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Der beste Spam der Welt

Tag für Tag klicke ich die Spamkommentare weg, mit der hier erkennbar unseriöse Geschäftsleute um Kunden werben, um Sie, meine sehr geehrten Leserinnen und Leser, vor schlechten Geschäften und schlechten Empfindungen gleichermaßen zu bewahren, doch heute, heute nachmittag sozusagen, hat dann doch ein Spammer den Vogel abgeschossen. Einen riesengroßen Vogel. Den Vogel überhaupt. Es ist ein Brustvogel:

„Natürlich umging ich mich mit allen Mädchen nicht, die diese Creme benutzten. Bis sich unter meinen Bekannten von keiner befunden hat, wer sich über das Mittel Bust Size schlecht geäußert hätte. Es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Creme für die Frauen vorbestimmt ist, die träumen, das Äußere zu ändern, aber wollen sich auf die plastische Operation nicht legen. Jede versteht, dass die Implantation der Brust es, aufwendig krank ist, und es ist nicht bekannt, wie sich die Implantate in der Zukunft führen werden. 

Alle Mädchen wollen die Mütter werden und ohne Probleme füttert das Kind von der Brust. Es ist ganz offenbar, dass man nach der Plastik der Brust die natürliche Ernährung des Kindes von der Milch vergessen kann. Die Creme Bust Size für die Titten hat solchen verderblichen Einfluss auf milch dem Eisen, wie die Operation nicht. Er ist überhaupt unschädlich, da die Zonen der Größe der Brust, nicht außerdem fördert.“

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Mit dem Pfeil, dem Bogen

„Ich gehe zum Fasching als Indianer. Mit Pfeil und Bogen.“

„Geht es auch ohne Pfeil und Bogen? Das finden deine Erzieherinnen bestimmt nicht so toll.“

„Die Erzieherinnen sind meine Feinde.“

„Auch R. und M.? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Nein. Nur I. Das ist meine Feindin. Die sperre ich ein und schieße sie mit Pfeil und Bogen. Nur wegen der musste ich auf der Bank sitzen.“

Die Bank, auf die jugendliche Missetäter gesetzt werden, um nachzudenken, ist das Hauptdisziplinierungsmittel in F.’s Kita.

„Was hast du denn angestellt?“

„Ich habe J. geärgert. Alle meine Freunde haben gelacht.“

„Dann hast du zu recht auf der Bank gesessen.“

„Nein. I. ist meine Feindin. Ich habe mir auf der Bank ausgedacht, dass ich sie mit Pfeil und Bogen abschieße. Zum Fasching. Weil man da Kostüme anhaben kann. Mit echten Waffen.“

„Wieso hast du denn J. geärgert? Wart ihr heute im Garten?“

„Nein. Nicht heute. Mama! LETZTES JAHR!.“

Oha. Erstens scheint die Verbannung auf die Bank in zumindest einigen Fällen ihren Sinn zu verfehlen. Zweitens ist der F. noch deutlich nachtragender, als mir so klar war. Ich hoffe, ich habe beim F. keine geheimen Schulden.

No Fashion. No Style

Schönheit, sagt man, liege immer im Auge des Betrachters, aber das ist natürlich Quatsch. Bisher sind alle Bemühungen, das Schönfinden einfach aller Leute durch öffentliche Proklamationen irgendwie zu fördern, ziemlich folgenlos verhallt. Auf der Fashion Week laufen jedenfalls immer noch sehr dünne, sehr junge Osteuropäerinnen über die Laufstege, und der einzige Trost als mittelalte, mitteldicke Frau ist es eigentlich, dass man die feilgebotenen Sachen auch gar nicht haben will, weil man die weder in Gegenwart seiner Kollegen noch in der kleiner Kinder tragen kann. Kleidung für andere Gelegenheiten brauche ich quasi nicht.

Leider enthebt einen dies nicht der Notwendigkeit, überhaupt Kleidung zu kaufen. Zum einen ist hierzulande ziemlich kalt. Zum anderen ist es unüblich, nichts oder immer nur dasselbe zu tragen. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, beruflich einfach immer ein blaues Kleid mit blauem Blazer und privat Jeans und Streifenshirts zu tragen, aber die Leute würden mich für exzentrisch halten, und das wäre mir nun auch wieder nicht recht.

