„Von den Chefs ist keiner gekommen.“, sagt er und bricht ein Stück Brot aus dem Korb in kleine Stücke. „Wir saßen da zu dritt, ich war der Jüngste, 24, und die beiden anderen 27 oder 28. Vollversammlung, der ganze Standort sollte aufgelöst werden, und wir saßen 150 Mitarbeitern gegenüber, die uns ansahen, als seien wir persönlich verantwortlich für alle Schlechtigkeit der Welt. Die meisten der Männer waren älter, rote Gesichter, vierschrötig, Schnauzbärte. Alte Männer, die ihr Leben lang in der Fertigung gearbeitet hatten, und die wussten, dass es vorbei war mit ihnen.
Die wussten alle, dass wir die Entscheidung nicht getroffen haben, dass eine Consultancy nicht die Entscheidungen trifft, sondern sie höchstens anregt, vielleicht durchsetzt, und dass wir drei bestimmt nicht verantwortlich waren für den Verlust ihres Jobs, die Kündigung ihrer Kredite, die Zwangsversteigerung ihrer Häuser, und was da kommen würde, nun, da es vorbei war. Die hätten sich ausrechnen können, dass wir einfach nur drei Jungs waren, die Geld dafür bekommen, sich anzuhören, was von ihren und unseren Chefs keiner hören will, und dass es keinen Sinn haben würde, uns zu hassen. Wir saßen hinter dem Tisch. Vor dem Tisch, zwei Meter Abstand vielleicht, saßen die gekündigten Mitarbeiter, und die Luft war zum Schneiden dick. Die haben uns so angeschaut, die hätten uns umgebracht, wenn sie gekonnt hätten. Das war nicht mehr die Atmosphäre einer Meinungsverschiedenheit, nicht einmal die Stimmung verunsicherter, vielleicht aufgebrachter Menschen, über deren Kopf hinweg man über ihr Leben entschieden hat. Da saß der blanke Hass und starrte uns an. Das Schlimmste war, die haben uns nicht für unseren Job verachtet, dass kann man tun, wir sind Söldner und wir wissen das. Die saßen da und hassten uns ganz persönlich, ohne uns zu kennen, für überhaupt alles, für unsere Anzüge und die Wagen, Uhren und Frisuren und sogar für’s Hochdeutsch. Da saßen also 150 Männer, und mein Kollege hielt eine kurze Ansprache über notwendige Entscheidungen, die niemandem leichtfallen, und so. Dann war es einen Moment still, und dann fingen alle gemeinsam an zu brüllen, als würde irgendetwas anders, wenn sie uns niederschreien.
Die haben uns persönlich beschimpft, die haben nicht geklagt oder gejammert, das hätte man vielleicht verstanden, aber die haben uns persönlich angegriffen, auf eine Art und Weise, für die man außerhalb dieses Raums, in dem man für’s Beschimpftwerden bezahlt wurde, Anzeige erstattet hätte. Ich dachte, die kommen gleich über den Tisch. Manchmal träume ich nachts von diesen 150 Männern mit ihren roten Gesichtern, wie sie über den Tisch kommen und mich in Stücke reißen.
Sie taten einem nicht mehr leid, wie sie da saßen und pöbelten. Vielleicht war es das, was sie wollten, nicht bemitleidet zu werden, sondern Angst zu verbreiten. Zumindest auf dieser Ebene auf Augenhöhe zu sein, ihr habt Angst vor uns, wir haben Angst vor euch. Ich weiß es nicht. Irgendwann hat mein Kollege die Nerven verloren, sich das Mikrophon gegriffen und zurückgebrüllt: Jeder von euch kostet pro Stunde € 50, und ein Tscheche kostet nur ein Drittel, und ein Chinese so gut wie nichts. Ihr seid zu teuer. Bedankt euch bei eurer Gewerkschaft für die Preistreiberei und geht alle nach Hause.
Für einen Moment war es still, und dann fingen wieder alle an zu schreien, und irgendwann kam ein Assistent der Geschäftsführung, der sagte, der Raum werde nun gebraucht, und wir sind abgezogen.
Ich bin so schnell wie möglich nach Berlin zurückgefahren, und ich habe mich gedemütigt und beschmutzt gefühlt, dass ich mich für Geld irgendwo hinsetze und lasse mich anbrüllen von fremden Leuten.“
„Ihr Essen.“, stellt die Kellnerin die gefüllten Teller auf den Tisch. „Und wenn sie nicht gebrüllt hätten, hätte es auch nichts genützt.“, sage ich, er nickt, und wir essen.
Klasse erzählt, verlinke ich sofort!
24 sind die Bürschlein inzwischen? Menno, in dem Alter hat meinereiner
im Lager gejobbt und gerade mal das Grundstudium zu Ende gebracht….
REPLY:
genau da liegt u. a. das problem. das heutzutage mittzwanziger ernsthaft glauben, anderen was vom leben – und wirtschaften – erzählen zu können. lachhaft …
was den zwangsversteigerten und brüllenden massen bisher keiner erzählt: sie fressen sich selbst. mit jedem neuen geiz ist geil fernseher aus fernost und jedem euro, den sie in irgendeinen sparfond (mit möglichst hoher rendite) für eine alterabsicherung einzahlen. die einst als intelligentes finanzinstrument installierte und zur alles zerstörenden bestie mutierte form der aktiengesellschaft wird erst zur ruhe kommen, wenn alle anderen tot sind …
Meisterhaft erzählt, aber…
in der Sache wohl kaum zu ändern, oder? Ich hab‘ leider keine Idee.
