Archiv für den Monat: Februar 2015

So eine Art Nirwana

Nein, sage ich. Wandern, Ruinenstädte. Tauchen, Skifahren: Alles ganz schön. Aber nicht das, was ich gerade suche. Mir wird schon ganz anders, wenn ich daran denke, mich in einem Bus durch Südostasien mit den beiden anderen Touristen und dem einzigen Einheimischen, der englisch kann, stundenlang über Islamismus und amerikanische Fernsehserien unterhalten zu müssen. Oder irgendwo nach dem nächsten Zug in die Hauptstadt zu fahnden, der möglichst so rechtzeitig kommt, dass ich meinen Rückflug noch erreiche. Auf der anderen Seite habe ich für die putzmuntere Aufgekratztheit eines Strandhotels in einem Badeort auch keine Nerven.

In einem gediegenen Hotel mit Brokatvorhängen und goldenen Posamenten: Wie anstrengend die vorsichtig genervten Blicke der anderen Gäste auf mein Kind. In einem kinderfreundlichen Hotel: Nicht auszuhalten, die quietschbunten Farben und die omnipräsenten Grinsebärchen. Mit anderen Frauen, die Kinder haben, auf einem Spielplatz  sitzen und lange Gespräche über Kitaqualität und Mittagessen irgendwo auf der Welt zu führen, muss ich auch gerade nicht haben. Ich würde gern schweigen.

Irgendwo in einem dezent beleuchteten Raum auf einem sehr sauberen Laken liegen, leise Musik, vielleicht Bach oder Händel. tagsüber 22°, nachts 18°. Fisch, weißes Fleisch, feine, filigrane Speisen. Kein Kaffee, kein Alkohol, kein Knoblauch, überhaupt wenig Gewürze. Möglichst wenig Menschen sollten anwesend sein, vielleicht Roboter, wenn möglich. Aber nur, wenn die vollständig lautlos funktionieren und nicht etwa nervtötend piepsen. Die anderen Gäste, so es sie denn gibt, ebenfalls ruhig, leise Stimmen. Bademäntel in weiß oder cremefarben. Nachmittags ein bisschen Gebäck und grünen Tee. Schwachduftende Blüten. Keine Uhren, nur ein kleines, silbernes Glöckchen, das zu jeder vollen Stunde leise klingelt, damit man weiß, wann es Essen gibt. Die Mahlzeiten würde ich auf dem Zimmer einnehmen und das Tablett danach vor die Tür stellen, damit der Roboter nicht reinkommen muss.

Ich würde eigentlich überhaupt nichts machen, nur ein bisschen lesen. Natürlich nichts Aufregendes, vielleicht ein bisschen Lyrik. Rilke oder so. Keine Romane. Den größten Teil des Tages schaue ich aus dem Fenster auf den menschenleeren Strand und das Meer. Nachmittags ein schweigender Spaziergang, den F. an der Hand.

(Nächste Woche immerhin: Drei Tage Ostsee.)

Eisenstein in Guanajoto

Auf dem Heimweg wird es kalt. Vielleicht ist es auch gar nicht wirklich so kalt, vielleicht ist es nur der Gegensatz zwischen dem knallbunten, hitzigen Mexiko in Peter Greenaway’s Eisenstein in Guanajoto, aber ich ziehe mir auf dem Weg zur M 4 fröstelnd die Pashmina etwas höher und vergrabe die Hände tief in den Taschen. So heiß wie in Mexiko wird es hier nie.

Ich mochte den Film bestimmt eine ganze Stunde lang, weil ich Eisenstein mag und weil ich es mag, wenn sich ein Film traut, mehr als nur ein Guckkasten zu sein, und das Kunterbunte macht mir außerdem Spaß. Irgendwann in der zweiten Hälfte hatte Greenaway mich dann verloren, weil mir erst von den vielen Kreisfahrten der Kamera ein klein wenig übel wurde, und weil auf einmal dann doch das Clowneske der Darsteller das Menschliche überwog, und ich mir nicht vorstellen konnte, dass auch sie bluten, wenn man sie sticht.

Ein wenig manieriert schleppte sich der Film durch die Mittellagen, und als ich am Ende mit der J. vorm Kino stand, war ich mir nicht sicher, was ich über den Film denken sollte, ob ich ihn eher empfehlen oder eher vor ihm warnen sollte, oder es eher bedauern sollte, dass von all den großen Gefühlen, den Siegen und den Niederlagen, von all dem Feuer am Ende der Moderne nur ein paar Schlacken bleiben, die bisweilen ein wenig funkeln, nimmt sie einer noch einmal für eine Stunde des Spiels in die Hand.

Freitag, Samstag, Sonntag

Freitag, kurz nach zehn, und die J. und ich stehen ratlos vor der Tür der Cantine Sant’Ambroeus. Der Wirt scheint aufzuräumen, öffnet dann doch noch für ein letztes Glas Wein, und so sitzen wir uns gegenüber, schmecken der Hitze vom vorletzten Jahr nach in einem Glas schwarz-rotem Sizilianer, der nach Kaffee schmeckt, nach heißem Stein und Kirschen, und sprechen über den Sommer. Den, der schon war, und alle, die noch kommen.

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Der Samstag beginnt mit Fieber und Schüttelfrost, wenn auch nicht bei mir, so doch beim F. Der war in den letzten Monaten geradezu vorbildlich gesund, nur einen einzigen Tag zu erkältet, um in die Kita zu gehen, aber heute – immerhin nicht an einem schwer zu überbrückenden Werktag – liegt er lethargisch im Bett. Keine Verabredung mit zwei Kitakindern und kein Kindergeburtstag bei einer Freundin am Sonntag.

