Von schlechten Eltern

Dreijährige Kinder der Mittelschicht haben einen dreimal größeren Wortschatz als Kinder der Unterschicht, behauptet Wikipedia. Arme Kinder sind schon im Vorschulalter im Durchschnitt auch dicker, weniger gesund und können sich nicht so gut konzentrieren. Die Chance, dass sie eines Tages Senatsvorsitzende am Bundesgerichtshof sein werden, Ingenieur im Wasserwerk oder auch nur Bankangestellter sind deswegen schon mit drei viel schlechter als die anderer Kinder. Das ist ein seit Jahren bekannter und beklagter Skandal.

Dass die politische Rechte nichts für die Kinder armer Leute unternimmt, wundert nun keinen. Parteien dienen – das ist ja auch nicht illegitim – der Durchsetzung von Klientelinteressen, und arme Familien gehören nicht zum Klientel konservativer Parteien. Auf der Linken sieht das anders aus. Sowohl linke Parteien als auch Verbände, linke Journalisten, das, was man so die Zivilgesellschaft nennt, erhebt einen ganzen Strauß an Forderungen. Die meisten finde ich logisch und richtig. Ganztagsschulen etwa, in denen das, was die Eltern nicht leisten, durch eine gute Nachmittagsbetreuung aufgefangen wird. Gut ausgestattete Kitas für alle ab dem ersten Geburtstag und attraktive Freizeitmöglichkeiten, die nichts kosten.

Mit diesen Forderungen, dass doch der Staat endlich etwas für arme Kinder unternehmen soll, ist allerdings fast immer eine Forderung verbunden, die ich erstaunlich finde: Man dürfe auf keinen Fall, also absolut nicht, die Eltern verantwortlich machen. In der Wahrnehmung der Linken scheinen die Eltern mit der Misere nichts zu tun zu haben. Offenbar sieht man da die Verantwortung für die unzureichende Situation allein beim Staat, bei der Gesellschaft, fiesen Pfeffersäcken, gemeinen Lehrern, bei wem auch immer, aber wer auch nur einen Löffel Verantwortung bei den Eltern sieht, gilt als böse. Oder, wie man in diesen Kreisen sagt: als neoliberal.

Nun verstehe ich, dass man zu ohnehin auf dem Boden Liegenden freundlich sein will. Aber sind Eltern nicht immer und unter allen Umständen ihren Kindern verpflichtet? Und ist nicht auch der ärmste Kerl, die ärmste Frau in Hinblick auf die eigenen Kinder nicht immer auch Täter statt Opfer? Wenn die Ursache für die schlechtere Sprachentwicklung von Kindern mangelnde Ansprache ist, dann muss doch nicht die Gesellschaft mehr mit dem Kind sprechen, sondern die eigenen Eltern. Wenn es allgemein bekannt ist, dass Vorlesen den Bildungserfolg fördert und ein eigener Fernseher ihn hemmt: Dann steht in jeder Gemeinde eine meist nahezu gratis zu nutzende Bücherei, und niemand zwingt Leute, einen Fernseher zu besitzen oder gar den Kindern ein solches Gerät ins Kinderzimmer zu stellen. Ich verstehe, wie schade es ist, wenn man nicht reisen kann. Aber viele Dinge, die eine glückliche Kindheit ausmachen, sind nahezu kostenlos. Brot backen zum Beispiel. Spazierengehen und sich Geschichten über alle Leute ausdenken, die man sieht. Und über alle Häuser. Wer in Berlin kein Geld hat, darf übrigens für sehr wenig Geld in Museen, und selbst wenn es Mutter und Vater selbst wenig interessiert, sollte es doch reichen, dass die Kinder Mumien und Gemälde vielleicht spannend finden.

Es kostet auch nichts außer ein bisschen Überwindung, seinen Kindern zu vermitteln, dass sie alle Chancen haben, auch wenn Mutter und Vater ihre nicht gut genutzt haben. Manieren. Eine Blockflöte kostet übrigens keine 20 €, und bei youtube kann man sich gemeinsam mit seinen Kindern erschließen, wie man sie spielt. Mein Sohn liebt übrigens mehr als nahezu jede kostenpflichtige Beschäftigung die Abende, an denen ich mit ihm am Tisch sitze und mit einem Kugelschreiber lustige, ziemlich läppische Geschichten illustriere, die ich mir ausdenke. Niemand hindert auch eine arme Mutter, jeden Tag über die Schule zu sprechen, zu fordern, zu loben, aber auch zu tadeln und einem Kind zu verdeutlichen, wie wichtig es für die Eltern ist, dass der Übertritt aufs Gymnasium geschafft wird, wie entscheidend jede Nachkommastelle beim Abitur. Es ist sicher nicht leicht, Würde auszustrahlen, wenn es einem nicht gut geht. Aber wenn es um das eigene Kind und seine Vorstellungen von Normalität geht, sollte man vielleicht doch jeden Tag morgens aufstehen. Aufräumen. Haltung bewahren und behaupten, man liebe Spieleabende und Linsensuppe und gehe eigentlich gar nicht gern aus.

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Es mag Menschen geben, die all das beherzigen, und ihre Kinder entwickeln sich trotzdem nicht so gut wie Angehörige weniger bedrängter Vergleichsgruppen. Es gibt gesellschaftliche Diskriminierung und das ist eine Schande. Die Statistik spricht aber dafür, dass viele Eltern von den Handlungsalternativen, die ihnen bleiben, oft nicht die besseren wählen. Warum diese Wahl ad malum den Eltern nicht vorwerfbar sein soll, hat mir noch kein Linker erklären können. Wieso diese offenbar entscheidenden Weichenstellungen anders ausfallen sollten, wenn dieselben Eltern mehr Geld bekommen, verstehe ich auch nicht. Leute sprechen doch nicht auf einmal mehr mit ihren Kindern, gehen Sonntags mit ihnen wandern und werfen den Fernseher weg, weil sie pro Kind mehr Geld bekommen? Es mag sein, dass sie sich mehr entspannen und ihr Leben mehr genießen, vielleicht reicht das schon als Rechtfertigung für diese Erhöhung der Staatsausgaben. Aber vielleicht macht man es sich auch zu bequem, wenn man den anonymen Staat und nicht die ganz und gar nicht anonymen Eltern der Misere beschuldigt. Vielleicht fördert man sogar eine Haltung mancher Eltern, Hilfe nur von außen zu erwarten. Vielleicht ist die Verantwortungsfrage am Ende auch nur halb so wichtig, weil wir nicht daran vorbeikommen, in Kitas, Schulen, Vereine, Lesepatenschaften, Kinderbauernhöfe und Sommercamps zu investieren. Aber geärgert habe ich mich über diesen Text von Julia Friedrichs über Kinderarmut doch. Sehr. Sehr.

79 Gedanken zu „Von schlechten Eltern

  1. „Aber geärgert habe ich mich über diesen Text von Julia Friedrichs über Kinderarmut doch.“
    Verraten Sie mir und eventuellen anderen Interessenten doch bitte die korrekte Fundstelle.
    Vielen Dank!

  2. In vielem stimme ich Ihnen zu, besonders auch bei den Möglichkeiten, die eigentlich auch für Familien mit geringem Einkommen bereits vorhanden sind. Was Sie aber meiner Ansicht nach übersehen ist, dass die meisten der betroffenen Eltern nicht plötzlich verarmte Bildungsbürger sind, sondern aus Familien kommen auf eine lange Unterschichtsgeschichte zurückblicken. Es gibt kaum Selbstwirksamkeitserfahrungen in solchen Verhältnissen und es gibt wenige Vorbilder im eigenen Umfeld, zusätzlich ist die ständige Sorge, wie der Alltag bewältigt werden kann, sehr lähmend.

    1. Ich glaube auch, dass Elternschaft viel schwerer ist, mit wenig familiärem Rückhalt und wenig Selbstvertrauen. Aber darf man deswegen den Anspruch aufgeben, seinem Kind die bestmöglichen Aussichten zu verschaffen? Betrügt man damit nicht die Kinder um Lebenschancen, weil man den Eltern ein schlechtes Gewissen ersparen möchte?

      1. Der Punkt den ich versucht habe darzustellen ist, dass die Eltern doch glauben, dem Kind die bestmöglichen Aussichten zu verschaffen. Die, die für sie eben am besten möglich sind. Das sind Eltern, die ihre Position nicht in Frage stellen – dafür, dass es so ist, hat die Gesellschaft gut gesorgt. Die Eltern lieben ihre Kinder genauso, wie wir es tun und wünschen ihnen das Beste, genauso wie wir es tun und sie kümmern sich auch nicht weniger als wir. Sie sehen nur einfach diese Möglichkeiten nicht, weil sie sie auch selbst nie hatten sondern sie bewegen sich dabei in dem Rahmen, der ihnen vertraut ist.

        1. Dass die Eltern ihre Kinder genauso lieben, glaube ich auch. Um so erstaunlicher finde ich es, dass sie trotz der vielfachen Aufklärung in Elternbriefen, beim Kinderarzt und in den Medien ihr Verhalten nicht ändern. Ich würde mich gern einmal mit einer solchen Mutter unterhalten, welche Gründe sie für ihr Verhalten hat. Leider treffe ich solche Mütter weder in meinem Alltag noch im Netz.

        2. Ich kenne durch mein Kind (Kindergarten und Grundschule in sozial sehr schwierigen Vierteln) einige solcher Familien, die meisten flüchtig aber zu zweien oder dreien hat sich eine nähere Bekanntschaft ergeben. Wenn Sie mal in der Nähe sind, sagen Sie Bescheid, vielleicht kann ich Sie und eine der Mütter dann auf einen Kaffee einladen.

          Die meisten hören sehr auf den Ärzte, Erzieher, Lehrer aber die Zeit, die diese Berufsgruppen auf die Eltern verwenden können, reicht aber bei weitem nicht aus. Im Lesen sind viele nicht so gewandt. Medien sind – wie in der eigenen Herkunftsfamilie – nicht unbedingt die hilfreichen. Im Grunde benötigt man Patenschaftssysteme zwischen Familien. Wenn Sie solche Familien nicht kennen, fürche ich, Sie können sich nicht ausmalen, welchen Problemen sie gegenüberstehen und in welcher Weise sie überfordert sind.

          Letztendlich komme ich selbst auch aus einer solchen Familie. Ich hatte nur das Glück, dass meine Mutter, wie die Verwandtschaft (die dann auch jeglichen Kontakt abbrach) sagte, „Allüren“ hatte, dass ihre Kinder etwas Besseres sind. Und dass ich – auch durch Glück – an jeder Ecke des Weges Lehrer, Eltern von Freunden, Chefs begegnet bin, die mich gepusht haben.

        3. Ich wäre sehr interessiert, einmal eine solche Mutter kennenzulernen. Leider habe ich auch nie ein Blog einer solchen Mutter gefunden, sie scheinen sich wenig zu äußern.

          In meinem Umfeld gibt es tatsächlich keine solchen Mütter. Das lieg natürlich auch an der räumlichen Segregation in großen Städten. Ich wohne im Prenzlauer Berg, der ist vielen Familien zu teuer, so dass auch in der örtlichen städtischen Kita, die F. besucht, eine sehr homogene Elternschaft dominiert.

        4. Ja, diese Leute haben leider meistens keine Stimme. Es würde mich sehr verwundern, wenn das Blogs von ihnen gäbe. Die meisten sind es nicht gewohnt, mehr als das Nötige schriftlich zu formulieren. Und zusätzlich würden sie ihre eigenen Person bzw. ihre Gedanken für nicht ausreichend relevant halten, sie zu veröffentlichen – sie sind es ja auch nicht gewohnt, gehört zu werden. Facebook haben ein paar, schreiben dort keine Texte sondern beschränken sich meistens auf Fotos, Glückwünsche und Bilder mit Sprüchen.