Nun kann man nicht einmal sagen, dass ich es nicht schaffen würde, mir etwas zu kaufen. Im Onlineshoppingzeitalter ist das ja alles nicht so schwer, da reichen 20 Minuten an einem Sonntagabend. Oder ich raffe mich auf und gehe ins Lafayette. Ich habe jetzt auch keine so komplizierte Figur. Ich kann mich nur nicht überwinden, denn ich interessiere mich für kaum etwas weniger als für Mode. Ich kann mich auch nicht anziehen, bei mir hat alles irgendwelche komische Flecken, mein Strumpfhosen haben Laufmaschen, und wenn sonst nichts ist, platzt eine Naht.

Sehr beneidet habe ich schon vor geraume Zeit Männer um die Möglichkeit, bei so einem Onlineshop mit Sitz in der Berliner Torstraße ganze Outfits zu beziehen, die die aussuchen und einem schicken. So etwas möchte ich auch. Ich habe also am Wochenende bei Zalon den Fragebogen ausgefüllt und warte auf die Lösung aller meiner Kleidungsprobleme.

Falsche Pferde

Ganz früher muss es traumhaft gewesen sein. Zumindest, wenn man der F. glaubt. Ganz früher gab es ein großes, weißes Haus am Stadtrand von Frankfurt. Einen Pool. Einen Vater, der von einem Wagen mit Fahrer abgeholt wurde, wenn er ins Büro fuhr, und eine Mutter, die viel lachte und sehr schön war. Zumindest für einen der Elternteile war es aber offenbar weniger traumhaft, denn 1984 trennten sich die Eltern. Die Mutter der F. behielt das Haus noch zwei Jahre. Dann wurde es verkauft. Sie kaufte sich eine kleinere Wohnung in Wiesbaden, denn in der kleinen Stadtrandgemeinde fiel man als geschiedene Frau aus allen Freundschaften heraus und wurde nicht mehr eingeladen. Die F. und ihr Bruder verbrachten jedes zweite Wochenende beim Vater und fuhren zweimal im Jahr mit ihm in Urlaub. Als die F auszog, begann die Mutter, ehrenamtlich behinderte Kinder zu unterstützen.

Nie hat sich die F. gefragt, wovon ihre Mutter eigentlich all die Jahre gelebt hat. Inzwischen weiß sie, dass die Mutter aus dem Hausverkauf genug Geld für ihre neue Wohnung bekommen hat, eine ganz ordentliche Rente, die ihrem Exmann von seiner Rente abgezogen wird, und laufenden Unterhalt über Jahrzehnte. Außerdem hat sie irgendwann noch einmal geerbt.

Als die F. vor ein paar Jahren geheiratet hat, gab es kein weißes Haus. Aber eine große Wohnung in Mitte, die allerdings nur gemietet war. Zwar keinen Pool, auch keinen Fahrer, aber ihr Mann gehört zu den wenigen Leuten, die in seinem Unternehmen auch heute noch Business fliegen dürfen, wenn sie irgendwohin fahren. Zwei Kinder.

Leider ging es auch mit der F. und ihrem Mann nicht ewig gut. Inzwischen hat er eine neue, große Wohnung, diesmal gekauft. Da lebt er mit seiner neuen Freundin. Irgendwann, als alle auf einem 40. Geburtstag ziemlich betrunken waren, hat die F. zumindest ein paar Freundinnen verraten, dass ihr Mann ihr vorgeworfen hatte, sie sei eigentlich tot und nur noch eine Funktion ihrer Kinder.

Sie lebt aber noch, deswegen braucht sie Geld. Leider verdient sie als freie Journalistin mit sehr gelegentlichen Aufträgen zu wenig für eine Wohnung in ihrem alten Kiez. Sie ist nach Moabit gezogen und wohnt dort auf 60 Quadratmetern. Unterhalt gab es einige Jahre für die Kinder. Jetzt ist ihr Sohn aber zu ihrem Exmann gezogen. Man darf die F. nicht nach Hintergründen fragen, denn sie fühlt sich von ihrem Sohn quasi verlassen und betrogen, obwohl sie weiß, dass das nicht so ist und man so etwas auch nicht denken sollte. Manchmal hat die F. Angst davor, dass auch ihre Tochter zu ihrem Exmann zieht.

