Über Urlaub

Versuche, eingelassen zu werden

Heute also keine Ausgrabungen. Zum Baden ist es aber auch zu windig. Für Ikonen, von denen sie hier in Paphos einige haben, interessieren sich aber weder der J., noch ich; überhaupt stehen wir beide mittelalterlicher Sakralkunst eher distanziert gegenüber. Das ist auch so ein Ding mit zunehmendem Alter: Früher, schon auf dem Hinweg leicht gelangweilt, aus Pflichtgefühl in jede Kirche gerannt, wissend genickt, Heilige erkannt oder auch nicht, irgendwas über den Altar erzählt, dann dreimal gegähnt und wieder ab. Heute gleich morgens beim Blick in den Reiseführer abgewinkt. Wenn es stimmt, dass Kinder aus schierer Lust an der Revolte immer das Gegenteil von Mama und Papa machen wollen, wird der F. seine Tage damit füllen, über gotische Kathedralen nachzudenken.

Stattdessen also in die Altstadt von Paphos. Cafés stellen wir uns vor, kleine, hoffentlich hübsche Lädchen, im besseren Fall mit schönen Kleidern, Schuhen, Wein und Käse, im schlechterem mit abscheulichem, knallbunten Kunsthandwerk. Ich finde ja nicht nur Kirchen öde, ich mag auch weder Glasobjekte noch Töpferwaren. Holzschnitzereien, Lederwaren und Schmuck sind okay.

Also ein Taxi bestellt, taxifahrerliches Begehren abgewehrt, gleich die Rückfahrt mitzuverabreden. Acht Euro bis zur Markthalle, in der es allerdings ausschließlich Souvenirs und diesen Trödel, den man weltweit Touristen andreht, zu kaufen gibt. Teilweise gibt es sogar dieselben Gegenstände wie in Thailand, nur mit Olivenzweigen statt mit Elefanten. Teilweise haben die Anbieter aber selbst diese Modifikationen gespart und verkaufen auch auf Zypern Minielefanten mit Räucherstäbchen im Rüssel und die gleichen falschen Portemonnaies wie in Asien. Der lokale Gemüsehandel findet wegen des offenkundigen Primats des Andenkenhandels vor der Markthalle statt.

Wir wollen keine Elefanten kaufen. Wir halten Ausschau nach der Innenstadt. Rechts sehen wir eine Moschee, links eine Kirche. Kurz werden wir bei diesem Anblick müde, gähnen beide herzlich, dann wenden wir uns nach rechts und laufen die Straße entlang. Irgendwo muss hier die paphische Innenstadt sein, stattdessen finden wir aber nur ein halbes Dutzend Schuhgeschäfte, die irgendwie unbehaust wirken, so, als würde hier nicht nur jetzt gerade keiner einkaufen, sondern überhaupt nie wieder jemand das Geschäft betreten. Als wir die Schuhgeschäfte passiert haben, kommen wir zu Optikern, die aus irgendeinem unnennbaren Grunde genauso wirken. Gerechterweise muss man zugeben: An den Auslagen liegt es nicht, die sind in Ordnung.

Die Hälfte aller Läden ist leer. Ich denke nach. War da nicht was, Rettungsschirm, Rettungsauflagen, und ist vielleicht sozusagen und zugegeben umstrittenerweise Angela Merkel schuld an wirtschaftlichem Niedergang und Verfall? Oder ist hier etwa gar nicht die Innenstadt, und an einem andernorts gelegenen Platz befinden sich die belebten Boutiquen, angefüllt von einem geschäftigen Rascheln aus Seidenpapier und dem zufriedenen Klacken von Absätzen auf gut gepflegtem Marmor? Wir kehren also um.

An der nächsten Kreuzung bleiben wir stehen. Geradeaus stehen ein paar amtlich wirkende Gebäude. Schräg links sehen wir eine Tankstelle und ein paar Schilder, denen zufolge man hier die Stadt verlassen kann. Auf der Ecke befindet sich eine hübsche Weinbar, Tische vor der Tür unter einer Markise, die steuern wir an. Da sitzen wir also und der Verkehr donnert links an uns vorbei.

Der F. und der J. teilen sich ein Clubsandwich. Der F. trinkt Apfelsaft, der J. ein tröstendes Bier, und ich sauge durch einen mattschwarzen Strohhalm einen Orangensaft ein. Um die Ecke, nur fünf Minuten entfernt, befinde sich der Zoo, behauptet die freundliche Kellnerin auf Anfrage, und wir lassen aufatmend den Plan fallen, die Innenstadt zu suchen. Die gebe es vielleicht auch gar nicht, behauptet der J., der bei der Googlebildersuche nichts gefunden haben will. Ach so, sage ich und schaue im Internet nach, was es im Zoo für Tiere gibt.

Als wir uns etwas später noch einmal mit der Kellnerin unterhalten, nimmt die freundliche Kellnerin alles zurück. Der Zoo sei nicht hier, sondern ganz woanders. 25 Minuten sei das weg mit dem Auto. Ein Auto haben wir aber nicht gemietet, wegen des Linksverkehrs, vor dem wir uns fürchten, und deswegen geben wir auch dieses Vorhaben auf. Kurz spähen wir in die letzte noch nicht begangene Richtung und schauen in leere Friseursalons und unbelebte Bars. Dann fahren wir ins Hotel zurück.