    2. In jeder Familie wird das erstrebt, was innerhalb des Rahmens liegt, was uns als möglich erscheint. Museums- und Konzertbesuche sind für mich in Reichweite. Regelmäßige Flugreisen nach New York, Kapstadt oder Sydney würden den Horizont meiner Kinder sicher auch erweitern, ebenso wie ein Austauschjahr. Beides ist finanziell aber nicht drin. Ich zermartere mir darüber nicht den Kopf, genauso wenig, wie andere Eltern, die mit den Kindern nicht in die Musikhalle gehen. Während vermögende Eltern mich darauf hinweisen, für die Sprachkompetenz wäre ein Jahr USA doch jetzt das richtige.

      1. Natürlich denken wir allen innerhalb unserer Grenzen, aber es macht einen Unterschied, ob wir über die Kirsche auf der Torte oder das Stück Brot zum Frühstück sprechen.

  3. Puh, der Text strotzt aber ganz schön von vorurteilsbeladenden Denkmustern.

    Eine Blockflöte kostet übrigens keine 20 €, und bei youtube kann man sich gemeinsam mit seinen Kindern erschließen, wie man sie spielt.

    Um hier nur ein Beispiel der vielen Denkfehler zu benennen: Zunächst einmal zu unterstellen, dass Eltern, die wenig Geld haben, sich nicht um die musikalische Erziehung ihrer Kinder kümmern würden, empfinde ich sehr unschön.

    Deiner These nach, können Kinder von armen Eltern ganz einfach ein Instrument erlernen, würden die Eltern 20 Euro investieren, einen PC, Internet haben und YouTube kennen. Klar. Stimme ich Dir zu. Ich stimme Dir darin nicht zu, dass Eltern – Deiner Meinung folgend – auf die Idee nicht von alleine kommen.

    Dass Du einem „armen” Kind per se zumutest das – bekanntermaßen mit Abstand in den Erzählungen der meisten Ex-Kinder– unbeliebteste Musikinstrument selbstständig zu erlernen – während andere privilegierte Kinder ein Instrument erlernen dürfen, worauf sie womöglich sogar Lust haben und persönlichen Unterricht erhalten. Das merkst Du selbst? (Und komme mir bitte nicht mit die Blockflöte war zu ein Beispiel. Sie ist explizit das Beispiel für „arme Kinder können dann halt nur nicht attraktive Instrumente lernen.”) Dieses Kind ist in die Schublade sortiert, „Wenn Du nix hast, lernste halt Blockflöte. Alle anderen Kinder von besser gestellten Eltern dürfen Geige lernen und Einzelunterricht erhalten, Du spiel‘ mal schön in der zweiten Blockflöten-YouTube-Liga.”

    Im Grunde unterstellst Du Eltern, die wenig Geld und Zeit für ihre Kinder haben, mangelndes Desinteresse und fehlende Kreativität Lösungen für ihre Situation zu finden – mich ärgert das. So leicht ist es einfach nicht.

    (Mich ärgert ein bisschen insbesondere über dieses Beispiel von Dir auf, weil ich es aus eigener Erfahrung kenne. Meine Mutter war arm. Meine Mutter war dennoch bemüht – trotz ihres Hauptjobs und stellenweise noch zwei Nebenjobs – mir musikalische Erziehung zukommen zu lassen. Es gab einen Gitarrenspieler im sozialen Umfeld, der als Gitarrenlehrer arbeitete. Der besorgte eine Kindergitarre und fing an mir das Spielen beizubringen. Gitarrenunterricht war für mich eine Qual. Ich mochte das Instrument nicht, ich hatte gar keinen Bezug dazu. Aber ich hätte nur das lernen können, weil ich eben Kinder einer alleinerziehenden Mutter war, die arm war.

    Was es in meiner Welt aber nie gab war: „Welches Instrument willst Du spielen lernen?” Weil sich die Möglichkeit nicht ergeben hätte, mir das zu ermöglichen. Ich wollte nämlich immer Klavier spielen wollen und Schlagzeug. Weder waren für eines der Instrumente Geld da, noch Geld um darin Unterricht bezahlt zu bekommen.)

    Wie oft hast Du Deinen Sohn gefragt: „Willst Du das tun? Oder das?” Mit dem Hintergedanken, dass Du seinem Wunsch sofort entsprechen könntest.

    Wie oft müssen andere Eltern zu ihrem Kind sagen, das mit einem Wunsch kommt: „Es tut mir leid, wir können uns das nicht leisten.” (Diese Kinder wachsen übrigens genau mit diesem Erleben auf: „Wir können uns das nicht leisten.” Nicht etwa „Mama/Papa/Deine Eltern kann sich das nicht leisten.” Das arme Kind wird immer mit ins Boot geholt – das macht was mit so einem Kind für den Rest seines Lebens.

    Wir sind auf dem Holzweg, wenn wir Eltern unterstellen, sie würden, wenn sie wenig finanzielle Mittel zur Verfügung haben, ihren Kindern nicht alle Möglichkeiten schaffen zu wollen, eine gute Erziehung zu gewährleisten. Es geht darum, allen Kindern solche Möglichkeiten zu schaffen, egal wie schlecht deren Eltern gestellt sind.

    Mein zweites Ärgernis, das ich mit oben stehenden Text habe, dass ein offensichtlich ein Verständnis fehl, wie heutzutage das zeitliche Management schon bei der Mittelschicht aussieht – das ist nämlich längst nicht mehr von „Freizeit” oder einem Zuhause sein geprägt, sondern von sehr knapper Zeit für die Familie. Man muss heutzutage nicht mehr arbeitslos sein, um arm zu sein. Man muss nicht ungebildet sein, um heute mit mehren Jobs für ein Existenzminimum kämpfen zu müssen. (Bestenfalls hat man bloß einen Pflegefall in der Familie, arm sein geht nämlich ganz schnell auch bei Hochintelligenten mit ein bisschen sozialer Kompetenz.)

    Ungebildet sein oder aber Kindern nicht im ausreichend Maß zeitlich so zur Verfügung stehen zu können, um ihnen die intensive Zuwendung zukommen zu lassen – sind heutzutage leider zwei völlig unterschiedliche Ausgangspositionen, und ich kann nur davor warnen, diese in einen Topf zu werfen.

    Wenn Du mit Deinem Kind am Küchentisch sitzt und Ihr beide Spaß habt beim Bilder malen, ist die Mutter von dem „armen” Kind u. U. bei ihrem Zweitjob und putzt irgendein Büro, weil ihr Sekretärinnenjob einfach nicht mehr genug abwirft. Das hat nichts mit Desinteresse zu tun, noch mit dem fehlenden Wunsch es Euch gleich zu tun.

    Und ja, es gibt sehr viele Eltern, die sich nicht ausreichend um ihre Kinder bemühen. Das will ich nicht bestreiten. Die müssen m. E. nicht einmal arm sein. Auch ich stehe oft fassungslos vor Familiensituationen im öffentlichen Raum und denke bei mir, warum habt Ihr überhaupt Kinder bekommen, wenn ihr so wenig Lust auf sie demonstriert? Nur sollten wir uns davon hüten, dass „ungebildete, womöglich übergewichtige, weil still gestellte Kinder” immer aus einem solchen Haushalt entsprungen sein müssen.

    Womöglich wünschen sich deren Eltern auch ein ganz ganz andere Leben für sich und ihre Brut mit viel mehr Zeit für die eigenen Kinder. Und die wird in der hiesigen Gesellschaft immer mehr Menschen durch deren Arbeits-/Gehaltssituation genommen. Leider.

    Übrigens wäre ein schöner Anfang an einer Musikschule die Patenschaft für ein „armes” Kind zu übernehmen und diesem den Musikunterricht/Instrument zu bezahlen, wenn man es sich leisten kann. Eine Musikpatenschaft. Das würde manchem Elternteil, das dies seinem Kind wünschen würde nur es sich nicht leisten kann, vermutlich Tränen in die Augen treiben. Insofern: nein, es geht nicht zwangsweise darum den Eltern zwingend mehr Geld in die Hand zu drücken. ABER es geht darum, auch diesen Kindern die gleichen Möglichkeiten und Vorraussetzungen zu schaffen. Und zwar ohne Eltern zu unterstellen, sie würden nur Geld abziehen und nicht das Beste für ihre Kinder zu wollen.

    Und ja, wir leben in Zeiten in denen immer mehr sehr gut ausgebildete Eltern in einem Arbeitsverhältnis das alleine nicht mehr stemmen können. (Wer daran Zweifel hat, muss nur mal Wohnungsanzeigen und Mietwünsche dieser Zeit lesen.) Und wer davor heute immer noch die Augen verschließt, der verrät gerade künftige Generationen en masse!

    1. Du argumentierst, die Kernthese meines Textes sei falsch, weil es Eltern gebe, die arm sind, aber sehr bemüht, ihren Kindern gute Lebenschancen zu verschaffen. Das bestreite ich aber gar nicht. Es gibt diese Eltern. Sie verdienen Hochachtung, das ist kein leichtes Leben. Diesen Eltern wäre mit besseren Jobs und mehr Geld geholfen. Deine wortreichen Ausführungen über die Schwierigkeiten, die diesen Eltern und Kindern erwachsen, finde ich individuell übrigens auch durchaus nachvollziehbar. Ich fände es auch schön, wenn jedes Kind ein Instrument spielen könnte, das es spielen möchte, und unterstütze alle politischen Bestrebungen, Bildung zugänglicher zu machen. Dein Seitenhieb dahingehend, dass zu der Zeit, zu der ich Zeit mit meinem Sohn verbringe, andere arbeiten, finde ich übrigens recht lustig. Ich arbeite 50 – 55 Stunden pro Woche, wer mehr arbeitet und arm ist, möge sich melden.

      Die Zahlen und Daten, die es über die Ursachen von Bildungsbenachteiligung gibt, besagen leider, dass deutlich mehr arme Eltern Verhaltensweisen aufweisen, die sich auf die Bildungsbiographien ihrer Kinder negativ auswirken. Über diese Gruppe spreche ich. Glaubst Du, dass es diese Gruppe nicht gibt? Die Sozialforschung sieht das anders. Oder passt diese Gruppe schlicht nicht in Dein Bild der „guten“ Armen vs. der „bösen“ Gesellschaft? Aber geht es Dir dann wirklich um eine ungeschminkte Analyse der Probleme und die Frage, wie man sie lösen kann? Ich sehe in dem Verbot, über individuelle Verantwortung auch nur nachzudenken, und der gleichzeitigen Forderung nach mehr Geld für die Leute, über deren Verantwortung nicht nachgedacht werden darf, jedenfalls keinen Lösungsansatz.

      1. Ich finde es übertrieben, von einem Verbot des In-Verantwortung-nehmen zu sprechen. Es ist m.E. richtig, davor zu warnen, dass „die Eltern schuld/verantwortlich“ sind.

        Wenn du Stimmen und Schilderungen von Leben in Armut suchst, empfehle ich Steinhöfels Bücher, zudem mama-arbeitet.de.

        Was Novemberregen von Selbstwirksamkeit schrieb ist auch wichtig.

        Ich habe allerdings immer eine 14-jährige Kreuzbergerin im Ohr, die mega taff daher kam, rauchte, trank, pöbelte. Und am Ende einer Kinderfreizeitwoche heulend im Arm des Teamers saß, denn
        „Weisst du, manchmal brülle ich A (kleine Schwester 4) an oder geb ihr einen Klaps, dabei will ich das nicht. Aber Mum kommt erst 19h aus dem Supermarkt und wenn sie Kasse machen muss erst 19h30. Und ich hole darum A 16h am Hort ab und dann hab ich sie an der Backe und das nervt. Hausaufgaben machen hab ich dann keinen Bock, weil sie mich stört. Und das Abendessen was ich mache passt ihr nicht und ich will doch helfen aber mir wird das alles zuviel“

        Das ist die eine Antwort, die ich im Ohr habe, wenn ich deinen Text lese. Das ist eine klassische Familie, in der Armut vererbt wird.