REPLY:
Da, Timanfaya, sprichst Du etwas nur zu Wahres aus. Ich erinnere mich noch an
den Final eines NE-Unternehmens, wo man die Hälfte der Belegschaft entlassen hat
und die Gesamtheit zum Essen lud, aber nur für die Hälfte gedeckt hatte. Die Einen
bekamen die Kündigung in die Hand gedrückt, die Anderen durften sich setzen.
http://www.boocompany.com/index.cfm?content=stories&searchText=Elwe
Zu dem Thema gibt es ein gutes Buch:
Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen von Elmar Altvater.
REPLY:
Ich glaube, ich habe einen etwas anderen Lebenslauf. Wortführer war ein 28-Jähriger. Was nicht bedeutet, dass er irgendeine andere Rolle hatte als zu verkünden. Möglicherweise haben sich die Altvorderen damit nur nicht die Hände schmutzig gemacht. Vermeintliche Verantwortung nur weil die Ausführung unangenehm ist. Mit 28 haben viele Leute übrigens schon drei bis fünf Jahre gearbeitet, so war das auch bei mir. Ich finde das deutlich vernünftiger als länger zu studieren. Zumindest wenn man keine wissenschaftliche Karriere anstrebt.
Dass irgendein mit dem Besitz eines Gehirns gesegneter Mensch Mitte zwanzig tatsächlich glaubt, Welt und Wirtschaft verstanden zu haben, kann ich mir kaum vorstellen. Viel eher scheint es mir zu sein, dass, Herr Che und Herr Timafaya, die Notwendigkeit eines frühen Einstiegsalters gerade bei Betriebswirten auch jene Studenten in den ersten Job treibt, die um ihre Defizite durchaus wissen. Auf der anderen Seite gewinnt man im Job natürlich auch schnell eine gewisse Weltkenntnis, die 20 Semester irgendeiner obskuren Geisteswissenschaft an einer Provinzuni vielleicht nicht unbedingt vermitteln. Hat alles seine Vor- wie Nachteile, aber mir haben meine acht Semester auch voll und ganz gereicht, hatte ich so das Gefühl.
Was den Selbstverzehr der Marktwirtschaft angeht, so verstehe ich bekanntlich nicht viel von Wirtschaft, aber manchmal scheint es mir, dass das, was man als Härten oder Ungerechtigkeiten empfindet, vielleicht nicht mehr ist als das Knirschen der an sich ja wünschenswerten Modernisierung. Ebenso wenig, wie man Hauptmanns Webern hätte ernsthaft helfen können und wollen, indem man auf den Einsatz der Webmaschinen eben verzichtet, kann man vielleicht auch diesen Leuten helfen. Vielleicht geht es letztlich gar nicht um die Frage, etwas zu tun oder nicht zu tun, sondern um Stil, Mitgefühl und Ehrlichkeit.
Und die Unumgänglichkeit vieler Unternehmensentscheidungen, Herr Sokrates23, hat vielleicht wenig damit zu tun, wie man sie vermittelt. Vielleicht ist es einfach ein Zeichen fehlenden Respekts vor den Mitarbeitern, da drei Jungs frisch von der Uni hinzusetzen. Es ist, am Rande sei’s vermerkt, auch kein besonders Zeichen des Respekts vor einem Consultant im ersten Berufsjahr, ihn in eine solche Versammlung zu schicken.
REPLY:
Also da gibt es ganz viele kleine Dinge mit denen du anfangen kannst:
-Getränke im Fachhandel kaufen und dann Apelsaft und Bier aus heimischen Gefilden statt Supermarktfusel aus China.
-Fleisch beim Fleischer kaufen, der Tiere aus der lokalen Landwirtschaft schlachtet statt Gammelfleisch aus Osteurpäischer Schlachtung
-Fernseher kann man auch von Loewe bekommen, Computer fertigt Fujitsu Siemens noch in Deutschland.
-Bücher kann man gibt es nicht nur bei Amazon.
Es gibt tausend kleine Sachen, die eine Lebensqualität eher erhöhen als senken, wenn du nur zwei Grad von der „Geiz ist geil“-Mentalität abweichst.
ich möchte an der stelle noch mal ergänzen, daß ich die situation auch „von der bühne aus“ kenne. wenn auch nur im abstrakten sinne. ich saß vor ca. zweihundert personalmappen und „durfte“ mit entscheiden, welche 90% auf die straße gesetzt werden. positiv betrachte, welche 10% in der firma verbleiben. das war eindeutig das allerbeschissenste, was ich bisher im berufsleben machen mußte. inklusive einer miterlebten insolvenz. der unterschied ist nur, daß ich mir um meiner selbst nie gedanken mache, aber dort sehr genau wußte, wenn man wahrscheinlich für immer in die arbeitslosigkeit schickt. sehr bitteres erlebnis. auch „von der bühne“ aus …
REPLY:
Ja, danke für die Hinweise; das hört sich gut an. Einiges davon ist mir aus Qualitätsgründen eh‘ längst wichtig, hab‘ es nur nicht mit der geschilderten Situation in Verbindung gebracht.
REPLY:
@Dass irgendein mit dem Besitz eines Gehirns gesegneter Mensch Mitte zwanzig
tatsächlich glaubt, Welt und Wirtschaft verstanden zu haben, kann ich mir kaum
vorstellen. – leider habe ich nur zu oft die Erfahrung machen müssen, dass es das
wirklich gibt, falls da nicht die vom Nörgler prognostizierte Hirnausschabung
unter Ausschluss der Öffentlichkeit längst durchgeführt wurde, was man natürlich
nie wissen kann. Ansonsten volle Zustimmung!
REPLY:
Wie feige von den Bossen.
