Nachdenken über Deutschland

Geht es Ihnen auch manchmal so? Sie liegen bewegungslos in der Hitze, ächzen nach Weintrauben oder Erdbeeren, und überlegen, am Abend vielleicht eine Thaisuppe zu essen. Rot vor Schärfe. Mit Kokosmilch, Zitronengras und -blättern, Galgant und Gemüse drin. Oder eine Reisschüssel mit rohem Thunfisch und Seetangsalat dazu? Oder Spaghettini mit Zitronensahne und ganz, ganz viel Basilikum? – Und während sie noch so am See liegen, und den Kindern zuschauen, die sich bis zur Hüfte im kleinen Wannsee stehend mit Wasser bespritzen, fragen Sie sich:

Was haben die Deutschen eigentlich früher gegessen?

Keine Fragen wirft der Winter auf. Entgegen dem miesen Ruf der deutschen Küche ist die Wildküche gerade im Landessüden nicht übel, und ein Rehrücken Baden-Baden oder eine Hirschkeule in Wein und Schalotten geschmort, passen gut zu klirrender Kälte und mögen die feuchten, kalten Winter ein wenig verschönern. Ein mit einer Fischfarce und Eiern gefüllter Karpfen mit Aspik überzogen. Eine Königinsuppe mit Sahne, Kalb und Huhn, ein Palatschinken mit Mohn oder Topfen gefüllt, oder eine gebratene Gans mit Rotkohl und Knödeln, im Norden aus Kartoffeln und im Süden aus Semmeln gemacht: Der Winter lässt sich aushalten.

Dass eine gebratene Gans aber im Sommer nichts weniger als eine Zumutung darstellt, und auch ein Eintopf mit dicken Bohnen und Weißkohl und Hammel darin nicht zu dem gehört, was man essen mag, wenn die Temperaturen steigen, liegt eigentlich auf der Hand. Die deutschen Suppen enthalten, zumindest meiner Kenntnis nach, entweder Sahne und Ei, oder werden mit ziemlich schweren Einlagen angereichert. – Und wollen Sie etwa heute mittag eine Bouillon mit Maultaschen drin essen? Oder mit Fritatten?

Der Fischgenuß ist ja nicht in allen Landesteilen gleichermaßen beheimatet, und alle mir bekannten traditionellen Salate werden entweder mit Sahne, süß und sauer, oder Mayonnaise zubereitet: Gar nicht gut bei großer Hitze und leicht verderblich dazu. Frisches Obst kann man auch nicht den ganzen Tag essen, und Kurzgebratenes wirft schon wieder die Frage nach der passenden Beilage auf.

Vielleicht, so sinniert man, haben die ehemaligen Bewohner der deutschsprachigen Landschaften einfach auch im Sommer die Winterküche fortgesetzt? Schnittbohneneintopf mit fettigen Würsten drin gegessen und schwarzes Brot mit Schmalz? Vielleicht besaß, wer alle paar Jahre raubend und sengend durch die auswärtigen europäischen Gefilde ziehen konnte, auch einen wahrhaften Ledermagen? Ernährten sich die Vorväter vielleicht nicht gerade von einer sprichwörtlich spartanischen schwarzen Suppe, aber immerhin von gebratener Blutwurst mit weich gekochten Sommeräpfeln?

Fragen über Fragen.

17 Gedanken zu „Nachdenken über Deutschland

  1. Flädlessuppe

    Bei den Schwaben gibt es immerhin die Flädlessuppe als leichtes Gericht. Ganz normale Brühe (ohne Ei oder Sahne) und die Flädle sind in schmale Streifen geschnittene Pfannkuchen.