    2. Viele Kinder aus Elternhäusern, die finanziell besser dastehen, dürfen allerdings auch nicht mal eben jedes Instrument wählen, was sie wollen. Auch wenn ganz prinzipiell das Geld da wäre: „Das ist zu teuer“! Ein Kind mit Angeboten zu überschütten ist ja nicht besser. Genauso, wie man Familien ohne viel Geld nicht über einen Kamm scheren sollte, darf man es auch nicht mit Familien *mit* Geld.

      1. Die Passage von Frau Creezy zur Instrumentenwahl fand ich auch ein bisschen lustig. An die Blockflöte denke ich nicht, weil sie billig ist, als erstes, sondern weil das das erste Instrument war, das ich gespielt habe, wie eben die meisten Kinder. Und mein Sohn hat sich sein Instrument mitnichten selbst ausgesucht, sondern wir haben bestimmt, dass er Klavier spielt. Er wollte ein Cello, aber das halte ich nicht aus. Er spielt übrigens sehr gern und für einen gerade fünfjährigen auch recht ordentlich.

        (Könnte hier vielleicht Projektion, liebe Frau Creezy, eine klitzekleine Rolle spielen?)

    3. Danke für den Kommentar. Ich war eine so arme Mutter, die trotz des Alg2-Bezuges ihrer Tochter ab der ersten Klasse Geigenunterricht finanzierte. Das kostete die ersten 2 Jahre nur die Leihgeige von 11,50€ pro Jahr und die weiteren 2 Jahre dann Musikunterrichtskosten von 300€ jährlich. Die Hälfte, eben wegen des Bezuges von Alg2. Sie hatte vorher Gruppenunterricht in der Schule. Ab 12 dann spielte sie Klavier. Nahm Gesangsunterricht. Das wurde ihr aber finanziert. Und alle meine Kinder zeichneten sich durch einen extrem großen Wortschatz aus, der sehr viel höher war als von Kindern „reicherer“ Familien. Auch waren sie rhetorisch weitaus geschickter als ihre Altersgenossen. Und das bei einer Mutter, die erst mit 38 ihre Realschule nachholte. Da waren meine Kinder 19, 17, 9 und 3. Mittlerweile ist noch eins hinzugekommen. Jetzt 5 Mo. Es kommt eben massgeblich auf die Eltern und weniger auf die sozialen Strukturen an.

  4. Ich finde den Artikel von Julia Friedrichs sehr aufschlussreich und glaubwürdig. Hat Sie dieser Absatz besonders geärgert?

    „Für echte Aufstiegschancen der armen Jungen und Mädchen aber kämpft niemand. Vielleicht, so denke ich manchmal, belügen sich vor allem die Menschen der Mittelschicht selbst. Haben sie wirklich ein Interesse daran, dass die armen Kinder mitmischen beim ohnehin angespannten Wettkampf um Karrierechancen? Oder sind viele Eltern insgeheim froh darüber, dass ein Fünftel der Konkurrenz bereits in der Schule abgehängt ist? “

    Das ist natürlich sehr provokant und auch ein bisschen gemein, aber ich glaube, dass die gut situierte Mittelschicht (und Oberschicht sowieso) in unserem Land tatsächlich einen Vorteil davon hat, dass es auch „die anderen“ gibt, die die schlechteren Schulen besuchen, kein Abitur machen, nicht studieren werden, später nicht die gut bezahlten Jobs bekommen, und die Armen, die jeden Minijob machen müssen, die Klos putzen, die Drecksarbeit machen oder am sozialen Tropf des Amts hängen, weil sie aufgegeben haben.

    An die Verantwortung der Eltern von armen und unterpriviligegierten Kindern in unserem Land zu apellieren ist natürlich moralisch gerechtfertigt, halte ich aber für naiv, wenn man doch gerade in dem Artikel erfährt, dass Ungebildet sein, mangelhafte Sprachentwicklung, Konsum- und Ernährungsgewohnheiten seit Generationen fortbestehen und von Generation zu Generation weiter gegeben werden.

    Für unsere Wirtschaft sind schlecht ernährte, ungebildete und sozial abgehängte Erwachsene kein Problem, es sei denn sie sucht mal wieder gut ausgebildete Facharbeiter. Dafür wird dann Geld in Ausbildungsinitiativen locker gemacht, aber in Kitas, gut ausgestattete staatliche Schulen, Schulkantinen mit biologischem Essen, Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung, kostenlose Ferienprogramme wird immer noch viel zu wenig investiert, weil die Lobby fehlt.

    1. Ich glaube nicht, dass irgendwer einen Vorteil davon hat, dass andere Leute ungebildet sind. In einer Gesellschaft, die auf Wissen basiert, fahren wir alle am besten, wenn möglichst viele Leute viel können, gute Ideen haben und sie verwirklichen. Es gibt ja nicht begrenzt viele gute Jobs. Mehr Innovationen sind mehr Jobs sind mehr volkswirtschaftlicher Reichtum.

      Insofern glaube ich nicht, dass es hier ein Wegschauen wegen Verteilungskämpfe gibt. Ich lese immer wieder von Abstiegsängsten, die die Mittelschicht angeblich plagen. Ich bin als Anwältin klassischer Teil der Mittelschicht und hege weder Abstiegsängste für den F., noch sind mir solche jemals „in echt“ bei anderen Leuten begegnet. Ich halte das für eine Schimäre.

      Dass zu wenig in Hilfen investiert wird, glaube ich auch. Der Umstieg von der klassischen Halbtags- zur Ganztagsschule verläuft ganz schön schleppend. Ob das an fehlender Lobby liegt? Vielleicht sollten wir alle doch mehr in Parteien eintreten und mehr Druck für die sog. „weichen“ Themen aufbauen, die am Ende gar nicht so weich sind.

      Was tradierte Verhaltensweisen angeht, glaube ich auch, dass das ganz schön schwierig sein kann, das aufzubrechen. Gerade bei Alltagsthemen wie Essen, Kulturrezeption, Kommunikation, ist das sicher nicht einfach. Aber Elternschaft ist nun einmal nicht leicht. Ich fürchte, dass wir Kindern schaden, wenn wir als Gesellschaft ihren Eltern mit ganz viel Nachsicht begegnen, jede Forderung und jeden Vorwurf vermeiden, und im Ergebnis zusehen, wie manche Kinder viel schlechtere Lebenschancen haben als andere.

      1. Meiner Erafahrung nach ist vielen Mittelschichteltern das Hemd näher als der Rock – die kümmern sich massiv um die eigenen Kinder; benachteiligte Kinder zu fördern, dafür bleibt keine Zeit und keine Energie mehr. Politisches Engagement dient auch dem Fortkommen der eigenen Gruppe, aber politisch engagiert ist kaum jemand aus dem Pool der Mittelschichteltern, die ich kenne. Ehrenämter spielen sich bei Müttern innerhalb der eigenen Schicht, Väter haben dafür keine Zeit oder machen „irgendwas mit Sport“.
        Die „Unterschicht“ kommt im Denken der Mittelschichteltern, die ich kenne, weitgehend nicht vor – wenn ja, als Problem. Man muss verhindern, dass die eigenen Kinder von „Hauptschülern“ angepöbelt werden, man muss sehen, dass die Kinder nicht „die falschen Freunde“ haben, wobei mitschwingt, dass das nicht der violinspielende Fritz-Korbinian sein kann, dessen Eltern den selben Habitus haben wie sie selbst. Und ja, für diese Eltern spielt Konkurrenzkampf und Leistung eine enorme Rolle – ich bin mir sicher, dass sie kein Interesse daran haben, für Laurin oder Lea oder Laura-Zoe meir Konkurrenz zu generieren.
        Dazu kommt noch, dass immer noch in den Köpfen sitzt, dass es zwei Arten von Armen gibt – würdige und unwürdige. Die würdigen, die edlen und guten, denen kann man vielleicht noch helfen. Das sind z. B. die „Flüchtlinge“, die ja anfangs prinzipiell als „hochgebildet“ dargestellt wurden. Die unwürdigen, dass sind die Hartz-4-Muttis, die ihren Kindern Popcorn zum Frühstück geben, und die sicher alle zu faul und zu blöd sind, um was aus sich und ihren Kindern zu machen. An die wäre Hilfe verschwendet.

        1. Da ist was dran. Ich habe die Prenzlbergmütter und -väter als sehr hilfreich erlebt, als 2015 Flüchtlinge kamen und Hilfe brauchten. Viele helfen immer noch, wir auch. Ich würde auch gern anderen Familien helfen, die es nötig haben, und sie beispielsweise ins Museum begleiten oder mit ihren Kindern singen, aber ich kenne keine Familien, die das möchten und auch keinen Verein, der einen Kontakt mit solchen Leuten herstellen würde.

          Ich glaube auch nicht, dass hier viele Leute um die Zukunft ihrer Kinder bangen. Wozu auch, es gibt ja eher zu wenig als zu viele hochqualifizierte Berufseinsteiger. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch der F., wenn er einmal groß ist, ebenso ein komfortables Leben führt wie wir alle, selbst diejenigen, die vielleicht nicht die Hellsten sind oder wirklich miese Examina haben.

          Das Unbehagen an Leuten mit einem ganz anderen Habitus ist mir allerdings leider auch nicht fremd. Ich hoffe, ich bin immer freundlich und höflich, aber ich wäre auch nicht begeistert, wenn mein Sohn Familien besuchen würde, in denen zB viel ferngesehen wird.

  5. Was ist so schwer daran, zu akzeptieren, dass die Verantwortung bei allen Beteiligten liegt, beim Individuum, bei der Gruppe drum rum, bei den Rahmenbedingungen schaffenden, privat wie staatlich? Das erscheint mit mehr als offensichtlich. Für unterschiedliche Dinge halt, klar, aber wer redet denn (auch im zitierten Artikel) davon, dass „Eltern keine Verantwortung tragen“? Klingt mehr nach nem Bild im Kopf. Die von Dir beschrieben Handlungsfreiheit ist übrigens bischen komplexer als die Antwort “ müssen sich halt anstrengen, dann wirds was, andere schaffen es ja auch“. Ein simples Beispiel aus meiner Familie: es war noch für meinen Vater völlig normal, vom Vater mit auf die Arbeitsstelle genommen zu werden, wo dieser arbeitete jenseits seine Qualifikation (als Migrant musste man halt bekommen was man bekam) und dort „untergebracht zu werden“, d.h. auch jenseits von Neigung in einer Ausbildung versorgt zu werden. Dann waren da Externe, die die Befähigung meines Vaters sahen und ihm genug Mut machten per 2. Bildungsweg zu studieren, Lehramt, weil das war was sicheres und er mochte Lehren. Die Reaktion meines Großvaters? “ Junge, du greifst nach den Sternen“. Aber er liess ihn machen. Uni war halt für den Tischlermeister etwas was nur in anderen Universen stattfand, nichts, was in seinem eigenen Leben Platz hatte. Anderes Beispiel: die weiteste Reise meiner beiden Großväter war (bei dem einen abgesehen von Front bei Verdun im WW 1 und der erzwungenen Migration nach WW 2) ca. 50-100 km. Für uns war es noch eine unvorstellbare Freiheit und Abenteuer mal bis Südfrankreich zu fahren. Ein Mal. Alles andere war näher ran. Warum? Wir waren nicht arm im klassischen Sinn, es war einfach nicht Teil des Mindsets, dass Reisen auf anderen Kontinente Teil des Lebens sein konnte. Bei mir hat das dann Sehnsucht und Zufall gepaart mit Glück und ein bischen Mut die Uni aufgebrochen, aber auch eher mit sanftem Zwang. Warum ich das so ausführlich erzähle? Möglichkeit entstehen als erstes im Kopf und im Herz, dann erst in der Realität und dort kann es dann einfacher oder schwerer sein. Ist Kopf und Herz schon blockiert und kommt dann noch ne peer group dazu, die die eigenen Ziele scheisse findet, finden nur die wenigsten ihren eigenen Weg. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und natürlich spielt bei den Rahmenbedingungen auch die staatliche Förderung und die wirtschaftlich Eckpunkte eine immense Rolle. Was regt Dich so auf?