REPLY:
zu diesem thema
gibt es ein sehr aufschlussreiches buch, in dem mit der
„geiz ist geil“-mentalität und ihren folgen schonungslos
ins gericht gegangen wird:
Franz Kotteder – Die Billig-Lüge
Ut: Die Tricks und Machenschaften der Diskonter
Droemer-Knaur, 1. Auflage August 2005
ISBN 3-426-27371-3
Marktwirtschaft?
Was hat die (gut) beschriebene Situation, in der die Entlassung/Schließung einer Fabrik vermittelt werden muss, mit Marktwirtschaft zu tun?
Beschreiben wird vor allem doch die Sprachlosigkeit der Betroffenen, die Hilflosigkeit der Unternhmensberater und die Feigheit der Unternehmensleitung.
Könnte genauso wohl auch in einer Planwirtschaft geschehen – eine nicht benötigte Produktlinie wird eingestellt.
Unverständlich ist vor allem, dass alle Welt vor Betroffenheit peinlich berührt auf den Boden starrt und keiner erklären mag, wie man es denn besser machen kann.
Mit Verlaub, sie haben eckelhafte Bekannte, um nicht zu sagen, bei jenen Herren handelt sich um ganz üble Stück Scheiße.
Alleine diese Ausrede
„… dass wir die Entscheidung nicht getroffen haben, dass eine Consultancy nicht die Entscheidungen trifft, sondern sie höchstens anregt, vielleicht durchsetzt, und dass wir drei bestimmt nicht verantwortlich waren …“.
Das uralte „aber wir haben doch nur Befehle ausgeführt“. Ekelhafter Abschaum.
Der Papst sagte gestern:
„Die Arbeit ist für die Verwirklichung des Menschen und die Entwicklung der Gesellschaft von vorrangiger Bedeutung. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass sie immer in der vollen Achtung vor der menschlichen Würde und im Dienst des Gemeinwohls organisiert und verrichtet wird.“
Manchmal hat er unheimlich recht.
REPLY:
@bandini: Da, wo ich herkomme, lag das durchschnittliche Examens/
Diplom/Magisteralter bei 30. Ich weiß nicht, was vorzuziehen ist, aber
Entscheider (oder pseudomäßig als Solche auftretende) in dem Alter
finde ich einerseits befremdlich, andererseits habe ich die in der New Economy
natürlich geballt erlebt – und am Ende furchtbat scheitern sehen. Und ich kenne
Branchen, z.B. im Handwerk oder im Anlagenbau, da würde ein Manager unter 35
schlichtweg nicht für voll genommen.
REPLY:
Ich komme auch aus dem Umfeld und jetzt ist es für viele schwierig im beruflichen Umfeld.
Ich habe die NE auch mit erlebt und das Problem dieser Zeit waren die Banken, nicht die schlechten Gründer. Die Banken und die Wirtschaftsprüfer/Beratungsunternehmen waren diejenigen, die verdient haben. Für die war das ein ganz tolles Umsatzmodell. Dass dadurch die Innovationsfähigkeit einer ganzen Generation abgewürgt wurde, ist denen ergal. Klar gab es da auch schlechte Leute, aber unter normalen Umständen wären die keine drei Schritte weit gekommen. Und von den guten sind auch ein paar pleite gegangen, weil es nunmal dazugehört, wenn man Risiken eingeht.
Je länger man im Job ist, desto besser versteht man den Wert von Erfahrung. Beratungsunternehmen und Konsorten sind darauf nicht ausgerichtet. Nur leider werden sie von den Unternehmen beauftragt, sollen sie sich also nicht beschweren.
Aber wir schweifen ab an Modestes Kaffeetisch. Pardon dafür.
REPLY:
Natürlich ist Erfahrung nicht zu unterschätzen, aber Erfahrung ist auch nicht alles, und einen Entscheider nur aufgrund seines Alters nicht ernst zu nehmen, erscheint mir auch nicht sachgemäß. Mancher kann mit 25 Verantwortung tragen, mancher erst mit 40, und mancher sollte nie über andere entscheiden dürfen.
REPLY:
Lieber Bandini, ich kann der Versuchung nicht widerstehen, kurz weiterzuschweifen.
In meiner NE-Umgebung lautete das ganz offen ausgesprochenene Motto
„Found a company, bring it up, sell it and run away“. Die meisten dieser Firmen sollten
überhaupt nicht länger als 5 Jahre existieren, sie waren nur dafür gedacht, VC-Gelder
abzugreifen, an die Börse zu gehen und von der Emission der Aktien selber zu leben, (
um dann verkauft zu werden) nicht
aber, um im konventionellen Sinn produktiv zu sein.
REPLY:
Ja, nicht das Rückgrat zu haben, für seine Entscheidungen einzustehen.
REPLY:
Hey, das ist Marktwirtschaft. Irgendwer war so dumm ihnen Geld für ihr Angebot zu geben. Ohne Banken wäre ihnen das nicht gelungen und die haben das Geld verdient. Wir sind einer Meinung. Ich glaube allerdings nicht, dass es die meisten waren.
Ja, Herr Varzil, in gewisser Weise könnte so etwas natürlich auch in einer Planwirtschaft passieren. Da in einer Planwirtschaft die Kostenminimierung des Faktors Arbeit vermutlich keine Rolle spielen würde, wäre es aber zumindest seltener der Fall. Dass die Planwirtschaft für diese „humanere“ Betrachtung einen hohen, meiner Meinung nach zu hohen, Preis in Gestalt von Freiheit der Akteure, Innovationsfähigkeit und Effizienz zahlt, macht die menschliche Seite vielleicht unumgänglich, aber nicht weniger bedauerlich.
Herr oder Frau Register, an meinen Kommentatoren schätze ich vielfach gerade die Fähigkeit, auch über abweichende Meinungen oder Lebensformen ohne Schaum vor dem Mund zu sprechen. Wer sich streiten oder gemeinschaftlich ereifern will, soll das woanders tun. Hier interessiert man sich für die Meinung seines Gegenübers, auch wenn sie so konträr ist wie die des Herrn Bandini und des Herrn Che.