Unterhalt für sich hat die F. nie bezogen. Wenn jetzt auch noch der Unterhalt für die Tochter wegfiele, würde es gar nicht mehr reichen. Vielleicht geht die F. dann zum Amt. Vielleicht zieht sie zu ihrer Mutter. Wahrscheinlich sieht sie ihre Kinder dann nur noch sehr selten, weil die Kinder ohnehin in ein Alter kommen, in dem sie weniger Kontakt suchen, als den Eltern lieb ist. Vermutlich lockern sich die freundschaftlichen Beziehungen zu ihren Berliner Freundinnen, wenn sie erst mal in Wiesbaden sitzt. Ich nehme an, sie erbt irgendwann die Wohnung ihrer Mutter. Dann wird sie dort alt werden. Spätestens, wenn sie Rentnerin wird und nicht mehr schreiben kann, wird sie auf Sozialleistungen angewiesen sein, oder ihre Kinder müssen für sie aufkommen. Ich weiß, dass sie sich davor fürchtet.

Schau dich nicht um

Schau dich nicht um, sagt der Engel zu Lots Weib, denn wer sich umschaut, ist verdammt dazu, den Rest aller Tage seine Trümmer anzuschauen, und darauf zu warten, dass die Säulen sich erneut aus dem Staub erheben und aus den Splittern Dächer wachsen. Jeden Tag wartest du vergebens.

Ich habe im letzten Jahr so viele Gewissheiten verloren. Ich dachte immer, am Ende gehe doch alles gut aus, aber inzwischen habe ich morgens Angst, Spiegel Online zu öffnen und fürchte mich vor Wahlen. Inzwischen halte ich alles für möglich. Die Atempause, das Goldene Zeitalter, unsere Pax Augusta, geht ihrem Ende zu.

Ich habe im letzten Jahr an drei Gräbern gestanden. Tote Sänger interessieren mich nicht, aber ich habe Angst vor den Verlusten, die in den nächsten Jahren anstehen. Ich bin 40, die Elterngeneration wird alt und die Gleichaltrigen sind nicht mehr so gesund wie früher. Gebe Gott, dass es nie eins der Kinder trifft, aber vor mir liegen wahrscheinlich mehr Beerdigungen als Hochzeiten. Mein Leben und das meiner Freunde hat in den allermeisten Fällen vermutlich seine Endausbaustufe erreicht. Für romantische Komödien sind wir zu alt. Unsere Erfolge sind eingetreten oder kommen nicht mehr. Die meisten Überraschungen werden unangenehm ausfallen.

Ich erwarte in den nächsten zwölf Monaten wenig. Ich hoffe, Europa bekommt die Kurve. Ich hoffe, die, die ich liebe, bleiben gesund bei mir. Ich hoffe, ich gehe morgens gern zur Arbeit. Ich wünsche mir Wärme, Freundschaft. Liebe. Gutes Essen. Musik. Ich will nicht nach hinten schauen. Ich will nicht erstarren.

Weihnachten im Hotel

Irgendwann, wir waren ziemlich jung, hörten wir Weihnachten auf, nach Hause zu fahren. Wir feierten Heiligabend im Kaffee Burger, tranken zu viel, kauften uns wahnsinnig viel wahnsinnig gutes Essen und aßen das teilweise allein, teilweise mit Freunden und gingen ins Theater. Wer was von uns wollte, musste herkommen, aber dabei möglichst nicht stören. Weihnachten war sehr erholsam damals. Manchmal blieben wir einfach ganze Tage im Bett und tranken Champagner.

