Es passt zu dem J. und mir als Paar, dass wir uns im Herbst 1995 über Freunde kennengelernt haben, die wir schon damals wechselseitig total unsympathisch fanden, und ich den ganzen Abend über Thomas Mann sprach, den J. nicht leiden kann. Symptomatisch vielleicht auch, dass ich an dem Abend, an dem wir uns kennenlernten, einen zwei Größen zu großen braunen Shetlandwollpullover trug, den mir mein lieber Freund J.2 geschenkt hatte, wie ich vermuten muss: In feindlicher Willensrichtung gegenüber Dritten.
Angesichts dieser Vorgeschichte ist es kein Wunder, sich häufiger mal zu trennen, denn vielleicht hat ja einer von uns Glück und trifft nochmal jemanden, der Thomas Mann mag oder keine braunen Pullover anhat. Weil wir nach wenigen Stunden diese Hoffnung meistens als vergeblich erkennen, vertragen wir uns meistens aber verhältnismäßig schnell. Gestern beispielsweise haben wir uns zweimal getrennt und fast sofort wieder vertragen.
Zwischen dem Zerwürfnis und der Versöhnung lagen diesmal nur wenige Stunden, nicht einmal genug, um sich außerhalb Berlins Häuser anzusehen oder zu bewerben. Irgendwann in diesem verhältnismäßig kurzen Zeitraum fielen allerdings fatale Worte: Der J., es ist sozusagen nicht zu fassen, hat tatsächlich klar, eindeutig und bösartig mein Gewicht kritisiert.
Nun ist mir natürlich vollkommen klar, dass das herrschende Schönheitsideal von deutlich schlankeren Frauen als mir verkörpert wird. Auch ich lese Zeitungen und war schon mal auf Instagram. Von seinem ansonsten meistens geschätzten Gefährten kritisiert zu werden, ist aber eine andere Nummer, denn wer soll einen schon optisch okay finden, wenn nicht derjenige, den man geheiratet hat. Und selbst wenn man einen gewissen Verärgerungsaufschlag abzieht: Dieser Moment, meine Damen und Herren, ist der richtige Moment für ein Drama. Stellen Sie sich mich also ungefähr als Godzilla vor. Mit ein bisschen Übergewicht.
Ich bin nervlich vielleicht nicht die allerstabilste. Ich stehe also in der Küche, schon eher ziemlich strapaziert, ringe nach Luft und den richtigen Worten, da kommt unser Kind, der lustige F., des Weges. Der F. nimmt seine Eltern, wie es sich gehört, nur so mittelernst. Was soll man schon von Leuten denken, die so tun, als würden sie Knete essen. Was der F. aber weiß: Harmonie ist wichtig. Der F. verschafft sich also einen blitzschnellen Überblick über die Lage. Er holt tief Luft. Er lässt die Information, Mama sei zu dick, einen Moment lang sacken. Dann öffnet er den Mund, dem prompt die Worte entströmen, Mama solle nicht traurig sein. Er, der F., habe bereits schon einmal mit seinen eigenen Augen einen viel dickeren Menschen gesehen. In Berlin. Es sei ein Mann.
„Mama? Ist alles okay?“