Was Ihre inhaltliche Position angeht, kann ich diese aber auch nicht recht teilen. Dass vielfach Veränderungen in Betrieben notwendig sind, um Konkurrenzfähigkeit zu gewährleisten, dürfte niemand bestreiten. Dass auch notwendige Schritte schmerzhaft sein können, erlaubt es nicht, diejenigen, die diese Schritte vollziehen, herabzuwürdigen, wie Sie es tun. Dass sich in diesem Fall weder die Seite der Berater noch die der entlassenen Arbeitnehmer einwandfrei verhalten hat, liegt auf der Hand.
Und bei allen Differenzen hat der Pabst in diesem Punkt, Herr Sokrates23, sicherlich recht.
REPLY:
@che, Branchen und Alter: Geh mal in die Holzwirtschaft oder den Schrotthandel,
da ist, wenn jemand als Geschäftsführer gesucht wird, 50+ Einstellungsvoraussetzung.
Kapitäne in der christlichen Seefahrt sind auch keine Jungspunde.
Der Jugendwahn betrifft vor allem die „hippen“ Branchen. Na ja, und bei der Besetzung
von Lehrstühlen sind im engeren Sinne junge Leute ja nu auch nicht angesagt.
REPLY:
Hierzu würde ich sagen, dass Entlassungen oftmals für notwendig erachtet werden,
weil dass der Spirit einer bestimmten Sorte und Generation von Consultants ist, man
könnte auch sagen, bisweilen wird aus neoliberaler Ideologie heraus entlassen.
Nicht immer werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die zur Sanierung eines
Unternehmens sonst noch möglich wären, ein Phänomen, das gerade bei AGs
und fondsgeeigneten Unternehmen verbreitet ist. Übrigens sehr europäisch,
in Ostasien würden in der gleichen Situation vielfach Stellen fantasievoll umbesetzt
und Mitarbeiter umgeschult.
Dennoch stimme ich zu: Beschimpfungen helfen nicht weiter. Der gepflegte, respektvolle
Umgang macht ja gerade den Reiz und die Athmosphäre dieses Blogs aus.
REPLY:
@workingclasshero: das stimmt einfach. In Japan kann es vorkommen,
dass ein Autohersteller, wenn er Leute freisetzen muss, eine Fastfoodkette
eröffnete und das Personal dort weiterbeschäftigt. Die Gewohnheit, in erster
Linie durch „Personalverschlankungen“ zu rationalisieren, ist ein amerikanisch-
europäisches Modell, das keineswegs überall praktiziert wird.
Da kommt in einem sanften Text viel zusammen.
Wir erfahren hier zunächst nicht, wie sinnvoll oder unsinnig die betriebswirtschaftliche Entscheidung selbst war. Dazu kann ich aus eigener Erfahrung auch nur sagen: Alles ist möglich. Möglich, dass es sich um die einzige Chance handelte, ein bedrohtes Unternehmen zu retten. Möglich, dass sich ein unfähiges Management mit einer 08/15-Methode etwas Luft gegenüber Geldgebern verschaffen wollte, dabei bessere Alternativen übersah und so letztendlich auch den eigenen Aktionären schadete. Dass im Management „neoliberale Ideologie“ eine Rolle spielen würde, habe ich allerdings noch nicht erlebt – das sind keine Ideologen, sondern Nutzenmaximierer mit persönlich sehr spezieller Definition von Nutzen.
Aber, wenn ich den Text richtig verstehe: Darum geht es gar nicht. Den Betroffenen kann es nämlich egal sein. Die Rationalität des Unternehmens ist spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die ihre. Betroffen sind zwei Gruppen: diejenigen, die jetzt von dauerhafter Arbeitslosigkeit und sozialem Fall bedroht sind und keinen Ausweg sehen, und die jungen Berater. Mitleid haben muss man nur mit ersteren. Dass sie Schuldige suchen, ist nur zu verständlich, das tun Menschen in Situationen, díe an den Kern ihrer Existenz gehen – ungefähr so, wie Eltern unbedingt jemanden mindestens im Knast verrotten lassen wollen, wenn ihrem Kind etwas angetan wurde, und dabei ist es ihnen erstmal völlig egal, ob der Beschuldigte überhaupt der wahre Täter ist.
Für die jungen Berater ist es eine mehrfache und wichtige Erfahrung. Sie lernen, dass hinter Zahlen Menschen stehen. Sie lernen, dass Topmanager erbärmlich feige sein können. Sie ahnen vielleicht, dass ein Management, welches sich so einer Situation nicht stellt, womöglich auch anderen nicht gewachsen war. Und sie selbst vielleicht nicht an der Lösung, sondern für einen Teil des Problems gearbeitet haben. Die hohen Gehälter für Berater sind Entschädigungen – für ihren erzwungenen Verlust an Privatleben und Menschlichkeit und für die Schäden an ihrer Seele. Das muss jeder selbst entscheiden, wie lange das für ihn ein Geschäft ist.
Ein solches Erlebnis schreit nach Veränderung, nach Abhilfe. Falsche unternehmerische Entscheidungen wird man nicht nur nicht verhindern können, sie sind für die positiven Wirkungen einer Marktwirtschaft auch wichtig. Auch speziell Entlassungen verhindern zu wollen, ist der falsche Weg. Der richtige wäre, Entlassungen ihre Schärfe zu nehmen, indem der nächste und hoffentlich bessere Job eine konkrete und realistische Möglichkeit ist.
REPLY:
Mehr Selbständigkeit!