Zwei Stunden später immerhin hat er es bis aufs Sofa geschafft, trinkt warme Milch und hört Hörspiele, lässt sich vorlesen und beschreibt mit dem ganzen Körper, was er gestern im Aquarium gesehen hat. Lauter neue Worte kennt er, wie etwa „Flügelrochen“ oder „Hammerhai“, und als er abends einschläft, hat er die vorsorglich geholten Zäpfchen gar nicht gebraucht.

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Der J. sitzt auf dem Sofa. Ich dagegen ziehe mich noch einmal an. Berlinale.

Das Delphi ist voller Spanier, wie Berlin ja überhaupt voller Spanier ist. Es läuft ein Film namens „Sueñan los androides“, der in verblichenen, ziemlich statischen Bildern von einem Replikantenjäger erzählt, der junge, sehr sympathische Replikanten im spanischen Benidorm erschießt. Vermutlich will der ebenfalls junge, ebenfalls sehr sympathische Regisseur mit dieser Meditation über den Roman von Philip K. Dick mit den elektrischen Schafen illustrieren, dass seiner Ansicht nach die junge Generation Spaniens im Dienste alter Menschen, die bizarren Schrott anbeten, schlecht behandelt werden.

Vielleicht hat er dies – oder etwas anderes – nach der Vorstellung sogar erzählt, leider war sein Englisch so schlecht, dass ich kein Wort verstanden habe.

In die Monkey Bar, die Mek und ich nach der Vorstellung aufsuchen wollten, sind wir dann am Ende gar nicht gegangen. Schlange zu lang. Keine Lust. Zu alt und zu müde zum Warten.

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Am nächsten Morgen ist F. wieder halbwegs fit und bleibt mit Babysitter daheim. Der J. und ich laufen durch die Sonne zur Markthalle neun. Es gibt „Wurst und Bier„.

Mek, der J. und ich trinken ganz schnell viel zu viel Bier. Pale Ale, Pils, irgendwelche Phantasiebiere, schwarz, gold, hell: Am Ende purzelt mir alles warm und fröhlich durcheinander. Nur an den Gin Tonic erinnere ich mich gut, einen wahnsinnig guten Gin Tonic mit einem Tonicsirup von Libation. Die Wurst war auch gut, oh, und der Fisch von Glut und Späne.

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Sonntag Abend ist die Welt immer noch in Ordnung. Ich war mit dem F. zumindest kurz draußen und mit der C. samt Kind kurz Kaffee trinken. Ich habe nicht zu viel gearbeitet. Ich liege auf dem Sofa und esse die Reste des Hühnerfrikassees von gestern. Es geht mir gut.

Papagei

„Kommt ein Papagei …“, kommt der F. um die Ecke und grinst übers ganze, runde Gesicht. „Und dann?“. frage ich. „… zum Arzt!“, kreischt der F. auf, stampft vor Freude ein paarmal mit dem Fuß auf den Boden und biegt sich buchstäblich vor Lachen. Ich bin fasziniert: Dass jemand tatsächlich vor lauter Freude eine Art Verbeugung macht, mit den Armen rudert, fast hinfällt und sich dann geräuschvoll mit den flachen Händen auf die Schenkel schlägt: Das habe ich wirklich noch nie gesehen.

„Wie geht es weiter?“, frage ich den F., als er fertig gelacht hat. „Kommt ein Papagei …“, hebt er wieder an, und diesmal springt er so lange und so intensiv durch die Küche, dass er ausrutscht. Leicht belämmert sitzt er auf dem Parkett, steht langsam auf, klopft sich die Strumpfhose ab, und nach Witzen ist ihm die nächsten zehn Minuten nicht zumute.

Nach dem Mittagessen hilft er beim Backen und knetet hingebungsvoll in einer Schüssel Streusel. „Kommt ein Papagei zum Arzt.“, tippt er mich auf einmal wieder an den Arm. Mist, denke ich. Schon wieder ein T-Shirt schmutzig, denn an meinem schwarzen Ärmel hängen nun Butter und Mehl. „Sagt der Papagei …“, fährt der F. fort, und dann fängt er so laut an zu lachen, dass die Katze erwacht und sich um die Ecke ins Wohnzimmer schleicht. „… der Papagei!“, kreischt der F. derweilen, und dann steigt er auf einmal ganz schnell von seinem Hocker und läuft o-beinig ins Bad. An sich ist der F. nämlich schon so gut wie trocken. Aber wenn doch ein Papagei zum Arzt kommt, gibt es auch hier kein Halten mehr. Ich stelle die Küchenmaschine aus und laufe schnell hinterher. Verdammt: Das war die letzte Strumpfhose.

Abends im Bett lese ich vor. Der F. kuschelt sich ganz eng an mich und lässt sich von Gina Ruck-Pauquèts kleinem Zauberer erzählen, der seinen Zauberstock verliert. Der F. liebt den kleinen Zauberer und überhaupt das ganze Geschichtenbuch, und weil der kleine Zauberer am Ende der Geschichte mit seinem Zauberstab tanzt, muss auch der F., wenn schon nicht tanzen, so doch zumindest singen, und weil er vom Singen sehr lustig wird, unterbricht er mich und fängt wieder an. „Kommt ein Papagei …“. Dann lacht und strampelt er so wild, dass das Deckbett auf den Boden fällt, und ich kurzzeitig für den Deckenstuck fürchte.

Schließlich schläft der F. doch. Ein sanftes Lächeln umspielt seinen Mund. Ich ziehe die Decke über seine Brust. Hat er sich etwa bewegt? Im Schlaf greift sein Arm nach meiner Hand, und er flüstert ganz leise: „… zum Arzt.“