Ich bin ein Kleinstadtkind. In unserer Kleinstadt gab es nur eine Grundschule, in die gingen alle Kinder. Man hört oft, eine Schule für alle sei super für alle Kinder, weil die Lernschwachen von den -starken lernen, und die Starken von den Schwachen soziale Fähigkeiten erwerben, also anderen helfen und so, aber in Wirklichkeit war nichts davon der Fall. Die meisten Kinder, die auch am Ende der vierten Klasse kaum richtig lesen und schreiben konnten, lernten nämlich schon deswegen nichts von den guten Schülern, die Blockflöte und Schach spielen konnten, weil sie diese Kinder abgrundtief verachteten und über sie – mich eingeschlossen – sofort mit Stöcken und Steinen hergefallen wären, wenn die Lehrerinnen das erlaubt hätten. Die Kinder mit Blockflöten und Einserzeugnisen wiederum lernten kein besseres Sozialverhalten von den Kindern mit Versetzungsschwierigkeiten, weil letztere ihnen wegen eines schwer verständlichen Überlegenheitsgefühls keine Gelegenheit gegeben hätten, ihnen bei den Hausaufgaben oder so zu helfen.
Nach der vierten Klasse trennten sich die Wege. Ich habe zu den Kindern, die nach der vierten Klasse die Hauptschule besuchten, keinen Kontakt mehr. In den letzten Tage habe ich aber mehrfach an diese Kinder gedacht. Ich glaube nämlich, dass diese Kinder – in der amerikanischen Version natürlich – es waren, die letzte Woche Trump gewählt haben. Woher ich das weiß? Ich habe sie erkannt. Sie waren in der Zeitung abgebildet, wie sie breitbeinig vor ihren Gartenzäunen standen. Ich habe gelesen, dass sie Hispanics im Supermarkt gejagt haben und Frauen angerempelt und beleidigt haben. Ich kenne das nämlich von früher, mein Schulfreund M., der einen leichten Sprachfehler hatte, wurde mal minutenlang zwischen drei dieser grölenden Jungen herumgeschubst. Ich bin Asiatin und wurde deswegen von diesen Jungen grundsätzlich Schlitzi gerufen, und meiner Freundin K. wurde einmal von denselben Jungen die Flöte zerbrochen. Sie wurden jedesmal ermahnt, bestraft und ihre Eltern einbestellt, aber ich kann mich an kein Zeichen der Reue erinnern.
Gerade quellen die Zeitungen über von Artikeln, in denen es heißt, dass die armen, weißen Männer zu wenig Geld hätten und zu wenig Zukunftsaussichten. In diesen Artikeln schwingt immer mit, dass diese Leute dann, wenn sie mehr verdienen würden, nicht jemanden gewählt hätten, der sich bis heute nicht für die Belästigung von Frauen entschuldigt hat und Muslime registrieren lassen will. Außerdem wäre es auch irgendwie verständlich, dass Leute mit zu wenig Geld und zu wenig Anerkennung aggressiv werden.
Es mag sein, dass es auch diese Leute gibt. Es gibt aber auch die Jungen aus meiner Grundschulklasse. Die haben gar nicht in jedem Fall zu wenig Geld. Die sind nicht besonders gebildet, weil sie Eierköpfe verachten. Dafür können manche von ihnen Sachen mit den Händen machen und haben sich damit Einfamilienhäuser und Audis A 6 verdient. Wenn man denen zuhören oder ein bedingungsloses Grundeinkommen gewähren würde, würde sich nichts an ihrer Weltsicht ändern. Die sind nämlich gar nicht weiter rechts als früher. Die haben schon mit sechs, sieben, acht alle verachtet, die ihnen irgendwie anders, feinstofflicher, schwächer, ausländischer oder behinderterer erschienen verachtet. Die hätten uns bespuckt, wenn sie gekonnt hätten. Die kann man nicht bestechen, dass sie wieder demokratisch werden, weil sie es nie waren. Ich weiß nicht, was man mit denen macht. Bis auf weiteres verachte ich deswegen zurück.
schön herausgearbeitet, diese facette. vielen dank.
(ein ‚verachtet‘ ist zu viel im text)
Danke, jetzt sehe ich es auch.
neben mir in der grundschule saß einer der schwierigkeiten mit dem lernen hatte. dem habe ich geholfen. ich spielte damals melodika und ich war in der kirche. scheinbar ist da doch was hängengeblieben.
Das gibt es bestimmt.
Das kann ich leider aus eigener Erfahrung bestätigen.