Liebe Modeste: danke, das ist ein sehr guter Text, der die Situation in unserem Land recht gut wiedergibt. Erst gestern rief mich mein Bruder an: er hat via Betriebsvereinbarung auf 10% des Gehalts ab sofort verzichtet, damit die Firma nicht schließen muss. Der Chef und Eigentümer hat sich vorne hingestellt und die Zahlen rausgelassen: dabei kam raus, dass er noch vor 5 Jahren 1,6 Millionen Überschuss hatte, für die er sich KEINE Yacht gekauft hat, sondern die er in den letzten 5 Jahren in die Firma gebuttert hat. Jetzt ist dieser Berg abgeschmolzen.
Es ist nicht so, dass sie keine Aufträge mehr hätten: die Auftragslage ist so gut wie immer. Nur die Auftraggeber drücken dermaßen die Preise und gehen absolut ungeniert zum nächstliegenden Billigheimer – da kann ein seriöses Unternehmen nicht lange mit. Seriöse Unternehmen sind deswegen teurer, weil sie weniger Fehler machen und bessere Mitarbeiter haben. Das Fehlermachen ist den Auftraggebern mittlerweile egal: da haftet irgendjemand für, auf Qualität kommt’s da gar nicht mehr an.
Nach dem Telefonat dachte ich mir: wir haben uns an einen Standard gewöhnt, der viel zu hoch ist, den wir uns überhaupt nicht mehr leisten können. Damit immer weniger Menschen so tun können, als wäre es normal, jedes Jahr 28 Tage Urlaub zu haben, müssen immer mehr Menschen arbeitslos werden. Oder weil immer weniger Menschen sich immer teurere Extras leisten wollen, müssen immer mehr Menschen ungerecht viele Einbußen hinnehmen. Beispiele gibt es hier genug.
Denen, die jetzt in dieser Falle hängen, kann man nicht mehr helfen. Aber vielleicht müssen die Jüngeren, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommen, insgesamt etwas misstrauischer werden. Nicht mehr der Leitsatz „Geh zum Daimler, da biste was“ darf berufsentscheidend sein, sondern „wie kann ich mein Berufsleben so gestalten, dass ich mich ganz allein und aus eigener Kraft unterhalten kann?“. Man kann ja auch als Consultant beim Daimler arbeiten und immer wieder die Stelle wechseln – in völlig eigener Regie, sich also grundsätzlich nicht mehr von einem großen Tanker abhängig machen. Denn wenn so ein Tanker auf Grund läuft, dann sind alle tot.
Wir Deutschen mit unserer Zeugnisgläubigkeit tun uns sehr schwer damit, ich weiß noch, wie meine Mutter immer sagte „Man muss ein Exahm hahm“ – das war der so eingebleut, dass sie es nichtmals mehr sorgfältig aussprach. Und wie hat sie sich geirrt damals! Wir müssen von den Diplomen und Zugangsvoraussetzungen ein wenig Abstand gewinnen und uns ein wenig umsehen: wo kann ich was tun, und zwar jetzt und hier und sofort und ohne darüber nachzudenken, ob ich dann in 40 Jahren Rente kriege.
Sonst landen wir alle irgendwann in so einer Halle, und drei Fuzzies erzählen uns, dass wir unwirtschaftlich sind. Das könnten sie gar nicht, wenn wir uns nicht einem Betrieb unser gesamtes Wohl und Wehe ans Herz gelegt hätten. Betriebe haben kein Herz, sondern ein Bilanzbuch.
REPLY:
In den wesentlichen Punkten, Rayson, stimme ich Ihnen zu: Es geht nicht um Vollbeschäftigung um jeden Preis es geht nicht einmal um die Vereidung von Entlassungen um den Preis einer geringeren Rendite, sondern darum, dass Strukturen entstehen, die Arbeitslosigkeit in ein in aller Regel vorübergehenden Zustand konvertieren, oder schlimmstenfalls um Perspektiven eines erfüllten Lebens ohne Erwerbsarbeit und auf geringem materiellen Niveau. Dass die Gesellschaft in ihrer Breite ihren Seelenzustand von ihrer Erwerbsarbeit abkoppeln sollte, Frau Gunhilde, ist sicher auch richtig: Sich zu entfernen von einer Orientierung an Status und Einkommen.
REPLY:
Was den „Jugendwahn“ angeht, sehe ich das doch etwas different. Ich möchte älteren Mitarbeitern nicht die Kompetenz absprechen, die vielfach in hohem Maße besteht. Trotzdem arbeite ich oft ungern mit älteren Kollegen zusammen, von denen eine ganze Reihe dazu tendieren, eine Autorität qua Alter einzufordern, und beleidigt zu sein, wenn ihr Urteil nicht schwerer wiegt als das eines jüngeren Kollegen. Diese Senioritätsautorität wird oft auch nicht nur beruflich eingefordert, sondern auch privat, wo das Argument „ich bin älter als du, ich weiß Bescheid, und du sollst mir zuhören und dich an meiner Meinung orientieren“ von einigen Leuten auch gern auf den Tisch gepackt wird, wenn andere Argumente fehlen.
REPLY:
Toller Thread, extrem vielschichtig. Und, wie bei der werten Gastgeberin
eigentlich immer, meisterlich geschrieben.
@rayson: „Dass im Management „neoliberale Ideologie“ eine Rolle spielen würde,
habe ich allerdings noch nicht erlebt – das sind keine Ideologen, sondern
Nutzenmaximierer mit persönlich sehr spezieller Definition von Nutzen.“ – so etwas
könnte man Ideologie nennen, ich habe viel mit Unternehmensberatern
und auch Personalern zu tun gehabt, die ihre Defintion von Nutzen und Effizienz
hauptsächlich
nach der Formel „Personalkosten um jeden Preis senken“ ausrichten.