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Wer Kinder hat, weiß: Mit Kindern ist das kein Konzept. Kinder wollen geschmückte Bäume, Trubel, Weihnachtsmänner, riesige goldene Schleifen überall und gemeinsam geschmetterte Weihnachtslieder. In ungefähr zehn bis zwölf Jahren darf der heute vierjährige F. das alles doof finden und anfangen, Weihnachten auswärts auf die Pauke zu hauen, aber es ist quasi ein Naturgesetz, dass man seinen Kinder Konventionen schuldet, damit die später irgendwas zum Rebellieren haben. Einen Haken hat die Sache allerdings. Ein konventionelles Weihnachten ist sehr, sehr aufwändig. Man muss Massen an Lebensmitteln einkaufen und Mahlzeiten planen, man muss einen Weihnachtsmann bestellen, alles dekorieren, einen Baum erwerben und aufstellen, schmücken, Plätzchen und Stollen backen, Gänse braten und Rotkohl schmoren, Knödel drehen, im Internet nachschauen, wann der Kindergottesdienst stattfindet und diesen besuchen, ohne genervt aufs Handy zu schauen, und während der Weihnachtsfeiertage andauernd aufräumen, weil man so viel zu Hause ist, dass alle in der Wohnung befindlichen Gegenstände in regelmäßigen, circa zehnminütigen Abständen den Aufenthaltsort wechseln, um insbesondere den Fußboden alsbald gleichmäßig zu bedecken.

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Wenn aber Heiligabend auf einen Samstag fällt, kein Urlaub mehr genommen werden kann und die Versuchung, stundenlang bewegungslos auf dem Sofa zu liegen, von Tag zu Tag ohnehin unkontrolliert wächst, ist ein heimisches Weihnachten keine Alternative. Bei unseren Eltern ist es auch zu anstrengend. Man muss also raus.

Man fühlt sich schon großartig, wenn man im Internet die Weihnachtsarrangements der Hotels scannt. Es fühlt sich so ein bisschen an wie Schule schwänzen: Man müsste eigentlich aktiv werden, statt dessen lehnt man sich in den Kissen zurück und döst noch zwei Stunden. Anders als bei Menschen, die irgendwann nicht mehr duschen und Rechnungen nicht mehr öffnen, läuft man aber nicht Gefahr, dass das eigene Kind in zwanzig Jahren eine Weihnachtsneurose entwickelt, weil es bei der Geburt Christi von prekären Zwangsvorstellungen von kalten Ravioli aus der Dose überfallen wird. Weihnachten im Hotel ist perfekt: Es ist alles da. Aber man muss sich nicht selbst darum kümmern.

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Während es bei Reisen zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt auch ein unkompliziertes Hotel tut, sollte ein Weihnachtshotel so bequem wie möglich sein. Zum einen ist es Weihnachten oft kalt und man selbst nicht so arg dolle draußen. Zum anderen dekorieren bequeme Hotels besser. Optimal bietet das Hotel der Wahl ein Weihnachtsessen an, abends kommt ein Weihnachtsmann, und wenn es sehr gut läuft, sind viele andere Familien da, die auch den häuslichen Weihnachtsanstrengungen entkommen wollen, dann haben die eigenen Kinder immer jemanden zum Spielen. Man selbst sitzt sehr zufrieden auf ausgesprochen bequemen Polstermöbeln, unterhält sich ein bisschen nach rechts und links, und ab und zu reicht einem jemand ein volles Glas oder etwas zu Essen.

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Es war toll. Ein voller Erfolg. Das mache ich wieder.

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Angela Merkel und ich

Vor ungefähr einem halben Jahr war F.’s Kitagruppe im Bundestag. Der örtliche Abgeordnete stellte sich vor, erzählte gemeinsam mit seinem Büroleiter, was Abgeordnete eigentlich den ganzen Tag so tun, und dann liefen die Kinder einmal durch die Reichstagskuppel und schauten sich alles an. Am Nachmittag kam der F. heim und berichtete, der Abgeordnete interessiere sich für Strom, im Bundestag stehe die deutsche und die europäische Flagge, und er habe genau gesehen, wo Angela Merkel sitzt.