    1. Ich lese in diesem ganzen Text von Frau Friedrichs ausschließlich Vorwürfe an die Politik, die angeblich zu wenig Geld für arme Kinder ausgibt. Ich würde auch mehr in Bildungseinrichtungen investieren und mehr Möglichkeiten schaffen, von guten Ganztagsschulen bis zu Feriencamps und einer guten Vereinsarbeit. Ich finde das auch wichtiger als Steuersenkungen oder eine schwarze Null. Ich glaube aber nicht, dass die Hauptursache für tradierte Armut in zu wenig Geldflüssen liegt. Wenn Kinder in der Schule versagen, weil man zu wenig mit ihnen spricht, finde ich das skandalös. Die Eltern, die offenbar zu wenig sprechen und zu wenig kochen, zu wenig spazieren gehen, zu wenig Interesse zeigen, sehe ich nicht (nur) als arme Opfer der Gesellschaft, sondern als schlechte Eltern. Wir schulden unseren Kindern alle alles Glück der Erde, und sie haben auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht geliefert. Ich habe das Gefühl, dass man die Verschlechterung der Chancen dieser Kinder hinnimmt, um nur den Eltern Vorwürfe zu ersparen.

      Was das Mindset angeht, so registriere ich, dass es schwierig sein kann, von Verhaltensweisen abzugehen, die einem vertraut sind. Aber wenn ich erfahre, dass es gut für Kinder ist, vorzulesen: Muss ich dann nicht anders agieren als meine Eltern? Und wenn ich erfahre, dass mein Kind Übergewicht hat: Muss ich dann nicht kochen?

      Was die Ebene der persönlichen Anekdoten angeht, fällt mir auch eine eindrucksvolle Geschichte ein: Mein Großvater, 1910 geboren, erzählte einmal von seiner Großmutter, einer sehr einfachen Frau. Sie war sehr fromm, lebte sehr zurückgezogen. Nun war ihr ältester Sohn sehr begabt und wollte einen Beruf ergreifen, der aus verschiedenen historischen Gründen eine Konversion voraussetzte. Seine Großmutter weinte wochenlang. Dann ließ sie sich taufen. Sie zitterte bis an ihr Lebensende vor der Rache Gottes. Sie starb in Angst. Sie hat ihren Sohn ihrem Gott vorgezogen.

      1. einwurf von der seitenlinie: wer nie erlebt hat, wie es ist, wirklich, WIRKLICH arm zu sein, der hat leicht reden über die nicht ausreichend engagierten eltern.
        die, die sich um schule und co. kümmer sollen.
        die halt einfach kochen müssen, wenn die kinder zu dick sind.

        wenn man für eine erwachsene und zwei teenager-kinder mit 20 mark (ja, dee-emm) für eine ganze woche, sieben tage, alles zum leben notwendige (… ha, ha …) kaufen muss, dann rechnet man in „wie lange reichen nudeln und tomatensauce?“ und nicht in „oh gott, kind 1oder2 hat gewichtsprobleme, lass uns möhren und kohlrabi kaufen“.
        wenn man an der tanke überstunden und nachtschichten macht, damit man über die runden kommt. grade so.
        und dann fährt einem so ein drecksack an der tanke weg, ohne zu bezahlen, und man muss die tankfüllung aus der eigenen tasche bezahlen. ja, das ist nicht legal – aber möchte man sich wirklich mit dem chef anlegen? bei dem man den one-and-only job bekommen hat, der einen grade so über wasser hält?

        ich weiß das, ich habe es erlebt. es gab selten bei uns nudeln und tomatensauce. aber ich habe meine mutter mit tränen in den augen und taschenrechner in der hand bei aldi erlebt. nicht nur einmal.

        da bleibt wirklich keine kraft mehr für wasauchimmer.

        wenn man sich nicht mehr an die tür traut, weil man regelmäßig von schuldeneintreibern typ moskau-inkasso zusammengebrüllt wird (der, der die schulden hat, ist der lebensgefährte, und es sind schulden für arbeitsmittel, werkzeug, so was – kein alk, keine drogen, keine nutten. just saying …), hat man keine kraft mehr, um mit lehrern über die schlechten noten zu diskutieren und was man dagegen tun kann.
        wenn man nicht mehr ans telefon geht, aus ähnlichem grund wie im vorstehenden absatz. übrigens: nicht nur die mutter, auch die kinder.

        ich war eines der beiden kinder. immerhin schon teenager, als es so schlimm wurde. war mein glück, ich hab die kurve gekriegt, meine schwester auch (beide mit abgeschlossenem unistudium).
        die so genannte „gute gesellschaft“ blickte auf uns herab: die alleinerziehende ossifrau mit den zwei renitenten töchtern, die so gar nicht „blick senken, ohren anlegen, klappe halten“ praktizieren mochten. „wärste besser drüben geblieben, solche wie dich brauchen wir hier nicht.“ das sind o-töne. die sich mMn beliebig anpassen lassen („hättste halt keine kinder bekommen, wenn du dich nicht genug kümmern kannst“).
        wie viel energie für scharmützel an den seitenlinien bleibt einem wohl, wenn man tag um tag, woche um woche, monat um monat gegen so etwas anleben muss?

        fazit: vom hohen ross herab ist gut predigen.

        1. Das tut mir leid, das hört sich nicht nach einer schönen Kindheit an. Ich verstehe allerdings noch nicht ganz, was Sie daraus politisch ableiten. Ich höre heraus, Sie möchten, dass Eltern generell nicht zu verbesserten Erziehungsanleitungen angehalten werden, um keinen zusätzlichen Druck auszuüben und nehmen den pädadogischen Status Quo dann eben so hin?

    2. Ähnlich hier. Meinem Mann wurde massiv vom Studium abgeraten („Was willst denn studieren? Handwerk hat goldenen Boden!“). Er konnte das überhaupt nur in Betracht ziehen, weil sich seine Mutter massiv für ihn einsetzte, der Rest fand das völlig überkandidelte Zeit- und Geldverschwendung. Das muss um 1990 gewesen sein.

    1. Wo siehst Du die Überheblichkeit? Mich macht es zornig, die Kinder ihrem Schicksal zu überlassen, um das eigene Dogma der bösen Gesellschaft vs. der guten Armen irgendwie aufrechtzuerhalten. Die Kinder verdienen es, dass wir etwas für sie tun, und wenn es als wissenschaftlich gesichert gelten darf, dass das elterliche Verhalten eine Hauptursache für Bildungserfolg oder -misserfolg darstellt, muss ich die Eltern an ihre Verantwortung erinnern.

      1. Es gibt eine Menge Leute, die sind mit dem, was Sie vorschlagen, überfordert. Und zwar nicht in erster Linie finanziell, sondern kognitiv.

        Ich kenne einen Mann, der kann mit seinem Auto zwei Ziele anfahren: Seinen Arbeitsplatz und den Supermarkt. Wenn er woanders hinfahren soll, verfährt er sich. Immer. Die Museen und Zoos, die es bei uns in der Gegend durchaus gibt — für ihn und seine Kinder könnten sie auf dem Mars sein.

        Dann die Leute in der Kantine meines Betriebes. Das Kassensystem ist nicht schwierig und das Angebot an Speisen nicht groß, aber wenn jemand neues an der Kasse sitzt, dauert es trotzdem Wochen, bis er oder sie damit umgehen kann, und bei Arbeitsschritten, die selten vorkommen, hakt es nach Monaten noch.

        Und wo wir bei Computern sind: Die Dinger gehen ja häufiger mal kaputt. Also, vielleicht ist eine Einstellung falsch abgespeichert worden oder ein Virus drauf, und dann funktionieren die eingübten Arbeitsschritte nicht mehr. Wohl dem, der dann jemanden kennt, der ihm das Ding wieder richtet. Ich kenne aber auch Leute, da fällt das Internet dann monatelang aus. So viel zum Musikunterricht via Youtube.

        Diese Leute sind alle in Arbeit und Brot. Das sind nicht die Leute, die vom Arbeitsmarkt aussortiert worden sind. Aber von ungewohnten Situationen sind sie oft völlig überfordert. Und diese Leute sollen jetzt — was: Sich Geschichten ausdenken? Und Illustrationen gleich mit? Irgendwie anders kochen? Neue Rezepte ausprobieren; wenn sie schon von der Arbeit bis an ihre Grenzen gefordert werden? Das wird so nicht funktionieren. Und Vorwürfe helfen da auch nicht.

        1. Meinen Sie, solche Leute machen das Gros der Eltern bildungsbenachteiligter Kinder aus? Ich muss gestehen, ich habe noch nie solche Leute getroffen, und lebe nun auch nicht in einem Kokon.

        2. Nun, wie gesagt, die Leute, die ich treffe, weil sie mein Essen kochen oder mein Auto reparieren, haben Jobs und sind vermutlich noch nicht mal offiziell arm. Ich glaube aber, dass es noch weiter unten nicht besser wird.

          Ich weiß auch nicht, was man da machen kann; Intelligenz lässt sich nun mal nicht so leicht verteilen wie Geld.

        3. So sehe ich das auch. Bei uns in der Kantine arbeitet eine Frau als Springerin, lebt ansonsten von staatlicher Hilfe. Gurken, Tomaten, Paprika? Kann ich nicht schneiden, nein, das kann ich nicht. Und wenn sie für ihre Familie 3 Essen mit nach Hause nimmt, sind die 13 Euro dafür zu teuer. Beschwert sich, nimmt sie aber trotzdem mit. Selbst nach Monaten kann sie sich nicht merken, was die Ware kostet, geschweige denn zusammenrechnen. Ich frage mich, wie man mit solchen Fertigkeiten ein Leben bewältigen will. Es klingt vielleicht überheblich oder vermessen, aber bei manchen befindet sich der Horizont schon an der Nasenspitze.

      2. Das unterstellt halt, das alle Menschen die gleicht psychische und/oder kognitive Fähigkeit haben, aus Informationen Schlüsse zu ziehen, sie zu bewerten und in Handlungen umzusetzen. Das ist leider nicht der Fall. Oh und by the way: Erziehungsverwahrlosung ist laut unserer Betreuerin im Jugendamt keine ausschließliche Frage von arm oder reich, bildungsfern oder gut buergerlich. Das Leben ist komplexer als das.

        1. Natürlich gibt es in allen Schichten pädagogisch inkompetente Eltern. Die Zahlen, die besagen, dass Kinder armer Eltern schlechter sprechen, ungesünder sind, häufiger psychisch krank und sogar motorisch schwächer, sprechen aber dafür, dass die Inkompetenten nicht gesamtgesellschaftlich gleich verteilt sind.

  6. Zwei Dinge:
    Zum einen: „Wer mehr arbeitet und arm ist, möge sich melden.“
    Mangels der Definitiondessen, was im Moment das Durchschnittseinkommen ist kann ich auch nicht ausrechnen, wie viel 60% davon sind, aber ich werfe immer gern mal wieder die Zahlen der KSK rein: Das Durchschnittseinkommen (vor Steuern) ihrer Mitglieder (Texter, Grafiker, Webdesigner, …) liegt zwischen 11.000 und 15.000 €. Im Jahr. Vor Steuern. Ob das per Defintion jetzt „arm“ oder „nur prekär“ oder – es ist auch egal – ich finde es trotzdem besser, wenn man mal mit konkreten Zahlen spricht und nicht mit diesem schlecht greifbaren „arm“. Und das Selbstständig das Wörtchen „ständig“ drin hat – bekannt, nicht wahr? Ich habe auch in schlechten Jahren bestimmt nicht weniger gearbeitet.