Morgen besser wieder Ausgrabungen.

Nie wieder, immer wieder

„Schön hier!“, seufzt der J., und ich hebe meine Kaffeetasse und seufze ein bisschen mit. Morgen geht es heim. Das Meer wird mir fehlen. Das gute Essen. Ohne auf die Uhr zu schauen stundenlang durch provenzalische Gässchen zu laufen. Überhaupt, das Leben im Freien. Côte d’Azur also: Immer wieder.

Nicht so sicher bin ich mir, ob es auch wieder ein Ferienhaus sein muss. Schön, so ein Garten ist nett. Der F. spielt den ganzen Tag draußen, hat eine kleine Rutsche, ein Spielhäuschen, es gibt eine Laube und einen Grill, und wir haben so viel Platz, dass wir uns in das kleine Gästehäuschen im Garten leichtsinnigerweise – aber dazu später mehr – Besuch eingeladen hatte. Nachteil aber: Ich hasse es, zu putzen. Und hier ist ja die getreue B. nicht vor Ort, die dafür sorgt, dass wir in Berlin nicht im Dreck versinken. Subjektiv trage ich also den ganzen Tag Teller, Lappen, T-Shirts und volle Tabletts von der Küche auf die Veranda und zurück. Ich hänge Wäsche auf, ich fege aus, und wenn mir der J. keinen Kaffee kocht, dann tut es keiner. Scheußlich ist das. Vielleicht beim nächsten Mal doch wieder ein Hotel. Oder eins dieser Resorts, in denen man so eine Art Haus hat, aber jeden Tag kommen Zimmermädchen, und morgens gibt es Frühstück. In Thailand im Januar war das ganz gut. Da hatten wir ein Hausboot, das aber zu einem Hotel gehörte. Perfekt war das, das Beste aus beiden Welten. In Sainte Maxime aber vermutlich weder verfügbar noch bezahlbar.

Was auch an diesem – an sich sehr hübschen – Haus nervt: Sogar um Brot zu holen, braucht man ein Auto. Dorfbewohner stört das vermutlich nicht. Die kennen das nicht anders und betreiben ohnehin eine ausgefeilte Vorratswirtschaft. Ich aber empfinde das als deutlich einschränkend. Letztes Jahr waren wir in der Innenstadt von Menton, da konnte man abends einfach zu Fuß Essen gehen. Da hatten wir gar keinen Wagen. So abgelegen möchte ich nicht wieder wohnen. Überdies verträgt der F. Serpentinen, Kurven und lange Fahrten generell sehr schlecht. Man sieht dann leicht die jeweils letzte Mahlzeit zweimal.

Auch, wie der Volksmund so sagt, auf der Streichliste steht Familienbesuch. Wir hatten diesmal in das Gästehäuschen eingeladen. Nicht ganz ohne Hintergedanken: Für zwei, drei Tage Großeltern da zu haben, erschien uns eine großartige Sache. Tolles Essen zu zweit, ein Ausflug ins Gebirge. Ich mailte also, man könne für ein paar Tage vorbeikommen. Meine Schwiegermutter buchte dann ohne weitere Rückfrage Flüge für einen Aufenthalt von acht langen Tage und setzte sich mit meinem Schwiegervater erwartungsvoll auf die Terrasse. An Tag drei fasste ich einen festen Vorsatz: In Zukunft verbringe ich meinen Urlaub nur noch mit Leuten, die klug, weltoffen, freundlich, hilfsbereit und ehrlich am Urlaubsland, seiner Küche und meiner Gesellschaft interessiert sind. Wenn diese Leute dann auch noch Kinder in F.’s Alter haben, um so besser. Ein weiterer – nicht auf Urlaubszeiten beschränkter – Vorsatz: Für Kompromisse ob des lieben Friedens willen, habe ich keine Zeit, und Verwandtschaft gibt niemandem das Recht, mich anzuöden oder zu verärgern.

Ansonsten gern mehr vom Gleichen. Mehr Mittelmeer. Mehr vom Glanz der leuchtenden Küste. Mehr Muscheln, mehr Eis, mehr von diesen großartigen Törtchen. Mehr Zeit mit dem singenden, tanzenden F., mit dem J., mit Füßen im Sand und schwankenden Pinien. Mehr Cannes. Mehr von diesem grandiosen Roten von einem Weingut namens Chateau de Mauvanne, in dem ich gern baden würde. Mehr von diesen durchgelebten, aufgeputschten und behängten alten Damen mit ihren Hündchen, die mir beruhigend vor Augen führen, dass das Leben mit 80 zwar nicht mehr gut anzusehen, aber offenbar immer noch recht vergnüglich sein kann. Und mehr vom Licht. Dieses Licht. Dieser Himmel.