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In den nächsten Wochen wuchs sein Interesse an der Kanzlerin. In der Kita wurde als Teil des auch den Bundestagsbesuch umfassenden Projektes eifrig abgestimmt und gewählt, immerzu befand sich der F. im Wahlkampfmodus, und vermutlich verehrt der F. die Kanzlerin nicht nur, weil sie derzeit Deutschlands oberste Bestimmerin ist, sondern weil es ihr auch gelungen ist, mehrfach wiedergewählt zu werden. Wahrscheinlich denken nur noch Frauke Petry und Frau Merkels Büroleiterin mehr an das Regierungsoberhaupt der Republik, anders als bei Frau Petry steht der F. der Kanzlerin allerdings sehr positiv gegenüber, insbesondere über ihre Flüchtlingspolitik ist er ganz anderer Ansicht als jene. Erst kürzlich verstieg er sich gar zu der Ansicht, Frau Merkel habe nichts falsch gemacht, eine Ansicht, die nicht einmal Mitarbeiter und Parteigänger in dieser Absolutheit teilen.

Vor kurzem erfuhr der F. nun, dass Angela Merkel sich nächstes Jahr einer Wiederwahl stellen muss. Seitdem tobt der Wahlkampf. Zuerst wurden wir gefragt, ob wir denn auch wirklich Merkel wählen und ernsthaft vermahnt, nichts Falsches zu tun. Dann wurden andere Eltern unterwiesen. Kürzlich hat der F. auch seine Erzieherinnen interviewt, und wenn mich nicht alles täuscht, verbreitet sich im östlichen Teil des Prenzlauer Berges gerade das Gerücht, der J. und ich seien stramme Christdemokraten. Wir müssen das bei Gelegenheit mal richtigstellen.

Diese und jene

Ich bin ein Kleinstadtkind. In unserer Kleinstadt gab es nur eine Grundschule, in die gingen alle Kinder. Man hört oft, eine Schule für alle sei super für alle Kinder, weil die Lernschwachen von den -starken lernen, und die Starken von den Schwachen soziale Fähigkeiten erwerben, also anderen helfen und so, aber in Wirklichkeit war nichts davon der Fall. Die meisten Kinder, die auch am Ende der vierten Klasse kaum richtig lesen und schreiben konnten, lernten nämlich schon deswegen nichts von den guten Schülern, die Blockflöte und Schach spielen konnten, weil sie diese Kinder abgrundtief verachteten und über sie – mich eingeschlossen – sofort mit Stöcken und Steinen hergefallen wären, wenn die Lehrerinnen das erlaubt hätten. Die Kinder mit Blockflöten und Einserzeugnisen wiederum lernten kein besseres Sozialverhalten von den Kindern mit Versetzungsschwierigkeiten, weil letztere ihnen wegen eines schwer verständlichen Überlegenheitsgefühls keine Gelegenheit gegeben hätten, ihnen bei den Hausaufgaben oder so zu helfen.

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Nach der vierten Klasse trennten sich die Wege. Ich habe zu den Kindern, die nach der vierten Klasse die Hauptschule besuchten, keinen Kontakt mehr. In den letzten Tage habe ich aber mehrfach an diese Kinder gedacht. Ich glaube nämlich, dass diese Kinder – in der amerikanischen Version natürlich – es waren, die letzte Woche Trump gewählt haben. Woher ich das weiß? Ich habe sie erkannt. Sie waren in der Zeitung abgebildet, wie sie breitbeinig vor ihren Gartenzäunen standen. Ich habe gelesen, dass sie Hispanics im Supermarkt gejagt haben und Frauen angerempelt und beleidigt haben. Ich kenne das nämlich von früher, mein Schulfreund M., der einen leichten Sprachfehler hatte, wurde mal minutenlang zwischen drei dieser grölenden Jungen herumgeschubst. Ich bin Asiatin und wurde deswegen von diesen Jungen grundsätzlich Schlitzi gerufen, und meiner Freundin K. wurde einmal von denselben Jungen die Flöte zerbrochen. Sie wurden jedesmal ermahnt, bestraft und ihre Eltern einbestellt, aber ich kann mich an kein Zeichen der Reue erinnern.

Gerade quellen die Zeitungen über von Artikeln, in denen es heißt, dass die armen, weißen Männer zu wenig Geld hätten und zu wenig Zukunftsaussichten. In diesen Artikeln schwingt immer mit, dass diese Leute dann, wenn sie mehr verdienen würden, nicht jemanden gewählt hätten, der sich bis heute nicht für die Belästigung von Frauen entschuldigt hat und Muslime registrieren lassen will. Außerdem wäre es auch irgendwie verständlich, dass Leute mit zu wenig Geld und zu wenig Anerkennung aggressiv werden.