Ich habe eine der Grundschulen besucht, die man heute Problemschulen nennt. Vor ein paar Jahren habe ich meine ehemaligen Klassenkameraden auf einem Klassentreffen wieder gesehen. Die, die mich damals ausgelacht haben, weil ich gerne und viel gelesen habe, waren noch genau so.
Sie hatten mittlerweile ein Eigenheim samt Auto und noch immer darüber gelacht, dass ich ohne Bezahlung Tag und Nacht lese.
Wenn ich nun einem von ihnen beim Besuch meiner Großeltern zufällig über den Weg laufe, dann schlägt mir noch immer die Verachtung entgegen. Es sieht aus wie Neid. Sie schütteln den Kopf über die viel zu gut gekleideten Kinder und die Sprache, die sie als überheblich betrachten und generell verdienen die Juristen alle zu viel…
Ob es vielleicht daran liegt, dass sie erst die anderen verachten um sich besser zu fühlen und daraus schließen, dass die anderen sie erst recht verachten müssen?
Eine Lösung weiß ich auch nicht. Aber nur verachten funktioniert nicht, wenn meine Kinder mit deren Kindern die Schule und den Kindergarten besuchen.
Ich bin ja nicht umsonst eine Freundin des dreigegliderten Schulsystems. Ich habe – anders als viele Anhänger einer Schule für alle meinen – keine Angst, mein Sohn würde von dummen Kindern an irgendwelchen Höchstleistungen gehindert. Ich möchte ihm aber soweit möglich stumpfe, hämische und rassistische Mitschüler ersparen. Die gibt es natürlich an allen Schulen. Aber nicht überall gleich viele.
Nein, die sind an „Elite“ Schulen nur geschickter und höflicher, haben ja daheim gelernt nicht gleich draufzuhauen und zu schimpfen, sondern lieber zu intrigieren, emotional zu erpressen und für ne falsche Pullovermarke jemandem die Sozialkontakte zu zerstören. Oh und „Schlitzi“ rufen sie trotzdem. Nur halt nicht so, dass es gehört wird. Ist es deswegen weniger schmerzhaft und ungefährlicher? Nicht vergessen: die „führenden Köpfe“ der neuen Rechten kommen nicht aus dem von Dir beschriebenen Ecke. Intelligenz schützt nicht vor fehlender Empathie, Klarinettenspiel nicht vorm Arschloch sein.
Ich ziehe ganz klar höfliche Arschlöcher unhöflichen vor. Auch erscheinen mir Intrigen und üble Nachrede unschön, aber menschlich. Man mag halt nicht jeden. Ich finde es aber letztlich in Ordnung, wenn Kinder dann zumindest vordergründig die Höflichkeit wahren, und in Abwesenheit des ungeliebten Mitschülers sagen, was sie denken.
Es gibt sehr gute Lehrer, denen es gelingt, Mobbing und Verachtung in ihrer Klasse zum Thema zu machen und zu unterbinden und eine Kultur des Unterstützens von schwachen Schülern zu etablieren. Das ist wahnsinning schwierig, weil sie ja die Eltern nicht ändern können, die ja die Wurzel des Übels sind. Aber es ist nicht unmöglich!
Solange dieser beschriebene besondere Typus des Lehrers nicht der Standard an deutschen Schulen ist, sollte aber nicht das Schulsystem so ausgerichtet sein, als ob es ihn bereits gäbe.
Was Lawen4cer sagt.
Ich glaube bei der Debatte, ausgelöst durch den Wahlsieg von Trump, wird der kulturell abgehängte weiße Mann vermischt mit dem wirtschaftlich abgehängten Mann (von den Frauen redet komischerweise keiner).
Mit „kulturell abgehängt“ meine ich, dass eine bestimmte Bevölkerungsgruppe sich und ihre Meinung in den öffentlichen Debatten der Politik und der Medien einfach nicht mehr wiederfindet. Sie hatten dazu auch mal etwas Passendes gebloggt, auch wenn das seinerzeit nicht auf AfD Wähler bezogen war:
„Es ist nicht unverständlich, dass dieser Bedeutungsverlust die Leute schmerzt. Wer ist schon gern auf einmal provinziell und – zumindest in der medialen Wiederspiegelung – ein bisschen lächerlich.“
http://modeste.me/2013/09/29/man-wundert-sich/
Diese Wählergruppe bekommt jetzt plötzlich ein politisches Angebot.
Gibt es dieses politische Angebot nicht schon immer? In Form der Parteien mit dem C? Dass die Konservativen, Reaktionären, die Nazis – oder wie man die alle nennen will – Ihre angestammte Partei nicht mehr mögen, das ist die interessante Frage.
Mit der böse Sechziger Jahre CDU mit ihren alten Nazis konnten die sich vermutlich ganz gut identifizieren. Auf dem Weg von Ernst Albrecht zu seiner Tochter hat man halt den einen oder die andere verloren.