Die formelhafte Excel-Tabellen-Denkweise, zu der mancher MBO erzogen wurde,
würde ich als Ideologie bezeichnen – wobei ich
nicht weiß, ob es das ist, was workingclasshero meint.
@Gunhilde, Modeste:
„Entfernen von einer Orientierung an Status und Einkommen“ –
als jemand, der an solchen Dingen nicht orientiert ist, in bürgerlicher
Sicherheit lebt, aber auch schon mal am eigenen Leib den Terror des
Sozialamts erleben musste, habe ich einen sehr zwiespältigen Blick
auf diese Dinge. Vielen Entlassenen geht es nicht um die Orientierung
an irgendetwas, sondern um die nackte Existenz. Ich denke an meinen
Freund, den Pathologen, der als arbeitsloser Telekommunikationsingenieur
erst im Sudan wieder Arbeit gefunden hat, einen ehemaligen Kommilitonen,
der als Historiker heute von Beruf Vater ist (zwei Kinder in Pflegschaft genommen,
die er sich bezahlen lässt), eine Diplom-Sozialwissenschaftlerin mit Prädikatsnote,
die einige Jahre in einem Callcenter arbeitete, bis dieses nach Südafrika verlegt wurde
(warum ist die unflexible Frau ihrem Job nicht nachgezogen? 😉 ) und vergleiche
das mit der Karriere meines Vaters, die eigentlich erst mit 42 begann, als er Job
und Branche wechselte.
Ein erfülltes Leben ohne Erwerbsarbeit – die Subkultur, der ich mal angehörte,
hatte ja genau das gelebt. Dafür haben uns die Bürger gehasst. Die Bauwagenplätze
und besetzten Häuser waren für die Einen Realisierung eines alternativen
Lebensentwurfs, für die Anderen ein Polizeiproblem, für Dritte ein Frontalangriff
auf die Werte des Abendlands. Rein menschlich gesehen wünsche ich Leuten wie
den beschriebenen Jungsconsultants, mal im Flur der Arbeitsagentur auf das
Gespräch zur Bewilligung der Stütze zu warten und dabei neben Junkies zu sitzen, die sich
über die Besonderheiten von mit Strychnin verschnittenem Koks unterhalten.
Mir hat diese Erfahrung auf Dauer nicht geschadet, aber tiefe Einsichten verschafft.
Ansonsten möchte ich einen weiteren, recht provokanten Kommentar zu dem Thema hier
einfließen lassen:
http://che2001.blogger.de/stories/410377/#411477
REPLY:
Jugendwahn-die Gegenseite der Medaille sind 30 jährige Jungredakteure,
die 50 jährigen Kollegen erzählen, dass diese nicht wüssten, was Journalismus
heute bedeutet, und Manager bei IBM, die an ihrem 50 zigsten Geburtstag gefragt
werden, ob sie ihrer Verantwortung für den Nachwuchs nicht dadurch nachkommen
wollten, indem sie ihren Arbeitsplatz freimachen (real im Freudeskreis passiert).
REPLY:
Na ja, ein Satz wie Bedankt euch bei eurer Gewerkschaft für die Preistreiberei und geht alle nach Hause, zeigt doch die Kurzsichtigkeit Ihres in jeder Hinsicht reichlich jung-naiven Bekannten. Es wird immer vergessen, daß eines der STANDORTVORTEILE dieses Landes auch der soziale Friede ist. Was wurde jahrzehntelang über Frankreich oder Italien gelacht, weil dort ständig massiv gestreikt wurde. Hier fangen sie doch auch an Schaum vor dem Mund zu bekommen, nur wiel mal ein paar Wochen der Müll auf der Straße liegt. Wer chinesische Verhältnisse will, soll es laut sagen – sehr laut.
In jungen Jahren diffamiert sich leicht, weil man sich stark genug auch ohne Gewerkschaften (oder z.B. Krankenkassen) fühlt. Das sind dieselben nassforschen Typen, die später dann um alles in der Welt zurück in die AOK wollen. Dann, wenn „Solidargemeinschaft“ plötzlich wieder interessant wird.
Doch, Frau Modeste. Ihr Bekannter erzeugt Ekel.
REPLY:
@kid37: Dem stimme ich zu, einer meiner ältesten Freunde hat den
Begriff „eklig“ sogar exklusiv für solche Leute reserviert. Es ist natürlich etwas Anderes, wenn man so jemanden persönlich kennt, und hinsichtlich
der eigenen Leute macht man auch Kompromisse. Aber Du sprichst auch die andere Komponente aus: Jungspund ohne Lebenserfahrung, wahrschenlich noch formbar. Und man braucht nicht unflätig zu werden, um Kritik zu üben.
Der Freund von Modeste indes, der persönlich unter seiner Täterrolle leidet,
nun, in dessen Haut möchte ich nicht stecken. In der der Gekündigten natürlich auch nicht.
REPLY:
Da tue ich mich etwas schwer mit Ihrer Meinung, Herr Kid. Der Junge, um den es hier geht, ist ein Freund von mir, den ich als einen klugen und sensiblen Menschen kenne. Man kann von seinem Job halten, was man will. Hält man die Marktwirtschaft grundsätzlich für ein vernünftiges, wenn auch manchmal schmerzhaftes System, dann sind solche Entscheidungen wohl manchmal unumgänglich. Dass macht sie weder weniger leidvoll für die Betroffenen, noch angemehmer für diejenigen, die sie ausführen müssen, und so hat man es in diesem Text vielleicht weniger mit menschlicher Schlechtigkeit als mit einem menschlichen Dilemma zu tun.
REPLY:
Der besagte Satz stammte nicht vom Freund der werten Frau Modeste, sondern von dessen Kollegen.