Es mag sein, dass es auch diese Leute gibt. Es gibt aber auch die Jungen aus meiner Grundschulklasse. Die haben gar nicht in jedem Fall zu wenig Geld. Die sind nicht besonders gebildet, weil sie Eierköpfe verachten. Dafür können manche von ihnen Sachen mit den Händen machen und haben sich damit Einfamilienhäuser und Audis A 6 verdient. Wenn man denen zuhören oder ein bedingungsloses Grundeinkommen gewähren würde, würde sich nichts an ihrer Weltsicht ändern. Die sind nämlich gar nicht weiter rechts als früher. Die haben schon mit sechs, sieben, acht alle verachtet, die ihnen irgendwie anders, feinstofflicher, schwächer, ausländischer oder behinderterer erschienen verachtet. Die hätten uns bespuckt, wenn sie gekonnt hätten. Die kann man nicht bestechen, dass sie wieder demokratisch werden, weil sie es nie waren. Ich weiß nicht, was man mit denen macht. Bis auf weiteres verachte ich deswegen zurück.

Kleiner Abschied

Auf einmal hat der Erziehungsaufwand des F. deutlich angezogen. Bis vor einigen Monaten reichte es, dass er satt und sauber war und immer dabei. Sprechen, laufen und wie ein Mensch essen lernen Kinder nämlich praktisch von selbst. Gut, das Radfahren hat ihm der J. im Park beigebracht, aber eigentlich lief der F. so verhältnismäßig beiläufig neben uns her und quatschte von morgens bis abends, denn der F. kann sehr, sehr gut und vor allem viel sprechen. Dafür klettert er nicht wesentlich geschickter als ein Sack Zement seine Mutter.

Dann fuhren wir in Urlaub, und als wir zurückkamen, lag ein laminierter Zettel im Fach des F. in der Kita. Es soll Theater gespielt werden, und auf dem Zettel stand seine Rolle. Seitdem sitzen wir also in allen möglichen Situationen, wenn wir also gerade dran denken, und lassen ihn seine Rolle aufsagen. Zwischendurch hatte die Erzieherin ihm wohl mal erzählt, es liefe noch nicht so dolle, da war er sehr traurig, und ich schämte mich sehr, weil wir doch schuld waren mit unserer Faulheit. Inzwischen wurde er gelobt, jetzt ist er wieder obenauf und benörgelt seinerseits die Leistungen Dritter.

Dann schickte seine Klavierlehrerin eine E-Mail. Alle Mails, die Kinder betreffen, erhalten Mütter. Sie schickte also mir eine E-Mail. Im Anhang befand sich das Klavierstück, das der F. auf dem Weihnachtskonzert spielen soll. Stück ist etwas übertrieben, es handelt sich um  ein Stück, das zum größten Teil die Klavierlehrerin spielt, und der F. spielt auch einige Sequenzen.

Seither hat unser Familienleben ein wenig gelitten. Täglich fragen wir ab, ich kann den Part der Klavierlehrerin jetzt auch schon auswendig, ab und zu bauen wir den F. auf, weil er in Tränen ausbricht, wenn irgendetwas nicht auf Anhieb hinhaut, und eines Nachts habe ich ihn vorm Klavier beim Üben erwischt. Dafür strahlt er, wenn es gut läuft, und wächst, wird er gelobt, um einige Zentimeter auf ungefähr 1,15.

Auf der einen Seite freue ich mich über meinen großen, klugen Kerl. Ab und zu schaue ich ihn an und finde ich hinreissend in seiner flinken, gewitzten Fröhlichkeit. Wie er sich über Bewunderung freut, wenn er im Museum seiner besten Freundin von Julius Caesar erzählt, den die Römer umgebracht haben, weil sie keinen Kaiser wollten. Wie er strahlt, wenn er beim Italiener seine drei, vier Worte Italienisch aus dem Urlaub herauskramt und alle sich freuen. Wenn er sich über Bücher, kleine Bürogeschichten, Politik unterhält, ganz genau nachfragt, sich vorsichtig an Meinungen herantastet und dann ganz sicher wird und sehr überzeugt von einer Seite, auch wenn es zwei oder mehr davon gibt. Dann aber schaue ich ihn an, wenn er auf dem Sofa sitzt und singt und nehme jeden Abend ein kleines bisschen Abschied von dem rundlichen Baby auf der blauen Decke mit dem Wal, von dem wackeligen Kleinkind, das sich am Tisch festhielt, von dem kleinen Kerl mit dem Löffel voll Kartoffelbrei und will jeden Moment festhalten und gleichzeitig mit ihm weiterstürmen, ins Grenzenlose und darüber hinaus.