    Das zweite ist:
    Diese ganze Kindergeschichte ist auch im größeren Zusammenhang zu sehen. Wer wenig genug Geld hat, um als arm zu gelten, der hat vermutlich in den wenigsten Fällen einen gesicherten Job, sondern -wenn überhaupt – einen oder zwei oder drei Hilfs- oder Zeitjobs.
    Die ständige Angst, ob die auch im nächsten Monat noch da sind, die ständige Sorge, dass Waschmaschine und Jeans bitte nicht kaputtgehen dürfen – das kostet deutlich mehr Energie, als man sich von außen vorstellen kann. Das ganze in Verbindung mit der ewigen Erniedrigung, nicht dazugehören zu können, die nicht nur Kinder spüren. Dass Depressionen und auch andere Krankheiten in armen Familien deutlich verbreiteter sind als in der sog. Oberschicht spricht Bände.
    Wenn das ganze Leben aus Rechnen und Tricksen und verstecken besteht um nur zu überleben, dann ist es schwer, auch noch B- und C-Pläne zu entwickeln, um die Kinder musikalisch zu supporten. Denn da geht die Energie schon dafür drauf, auch denen das halbwegs normale Überleben zu sichern. (Sie kennen Frau Nufs Berechnungen zum Schulanfang im Sommer?)
    Wenn aus einem normalen Schulanfang nach den Sommerferien eine mehrtägige Angelegenheit wird (zu Fuß (weil der Bus ja kostet) zum Amt, um einen Zuschuss zu beantragen, nochmal zum Amt, um das Geld, wenn es bewilligt ist zu holen, zu Fuß in den Laden, der die speziellen tralala-Norm-linierten Hefte führt, die die Lehrerin fordert, zu Fuß in den anderen Laden, der die speziellen Hefter führt, den die andere Lehrerin fordert – in der Zeit ließen sich sicherlich viele hübsche Blockflötenvideos gucken.)

    Ich gebe Ihnen Recht, dass eigentlich nicht NUR die Politik für die Kinder zuständig ist. Wenn sie aber dafür sorgt, dass die Eltern sich nicht kümmern können, dann vielleicht doch.

    Ich habe lange fürs Jugendamt gearbeitet und bin sicher, dass keine der Väter oder Mütter, mit denen ich arbeiten musste sich keine Mühe für ihre Kinder gegeben haben. Aber die Mühe ging eben fürs Überleben drauf, für mehr war keine Energie mehr da.
    Und ich habe lange genug nur überlebt, weil meine Frau gut genug verdient. Ich weiß, wie die Existenzangst jede Energie frisst.

    Das sind Dinge, die man sich aus einer halbwegs gesicherten Existenz heraus nicht gut vorstellen kann. Und da sind wir vielleicht dann auch schon weg von Deinem Artikel und bei den Entscheidungend er Politiker, denen diese Vorstellung eben auch fehlt, aber das wird dann vielleicht doch zu groß.

  7. Mir scheint, Sie gehen bei vielen armen Eltern von völlig falschen Voraussetzungen aus. Ich bin Lernpatin einer Achtklässlerin aus einer sogenannt bildungsfernen Familie. Beide Elternteile gingen in der Türkei ganze fünf Jahre lang zur Schule und sprechen nicht besonders gut deutsch. Können Sie sich vorstellen, wie Ihre Welt aussehen würde, wenn das Ihre ganze Bildung wäre? In dieser Welt kommen Bücher ganz einfach nicht vor. Ich vermute mal, dass die Eltern meines Lernpatenkindes noch nie in ihrem Leben in einem Museum waren – das ist von ihrer Lebensrealität so weit weg wie für mich der Mond. Dabei ist die Familie extrem bildungsambitioniert, aber völlig orientierungslos. Bildung ist für sie etwas, das ausschliesslich in der Schule stattfindet. Es gibt schlichtweg keine Vorstellung davon, dass Bildung etwas mit ihnen zu tun haben könnte und auch zuhause vermittelt wird. Und selbst wenn sie das wüssten, würden sie wahrscheinlich denken, dass sie ihren Kindern nicht viel mitgeben könnten. Wie gesagt, das sind extrem bemühte Eltern. Die Mutter geht zu jedem Elternsprechtag und wiederholt eifrig, was die Lehrer*innen ihr erzählen, nämlich dass ihr Kind mehr lernen muss – aber was soll sie da machen? Helfen kann sie beim Schulstoff schon lange nicht mehr.
    Das sind wahrscheinlich alles Dinge, die Sie aufgrund Ihrer Herkunft nicht aus eigener Anschauung wissen. Aber so wie Sie von armen Eltern fordern, sich halt mal anzustrengen, könnte man von Ihnen verlangen, sich mal zu informieren. Wenn Sie jetzt sagen, Sie wissen nicht wie und wo, Sie kennen dieses Milieu und diese Leute nicht – willkommen in der Welt meiner Lernpatenfamilie. Dort kennt man keine Akademiker*innen, weiss wenig bis nichts von deren Lebensrealität, und weiss nicht, was für den Bildungserfolg – den sie sich für ihre Kinder sehr wünschen! – nötig und wichtig ist.

    1. Aber wenn diese Leute, wie Sie sagen, am Bildungserfolg interessiert sind, müsste es dann nicht reichen, sie über die Faktoren aufzuklären, die Bildungserfolg fördern oder hemmen? Wenn es um die eigenen Kinder und deren Erfolg geht, muss es doch möglich sein, über den eigenen Schatten zu springen und bequeme Verhaltensweisen zu ändern.

      (Ich kenne im Übrigen mehrere Mütter, die genau das geschafft haben, vor allem Frauen aus dem asiatischen Kulturkreis, die selbst wenig Formalbildung besitzen, aber jeden Tag mit ihren Kindern gelernt haben, sich systematisch umgehört haben, wie andere Familien leben, was sie lesen, sogar ein Instrument gemeinsam mit den Kindern gelernt haben, und deren Kinder im Bildungssystem sehr erfolgreich sind. Die Tigermutter ist gerade angesichts einer Kultur demonstrativer Lässigkeit keine sehr einnehmende Erscheinung, aber es scheint tatsächlich eine Willensfrage zu sein.)

      1. Ein Faktor, der den Bildungserfolg im deutschen Schulsystem stark beeinflusst, ist die Fähigkeit der Eltern, ihren eigenen Kindern den Schulstoff zu vermitteln (bzw. den Nachhilfeunterricht zu bezahlen).

        Ein Problem vieler türkischer Familien ist, dass sie davon ausgehen, es reiche für den Bildungserfolg aus, die Kinder zur Schule zu schicken.

        1. Würde es etwas bringen, mehr aufzuklären? In den Kitas zu vermitteln, was Familien zu Hause machen sollten? Seitens des Jugendamts oder der Arbeitsagenturen Auflagen zu erteilen, deren Erfüllung nachgewiesen werden muss, um von Vorteilen zu profitieren oder Nachteile abzuwenden?

        2. @modeste: Fänden Sie das wirklich so eine gute Idee, wenn eine Hartz4 Beraterin vom Arbeitsamt Ihnen Auflagen über Kindererziehung machen würde? Wie viel Einfluss soll der Staat darauf haben, wie wir zu Hause mit unseren Kindern umgehen? Und wer entscheidet dann genau über was?

          Sehen Sie, die Menschen sind eben unterschiedlich – und was Ihnen zum Thema Bildung erstrebenswert erscheint (Konzert, Oper, Theater, Museum), finden andere verzichtbar. Ist nicht die Grundidee einer freiheitlichen Gesellschaft, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll?

          Ich bin der Meinung, Umfang und Qualität der Betreuung sollten verbessert werden. Die Berliner Regelung, ab 3 Jahren vor Schulbeginn keine KiTa-Gebühren mehr zu erheben, war ein Schritt in die richtige Richtung – gerade in Hinsicht auf Kinder, bei denen zu Hause kein Deutsch gesprochen wird. Und die Berliner Elternbriefe finde ich übrigens sehr gelungen. Zwangsmaßnahmen, die über die derzeitigen Möglichkeiten der Jugendämter hinausgehen, halte ich für keine gute Idee.

        3. Ich glaube auch, dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll. Ich habe nur den Eindruck, dass viele dieser Leute nicht glücklich sind, sondern in vielfacher Hinsicht Mangel leiden. Ich möchte ihnen und ihren Kindern Fernsehshows und Schlagersänger (oder was auch immer sie schön finden) gar nicht verleiden, ich möchte nur, dass ihre Kinder die Wahl haben, ob es Helene Fischer oder die Berliner Philharmoniker sein sollen. Mir geht es um Wahlfreiheit, nicht um Bekehrung.

        4. @modeste: Schlager? Ich bitte Sie, was denken Sie von mir! Ich spiel meinen Kindern doch keine Schlager vor. Meine Kinder bekommen ausschließlich Death Metal zu hören! Und zwar vom Feinsten (und Bach, wenn ich am Klavier sitze). Von Wahlfreiheit halte ich da gar nichts.

          Schlager können sie später immer noch hören, wenn sie als Teenager gegen ihre Eltern revoltieren wollen.

  8. Nachtrag: es geht nicht ums entweder-oder. Es dreht sich doch letztlich um die Frage, welche Verantwortung individuell ist (und damit meine ich wirklich individuell, nicht Klasse, Gruppe oder Milieu, das sind nur statistische Beschreibungen und keine handelnden Entitäten) und welche gesellschaftlich (= read Verantwortung von Staat und privaten gesellschaftlichen Gruppen). Nochmal: was ist so schwer daran, beide in der Verantwortung zu sehen? Alles andere ist absurd. Was mir halt bei Deiner Analyse zu kurz kommt, sind die realen, physiologischen und psychologischen Grenzen der jeweiligen Individuen. Und da sind nunmal einige so, das sie ohne aktives Zugehen nicht durchbrochen werden können und manche auch einfach hard wired sind. Und dann muss Mensch weg von der statistischen Gruppe und rein in jedes einzelne individuelle Schicksal und jede einzelnen Lebenssituation, alles ist nicht adequat. Und ehrlich, das ist das einzige was mich hier in der Debatte nervt: du weisst einer (dir nach eigener Aussage unbekannten) Gruppe von Menschen aufgrund statistischer Zahlen schuldhaftes Verhalten vor, schuldhaftes Verhalten ist aber immer individuell und findet seine Grenzen in der Schuldfähigkeit. Und so sehr ich deinen Rant bezüglich Presseartikel verstehe, so zu argumentieren geht einfach nicht. Erst recht nicht durch eine Juristin.

    1. Aber willst Du die Kinder dann einfach ihren – aus welche Gründen auch immer – pädagogisch inkompetenten Eltern überlassen, für die hier ja jeder Kommentar vor Verständnis überquillt? Was nützt es denn, die Eltern von Schuld freizusprechen, aber in zwanzig Jahren sitzen die Kinder dann wieder in solchen Verhältnissen fest? Müssen Eltern nicht ihr Bestes geben? Wenn das Beste nicht reicht, Eltern also erziehungsunfähig sind, bietet die Rechtsordnung im Übrigen Maßnahmen, das machen dann die Jugendämter, denen eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung zu wünschen wäre.

      1. Ich beschreibe neurophysiologische und psychologische Fakten, das hat nix mit Meinung oder Verstaendnis zu tun. Was tun? Kinderführerschein also? Individuelle Betreuung wo nötig, Schulen mit angemessener Klassenstärke, gute Ausstatt… Verdammt, ich zitieren ja fast den Artikel. Und auch das perfekte System drum rum entbindet die Eltern und irgendwann die Kinder nicht, Chance zu ergreifen. Verantwortung zu über nehmen. Und es wird immer noch einen Prozentsatz x geben, der drauf sch**** Damit wird Mensch leben müssen. Wie gross das X ist oder sein soll, ist die zu klärende politische Frage und daraus resultiert halt dann das nötige Budget. Oh und fitte und engagierte Menschen die es klug einsetzen. Und, und jetzt hör ich auf: in einer freiheitlich, demokratischen Welt zu akzeptieren: du kannst sie nicht alle helfen.