  2. Ganz anders

    Die von Dir erwähnten Gerichte sind, bis auf das Untere, Köstlichkeiten, die nur an
    Festtagen oder von reichen Leuten verzehrt wurden. Die deutschen Bauernfamilien
    verzehrten von der Frankenzeit bis ins 19. Jahrhundert alltags eigentlich nur ein
    Gericht: Getreidebrei, eine mit heißem Wasser angerührte Grütze aus Schrot und
    gekochtem Korn, die mit einer Brotscheibe als Esswerkzeug aus einem Topf gestippt
    wurde, dazu trank man bis ins 18. Jahrhundert Bier – auch schon morgens, auch die
    Kinder. Das aß man das ganze Jahr. Im 18. Jahrhundert kamen Tee und Kaffee hinzu,
    wobei der Bohnenkaffee eher etwas für besondere Anlässe war und man unter der Woche
    selbsthergestellten Eichelkaffee trank. Eine weitere Veränderung, die zu dieser Zeit kam,
    war die Kartoffel, die bisweilen (als Brat- oder Pellkartoffel) anstelle des Getreidebreis
    als warme Hauptmahlzeit verzehrt wurde. Fleischgerichte gab es selbst in Bürgerfamilien
    nur Sonntags, und „gutbürgerliche Küche“ bedeutet, dass es sich um Gerichte handelte,
    die sich nur Patrizier, Manufakturbesitzer und „Die Bürgerlichen“, d.h.
    Ministerialbeamten-
    Richter- Anwats- und Professorenfamilien leisten konnten.
    Die NS-Zeit reicherte über italienische „Fremdarbeiter“ und Zwangsarbeiter
    die deutsche Küche mit Spaghetti und Makkaroni an, wobei die Deutschen statt Parmesan
    geröstete Zwiebackskrümel verwendeten.
    Noch in meiner Kindheit, die sich in den 60er und 70er Jahren in einer
    Mittelschichtsfamilie abspielte, gab es unter der Woche mittags kein Fleisch, sondern
    vielleicht einen Teller Milchreis mit Zimt, einen Teller Spinat oder Spaghetti, Freitags
    Fischstäbchen. Pizza war etwas, das Studenten selber zubereiteten, und das war schon
    mächtig internationalistisch und eindeutig links. Meine Eltern begreifen es bis heute
    nicht, wieso ich solch fremdartige Sachen wie Shrimps, Muscheln oder Frühlimgsrollen
    esse, von Hummer, Souchy oder Couscous gar nicht zu reden, und meine Mutter sagt,
    dass sie sterben würde, wenn sie so etwas essen müsste.

  3. REPLY:

    in österreich gabs oft die „beamtenforelle“, gemeint ist die gemeine knackwurst.
    selbst diese blieb eher den höher gestellten staatsdienstler vorbehalten, der rest mußte sich zu mittag mit brot und dem aus der pfanne vom sonntagsbraten übriggebliebenen fett ernähren! (schmalzbrot)

  4. REPLY:
    Wobei

    die Pfannkuchen vom Vortag waren, als es derer gefüllte gab. Mit Hackfleisch, gebraten und schwach gebunden mit etwas Mehlschwitze, mit viel Zitrone abgeschmeckt. Grüner Salat (Standard mit Essig, Öl, Salz, Pfeffer, Wasser und gehackten Zwiebeln) als Beilage. Sind schon zwei Tage Essen.

  5. REPLY:

    Die Pfannkuchenfüllung besteht bei mir in nicht wenigen Fällen ja auch schon aus den Vortagsresten – vom übrigegebliebenen Fisch über Käsereste, oder einfach Gemüse. Ich werfe so gut wie keine Essensreste weg, und verwerte eigentlich alles in Suppen, Füllungen oder in Salat.

  6. REPLY:

    Das, Che, hört sich nicht gut an. Ich erinnere mich mit einigem Unbehagen an einen meiner Lateinlehrer, der Askese zu predigen pflegte mit dem Argument, auch Preußen habe sich schließlich großgehungert. Wenn ich mir den von Dir beschriebenen Getreidebrei vorstelle, kann ich mir ungefähr vorstellen, was er meinte. Mit so etwas auf dem Tisch würde ich vielleicht auch auf die Idee kommen, Frankreich zu überfallen (ich würde vermutlich eher auf die Idee kommen, nach Frankreich auszuwandern, aber die Menschen sind ja bekanntlich verschieden).

    Meine kulinarischen Kindheitserinnerungen sind naturgemäß etwas andere – meine Kindheit fand ja so ungefähr zehn Jahre später statt, und fiel teilweise in die Vollwertphase mit selbstgeschrotetem Müsli, teils in die mit Recht sogenannten Mozzarella-Jahre. Da mein Vater selber die Ernährung von Dinkelspaghetti, Sojalasagne und Brot mit vegetabilen Pasten drauf auch nicht aushielt, kann ich aber auch traditionell kochen.

    Was das östereichische Beamtenwesen angeht, sind die Würste natürlich ein weiterer Grund, ein solches Dasein auf gar keinen Fall zu erstreben. Und Fischstäbchen – das ist schon sehr ekelhaft. Die scheint es aber immer noch zu geben.

  7. Irrtum

    Liebe Modeste, es machte für Preußen keinen Sinn, nach Frankreich auszuwandern,
    denn das einfache Volk ernährte sich dort genauso. Die wunderbaren französischen
    Spezialitäten, die wir so sehr lieben, gehörten zu den Privilegien, wegen denen die
    Aristokraten an die Laternen gehängt wurden. O-Ton Marie Antoinette: „Das Volk
    rebelliert, weil es kein Brot hat? Sollen sie Kuchen essen!“