Im Skykitchen (der kinderlose Freitag)

Wir ärgern uns. Der R. und die I., die eigentlich immer wissen, wo man gut isst, wollten uns schon vor zwei Jahren ins Skykitchen lotsen, aber einmal war kein Tisch zu unserem Wunschtermin zu haben, dann hatten wir uns in die Cordobar verliebt und waren andauernd da. Schließlich rief ich dann doch an und stand schließlich leicht erschauernd mehrere Wochen später vorm Portal des Andels Hotel. Das Hotel sieht aus, als sei die DDR auf einmal doch zu etwas Geld gekommen, ringsherum stehen scheußliche Häuser, ein Burger King, die Europaschwimmhalle und die S-Bahn Landsberger Allee. In einer solchen Umgebung werden normalerweise Schweine geschlachtet, und zwar nicht die glücklichsten Vertreter ihrer Art.

Ist man oben angekommen und tritt aus dem Fahrstuhl, sieht die Welt wieder anders aus. Bunte, sehr schöne Stoffe, Teppich auf Sichtbeton, so eine gute Mischung aus Moderne und Gemütlichkeit, vielleicht ein bisschen zu konfektioniert, aber auf dem Sofa würde ich mich sofort einrollen und einschlafen. Das Beste ist aber die Sicht. Der J. und ich saßen am Fenster, starrten über Berlin, unter uns eine der großen Straßen, auf denen die Autos stadtauswärts fahren, und all die Lichter der Stadt, die wir lieben.imageWir sind ein bisschen aufgedreht, lachen über nichts, machen Leute nach, loben Lampenschirme und bestellen, weil wir den noch nicht kennen, einen Belsazar Wermut, einen rosé, und sind so begeistert, dass ich gleich am nächsten Tag eine Flasche kaufen muss. Wermut, erzählt der sehr, sehr gute Kellner, sei das nächste große Ding. Auf nächste große Dinger habe ich meistens aus Prinzip keine Lust, aber der Wermut ist so gut, dass jeder, der mich besucht, den jetzt trinken muss, bis keiner mehr kommt.imageDie Menüauswahl ist nicht ganz einfach. Es gibt elf Gänge, von denen kann man sich zwischen drei und elf aussuchen. Wir entscheiden uns für acht, dazu drei Weine für mich, vier für den J., und dann lehnen wir uns zurück. Ich habe richtig Hunger, das Mittagessen ist inzwischen schon lange her, und deswegen esse ich ganz schnell den halben Brotkorb leer. Der J. nimmt die andere Hälfte. Es gibt vier verschiedene wahnsinnig gute Brotsorten und Brötchen, zwei Buttersorten, und zu Hause wäre ich jetzt mit dem Abendessen vermutlich fertig. Statt dessen kommen zwei Grüße aus der Küche.imageAls das Maiscremesüppchen mit Kaninchenpraline erscheint, schauen wir uns an. Das ist sehr, sehr gut, genau das richtige Maß an süffiger Fettigkeit, rund, cremig, ich will sofort eine Wanne davon und mich darin wälzen. Statt dessen erscheint ein Labskaus, ein Gedicht aus verschiedenen Konsistenzen, salzig, kross, weich, seidig: Schon weg. Als der Teller abgeräumt wird, habe ich sofort ein bisschen Heimweh nach diesem Essen.imageInzwischen steht auch der erste Wein vor mir. Ich vergesse alle Weine sofort, bis auf den Wein zum Hauptgang. Das liegt aber an mir. Ich trinke ganz gern Wein, kann mir aber nichts merken, außer den Etiketten, und hier vergesse ich auch die. Nur das Essen bleibt hängen, diesmal eine Saiblingsvariation.image Ich würde gern den Teller ablecken, aber statt dessen bringt der Kellner nun einen Teller mit Roter Krabbe, Sardelle, fischig, Käse ist auch dabei, ganz gut, aber nichts, was ich sofort wieder essen müsste, aber dafür ist der nun folgende Gemüsegang der Brüller. Es handelt sich um Blumenkohl, irgendwelche Cremes auch aus Gemüse und in der Mitte ein confiertes Eigelb. Ich bin so hingerissen, ich lasse mir sofort erklären, wie das geht, so ein Eigelb, und wenn ich jemals die Frage, ob ich Vegetarismus attraktiv finde, positiv beantwortet hätte, dann in diesem Moment. Ja, ich will. Den Rest meines Lebens exakt so etwas essen.imageInzwischen bin ich praktisch satt. Es folgt ein Würfel Milchferkel mit einer großen Krabbe, sehr lecker, aber Schweinefleisch und ich werden vermutlich in diesem Leben keine Freunde mehr. Ich mag die Konsistenz nicht, und wieso Schwein verwenden, wenn man auch Kalb essen kann. Ich habe irgendwo gelesen, es gibt eh zu viele Kälber, weil die Deutschen so viel Milch trinken, und deswegen votiere ich dafür, in allen Rezepten der Republik Schwein durch Kalb zu ersetzen. Dann wäre auch dieser Gang vor lauter Perfektion nicht mehr auszuhalten.