Das Internet am Strand

Zehn Uhr morgens. Ich sitze am Strand. Im wippenden, fleckigen Schatten einer Kokospalme beuge ich mich über mein iPad und lese in der ZEIT, die ich seit Kurzem nicht mehr als einen dicken Stapel Papier geschickt bekomme, sondern auf dem iPad lese. Das ist toll so, denn endlich kann ich die ZEIT auch im Bett oder in der U 2 lesen oder eben auf Koh Samui am Strand.

Vor mir im Sand spielt der F. und gräbt unter ununterbrochenem Murmeln mehrere Löcher in den Sand. Dabei macht er laute, brummende Geräusche, weil er heute eine Maschine darstellt. Unweit von ihm sitzen noch mehrere andere Kinder am Strand, die alle irgendwie Löcher buddeln oder Erdhaufen aufschütten. Hinter ihnen lagern irgendwo ihre Mütter, die allerdings – Deutsche und Briten ausgenommen – alle schlanker sind als ich. Besonders die Russinnen fallen mir auf, die ich heftig um ihre Figur beneide. Zu alledem sind sie auch noch gut angezogen.

Auch die anderen Leute am Strand hantieren mit Tablets oder Telefonen. Ab und zu knipst jemand in der Gegend herum oder schwenkt sein Telefon quer über den Strand, um die fliegenden Händler mit ihren Kokosnüssen, die wippenden Palmen und die Wellen einzufangen. Das stellen die gleich bestimmt alles auf facebook, denke ich mir. Oder die haben alle auch ein Blog.

Natürlich bin auch ich auf irgendwelchen Bildern. So als Staffage. Vorn das Meer, hinten dicke Touristin, wie es sich gehört, und so lande ich dann auch in den facebook-Accounts  der schönen Russinnen oder Japanerinnen, die sich zudem unablässig gegenseitig und selbst ablichten. Vielleicht stellen sie sich, denke ich mir, sogar ein bisschen absichtlich vor die eher etwas pummeligeren Hotelgäste, damit ihre eigene Schlankheit noch mehr auffällt.

Ich bin aber nicht nur circa 20 Kilo schwerer als die dünnen Mütter. Ich trage, um niemanden zu belästigen, auch keinen Bikini, sondern einen großen, blauen Badeanzug, und wegen einer jüngst überstandenen Bindehautentzündung trage ich meine alte Brille. Mit einem Wort: Ich sehe schlimm aus.

An und für sich ist das natürlich egal. Mein Gott, ich bin 38 und habe Urlaub. Wie ich aussehe, ist deswegen eigentlich komplett egal. Hier kennt mich doch keiner. Doch die ganzen iPhones in den Händen der ganzen Leute machen mich doch etwas nervös. Denn bis jetzt mag die Gesichtserkennung bei Google und so noch nicht so besonders weit gediehen sein. Was aber, wenn in fünf Jahren die Technik so weit entwickelt ist, dass man bei Google nur „Modeste“ eingeben muss, und dann erscheinen alle Bilder aus den facebook-Alben völlig fremder Leute? Bilder, auf denen man mich sieht, wie ich mein iPad auf meine Speckrolle stütze? Oder Bilder, auf denen ich die Nase kraus ziehe, die Brille leicht verrutscht, und ich wirke, als hätte ich schweres kognitives Problem? Was werden meine Nachbarn sagen, was meine Mandanten? Werden die Leute, die mich eh nicht ausstehen können, die Bilder dann hohnlachend weiterverbreiten? Werden Schulkameraden des F. mich so sehen und ihn hänseln, weil ihre Mütter bildschön sind, seine aber aussieht wie Miss Piggy? Bekümmert ziehe ich mir mein Handtuch über den Bauch und schaue beschämt zu Boden.

Bilk

Nun, meine Damen und Herren, öffnet sich der Vorhang und gibt eine tropische Szenerie frei. Es ist nicht spät, so ungefähr 21.00 Uhr, aber stockdunkel und im Hintergrund rauscht das Meer, im Vordergrund sitzen sehr wenige Leute auf einer sehr großen Veranda ziemlich verloren auf Rattanmöbeln vor ihren Getränken. Vor einem dunkelblauen Himmel wogen die Silhouetten einiger Palmen tiefschwarz hin und her.

Ganz rechts außen sehen Sie ein Paar in mittleren Jahren ermattet auf zwei Sesseln sitzen.  Er trägt ein blaues Hemd zu seinen Khakis und trinkt ein Bier namens „Chang“. Auf dem Etikett sind zwei Elefanten abgebildet, die betrachtet er ab und zu versonnen. Sie dagegen sitzt bis in die letzte Faser gespannt vor ihrem Gin Fizz. Neben ihr liegt ihre Tasche mit ein paar Einkäufen vom Nachtmarkt, und beiden ist anzusehen, dass sie eigentlich ganz gern woanders wären. In ihrem Hausboot etwa und zwar flach auf dem Rücken liegend nach einer alles in allem ganz und gar überbordenden Mahlzeit aus wirklich allen Lebensmitteln, die auf dem Nachtmarkt von Choeng Mon ganz gut aussahen, oder am Strand auf ein paar verlassenen Liegen. Das wäre auch gut. Das Meer würde rauschen, und ansonsten wäre Ruhe.