  9. Was mich an dem zitierten Artikel stört: Die Tatsache, dass es eine Korrelation zwischen Bildungschancen der Kinder und Einkommen der Eltern gibt, bedeutet eben nicht, dass sich die Bildungschancen der Kinder automatisch verbessern, wenn die Eltern mehr (Kinder-)Geld bekommen. Das ist viel zu kurz gedacht.

    1. Das fürchte ich auch. Vielleicht würde es etwas helfen, wenn es mehr Beratungsangebote gäbe, für Familien, deren Kinder ersichtlich Probleme haben, auch einmal verpflichtend.

  10. Mir scheint sie gehen davon aus, dass Bildung, beruflicher Erfolg und Geld der Garant für ein zufriedenenes oder gar glückliches Leben ist. Und dass sie konsequenterweise Kindern den Weg dorthin bereiten wollen. So einfach ist es nicht, ohne jetzt auf die Erkenntnisse der Glücksforschung einzugehen.

    Vielleicht sollte man mal einen anderen Blickwinkel einnehmen. All diese jungen – oder nicht mehr so jungen Leute, die sich mit Praktika, als Freiberufler, mit präkären Arbeitsverträgen, oder anders ohne Aussicht auf eine stabile berufliche Existenz oder Karriere rumschlagen. Mit Angst vor dem Alter, – sowohl aus persönlichen als auch finanziellen Gründen, mit der Hoffnung was zu erben, weil es für die eigene Altersversorgung nicht reicht, usw. Ein großer Teil von ihnen kommt sicherlich nicht aus bildungsfernen Elternhäusern. Sie sind gebildet, haben die Welt gesehen und sind gut ausgebildet. Hat sich das ausgezahlt für sie? Sind sie glücklicher als derjenige, der im Schichtdienst die U-Bahn fährt, die sie benutzen?

    „Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch der F., wenn er einmal groß ist, ebenso ein komfortables Leben führt wie wir alle, selbst diejenigen, die vielleicht nicht die Hellsten sind oder wirklich miese Examina haben.“

    Ist nicht so einfach. Das mit dem komfortablen Leben. Ich bin im Vorstand eines Sportvereins in Schöneberg-Nord. Den obigen Satz würden die meisten unserer Eltern, „mit Migrationshintergrund“ oder ohne, nicht verstehen. Denn ein Leben ohne „Kampf“ oder Einschränkungen können sie sich gar nicht vorstellen. Aber die Zuversicht, dass ihre Kinder zufrieden und glücklich sein werden, das würden sie unterschreiben.

    1. Nein, natürlich macht Geld nicht glücklich. Aber ich möchte, dass auch die Kinder der Armen zwischen verschiedenen Lebensstilen wählen können. Das geht aber nicht, wenn ihnen viele Türen verschlossen bleiben, weil ihre Eltern ihnen weder kulturelle noch kulinarische Vielfalt eröffnen. Ich glaube schon an glückliche U-Bahnfahrer, wieso auch nicht, aber ich möchte, dass jeder eine ernsthafte Chance hat, entweder U-Bahnfahrer oder Richter am Bundesverfassungsgericht zu werden. Das ist derzeit leider nicht so.

      Was die angeblich prekarisierten jungen Leute mit bildungsbürgerlichem Hintergrund angeht, so halte ich das für ein Übergangsphänomen. Ich habe 1995 Abi gemacht und danach Jura studiert. Wir haben alle sehr lange Ausbildungen absolviert und zwischendurch nicht viel verdient. Viele Kommilitonen haben sich große Sorgen gemacht. Meine Freunde und ich sind aber alle ganz gut gelandet, jeder ungefähr da, wo er auch hin wollte. Das wird auch bei denen so sein, die jetzt 25 sind, da würde ich mir keine Sorgen machen. Auch was Söhnchen F. angeht, wüsste ich nicht, warum ihm nicht alle Türen offen stehen sollten, und den Kindern aus Schöneberg eben auch.

  11. Wenn man jetzt mal davon ausginge, dass Sie recht haben: Wie kann man denn die Eltern zu mehr Verantwortung bringen? Dass die entsprechenden Eltern sich nicht um die Kinder sorgen, setzen Sie ja nicht voraus. Also scheint informieren allein nicht zu helfen. Und ich glaube, genau deswegen soll der Staat sich mehr einsetzen. Mehr Kindergeld ist da sicher nicht die einzige Schraube, aber wenn das Essen schon einmal gesichert ist, kann man auch mal einen Gedanken an andere Dinge verschwenden.

    Wenn aber die Eltern keine Idee haben, was ihren Kindern wirklich hilft, dann ist es doch gut, wenn der Staat, wo er kann, eingreift und für JEDES Kind die Möglichkeit schafft, Musik zu machen, ins Museum zu gehen oder eben Fußball zu spielen oder was auch immer. Das fände ich eine gute Idee. Dafür würde ich auch gern Geld ausgeben. Dann können alle Kinder ganz frei entscheiden, was sie gern machen möchten und dann bei ihren Eltern nachforschen, ob die das unterstützen können und wollen. Und diese Eltern könnten dann schauen, wo es Unterstützung für die Wünsche der Kinder gibt – da hilft dann Information.

    Mir kommt es nämlich so vor: Die Kinder sehen in ihrer Peergroup, z.B. dass viele einen eigenen Fernseher haben und möchten auch einen. Die Eltern mühen sich ab, damit das Kind seinen Wunsch erfüllt bekommt und dann mit den anderen Kindern übers Fernsehen reden kann.

    Wissen Sie, meine Eltern haben sich sehr bemüht und waren mit mir im Museum und im Theater und ich kann ein Instrument spielen und so weiter. Aber ich war wahnsinnig unbeliebt, weil unsportlich und zu schlau. Das hätte ich gern gegen einen Fernseher im Kinderzimmer und Freunde getauscht.

    Heute bin ich das, was man wohl erfolgreich nennt. Aber meinen Job mache ich nicht, weil ich ihn mag, sondern weil ich ihn kann und dafür Geld bezahlt wird. Fürs Musizieren und Meerschweine streicheln gibt es leider nicht genug Geld um als erfolgreich durchzugehen – Ausnahmen mal nicht beachtet. Bestimmt hätte ich meinen Eltern einen Vorwurf gemacht, wenn ich kein Abitur gemacht hätte und so weiter, aber da sind Eltern chancenlos. Vorwürfe gibt es immer.

    Ich finde es etwas unfair, zu behaupten, dass Kinder unglücklich werden, weil die Eltern ihnen nicht abends vorlesen und mit ihnen ins Theater gehen. Sind denn alle mit Bildungsbürgerhintergrund in der Lage, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen? Oder sind alle, die das können, glücklich?

    Ich finde, wir sollten uns von dem eng gefassten „Ich kann nur glücklich werden, wenn ich gebildet bin und einen Sack voll Geld verdiene“ verabschieden und mal sehen, was wirklich wichtig ist im Leben.

    Und ganz am Rande: Was ist denn an einem Cello nicht auszuhalten? Das finde ich ganz schön gemein dem F. gegenüber, dass er seine Träume da nicht durchsetzen kann. Vielleicht wäre er ein begnadeter Cellist geworden und noch dazu glücklich und nun muss er Klavier spielen… Ich finde Blockflöte nicht auszuhalten, auch nicht, wenn man arm ist. Da würde ich meinen Sohn lieber in den Sport schicken…

    Übrigens gibt es hier und da Förderprogramme für Musikunterricht, sonst hätte ich nie ein Instrument lernen können. Das Instrument und der Lehrer wurde von der Stadt bezahlt, wenn man irgendwelche Formulare ausfüllt. Aber wenn die Eltern Probleme haben, selber zu lesen, sind solche Dokumente oft auch ein Buch mit sieben Siegeln.

    1. Nein, Bildung und ausreichend Geld ist kein Garant für Glück. Aber wer nicht gebildet ist und kaum Geld hat, hat weitaus weniger Chancen, seine Vorstellungen von Glück zu realisieren oder überhaupt Vorstellungen zu realisieren. Sie und ich haben immerhin die Wahl zwischen verschiedenen Lebensmodellen, das ist bei vielen Leuten nicht so.

      Was Ihre Schulzeit angeht, so tut mir das leid. Da ist etwas schief gelaufen. Ich glaube aber nicht, dass das an der Musik lag. Ebenso hätten Sie im gemeinsamen Musizieren im Schulchor oder -orchester Freunde finden können. Falscher Ort, falsche Zeit vielleicht, möglicherweise hätte es schon ein Schulwechsel getan? Von meinen Freunden hatte jedenfalls niemand einen Fernseher im Zimmer und viele Eltern hatten auch keinen, wie auch meine.

      Was das Cello angeht, so ergibt das bei einem Vorschulkind noch wenig Sinn, das Instrument ist zu schwer, wir wohnen in einer Wohnung, in der man sich akustisch schlecht abschirmen kann und wir müssten täglich weit mehr als jetzt mit ihm üben. Wenn er acht oder neun ist, kann er immer noch das Instrument wechseln, hat dann aber schon viel Musikwissen. Derzeit hat er viel Spaß mit dem Klavier, lernt die ersten Noten, arbeitet mit dem Metronom, spielt kleine Lieder und ist sehr stolz, wenn er seine Fertigkeiten vorführen kann.

      1. Für meine verkorkste Schulzeit wollte ich auch nicht meine Bildung oder Musik verantwortlich machen. Ich wollte nur zeigen, dass es nicht immer hilft und manchmal auch ein Kacksweg ist, der für das Kind blöd sein kann. Man hat leider im Leben immer gleich Auftritt und nie Probe. Da weiß man hinterher, dass es blöd war, aber nicht wie es anders gewesen wäre.

        Das, was Sie über Wahlmöglichkeiten sagen, verstehe ich sehr gut. Irgendwie ist das aber auch wieder schwer, wenn man aus Akademikerkreisen kommt. Da ist dann „nur“ Ausbildung oder im Bild von einem Kommentar weiter oben zu bleiben „nur“ U-Bahn-Fahrer keine Option. Ein Studium muss her. Und das sollte auch „was Ordentliches“ sein. Ich habe mich da auch immer ein bisschen gedrängt gefühlt und nicht völlig frei in meiner Entscheidung.

        Das mit dem Cello war eigentlich auch nur ein kleiner Scherz. Ich glaube, dass es nie zu spät ist, ein Instrument zu lernen, wenn man den richtigen Drive hat und Klavier finde ich auch sehr schön. Und im Vorschulalter ist eh alles offen. Sehr niedliche Vorstellung wie der F. da am Klavier sitzt. 🙂

        1. Es ist aber ein Unterschied, ob man die Wahl hat und nur fürchtet, die Familie sei viellicht vom Ergebnis nicht begeistert, oder ob man die Wahl gar nicht hat. Es gibt kein Recht auf Applaus. Ich finde aber, es sollte ein Recht darauf geben, das zu machen, was man gern und gut macht.