Das Maishähnchen ist makellos. Ein zartes Stück Brust, ein wenig Keulenfleisch in einer leider etwas zu heißen Frühlingsrolle, hauchdünner Kürbis, und es tut mir um jedes Gramm leid, dass auf dem Teller bleibt, weil ich mich nicht traue, ihn abzulecken oder zumindest mit dem Finger rückstandslos zu leeren. Mein Gott. Dieses Huhn ist für einen guten Zweck gestorben.imageDas gilt auch für den Hauptgang, Rib Eye mit Langos, also so kleinen Langoskugeln, mit Paprika paniert, was ein etwas seltsames Mundgefühl hinterlässt. Vielleicht wäre hier ein etwas saftigerer Überzug von Vorteil. Das Gemüse ist auch hier grandios, das Fleisch sehr präsent, sehr verdichtet. Der Wein, von Born von der Saale-Unstrut, passt perfekt. Ich hätte niemals einen so nördlich angebauten Rotwein bestellt, ich würde noch ein Glas bestellen, wenn ich noch etwas trinken könnte, aber statt dessen ächze ich dem Nachtisch entgegen.imageDer Käse jedenfalls, eine Zusammenstellung eines sehr cremigen und eines festen, gehobelten Käses auf einer Pumpernickelcreme mit rohem, knackigem Gemüse ist so fein, dass ich eigentlich aufhören könnte. Statt dessen folgt ein Predessert. Der Pflaumentee ist okay und sieht schön aus. Das Kalamansisorbet ist aber so dicht, so eine Explosion von Frucht, Süden, barfuß tanzen, dass ich nahe dran bin, meinen Nachtisch abzubestellen und statt dessen noch zwei von diesen Gläschen zu verlangen. Der Nachtisch – es nennt sich Müsli und ist natürlich keins – ist aber auch nicht schlecht. Noch besser die Beerenvariation, die der J. bestellt hat. Die Pralinen sind dann sehr in Ordnung, aber nicht so herausragend wie der Rest. Auch der Dessertwein ist sehr fein, aber nichts, was man nie getrunken hätte. Konsequent habe ich ihn sofort vergessen.image

Als wir vier Stunden nach unserer Ankunft in den Aufzug steigen, fühlen wir uns grandios. Die Stadt flackert und leuchtet uns entgegen. Wir schlendern nach Hause, das sind nur knapp 30 Minuten, erzählen uns das ganze Essen von vorn bis hinten und umgekehrt noch einmal, schmatzen laut in die staubige Luft der Danziger Straße und schlafen tief, sehr tief, angefüllt mit Essen und Glück.