheiten der Welt, sie würden sie dennoch nicht nutzen. Jedenfalls die meisten. Der kleine Rest – wird sich auch im Bachelor Nischen suchen.
Trotzdem glaube ich, daß die Studienzeit einzigartig geeignet ist, sich selbst zu bilden: nie wieder hat man soviel freie Zeit, so viele Anregungen, so bequemen Zugang zu Büchern und Medien und soviele Denkanstöße aus verschiedenen Richtungen. Aber natürlich passiert das nicht in der Uni oder durch die Uni, sondern weil man es selber will und sich darum bemüht.
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Und wenn man das Glück hat, an einer feinen kleinen Kunsthochschule zu studieren, nicht zuletzt durch großartige Professoren, die einen dazu auffordern, sich ganzheitlich zu belesen, über den eigenen fabverklecksten Tellerrand zu schauen und auch mal zwischendurch sein Gehirn zu einzuschalten.
Oft denke ich an meinen uralten Vater, der 1918 geboren, als Rentner alle meine Oberstufenhausaufgaben lässig mit seinem Schulwissen lösen konnte. Und sowohl etwas von Mechanik als auch von Philosophie verstand. Ich kann inzwischen nicht mal mehr bruchrechnen. Und die französiche Revolution ist mir auch gänzlich entfleucht.
Nachtrag:
Die Beispiele, welche von MM hinsichtlich Bildung angeführt wurden, gehörten übrigens zum Zeitpunkt meiner Matura 1969 alle zum Stoff des Gymnasiums.
Das waren die Inhalte, die dann zum Spruch verleitet haben, die Maturanten (Abiturienten) haben von nichts eine Ahnung außer … (es folgten die entsprechenden Punkte).
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Ich meine das ernst. Das ist wirklich Maturastoff der allgemein höherbildenden Lehranstalten. Das sollte ich schon in die Uni mitbringen, damit ich weiß, wie ich die Dinge zusammenhängen soll.
Aber ich gehöre ja zu den alten Trotteln:)) Bitte meinen Beitrag auch demenstprechend zu verstehen.
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Hoffentlich. Er wird enttäuscht sein, fürchte ich. Gegenwärtig erwartet er noch Offenbarungen an der Uni, zu der diese, wie ich annehme, kaum in der Lage sein wird.
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Nun, sicherlich kann nicht jeder jede Diss schreiben, aber meine eigene Arbeit ist der beste Beweis für die These, dass man mit leichtestem Rüstzeug hinkommt, hat man nicht unbedingt den Anspruch, die dicksten Bretter zu bohren.
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Sicher ist Bildung etwas anderes als Wissen, aber Bildung ohne Wissen ist vermutlich kein funktionierendes Modell, wie das ganze Gerede von Kernkompetenzen ja scheinbar nicht dazu geführt hat, dass Leute sich in der Welt besser zurechtfinden. Ich verstehe nun wenig von diesen Dingen, habe aber immer angenommen, dass es gut funktioniere, Leuten einen sehr klassischen Kanon zu vermitteln, der einen guten Teil der Welt abdeckt, und sie dann die Strukturen, Muster, Schlüsse und Verbindungen selbst entdecken zu lassen.
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Glücklicherweise ist die Zeit der Bildungshuberei wohl vorbei.
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Herr Lucky, Sie sind kokett.
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Und auch dies verschwimmt, verschwindet, verblasst und eines Tages ist es nicht mehr da. Manchmal erschrickt man dann, weil sich mit dem Vergessenen auch ein Teil seiner selbst aufgelöst hat.
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Frau Damenwahl, ich sehe das ähnlich. Das Studium nützt durch die viele freie Zeit, durch die Bücher, durch die intensiven Gespräche. Ob man studiert und mit welcher Intensität, nun, das mag jeder selbst entscheiden. In den meisten Fällen wird es sich in Grenzen halten, und vielleicht braucht die Welt auch nicht soviel Leidenschaft, wie es auslösen würde, beschäftigte sich jeder so intensiv mit den Dingen, die die Uni bietet.
Dass die Begegnung mit sehr guten akademischen Lehrern hilft, nützt und die Entwicklung fördert, dass, Frau Montez, denke ich auch. Ich habe hiervon viel profitiert als Studentin. Mit Bildung hat das aber nicht viel zu tun.
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Ja, natürlich. Das sollte man irgendwann einmal gelernt haben, wenn man beginnt zu studieren. Ich halte es für einen Fehler anzunehmen, man könnte Bildungsinhalte beliebig verändern. Mir scheint aber, dass sieht inzwischen auch mancher in der Kultusbürokratie so, zumal die Eltern die dreißig Jahre umgegrabenen Reformschulen – wohl zu recht – meiden.
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Ich glaube nicht, dass sich unsere Meinungen hier widersprechen.
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Nein, natürlich nicht. Nur mit Anregung zur Bildung.