Von Ruhe kann auf der Veranda keine Rede sein. Das Hotel hat nämlich zwei Musikanten angeheuert, die nun sehr allein auf der einsamen Veranda stehen und allabendlich ein Potpourri der größten Bar-Hits aller Zeiten singen. Das ist schon an sich eine etwas schauerliche Angelegenheit, wenn tatsächlich so gut wie niemand da ist, der dem Gesang zuhören würde, bekommt das Ganze aber zu allem Überfluss auch noch eine so leicht melancholische Schlagseite, die man insbesondere dann nicht so gern hat, wenn man zu viel gegessen hat wie unser Paar hinter seine Getränken.

Im selben Moment, in dem Sie, verehrtes Publikum, sich fragen, warum die beiden eigentlich nicht aufstehen und gehen, fällt Ihr Blick auf den leeren Raum zwischen Musikanten und der Verandabestuhlung. Dieser Raum ist nämlich gerade nicht leer. Hier steht, ach was: wackelt, wippt, hüpft und klatscht ein kleiner Kerl im Streifenshirt teils im Takt der Musik, teils einfach nur irgendwie und zeigt alle Anzeichen der Ekstase. „Bilk!“, brüllt er von Zeit zu Zeit. Das soll „Musik“ heißen, und zwar nicht irgendwie nur Geräusch, sondern sozusagen den Superlativ von Musik, also Musik ganz, ganz groß geschrieben, Rausch, Lust und Überwältigung in einem.

Den beiden Musikanten ist die Erleichterung anzusehen, dass zumindest irgendwer – und sei er auch nicht einmal zweijährig – ihre Tätigkeit würdigt. Die Kellner hinter der langen, geschwungenen Bar freuen sich ebenfalls, kneifen den Buben in seine auffallend runden Backen und streicheln ihm den Kopf. Unser Paar jedoch auf den Rattansesseln schaut sich von Zeit zu Zeit halb amüsiert, halb kopfschüttelnd an und versucht, sich den Verlockungen ihres Sohnes F. zu entziehen, der immer wieder versucht, seine Mutter Modeste am Handgelenk hinter sich her auf die Tanzfläche zu schleppen, um dort mit ihm zu klatschen, zu stampfen und laut und gemeinsam glücklich auszurufen: „BIlk!“

Statt dessen schleppt eine verständnislose Mutter eine halbe Stunde später ihren widerstrebenden Sohn F. ins Hausboot. „Nein! Komm! Bilk!“, hören Sie ihn noch schluchzen, dann aber senkt sich der Vorhang wieder und die Musikanten sind nun ganz allein.

An die Ostsee

Wie leer Deutschland ist, denke ich auf dem Weg zur Ostsee und frage mich, wie die Deutschen jemals auf die Idee gekommen waren, Deutschland sei zu klein und bräuchte unbedingt Kolonien in Afrika oder am Ural. Rechts und links der Autobahn stehen diese kleinen, verkrüppelten Kiefern und schiefen Birken, die die Berliner schön finden, weil es hier ja sonst nichts gibt, was man schön finden kann, und zwischen dieser eher schütteren Landschaft fahren drei, vier Kraftfahrzeuge durch die Gegend. Wir auch. Wir fahren nach Heiligendamm.

Wir haben es ein paarmal mit anderen Unterkünften an der Ostsee versucht. Wir waren im Sommer in Zingst. Vor drei Jahren auf Usedom. In Zingst bedienten die langsamsten Kellner der Welt. Oder vielleicht stand in der Küche der langsamste Koch der Welt. Zum Frühstück gab es blöden Scheibenkäse und den Camembert, den die Mensa fritiert, wenn es da gebackenen Camembert gibt, und am Strand waren restlos alle anderen Leute tätowiert. Ich leiste mir gar nicht so viele Vorurteile, aber Leute mit Tätowierungen finde ich erst einmal sonderbar. Es gibt da durchaus Ausnahmen. Aber in dieser Massierung will ich nirgendwo sein, wo sich quasi jeder irgendwas Irres auf die Haut malen lässt. In Usedom dagegen war alles voller Rentner, also so diese beigejackerte Rentnersorte, und ordentlich essen kann man da auch nicht. Also Heiligendamm. Außerdem haben sie da gute Betten.

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Überhaupt ist es schön. Ich mag den Style, also dieses aufgeräumt-neoklassizistische Pastell. Ich habe mich mit dem Halb-Meer Ostsee abgefunden. Ich sitze gern in der einsamen Damensauna, weil ich mich in gemischte Saunen nicht mehr traue, seit ich denke, dass ich nicht mehr so aussehe, dass das keinen stört. Für Kinder ist es auch nett, gutes Essen, ein eigenes, ziemlich tolles Haus für Kinder zum Spielen und Basteln und so, und außerdem sind da dermaßen viele anderen Kinder, dass man sich auch ganz gut fühlt mit dem eigenen kleinen Kerl. Das ist nämlich andernorts öfters so eine etwas frustrierende Sache: Wo man selbst gern ist, sind Kinder nicht recht willkommen, und in diesen quietschbunten Höllen, die als Familienhotels deklariert werden, will und kann man sich nicht aufhalten. Wie das eigentlich die anderen Leute aushalten. Oder finden die knallbunte Comictiere vielleicht einfach schön?