Ich frage mich immer, wieso die eigentlich nicht mehr eigene Publikationsangebote schaffen. Also nicht gerade compact oder Tichy, sondern seriös, konservativ, so ein bisschen wie die FAZ vor 20 Jahren. Wenn das so viele sind, müsste sich das doch rechnen.
“ Nur wenn das linksliberale städtische Bürgertum seine moralische Selbsterhöhung überwindet und Toleranz für Andersdenkende auch praktiziert, wenn es weh tut, gibt es eine Chance den Extremismus auszugrenzen und den Populismus einzuhegen. „Boris Palmer
Aber wo soll die Grenze sein? Was muss ich tolerieren und wann darf ich entspannt behaupten, ich hätte die höhere Moral?
Wenn mein Gegenüber offen ausläderfeindlich ist? Definitiv nicht tollerabel
Wenn mir erklärt wird, ich als Frau solle mich lieber um meine Kinder statt meiner Karriere kümmern? Oder wenn homosexuelle Freunde mit „gewöhnungsbedürftiger Lebensentwurf“ betitelt werden?
Persönlich halte ich es so: wer mit mir diskutieren möchte, ist herzlichen willkommen. Wer allerdings meint, dass ich dann keine überzeugenden Gegenargumente bringen darf, damit ja die eigene Meinung nicht abgewertet wird, weil „das empfinde ich eben so“, dem darf ich mich auch überlegen fühlen. Ich muss es ihm nur nicht zwingend unter die Nase reiben.
Das trifft es sehr genau.
Halte ich für Quatsch. Der Bauarbeiter wird nicht von der Studienrätin verachtet und ausgeschlossen, sondern vom Bankvorstand. Die Leute, die sich ohne schlechtes Gewissen von den kleinen Leuten absondern, sie unterbezahlen und sie politisch marginalisieren, sind nicht die Linken.
Zurückverachten bringt, glaube ich, gar nichts. Die verachten unsereinen so sehr, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass wir sie auch verachten könnten. (Abgesehen davon halte ich nichts von Verachtung, obwohl ich den Impuls sehr gut verstehe.)
Ich muss aber nicht, wie gerade das halbe Internet, diesen Leuten hinterherkriechen.
Das ist richtig.
Letztlich zählt für mich: “ was löst dauerhaft das Problem“. Nicht mein oder das Ego der anderen. Und genau da liegt halt der Unterschied zu „hinterher kriechen“ (wer eigentlich? Irgend wer relevantes?). So nachvollziehbar ich Verachtung finde, sie hilft m.a.n. weder zu über zeugen, noch hilft sie mir stärker zu sein, noch wehrt sie irgendeine ernsthafte Gefahr ab. Und solange ich in mir weiss, wo ich stehe und was meine Prinzipien sind kann ich doch alles andere so anpassen, dass es wirksam ist. Oder um es zu übertreiben: auch fürs Gefühlsleben find ich die Frage „wem nutzt es“ nicht unwesentlich.
Vielleicht liegt die Verachtung der „kleinen Leute“ aber auch darin begründet, dass sie spüren, dass „ihre Welt“ auch ganz gut ohne Juristen, Steuerberater, Controller und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Mediävistik funktionieren könnte, wohingegen Erstere ohne Klempner, Bäcker, Krankenschwestern und Elektriker ziemlich aufgeschmissen wären. Gleichzeitig merken sie, dass ihr Einfluss auf das Gestalten der „Spielregeln“ des gemeinschaftlichen Zusammenlebens sinkt, zumindest gefühlt.
Bürger A verachtet also Bürger B, weil dieser nicht mal eine Tapete sauber an die Wand bringt, Bürger B verachtet A, weil dieser den Genitiv nicht richtig verwendet und seine Kinder Kevin und Jacqueline nennt.
Gleichzeitig wird aber in den Leitmedien dargestellt, dass es weitaus wichtiger ist, den Genitiv zu beherrschen und seine Kinder nicht mit unwürdigen Namen zu verzieren, als die Wand mit unwürdigen Tapetenausrichtungen.
Nach meiner Erfahrung mobben Kinder andere Kinder ständig, wenn nicht Erzieher eingreifen, ob nun Blockflöten zerbrochen werden oder man ausgelacht wird, weil man an der Tafel steht und nicht weiß, dass Rhythmus mit zwei „h“ geschrieben wird. Der „Herr der Fliegen“ von William Golding mag ein fiktiver Roman sein, ich halte ihn für nah an der Realiät.