Sehr hübsch geschrieben und – ziemlich wahr. Im derzeit allgegenwärtigen Lamento über die Bachelor- und Masterstudiengänge sind auch deshalb unangenehm falsche Töne unüberhörbar, weil sich diesmal erstaunlicherweise bildungsstreikende Studenten auf derselben Seite finden wie ihre natürlichen Feinde, die Professorinnen und Professoren vom Deutschen Hochschulverband. Ganz genau, das sind diejenigen, die vor einem Weilchen ein „Schwarzbuch Bologna“ herausgegeben haben, in dem sie das (für sie immer noch) neue „Studiensystem“ kräftig anzuschwärzen versuchen. Ach ja, und der kleine Cousin, woher weiß er denn in seinem kurzen Bachelorstudiengang, wie schlecht oder gut die Studienbedingungen früher waren? Früher wann? Kennt er vielleicht das Gejammer aus den Magisterstudiengängen über ein Studium ohne Bezug zur Abschlussprüfung oder zu irgendeiner Praxis, über die Unmöglichkeit, die eigene Leistung oder den Kenntnisstand einzuschätzen, die undurchsichtige Struktur und über all die jetzt angeblich vermissten „Freiheiten“, die zuvor kaum jemand anders nutzte als zu vermehrtem Jobben? Kennt er nicht, wetten?
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Was er kennt, sind natürlich die Erzählungen über die große Freiheit, wochen- oder monatelang zu reisen, als Jurist (wie ich) ein wenig Germanistik zu hören und ein bißchen Geschichte, Politologie, Theologie, oder auch einmal ein paar Wochen gar nichts. Da spielt natürlich viel Verklärung mit.
Liebe Madame Modeste: es ist ein alter Kunstgriff, in einem Text die Argumente des Gegenübers so zu präsentieren, dass die eigenen um so prächtiger erstrahlen. So kommt Ihr Cousin in dem hier dargebotenen Journal-Eintrag sehr schnell auf das Thema „Bildung“ zu sprechen, das Sie dann kunstvoll aus dem Studium im engeren Sinne herauslösen und in die Verantwortung des einzelnen hinein legen. Damit ist die Frage, ob die Studienbedingungen und mit ihr zum Teil eben auch die Bildungsbedingungen immer schlechter werden, jedoch eher umschifft als beantwortet. Auch verstehe ich den Einwurf von Scriba nicht: Warum sind die Töne in der Kritik am Bachelor- und Masterstudiengang falsch, nur weil Studierende und Lehrende hier einer Meinung sind? Professorinnen und Professoren haben seit Jahren aufgrund der neu eingeführten Studiengänge einen deutlich erhöhten Verwaltungsaufwand, der sie von ihren Kernkompetenzen (um dieses schöne Wort aufzugreifen) abhält. Das ist nur eine von mehreren diskussionswürdigen und im erwähnten Schwarzbuch behandelten Erscheinungen des „Bologna-Prozesses“. Aber statt einer Diskussion über verringerte Staats-Ausgaben für den Lehrbetrieb, die Einführung von Studiengebühren und eine verstärkte Engführung von Inhalten im vermutlich nicht sonderlich durchdachten Bestreben nach erhöhter Rentabilität, wird der Kopf des empörten Buben tantenhaft getätschelt (auch von einigen Kommentatorinnen und Kommentatoren).
Davon abgesehen: Es ist den Schriften des Thomas Mann durchaus anzumerken, dass ein rasch angeeignetes und bald zu vergessendes Wissen verarbeitet werden will: Sonst wären uns sicherlich etliche aufgeblasene, am jeweiligen Ort deplaziert wirkende Ausführungen erspart geblieben.
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Ob die Studienbedingungen schlechter werden, lieber Herr Anselmowitsch, kann ich schlechthin nicht sagen. Mein erstes Staatsexamen ist neun Jahre her, und das letzte Mal an der Uni gearbeitet habe ich vor nun auch schon wieder fünf langen Jahren. Indes halte ich den Protest gegen den Bologna-Prozess tatsächlich in weiten Teilen für wenig substantiiert: Dass ein Studium heute weniger komfortabel ist als noch vor einigen Jahren, mag so sein. Zu Zeiten meines Studiums haben die meisten Studenten die Freiheit, dies oder das zu tun, aber eher beklagt als gepriesen. Auch erscheint es mir wenig überzeugend, wenn nun für jeden Studenten ein Masterstudienplatz eingefordert wird. Schließlich war es erklärtes Ziel, Studenten früher zum berufsqualifizierenden Abschluss zu führen. Auch der Wunsch, auf jeden Fall auch weiterhin kostenlos zu studieren, erscheint mir wenig unterstützenswert. Bei den Juristen haben stets runde 90% private Repetitorien besucht. Die meisten Absolventen behaupten, erst dort die für ein Examen erforderlichen Qualifikationen erworben zu haben. Dabei sind die meisten Repetitoren nicht besser als die universitären Angebote, allein der Umstand, dass das Angebot kostenpflichtg ist, erhöht die Motivation, aktiv teilzunehmen. Solange soziale Härten durch Stipendien o.ä. abgefedert werden, halte ich das eher für einen Vorteil als für einen Nachteil, auch wenn diese Meinung hier nicht besonders populär sein dürfte
Liebe Madame,
ist der Text wirklich von Ihnen, oder haben Sie ihn aus dem Kommentarbereich der FAZ herüberkopiert? Was ich sagen will: Er klingt sehr nach dem Ton jener Herrschaften, die aufgrund von Alter, Position und geschlechtlicher Sozialisation etwas ungeübt sind in der Tugend, sich nur zu den Dingen zu äußern, die sie wirklich der Sache nach interessieren.
Leider, leider.
Ich habe nämlich schon sehr schöne Dinge hier gelesen.