Ein bisschen schade: Richtig voll war es wieder nicht. Gut, nun ist es November. Und die Anlage ist groß. Aber es war auch schon voller, selbst im März, glaube ich. Und öfters in den letzten Jahren. Mit Schaudern denke ich daran, dass es schnell vorbei sein könnte mit dem Refugium an der Ostsee, wie es ja erst kürzlich fast aus war in Heiligendamm. Fahrt hierhin, oh Ihr Berliner, schicke ich deswegen inständige Gebete an den Herrn der Küste. Fasst Euch ein Herz, setzt Euch ins Auto, spart die paar Kröten anderweitig ein und haut Euch in den Spa. Der ist nämlich richtig gut. Genießt das prächtige Frühstück, bei dem es nicht irgendwelchen minderwertigen Supermarktmist gibt, wie meistens an der Ostseeküste, sondern richtig gute Wurst und Fisch und Rohmilchkäse und sehr, sehr gute Eierspeisen, die richtig serviert werden für Leute wie den J. und mich, die Buffets eigentlich hassen. Überdies ist das Essen im Kurhaus richtig gut geworden, noch mal deutlich besser als früher, und die ganze Anlage sieht nicht mehr so steril und neu aus, sondern hat so ein wenig Patina, so eine leise, sachte beginnende Zerschlissenheit, die ich mag.

Schade, wenn es vorbei wäre. Deswegen: Fahren Sie. Es lohnt sich. Ich bin ganz sicher.

(Und ich bekomme kein Geld von denen, damit ich das behaupte.)

Naja, lala

Zu Urlaub in Deutschland habe ich ja ohnehin so schrecklich praktische Assoziationen. Also Rentner auf Fahrrädern. Und junge Familien in Outdoorkleidung, die in Jugendherbergen übernachten oder auf Campingplätzen, weil sie im Urlaub möglichst naturverbunden und einfach leben wollen oder auch einfach kein Geld haben, weil sie das ja alles in ihr Häuschen (wieso eigentlich dieser absurde Diminutiv?) gesteckt haben, das irgendwo am Stadtrand steht und mehr Geld kostet, als sie eigentlich haben.

Ich würde niemals Outdoorkleidung tragen, und wenn ich mir noch viel mehr schöne Schuhe auf den Spielplätzen Berlins ruiniere. Ich habe auch kein Haus, erst recht kein Häuschen, und wenn es nicht gerade Juli wäre, und ich mehr Zeit als eine Woche … aber so saßen wir also am vergangenen Montag im Auto und fuhren die A 20 hoch. Zingst. Dass das nicht so besonders mondän ausfallen würde, war natürlich klar. Aber dass sich alle meine Befürchtungen gleich bei der Ankunft realisieren würden, hatte ich in dieser Form nun auch nicht erwartet. Um es abzukürzen: Wir waren noch gar nicht ausgestiegen, sondern fuhren so Richtung Ortskern am Deich entlang, da sahen wir die Rentner. Sie eierten in bunten T-Shirts sehr, sehr langsam auf ihren Fahrrädern den Deich herauf und herunter, und ich wunderte mich ein wenig, dass nicht ab und zu einige der Rentner einfach umfallen, weil ein Fahrrad ein gewisses Mindestmaß an Geschwindigkeit verlangt.

Die jungen Familien in der Outdoorkleidung sahen wir auch, denn Outdoorkleidung ist bekanntlich der SUV zum Anziehen, weil diese wie jener zum Ausdruck bringen, dass der Besitzer ein Kind der Wildnis sein möchte, geschaffen für ein freies, gefährliches Leben in der Natur, und lediglich vorübergehend gezwungen sei, sein Geld im Büro zu verdienen. In Zingst wohnten die jungen Familien in Outdoorkleidung übrigens entweder in teilweise wirklich erschreckend hässlichen Ferienhäusern oder auf dem Campingplatz.

Ich aber wollte nicht ausgerechnet im Urlaub anfangen zu putzen, und campen kann ich nicht ausstehen. Wir wohnten also im Steigenberger Strandhotel. Das ist direkt an der Seebrücke, man hat es also nicht weit zum Strand, und außerdem ist der Style des Hauses ganz schön, also so beige und rot, alles sehr aufgeräumt, ein wenig Ostküste, ein wenig Bäderneoklassizismus, wenn es diese Stilrichtung überhaupt gibt. Ansonsten ist das Haus sehr unkompliziert und nicht so besonders teuer, und wird vorwiegend von Familien frequentiert, sehr gern auch in der Kombination Großeltern und Enkel.

Wieso da dermaßen viele Familien wohnen, verstand ich von Tag zu Tag weniger. Das Haus hat nicht einmal einen Spielplatz. Und auch kein Kinderbecken. Es werden auch keine Zimmer angeboten, die separate Schlafzimmer anbieten und gleichzeitig ebenerdig sind. Wir versuchten also Abend für Abend den F. in unserem gemeinsamen Zimmer irgendwie zum Einschlafen zu bekommen, was nicht so besonders einfach ist, wenn man zwangsläufig daneben sitzt und der F. einen sieht. Aber gut, da mögen andere Kinder unkomplizierter sein. Was aber noch viel gewichtiger gegen das Haus spricht: Das Abendessen dauert über zwei Stunden. Der Service wirkt nämlich vorwiegend hilflos und ist deswegen sehr, sehr, sehr langsam. Wer kein Kind hat, das zwei Stunden still sitzen und vier Gänge essen kann, isst also besser woanders.