  12. Also zunächst war mein erster Impuls beim Lesen das Artikels völlig anders als bei dir, nämlich zustimmendes Nicken. Und doch denke ich, dass du insofern recht hast, dass die Eltern nicht aus der Verantwortung genommen werden können. Beides auch aus meiner eigenen Geschichte heraus. Wir, also mein Exmann und ich haben beide auf dem zweiten Bildungsweg studiert und eben innerhalb dieser Zeit unsere Kinder bekommen. Geboren sind die beiden 1988 und 1993, also jetzt erwachsen. Aber ich kam selbst schon aus so einem Haushalt in dem meine Eltern ahnten, dass Bildung sehr wichtig ist. Und uns also das eine oder andere ermöglichten, wie Bücher, Musikinstrument etc. Das hat unter anderem heute die Nebenwirkung, dass meine Mutter sehr beleidigt darüber ist, dass ich immer so „hochgestochenens“ Zeug lese oder anders konsumiere. Dieser Angst, dass die Kinder sich zuweit entfernen gilt es ebenfalls zu begegnen. Bei der alleinerziehenden Mutter meines Partners gab es schlicht kein Buch und keine Unterhaltung, die über Fernsehen hinaus ging. Und daher war es für meinen Partner, der sich für seine Kinder Arme und Beine ausriss, unendlich viel schwerer, vorzulesen und überhaupt einen entsprechenden Mangel zu empfinden. Museumsbesuche sind für ihn bis heute eher rausgeschmissenes Geld, auch wenn er mitnichten die Kultur schlecht redet. Wir haben ewig lange an der Armut knapp vorbeigelebt, wollten aber den Kindern alles ermöglichen, was gut für sie ist. Also gab es Cello beim Sohn und Eishockey bei der Tochter. Und einen Auslandsaufenthalt für beide (jeweils ein knappes Jahresgehalt von mir). Und das hat so unendlich viel Kraft und Energie gekostet. Und ja, wir hätten auch mit Blockflöte und Turnverein erziehen können. Das hatte jedoch Gründe, die hier zu weit führen. Aber etwas mehr Geld hätte unglaublich viel Entspannung in unseren Alltag bringen können. Und es wäre soviel leichter gewesen, wäre das eine oder andere (stärker) bezuschusst worden. Geld in Museen (Museumspädagogik!) oder Sportvereine oder Musikschulen zu stecken wäre wirklich eine Hilfe, für die, die das in Anspuch nehmen möchten. Und ohne, dass ich jetzt eine Idee hätte, wie es funktionieren könnte, glaube ich, dass man (der Staat, die Politik??) Eltern Spass vermitteln sollte an den vielen Dingen, die auch toll für ihre Kinder sind. Das funktioniert m.E. nicht über „das Beste wollen“, sondern auch gemeinsam Freude an schönen Dingen empfinden. Wenn man sich z.B. die erschwinglichen Bilderbücher in Kaufhäusern anschaut ist das sehr gruselig. Aber woher soll ich als Mutter oder Vater wissen, dass dort ganze Welten zu entdecken sind? Dafür gilt es wirklich Geld für Angebote in die Hand zu nehmen. Und jedes Kind, welches mehr möchte zu unterstützen mit Bibliothekskarten und dergleichen.
    Auch wenn man damit sicher nicht alle erreichen kann, ist die Antwort leider doch häufig Geld. Ich erinnere mich sehr gut an meine Verzweiflung, weil die benötigte Brille zu teuer, der Sport nur mit Almosen anderer Eltern machbar und die Klassenreise auch nur mit Hilfe anderer zu machen war. Und alleine diese Schmach ständig auszuhalten ist nicht leicht. Wenn man dann noch andere Leute (Lehrerinnen, Erzieher usw. fragen müsste, was gute Musikvideos, Bücher oder so seien, hmm, das würde doch sehr an der eigenen Selbstachtung kratzen. Sehr schwierig.

    1. Kostenlose Bildungsangebote sind wichtig. Dass es gratis Kinderführungen in Museen gibt, in denen unabhängig von Eltern Begeisterung für Ritter, Pyramiden oder tote Kaiser vermittelt wird. Dass Kinderkunstangebote und -labore in Schulen für sich werben, so dass nicht nur diejenigen, die wissen, dass es so etwas gibt, sie finden und nutzen. Auslandsstipendien finde ich auch nicht schlecht. Dass Stipendien – ich habe so etwas gelesen – vorwiegend Kindern zugute kommen, die sie gar nicht brauchen, finde ich auch skandalös, muss allerdings zugeben, dass ich auch mit Stipendium promoviert habe und es sehr angenehm fand, drei Jahre gar nichts zu tun.

      Ob es mehr direkte Sozialleistungen geben sollte, ist vermutlich Ansichtssache. Ich glaube, das bringt nicht viel für die Kinder. Vielleicht entspannt es die Eltern. Ich höre manchmal, es sei sehr schwer, mit Sozialleistungen auszukommen, aber da mag ich mir kein Urteil anmaßen. Es ist vermutlich etwas anderes, als arme Studentin an den Buffets von Berlin zu nassauern, als mit zwei Kindern nie in Urlaub zu fahren.

      1. Oh ja, die Stipendien. Ich hab mich nicht mal beworben bei der Stiftung, bei der meine Lehrerin mich vorschlagen wollte. Weil: „Ich würde wahrscheinlich eh nur das Büchergeld bekommen“ – weitere Vorteile von so einem Stipendium (Kontakte! Blickwinkel!) konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Wie auch, Eltern mit Volksschulabschluss, die wollten schon, dass ich studiere, konnten sich aber natürlich nicht so genau vorstellen, wie das dann aussieht.

        Und wer hat das Stipendium von der Deutschen Studienstiftung in unserem Jahrgang bekommen? Der Sohn von zwei Richtern, der dann selber Jura studiert hat. Der hat da wohl keine Sekunde dran gezweifelt.

        1. Das ist ärgerlich. Die Stiftungen sollten ihre Förderkriterien überdenken.Gut und wichtig fände ich es auch, Kindern Auslandsstipendien für High-School-Jahre zu vermitteln, damit diese großartige Erfahrung nicht am Geld scheitert.

  13. Wenn man einfach keine Menschen in seinem Umfeld findet, die gefördert werden möchten, aber ahnt, dass es irgendwo in der Nähe doch Menschen gibt, die sich darüber freuen würden, empfehle ich erst mal das hier: http://www.mentor-bundesverband.de/index.php/mentor-bund.html

    Ansonsten in den entsprechenden Stadtteilen bei Kitas oder Schulen fragen. Bei uns werden in der Kita „Lese-Omis“ gesucht, aber bestimmt auch Männer und Frauen jüngeren Alters genommen.

      1. Ich bin Mitglied bei Mentor und Lesepatin und kann die Gedanken von Modeste teilweise nachvollziehen. Mein vorheriges Lesekind (Zweitklässlerin mit großen Lernlücken) besaß ein Handy und ein Tablet, aber kein Puzzle, kein Memory, obwohl es das so gern spielt (und ein Puzzle sicher billiger als ein Handy ist, am Geld kanns also nicht gelegen haben). Die Eltern haben die (kostenlose) Lesestunde, die auf spielerisches Lernen angelegt ist und in der direkt auf die Vorlieben des Kindes eingegangen wird, ständig torpediert und haben das Kind oft vorher abgeholt, sodass ich umsonst kam. Die Lehrerin erzählte mir, dass die Familie auch gern mal ein verlängertes Wochenende auf dem Campingplatz verbringt und das Kind dann freitags und montags in der Schule fehlt.
        Jetzt habe ich ein Flüchtlingskind als Lesekind. Die Familie lebt sehr beengt und mit wenig Geld, die Eltern gehen derzeit in einen Deutschkurs. Das Kind ist zu jeder Lesestunde anwesend. Neulich hat es mir stolz ein Lernheft gezeigt, dass der Papa ihm gekauft hat. Und hat berichtet, dass die Mama das Einmaleins mit ihr lernt, weil die Mama sagt, das müsse sie können. Wenn ich sie frage, was sie in der Schule am liebsten macht, sagt sie strahlend „alles“.
        Wahrscheinlich hat die Familie meines ersten Lesekindes mehr Geld als die meines zweiten. Aber Schule, Bildung, Lernen ist ihnen völlig egal. Die Familie meines zweiten Lesekindes begreift Schule, Bildung, Lernen als Chance. Und diese unterschiedlichen Auffassungen spiegeln sich auch genau so im Verhalten der Kinder in der Lesestunde wieder.
        Mich hat das ernüchtert zu erleben, wie wenig Unterstützung greifen kann, wenn der andere sie nicht annehmen will. Geld allein löst das Problem jedenfalls nicht.

        1. Solche und ähnliche Geschichten höre ich auch öfters. Mich macht das oft wütend, ich würde gern einmal die Eltern treffen und ihnen sagen, dass sie die Zukunft ihrer Kinder beschädigen, aber vermutlich würden sie dies weit von sich weisen. Ich glaube, Verhaltensänderungen gibt es nur mit ein bisschen sanftem Druck.

  14. Mir ist dieser Blogeintrag tageslang im Kopf hergerollt. Ich komme aus so einer Familie, in der die Kinder von ihren Eltern besser hätten gefördert, unterstützt oder wenigstens einmal gelobt werden können. Ich bin heute noch, mit 54 Jahren, fassungslos, wie egoistisch meine Eltern oft waren. Und wie wenig sie diese Sicht der Tochter verstehen würden. Weil sie sich für die besten Eltern der Welt halten, die für ihre vier Kinder nur Opfer gebracht haben.
    Und doch weiß ich, dass meine Eltern nicht mehr und nicht weniger getan haben, als sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten konnten. Deshalb mache ich meinen Eltern auch keine Vorwürfe. Und anderen Eltern auch nicht. Weil meine Vorwürfe dann nämlich den selben Ursprung hätten, der m.E. Ihrer Argumentation in erschreckender Weise zu Grunde liegt. Meine Eltern haben gedacht / denken, dass alle Menschen sind wie sie – gleiche Werte, gleiche Vorlieben, gleiche Möglichkeiten. Ihr Lieblingssatz ist „Das verstehe ich nicht“. Was sie nicht verstehen, kann auch nicht richtig sein. Die Prioritäten meiner Eltern sollten die Prioritäten ihrer Kinder werden. Etwas anderes lese ich aus Ihren Zeilen auch nicht heraus. Sie fragen: „Wieso sind die anderen nicht wie ich?“. Es gibt Menschen, die nicht so sind wie Sie, weil sie in einem anderen Referenzrahmen aufgewachsen sind und leben. Weil 55 Stunden fremdbestimmte Knochenarbeit anders müde machen, als 55 Stunden selbstbestimmte Erwerbsarbeit, die sehr gut bezahlt wird. Weil viele Menschen (mehr als Sie glauben) krank sind, körperlich und seelisch, und erschöpft, und alleine, und mutlos, und traurig. Das Letzte, was man in so einer Situation braucht, sind verständnislose Vorwürfe von glücklichen, selbstbewussten Menschen, die es sich leisten können, in Restaurants zu essen.

    1. Da haben Sie mich missverstanden: Ich möchte keineswegs, dass alle Leute so sind wie ich. Wozu auch? Ich möchte noch nicht einmal, dass mein Sohn so wird wie ich, sondern hoffe, dass er ganz er selbst wird und sich mächtig wohl dabei fühlt.

      Ich wünsche mir allerdings, dass alle Eltern Erziehungsstrategien verfolgen, die sich empirisch als erfolgreicher als andere darstellen, weil ich auch diesen Kindern Erfolg bei der Verwirklichung ihrer Ziele und Pläne wünsche, egal, wie diese aussehen mögen.

  15. Und wenn Ihr Sohn würde, wie es sich empirisch als nicht erfolgreich erwiesen hat?

    Sie „würden gern einmal die Eltern treffen und ihnen sagen, dass sie die Zukunft ihrer Kinder beschädigen“, weil Sie glauben, im Recht zu sein, weil Sie möchten, dass „diese Leute“ so werden wie Sie, weil sich das „empirisch als erfolgreicher dargestellt“ hat. „Diese Leute“ sollen nicht, wie Ihr Sohn K., „ganz sie selbst“ sein dürfen und sich dabei wohl fühlen. Sie sollen sich ändern nach Ihren Maßgaben, notfalls mit „sanftem Druck“. Das finde ich herablassend und bevormundend.