REPLY:
Wehe & Ment
Stimmt, da habe ich den Satz falsch zugeordnet (mal besser lesen lernen, predige ich doch immer selbst). Aber für mich sind auch 28jährige noch junge Leute. Mit 28 könnte man allerdings weniger naiv sein.
„Unumgänglich“ ist mir zur schicksalsergeben, werte Frau Modeste. Wenn z.B. eine Firma wie S*emens 2001 ungefähr 2 Mrd. Gewinn macht und zum Dank 7000 Stellen abbaut, dann halte ich das für alles andere als „unumgänglich“. Auch die immer wieder beschworene „Globalisierung“ ist ja nicht in Form von Steintafeln vom Berg Sinai heruntergekommen – sondern ist von den ihr Bedauern nun so mildtätig verteilenden Konzernen ausdrücklich so gewollt. Wer aber was will, soll die Konsequenzen laut und deutlich verkünden und sich nicht hinter abstrakten Begriffen oder angeblichen „Unumgänglichkeiten“ verschanzen. Es geht immer auch anders.
Ich habe in unserer kleinen Fabrik auch schon einige „Berater“ erlebt und solche „Ihr seid alle entlassen“-Versammlungen. Es ist immer wieder erbärmlich.
Was auffällt: Es sind häufig (junge) Menschen, die im Zuge ihrer Ausbildung und in ihrer sozial meist friedlichen, güldenen Kindheit die Vorzüge genau der „alten“ Republik und des „alten“ Wirtschaftssystems genossen haben, die sie nun so verachten. Da werden 100 Jahren Gewerkschaftsarbeit und zähes Ringen um Arbeitnehmerrechte mal eben in den Mülleimer entsorgt. Das ist so jugendliches Omnipotenzgehabe, das spätestens dann verblasst, wenn man selbst mal Hilfe braucht.
Ich habe natürlich leicht reden, denn ich stelle nur Tand her und muß keine Leute entlassen. Dennoch finde ich es befremdlich, daß Ihr Bekannter sich so als Opfer darstellt („so beschmutzt gefühlt“) und seine eigene Rolle nicht reflektiert.
REPLY:
@ Che: Es gibt Stimmen, die haben ausgerechnet, was sich mit dem Geld, das heute von Wirtschaft und Politik in die Bergers, McKinseys & Co. gepumpt wird, alles sinnvolles machen ließe. Es gibt Kommunen, die geben mehr Geld für Gutachten aus als für ihre Kitas.
Es stimmt: Natürlich kann und will ich so nur reden, weil ich Frau Modestes Bekannten selbst nicht kenne. Vielleicht ringt er wirklich mit sich und seiner Welt. Allein, der Text oben gibt es nicht her.
Und manchmal verwischen bei der Nahbetrachtung nur die Konturen und man entwickelt Verständnis im falschen Augenblick. Dann heißt es wieder, der Henker habe auch keinen leichten Job.
REPLY:
S*emens, sind das nicht die, die jahrelang keine Gewerbesteuer zahlten und auch jetzt noch Dank Unternehmenssteuerreform kaum Steuern zahlen? Und bei wie vielen anderen Großunternehmen sieht das nicht anders aus. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2004 waren es übrigens schon 3,4 Milliarden Euro Gewinn „nach Steuern“.
Was die Unternehmensberaterknaben angeht, so wird denen spätestens in der zweiten Hälfte der 30er nahegelegt, zu gehen, wenn sie bis dahin nicht intern aufgestiegen sind. Dann werden sie durch die nächste Generation Unternehmensberaterknaben ersetzt.
@Che
Ideologie? Vielleicht. Aber „neoliberal“? Dann bitte nur im Sinn der Verwendung als Kampfbegriff für „alles Schlechte aus ökonomischen Zwängen heraus“.
Die einseitig fixierte, fast autistisch zu nennende Beschränktheit auf bestimmte Arten der „Problemlösung“ ist aus meiner Sicht keine Ideologie, sondern „nur“ ein Zeichen für Überforderung.
REPLY:
Natürlich, Herr Kid, ist ein Berater Vollstrecker von Entscheidungen, die sich weniger am Wohl der Mitarbeiter als an den Renditezielen des Unternehmens orientieren, und insofern haben Sie recht: Unumgänglich ist manche Entscheidung zulasten der Beschäftigungsverhältnisse sicherlich nicht. Nicht übersehen darf man meines Ermessens aber auch, dass nicht nur die Mitarbeiter Getriebene sind, sodern zumeist auch die Entscheidungsträger, denen die Investoren im Nacken sitzen, und die selber auch keinen sicheren Job haben, nur einen besser bezahlten.
Ob Sie den Jahrgängen der Siebziger und Achtziger Jahre gerecht werden, wenn Sie sie sozusagen unter die „undankbaren Kinder der Goldenen Jahre“ ablegen, weiß ich nicht so ganz. Die meisten der Wohltaten der alten Bundesrepublik werden von diesen Jahrgängen zwar noch bezahlt, sie werden aber keine Leistungen mehr erhalten. Ein guter Teil dieser Jahrgänge hat in sein Studium mehr Aufwand gesteckt als alle Jahrgänge vorher, hier ein Praktikum und da ein Auslandssemester, bloß nicht zu lange studieren, früh in den Job und sehr, sehr viel arbeiten. Über eine Vierzigstundenwoche können die meisten dieser sehr gut qualifizierten Absolvente nur lachen, und die wenigsten arbeiten soviel, weil sie besonders ehrgeizig wären. Ihre Verträge sind kurzfristig, aus dem Urlaub hat man schon manchen regelmäßig per Telephon geholt, und in dem Moment, in dem sie zu alt werden oder zu unflexibel (Kinder!) oder störrisch, sind sie den Job los, den sie machen. Die Gewerkschaft hat sich weder um diese Jobs noch um die Dauerpraktikanten mit Diplom jemals gekümmert, deren Klientel sind die fünfzigjährigen Facharbeiter.