Das Essen in Zingst ist allerdings ein schwieriges Kapitel. Oder nein: Es ist ein kurzes Kapitel. Es besteht nämlich eigentlich nur aus gebratenem Fisch. Oder aus eingelegtem Fisch. Oder aus Fleisch obskurer Herkunft, das in großen Mengen gebraten wird. Es gibt nahezu keine gehobene Gastronomie, und noch nicht einmal einen brauchbaren Italiener. Sie wollen am Meer weilen und asiatisch essen? Fahren Sie nach Sylt.

Die einzige Freizeitmöglichkeit – außer Fahrradfahren natürlich – ist der Strand. Der Strand ist derzeit aber rappelpackevoll. Der J. und ich standen also am Montagnachmittag leicht bekümmert an der Seebrücke, schauten auf ein Meer aus quietschbunten Strandmuscheln und versuchten, zwischen den wuselnden Badegästen den Sand auszumachen. Was wir sahen, wenn einer sich gerade umdrehte oder sein Handtuch zurechtrückte, war allerdings recht erfreulich. Der Sand ist fein, hell, der Strand kilometerlang, aber mein Gott: Was für Massen.

Dienstagmorgen gesellten wir uns dazu. Dafür waren wir schließlich gekommen. Wir mieteten uns einen echten Strandkorb. Wir stellten auch eine bunte Strandmuschel aus Plastik auf. Mittags aßen wir Eis, nachmittags Fischbrötchen, und verstohlen beobachtete ich die anderen Gäste, ob sie sich eigentlich nicht langweilten. Ich langweilte mich mehr als ich sagen kann. Ich entwarf einen Roman (heitere Sommergeschichte) und eine Geschäftsidee (fahrende Popcornstände) vor lauter Langeweile. Ich las. Ich spielte mit dem F., der sich ganz und gar nicht langweilte, sondern jubelte, im Sand grub, herumkullerte, badete, mit Wasser spritzte und von morgens bis abends so gut gelaunt war, wie er es menschlichen Ermessens in den nächsten achtzig Jahren nicht mehr so lange am Stück hinbekommen wird.

Die anderen Leute wirkten, wie ich bemerkte, auch nicht so gelangweilt wie ich. Ich nehme an, das hat mit ihren Tätowierungen zu tun. Denn die besonders zufrieden in der Sonne bratenden Personen, die da glücklich in ihrem Fett rot und braun brieten, waren samt und sonders eindrucksvoll, teils großflächig, tätowiert. Ich weiß nicht, wie der Zusammenhang naturwissenschaftlich funktioniert. Ich nehme an, beim Vorgang des Tätowierens wird mit der Tinte irgendwas unter die Haut gespritzt, was den Tätowierten den Rest des Lebens sehr genügsam werden lässt. Glücklich, vielleicht ein wenig stumpf, saßen die Tätowierten also auf dem Sand und lasen OK oder Auto Bild oder so.

Einen Tag waren wir in Stralsund. Zwei Tage waren meine Schwiegereltern da. Einen Tag meine Eltern. Alle vier Großelternteile tanzten aufgeregt und recht euphorisch um den F. herum, der seinerseits vor Glück beinahe platzte. Ich saß derweil im Strandkorb, las Keyserling, Wodehouse und Eugenides und freute mich auf Berlin. Berlin. Berlin.

Ansonsten war der Urlaub in Ordnung.

Menschenfeindschaft auf Reisen

Menschen, die mich oberflächlich kennen, halten mich manchmal für freundlich und gesellig. Menschen, die mich etwas besser kennen, wissen: Das ist alles Fassade. In Wirklichkeit bin ich misanthrop. Das merkt man mal mehr und mal weniger. Wenn es um Urlaub geht: Eher mehr.

Dass ich keine Animation mag und keine Musik am Strand gehört da noch eher zu den unauffälligen Zügen meiner Menschenfeindlichkeit. Das geht den meisten Leuten so, die ich kenne. Wie ich im Laufe der Jahre festgestellt habe, gehöre ich aber auch unter gesitteten Menschen zu einer Minderheit, weil ich Urlaubsbekanntschaften grundsätzlich ablehne. Der J. und ich möchten auf Reisen wenig sprechen, es sei denn, miteinander. Unsere gemeinschaftliche Abneigung gegen andere Leute erstreckt sich dabei sowohl auf Einheimische als auch auf andere Touristen.

Am besten schweigt es sich eigentlich in Ferienwohnungen, aber da müsste ich selbst aufräumen. Das mache ich nicht mal zu Hause. Insofern: Hotels. Gern auch einmal landestypisch pittoresk, aber am liebsten ein altes Schloss, ein Grandhotel, so etwas mit respektvoll schweigende Lakaien. Spiegelnde Böden, polierte Möbel, Fünf-Uhr-Tee und Bodenvasen. Schwer fallender Chintz vor den Fenstern.