Vielleicht sollten wir versuchen, eine Gesellschaft zu erreichen, in der es nicht von wirklichem Belang ist, ob man unter einer Fuge ein Stück von Bach oder den Zwischenraum zweier Badezimmerfliesen versteht. Es wäre jedenfalls hilfreich für ein gedeihliches Zusammenleben.
Ich bezweifele, dass der Handwerker ohne Arbeitsrichter glücklich wird, wenn er Ärger mit seinem Chef hat. Oder seine Zeitung selbst schreiben will. Und ob es einer Gesellschaft gut tut, wenn sie aufhört, über sich nachzudenken? Was die Medien angeht, so steht es diesen Leuten doch frei, das Internet vollzuschmieren, wie großartig sie und wie mies alle anderen sein sollen. Das tun sie ja auch, wenn man teilweise so in die Kommentare schaut. Es sei ihnen gegönnt. Aber wieso soll ich Menschen, die anderen nicht mit Höflichkeit und Respekt begegnen, selbst Höflichkeit und Achtung entgegenbringen?
Weil in imho nix anderes weiter bringt. Alle anderen Methoden sind in den letzten 8000 Jahren ausprobiert worden und haben keine sinnvollen Ergebnisse gebracht. Da bin ich altmodisch: Bergpredigt, Ghandi, Martin Luther King und so. We will prevail und so. Genauso wenig wie ich mir von Altnazis vorschreiben lasse, ob ich “ kein schöner Land“ singen darf oder nicht, genauso wenig lass ich mich zu nem bestimmten Kommunikationsverhalten bringen. Wenn die „Anderen“ (TM) nur in Schwarz-Weiss und Freund-Feind Denken verharren, warum dem auf den Leim gehen und genauso werden?
Also, an meinem Gymnasium wurde ich weiland lange und mit Begeisterung von Höheren Söhnen und Töchtern gemobbt. Mobbingfälle an Gymnasien gibt’s auch aktuell zuhauf, und da mobbt nicht das Quotenarbeiterkind die versammelte Clique der Juristenkinder.
Ich habe den amerikanischen Wahlkampf relativ intensiv verfolgt, auch gerade die Kommentarschlachten in den sozialen Netzwerken, und die Verachtung der „Linken“ für die „Rechten“ (naja,was man halt so links nennt in den USA) steht der der „Rechten“ um nichts nach. Dieses Narrativ der tumben Toren vom Land halte ich für einen großen Fehler. Es entmenschlicht die Leute ein Stückweit, indem sie sie einer gesichtslosen Masse („kulturloses antifeminstisches Trumpwählermaterial“) zuschlägt. (Natürlich macht das die Gegenseite nicht anders, aber die Linken sollten es nun wirklich besser wissen & machen.) Leider schlägt dieses Narrativ die Tür zu einer vernünftigen Kommunikation zwischen den Gruppen zu.
Ich würde jedem die Achtung entgegenbringen, die er auch mir entgegenbringt, und wer anderen unhöflich begegnet, hat von mir auch nicht viel Mitgefühl zu erwarten. Die Annahme, dass dann, wenn man diesen Leuten freundlich begegnet, sie auch freundlich würden, halte ich für schieres Wunschdenken.
Natürlich gibt es unfreundliche Leute in allen Schichten. Mir sind unhöfliche Menschen allerdings überproportional in der beschriebenen Gruppe begegnet.
Sehr geehrte Madame Modeste,
ich sehe das so: ehemals demokratisch wählende Amerikaner haben nicht für Clinton gestimmt, weil sie sich von der Demokratischen Partei unter ihr nicht repräsentiert gefühlt haben. Dass diese Menschen Meinungen oder Umgangsformen haben, die Ihnen oder mir nicht genehm sind, ist kein prinzipielles Problem für die Demokratie. Dass die eine Hälfte der Bevölkerung der USA die jeweils andere so sehr verachtet, dass ein gesellschaftlicher Diskurs über die Parteigrenzen hinweg nicht mehr möglich ist, schon. Soweit sind wir in Deutschland noch nicht, aber wir sind auf dem besten Weg dorthin.
Dass Ihnen oder mir bestimmte Menschen unsympathisch sind, ändert nichts daran, dass sie Teil der Gesellschaft sind, in der wir gemeinsam leben und dass wir miteinander auskommen müssen. Dafür gibt es – in Bezug auf die Organisation der politischen Willensbildung – im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Demokratie und Tyrannei. Letztere hat den Vorteil, dass man nicht miteinander reden muss, um politische Entscheidungen zu treffen. Der Wunsch, mit dem Pöbel nichts zu tun zu haben – so verstehe ich Ihren Artikel – führt, wenn man ihn konsequent zuende denkt, genau dort hin.