Es scheint mir, Sie verlangen viel von Absolventen, die wenig Alternativen zu den Jobs haben, die sie machen, zumal ich mir vorstelle, dass die meisten der Jungs vom Beratungswesen doch ein konstruktiveres Bild haben als offenbar die meisten Leser hier. Ich mag mich da nicht positionieren, aber beneidenswert scheint mir keine der beiden Positionen: Weder vor noch hinter dem Tisch.
REPLY:
Oha, da habe ich den Liberalen auf dem falschen Fuß erwischt, sorry!
🙂
Nicht neoliberal im Sinne einer politischen Philosophie, sondern im Sinne
der wie einen Glaubenssatz angewandten Regel, wirtschaftliche Probleme
zwanghaft durch Verschlankung,
abspecken, rationalisieren, entlassen lösen zu wollen. Man könnte dazu
vielleicht passender postfordistisch sagen.
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„Niemand wird gezwungen, ein Berater zu werden.“ (Art. 237 GG)
Sie verlangen viel von Absolventen…
Sehen Sie, ich habe diese glatten Bubis mit ihren Köfferchen an der Uni lange studiert. Wie sie forsch durch die Gänge flitzten und ihre Vorlesungsprotokolle kopierten und wie sie vor allem verächtlich auf die Geisteswissenschaftler hinabblickten, weil sie vor Kraft strotzten und verkündeten, sie werden einmal richtig „Karriere machen“. Selbstverständlich erwarte ich da nun auch weiterhin kraftvolles Agieren – und kein Gegreine, wie schwer das doch alles ist.
Über eine Vierzigstundenwoche können die meisten dieser sehr gut qualifizierten Absolvente nur lachen…
Sie werden verstehen, daß ich hier – obwohl ich schnell zum Sentimentalen und Ergriffenheit neige – nicht in Tränen ausbreche. Sie liegen falsch, Frau Modeste: Es gibt eine Alternative. Für 28jährige gibt es sie allemal. Für die entlassenen 50jährigen Facharbeiter aber nicht.
Ich will es nic ht ausweiten, unsere unterschiedlichen Positionen sind ja deutlich geworden. Nur eins noch zu den Gewerkschaften: So wie ich es erlebt habe, wollte in den Zeiten des Booms mit solchen „Schnarchvereinen“ niemand etwas zu tun haben, der sich nur wenige jahre später schon mit einem schicken Aktienpaket versorgt am Strand ihrer Wahl wähnte. Das war „Old Economy“. Eine Gewerkschaft kann sich aber nur über ihre Mitglieder wandeln. Wenn diese Leute dort nicht eintreten und obendrein noch so wirklich dumme Sprüche loslassen, bin ich froh, daß meine Beiträge nicht für solche Berufsgruppen vergeudet werden.
So. Und jetzt gehe ich zurück und pinsel meinen Gartenzwergen die roten Revolutionsmützen an. 😉
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Wie schön, wenn Klischees gepflegt werden
@Gewerkschaften vertreten 50 jährige Facharbeiter:
Ich kann mich lebhaft daran erinnern, wie meine
Gewerkschaft, ver.di, damals noch IG Medien, alles
tat, um die freien Mitarbeiter und die Mediengestalter
bei den Zeitungen zu organisieren, das sind Leute
mit einem Altersschnitt unter 30, Letztere hippe
Technoszene. Unsere früheren Anjatanjas in der
Kreativabteilung waren alle in der Gewerkschaft und so um die 22.
Ich habe in meinem Leben so oft inkompetente und verantwortungslose Entscheider getroffen, dass ich den Standardbegründungen (z.B. 1/3 Lohnkosten woanders) nicht unbedingt weit über den Weg traue.
Bei mir drängt sich der Eindruck auf, dass die derzeitige Managergeneration so subrational ist wie die Generationen davor, nur mit dem Unterschied, dass es diesmal nicht um Wachstum, Umsätze, Management-by-Moden, Qualität oder Kundennutzen geht, sondern nur um Schrumpfen um jeden Preis.
Einfallslosigkeit als ökonomische Leitlinie.
Wenn ich mir tatsächlich von 24-jährigen Spacken die angebliche (oder tatsächliche) Notwendigkeit zur Betriebsschließung erzählen lassen müsste, dann würde es bei mir sicher nicht bei Brüllen bleiben.
Eine derartige Beschmutzung von mir als Person und meinen Interessen würde voraussichtlich mit Gewalt beantwortet werden.
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Bei mir drängt sich der Eindruck auf, dass die derzeitige Managergeneration so subrational ist wie die Generationen davor
Vor vielen Jahren bekam ich einmal ein Buch in die Finger, in dem sehr schlüssig nachgewiesen wurde, dass all die vermeintlich rationalen Managementstrategieen genauso gut durch das Werfen von Orakelknochen ersetzt werden könnten, das Ergebnis wäre keinesfalls schlechter, eher sogar besser. Leider weiß ich nicht mehr, wie das Buch hieß.
REPLY:
Einer – möglicherweise auch falschen – Unternehmensentscheidung mit Gewalt zu begegnen, halte ich unter keinen Umständen für gerechtfertigt. Man kann über Managementstrategien reden, und auch ökonomische Moden können töricht sein, aber Gewalt ist in meinen Augen kein Mittel.
Was mich ein wenig stört, ist der Anstoß, der offenbar am Alter meines guten Freundes genommen wird. Alter ist in meinen Augen kein Argument, und Kompetenz keine Altersfrage.