Nun aber gibt es ein Problem: Ich möchte nicht erleben, wie mein Sohn F. einerseits eine Meissner Porzellanfigur zerstört, andererseits aber selbst beim Robben auf den Marmorböden von einer umgekippten Amphore zerstört wird. Außerdem schreiben manche der schönen, alten Hotels schon auf ihrer Homepage, dass sie Kinder aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Andere machen es sich einfach und räumen einfach keine Kinderermäßigung ein. Ich bin nicht geizig, aber ein vierstelliger Betrag dafür, dass der F. in einem mitgebrachten Bettchen neben unserem Bett schläft: Nein.

Scheiden damit schöne, alte Hotels aus, weil der F. da unerwünscht ist, und kleine, niedliche, moderne Hotels, weil man da mit den Leuten sprechen muss, so bleiben – soll es warm sein und am Meer – eigentlich nur Strandhotels. Also so große. Da gibt es natürlich auch solche und solche, wie der Volksmund so sagt. All inclusive mit dem damit verbundenen schrecklichen Publikum überlebe ich nicht. Leider fallen da ziemlich viele Hotels gleich weg. Andere sind perfekt, aber schwer erträglich. Es stand also eine längere Suche an nach Hotels, die gut aussehen, einen umfassenden Service bieten, Kinder mögen, aber ansonsten keine Konversationsbereitschaft voraussetzen, und – trotz ihrer Kinderfreundlichkeit – alles für eine ruhige, wenn möglich eher kontemplative Atmosphäre tun. Außerdem soll es Berge und Meer, eine Stadt und Ausgrabungen und nicht zuletzt fabelhaftes Essen geben.

Ich habe gesucht. Die Suche hat sich als schwierig erwiesen. Ich habe trotzdem gebucht. Ich bin gespannt, aber skeptisch.

Ich werde berichten.

Weg, aber

In die Türkei wollen wir nicht, beschließen der J. und ich und starren schockiert auf die Bilder riesengroßer Hotels mit 4 Buffets, 12 Wasserrutschen, 20 Tennisplätzen und 600 Zimmern, die man im Internet sehen kann: Es sieht scheußlich aus. Und laut. Und nach schrecklichen Leuten. Da will ich nicht hin.

„Eilat!“, schlage ich vor, aber der J. will mit dem F. in kein Land fliegen, das möglicherweise morgen dem Iran den Krieg erklärt, denn dieser ist sehr, sehr gefährlich, und vielleicht haben die ja doch schon die Bombe, von der alle sprechen, und wir sehen alt aus. Beziehungsweise tot. „Ach, was!“, beschwichtige ich den J., aber der bleibt fest. Israel scheide aus. Moslemische Länder, in denen gerade Massen von Leuten auf die Straße gehen, weil sie nicht kapieren, dass der liebe Gott sich nicht für Blasphemie interessiert, suchen wir gleichfalls nicht auf. Außerdem nerven mich Leute, die mir laut und aufdringlich Dinge verkaufen wollen, die ich nicht will.

Asien wäre gut, aber leider haben wir nur eine Woche. In dieser Woche dann zwei Tage komplett im Flugzeug zu sitzen, ist eigentlich blöd. Für vier Tage Ko Chang oder so lohnt sich das nicht. Außerdem passt der F. nicht mehr ins Flugzeugbettchen, und Lust, lange stillzusitzen hat er vermutlich auch nicht. Der F. ist sehr, sehr brav, aber alles hat seine Grenzen.

Kurzzeitig schauen wir uns Bilder von Sansibar an. Sansibar hört sich gut an und sieht auch gut aus. Vielleicht ein bißchen langweilig, aber nicht zu öde für eine Woche. Dann aber lese ich irgendwo, wie weit Sansibar weg ist, und klicke Sanisbar weg. Das also auch nicht. Also Afrika überhaupt. Entweder zu islamisch oder mit allzu langem Flug verbunden. Außerdem habe ich spießigerweise ein bißchen Angst, der F. könnte krank werden, und der lokale Medizinmann ihn nicht wirksam behandeln. Ich glaube nämlich nicht an traditionelle Medizin.

Am Ende schaue ich mir Bilder von La Gomera oder Gran Canaria an und fühle mich irgendwie langweilig und alt. „Was machen eigentlich die anderen Leute?“, frage ich den J., der gleichfalls mutlos die Schultern zuckt. Wir sind doch nicht die einzigen Leute, die Ende Oktober eine Woche wegfahren wollen, bekräftigen wir uns gegenseitig, dass es da irgendetwas geben muss, was schön sein soll, warm, am Meer, nicht einsam, aber auch nicht voller unangenehmer, hässlicher Leute, und nicht weiter als vier Stunden weg. Gutes Essen wär auch nicht zu verachten.