    – Die Preußen haben die Ernährungslage des einfachen Volks sogar deutlich verbessert.
    Die Einführung der Kutter war ein politisches Projekt zur Sicherstellung der
    Fischversorgung des gemeinen Volkes. In den 1860er Jahren gab es überall in
    Norddeutschland Kuttervereine, die Spendengelder einsammelten, um Kutter ankaufen
    zu können (meist in England), die die langsamen und nur begrenzt hochseetüchtigen
    Fischerboote wie Ewer, Bojer und Tjalken ersetzten. Ab 1870 entstanden dann in den
    Hafenstädten ´Fabriken für die Herstellung von Fischkonserven, deren wichtigste der
    Bismarckhering war, ein in eine Tunke aus Milch, Zwiebeln und Apfelstückchen
    eingelegtes gesalzenes Heringsfilet, was dem deutschen Proletarier die Proteine zuführte,
    die für den Wirtschaftsboom der Gründerzeit nötig waren.

    @Getreidegrütze: Noch in den 60ern war die das einzige bekannte Frühstück bei
    der österreichischen Alpenbevölkerung, im Iran ist die Gerstensuppe das heute noch.

  8. REPLY:

    Zu Chés Getränkeaufzählung möchte ich noch ergänzen, dass der Adel Kakao trank – weshalb beim Bürgertum später Kaffee so beliebt wurde, auch um sich abzugrenzen.
    Was die Grütze angeht, so kennt man ja den Porridge der Engländer, und bei den Russen gibt es Buchweizengrütze, heißt Kascha, wenn ich mich recht erinnere. Beides habe ich aber noch nie probiert.

  9. REPLY:

    Als Kind habe ich meistens Porridge gefrühstückt oder Grießbrei, weil mein Vater aus irgendwelchen Gründen davon überzeugt war, Kinder würden beim Semmelverzehr ersticken. Kascha kenne ich aus Russland, schmeckt nicht schlecht mit Sahne und Trockenfrüchten. Dank der Berliner Russen hier inzwischen auch überall zu haben.

  10. REPLY:
    Hah, Resteessen..

    …kenn ich. Wenn die S.I.L.* mal wieder für die Familie gekocht hat. Der Standardsatz lautet: „Wenn es nicht reicht, in der Küche ist noch“. Und dann muss man eben die Tupperschüsseln ein paar Tage später wieder zurückgeben.

    * Schwiegermutter in Lauerstellung

  11. REPLY:

    Wenn man in aller Regel für nur eine Person kocht, bleibt natürlich immer etwas über – so wenig kann man gar nicht kaufen. Vom Wegwerfen halte ich aber auch nicht viel: Essen Wegschmeißen finde ich (ja, lachen Sie ruhig) ein bißchen unmoralisch und irgendwie neureich. Da ist dann strategische Resteverwertung gefragt.

  12. REPLY:

    Passt natürlich auch – der träge, schokoladeschlürfende Adel auf dem absteigenden Ast, und dann die ein wenig aufgedrehten, tätigen Bürgersleut´. – In Potsdam gibt es ein Café, das heiße Schokolade nach historischem Rezept anbietet, sagenhaft gut. Indes fragt man sich nach dem Genuß ernsthaft, wie die Schokolade jemals in den Ruf eines Aphrodisiakums geraten konnte – wer sich nach einer Tasse dieser Köstlichkeit noch bewegen kann, hat meinen vollen Respekt.

  13. Die Unvereinbarkeit von Hitze und Bohnen-Hammel-Eintopf bitte ich zu überdenken. Die Spanier haben ja traditionellerweise allersommerlich mit Hitze zu tun; und was essen die ebenso traditionellerweise? Eintöpfe, Hauptsache fett. Dass Majonese bei Hitze ein Risiko ist, scheint die spanische Küche eher als angenehme Herausforderung zu sehen: „Ensaladilla russa“ besteht hauptsächlich aus Majo und darf bei keinem hochsommerlichen Festmahl als Vorspeise fehlen. Als Ausbund von Köstlichkeit galt auch immer Dosenspargel mit Bechamel-Sauce.
    Andererseits haben die Spanier auch Franco ausgehalten, bis zu seinem Tod. Vielleicht spinnen die einfach nur.

  14. REPLY:
    Im Prinzip

    hat es Che ja schon beantwortet.
    Ich will nur noch hinzufügen das die Menschen damals vermutlich gar keine Zeit hatten darüber nachzudenken (vom Bildungsstand mal ganz abgesehen).
    Es wurde gearbeitet und gearbeitet, sinnvolle Nahrung musste her, leicht und einfach zuzubereiten und, nunja, nahrhaft.
    Im Prinzip: Fast Food.
    Und heute, in der hektischen Geschäftswelt wo alle ganz wichtig sind und keine Zeit haben, geht der Trend wieder dahin schnell zu essen.
    Resultat: Verfettung, Cholesterin, und andere unangenehme Dinge
    SUPERSIZE THIS.
    Wohlstandsverwahrlosung.

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