Die Bräunungsaussparung

Am Samstag kommen wir also in Ahlbeck an. Am Sonntag ist das Wetter eher soso. Am Montag aber knallt die Sonne. Ich sitze am Strand, blaues T-Shirt, Shorts und Flip-Flops. Im Gesicht: Eine riesige Sonnenbrille. Rechts rauscht die Ostsee, links liegt die kleine Tochter von Freunden in der Strandmuschel ihrer Eltern, in der Mitte liege ich auf dem Bauch und lese Nabokov. Ab und zu drehe ich mich um und döse in den blauen Himmel über der Ostsee. Irgendwo am unteren Ende meines Gesichtsfeldes kann man die Seebrücke von Ahlbeck sehen.

Es ist warm. Ich schließe die Augen, ich höre dem Meer zu und dem halblauten Quaken des Kindes, das im Laufe des Nachmittags total viel Sand isst und sich darüber schrecklich freut. Man könnte demnächst auch etwas essen, denke ich mir, wenn auch eher keinen Sand, ein Fischbrötchen vielleicht oder eine Waffel oder vielleicht auch beides. Vernünftigerweise sollte ich weder das eine noch das andere verzehren, sondern mich dauerhaft auf Magermilchjoghurt und Äpfel spezialisieren, aber – so beruhige ich mich – im Urlaub gelten andere Gesetze. Außerdem bin ich mit meinen stämmigen 65 Kilo Kampfgewicht auf Usedom eine der zehn schlanksten Frauen über 30 überhaupt, denn hier sieht jede Frau ab 25 aus, als hieße sie mit Vornamen Mutti.

Abends nehme ich die Sonnenbrille wieder ab. Ich bin braun geworden, stelle ich fest, trotz des LSF 20-Sprays. Ganz gut sieht das aus, finde ich, denn trotz aller gegenläufigen Propaganda halte ich Blässe zwar für gesundheitlich wünschenswert, aber nicht für so sonderlich hübsch. Wohlgefällig betrachte ich also meine Beine, auch meine Arme sind okay braun und nicht rot. Dann aber stockt mir der Atem. Mein Gesicht ist nur sehr partiell braun. Um meine Augen herum klaffen riesige, weiße Flecken. Herr im Himmel, denke ich mir. Die Sonnenbrille.

Das wird schon wieder, beruhige ich mich und beschließe, die nächsten Tage auf die Sonnenbrille zu verzichten. Wenn alles nichts nützt, werde ich die Sonnenbrille die nächsten Wochen auch in geschlossenen Räumen und bei Regenwetter tragen. Kommt es ganz schlimm, helfe ich mir Bronzing Powder nach, und wenn alles nichts nützt, setze ich auf das Mitleid und die Diskretion meiner Umgebung in Umgang mit diesem Problem.

Bitte sagen Sie also nichts.

Nichts für mich

Man darf sich da nicht blenden lassen: Usedom atmet durchaus den Charme vergangener Zeiten. Es sind allerdings nicht die Zeiten, an die man denkt, wenn man etwas von „Kaiserbädern“ liest und an den schön restaurierten Villen vorbeiläuft, die sich die Berliner Bankiers der vorletzten Jahrhundertwende an die Ostsee gestellt haben. Das ist alles da, es sieht auch gut aus, aber es prägt nicht den Geist des Ortes, wie man so sagt, die Atmosphäre hat nichts mit der Opulenz des Fin de siècle zu tun, nicht einmal in einer preussisch-kargen Version. Wer hier spazieren geht, trifft nicht Max Liebermann. Wer hier Urlaub macht, trifft Erich Honecker. Der ist nämlich gar nicht tot. Der lebt hier und hält sich fit mit Nordic Walking.

Hier gibt es noch Rentner, die beigefarbene Westen tragen, und Rentnerinnen, von deren Donnerbusen ein Motivshirt im Winkel von 90° zum Boden hängt. Hier hört man mehr sächsisch als auf dem Bahnhof von Leipzig. Hier fahren Leute in komplettem Sportdress von Tchibo so langsam auf Fahrrädern herum, dass die Helme ganz und gar logisch erscheinen: Die Gefahr, umzukippen, ist verhältnismäßig groß, wenn man sehr, sehr langsam fährt.

Hier haben Frauen bis 50 grundsätzlich zwei Haarfarben – rot und schwarz etwa – und Frauen, die älter sind, eine kurze, graue Dauerwelle. Die meisten Leute wirken irgendwie teigig und verformt. Ich kann nicht schätzen, wie alt diese Menschen sind, aber ich fürchte, viele sind jünger als man so denkt.

„Was macht man hier eigentlich abends?“, frage ich mich irgendwann so gegen neun und schaue durchs Fenster auf die Strandpromenade und über den Strand aufs Meer. Es ist menschenleer. Hier scheint es keine Bars zu geben. Das einzige Kino hat, wie ich höre, inzwischen dicht. Einkaufen ist auch ein eher mageres Vergnügen. Wenn die anderen nicht wären, wenn der J. und ich hier allein herumsäßen, dann wäre das hier nichts für mich, und auch so schließe ich die Augen und denke an Kampen, an Cannes, an Sanary-sur-Mer, und beschließe, dass man sich das hier mal anschauen kann, dass man mit der I. und dem S., der M. und dem M., ja fast überall hinfahren kann, aber dass ich hier nicht wieder herkommen werde, denn hier bin ich falsch.