    Ich würde auch mit Ihnen über „empirisch als erfolgreicher“ diskutieren. Über „empirisch“ und (vor allem) über „erfolgreicher“.

    1. Ich glaube, Sie lassen sich ein bisschen von Ihrem persönlichen Ressentiment beeinflussen, unterstellen mir Ansichten, die ich tatsächlich nicht hege und arbeiten sich an diesen dann überraschend emotional ab. Aber im Einzelnen:

      In Hinblick auf „Erfolg“ suggerieren Sie, ich würde von meinem Sohn Erfolg in einem bürgerlich-ökonomischen Sinne erwarten. Wie Sie meinem Kommentar entnehmen können, ist das Gegenteil der Fall. Mir ist unklar, wie Sie auf Ihre Ansicht überhaupt kommen, hier scheint ein Vorurteil eine Rolle zu spielen, mit dem Sie sich auseinandersetzen sollten.

      Dass ich nicht möchte, dass jeder so wird wie ich, habe ich ebenfalls klargestellt; ich empfinde auch die Unterstellung als absurd. Als Liberale wünsche ich jedem, dass er die Version seiner selbst realisiert, die er persönlich anstrebt. Was ich davon halte, ist in dieser Hinsicht völlig unerheblich. Davon klar zu unterscheiden ist aber die Frage, ob auch jeder mit seinen Kindern machen soll, was er will. Und hier meine ich, dass das Erziehungsrecht der Eltern dort endet, wo sie ihren Kindern schaden. Dieses Verständnis findet seinen Widerhall im Übrigen in Art. 6 II GG. Ihr Verständnis von elterlicher Verantwortung ist mir dagegen nicht deutlich geworden. Anders als Sie es suggerieren, gibt es durchaus empirische Untersuchungen, die eindeutig belegen, dass manche Erziehungsstrategien zu höheren Schulabschlüssen und höheren Einkommen führen. Sie könnten mir nun im nächsten Schritt entgegnen, das sei nun auch nicht alles und hätten damit natürlich recht. Allerdings stehen die Chancen eines Kindes, seine persönlichen Ziele zu erreichen mit Abitur deutlich besser als ohne, und auch Geld macht bekanntlich nicht glücklich, aber im Durchschnitt sind Menschen mit einem Einkommen von 3000 EUR glücklicher als Menschen, die nichts verdienen und von staatlichen Ersatzleistungen leben müssen.

      Ich präzisiere also nochmals: Es geht mir um die Lebenschancen der Kinder. Vielleicht denken Sie noch einmal über Ihren sehr emotionalen Kommentar nach und lösen sich insbesondere von argumentativen Leerformeln wie „überheblich“, die aus meiner Sicht nicht geeignet sind, meine Grundthese zu verifizieren oder zu falsifizieren. Ihre These ist mir dagegen nicht recht deutlich geworden.

  16. Ich finde das eine sehr interessante Diskussion und möchte auch noch mal meine zwei Pfennige einwerfen.

    Ich erinnere mich noch an die Zeit nach dem Tod meiner Mutter. Ich war 20 und studierte. Meine Mutter hat mir ein Haus überlassen mit einer vermieteten Wohnung und einem Haufen unsortiertem Papierkram. Nun war ich ein intelligentes und gebildetes junges Mädchen mit allen Voraussetzungen. Ich weiß aber noch ganz genau wie überfordert ich mich anfangs fühlte. Die ganzen nötigen Formalitäten, Amtsgänge, plötzliche Rechnungen für alle möglichen Dinge über die ich mir nie Gedanken gemacht habe.
    Schwierig war das eigentlich auch alles nicht. Trotzdem bin ich ziemlich geschwommen.

    Was hat das mit arm zu tun? Nichts aber ich kann mir vorstellen, wie schwierig es für viele Menschen sein muss den ganz normalen Wahnsinn des Lebens zu bestreiten, wenn von zuhause nicht die nötigen Kompetenzen vermittelt wurden. Da sind sicher viele froh, wenn sie die unbedingt notwendigen Formulare abgearbeitet haben und ihre Rechnungen bezahlt bekommen. Zusätzlich zu prüfen, ob nicht noch ein Formular X zur Förderung des Kindes zu bekommen wäre oder ob Amt Y noch eine Idee für einen Zuschuss hätte? Ich verstehe, dass man das einfach nicht hinbekommt.

    Ich habe zuhause nicht kochen gelernt. Meine Mutter konnte das nicht. Ich empfand es anfangs als wahnsinnig schwierig. Nicht das Kochen an sich aber die Überlegungen dazu. Was koche ich? Wie viel brauche ich? Was mache ich mit den Resten? Das fiel mir nicht leicht. Und das ging anderen Studenten ganz ähnlich. Gelernt haben wir es alle aber wir hatten auch Zeit um im Internet nach Rezepten zu suchen und genug Geld so dass es kein Drama war wenn man eher für 8 Personen als für 2 gekocht hat oder wenn übrige Zutaten verschimmelten.

    Was ich damit sagen will? Die Bewältigung eines strukturierten gesunden Akademikeralltages ist leicht, wenn man es gewohnt ist. Aber JEDE Verhaltensänderung benötigt Zeit, Energie, Reflektionsfähigkeit, die Fähigkeit zur Beschaffung von Informationen und Hilfen und fast immer Geld. Man muss das neue Verhalten erlernen und das ist immer mühsam.

    Selbst wenn man das Geld weg lässt… So bleiben mindestens vier wesentliche Ressourcen die man haben muss, wenn man etwas ändern will.

    Und diese stehen vielen Menschen einfach nicht zur Verfügung.

    Für Armut gibt es viele Gründe.

    Ganz sicher ist aber, dass die wenigsten Menschen gemütlich zuhause sitzen und sämtliche Ressourcen zur Verfügung haben und nur keine Lust haben sie zu nutzen.

    Die häufigsten Gründe sind wohl fehlende Bildung, prekäre Beschäftigungen, Krankheit oder familiäre Probleme wie Scheidung oder Pflegefälle in der Familie.

    Wenn man das nun aufdröselt… Fehlende Bildung bedeutet ja nicht einfach, dass es zufällig nicht zum Abitur gereicht hat. Es bedeutet meist auch nicht „Mathe war nicht so meins“. Es bedeutet viel mehr, dass kognitive Fähigkeiten fehlen. Fähigkeiten Dinge die einem erklärt werden zu verstehen und sinnvoll umzusetzen. Es fehlt die Fähigkeit eigene Defizite zu erkennen und anschließend Lösungen zu entwickeln. Ich sehe das teilweise schon bei unseren Azubis. Die haben ja immerhin schonmal einen Schulabschluss und eine Ausbildung. Sind somit nicht die unterste Bildungsschicht und trotzdem nicht in der Lage sich selbst zu helfen. Sie stehen dort und stellen fest „Kann ich nicht“ und finden dafür keine Lösung.
    Man ist es als Akademiker so sehr gewohnt ständig Herausforderungen zu lösen, Informationen zu filtern und zu verstehen was die aufgäbe tatsächlich beinhaltet, dass man schnell vergisst, wie schwer das für andere sein kann. So führte ein „Schreibe jetzt bitte in dein Berichtsheft was du heute gemacht hast und was du wichtiges gelernt“ hast zu dem Satz „Ich habe heute Kaffee für alle geholt und es ist sehr wichtig zu merken wer Milch im Kaffee will und wer nicht, weil sonst muss ich nochmal gehen und selber Geld geben“.
    Und dann sollen solche Menschen Anweisungen von Erziehern, Lehrern und Ärzten umsetzen, die solche umkonkreten Sachen wie „weniger Fernsehen, mehr vorlesen und gesünder kochen“ empfehlen? Wie soll das gehen?

    Nun sind natürlich nicht alle armen Menschen einfach geistig nicht in der Lage. Der nächste Punkt wären prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Die fressen häufig einfach enorm viel Zeit. Schichtarbeit, mehrere kleine Jobs mit Fahrzeiten. Dazu die Organisation der Kinder.
    Ja ich weiß, dass auch viele Akademiker viel arbeiten und Kinder managen. Ich weiß aber auch, dass auch diese oft an ihre Grenzen kommen. Wenn man aber einen festen und guten Job hat, kann man sich eine Wohnung in der Nähe der Arbeit suchen und sich ein Auto kaufen und mit den Kindern mal schnell ins Restaurant gehen wenn die Zeit mal knapp ist. Wie viel mehr Zeit geht wohl drauf, wenn man dort wohnen muss wo die Wohnung bezahlbar ist und von dort mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren muss und nicht schnell beim Bahnhofsbäcker etwas kaufen kann?
    Dazu kommen natürlich die finanziellen Sorgen. Ein weiterer Energiefresser.

    Gesundheit. Körperliche Beschwerden fressen Zeit und Energie. Aber auch psychische Erkrankungen sind häufige Ursachen von Arbeitslosigkeit und Armut. Depressionen, soziale Störungen und Ängste… Da wird die bloße Bewältigung des Alltages schon zur großen Herausforderung. Wer er kaum schafft aufzustehen wird wohl kaum „mehr mit den Kindern spazieren gehen und singen“ können. Wer Angst hat unter Menschen zu gehen wird wohl eher nicht wochenendliche Museuumsausflüge unternehmen.

    Und nun noch der Faktor innerfamiliäre Probleme. Ich lebe gerade in Scheidung. Eine unproblematische und harmonische Scheidung. Trotzdem hat mich diese ganze Trennung so unglaublich belastet. Ich habe angefangen im Büro Fehler zu machen und war nach der Arbeit so kaputt… Ich mag mir gar nicht vorstellen wie unglaublich energiezehrend es sein muss eine unangenehme Scheidung durchzumachen und gleichzeitig Kinder zu haben die unter der Trennung und Situation leiden und noch dazu finanzielle Ängste zu haben. Ich bin mir sicher, dass ich das schaffen würde aber ich bin mir genauso sicher, dass ich den Rat „abends einfach mal eine erfundene Geschichte illustrieren und schon klappt mit der Schule“ ziemlich lächerlich fände.

    Armut ist nicht nur Abwesenheit von Geld. Es ist meist auch Anwesenheit von anderen Problemen.

    Und damit möchte ich noch einen anderen Punkt einwerfen der hier irgendwie recht kurz gekommen ist. Die Entwicklung der Kinder ist nicht nur davon geprägt, wie viel die Eltern sich kümmern sondern auch davon, ob die Kinder Probleme und Sorgen haben. Bei vielen Kindern fallen die Leistungen ab wenn die Eltern sich trennen. Das liegt nicht daran, dass plötzlich keiner mehr mit ihnen lernt sonder daran, dass auch die Kinder ihre Energie dann woanders brauchen.
    Kinder haben nicht nur zu wenig Musikunterricht und zu wenig Ansprache sondern vielleicht auch Sorgen und Ängste die mit der Gesamtsituation zu tun haben. Vielleicht fehlt es nicht an Geigenunterricht und Frühförderung sondern an einer Paartherapie für die streitenden Eltern. Vielleicht fehlt nicht die teure Deutschnachhilfe sondern der gesicherte Aufenthaltsstatus.
    Vielleicht liegen Chantalles Probleme im Geschiunterricht nicht daran, dass sie zu selten im Museum war sondern daran, dass sie müde ist weil sie nachts die kleine Schwester versorgt hat während die Mutter Schichtdienst hatte und kein Geld für einen Babysitter.

    Die meisten Eltern geben ihr Allerbestes und kümmern sich so gut wie sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen eben können.

    Sicherlich gibt es auch schlechte Eltern. Eltern die sich nicht für ihre Kinder interessieren. Eltern die ihr Geld in Alkohol und Zigaretten stecken. Es gibt die schlechten Klischeefamilien.
    Natürlich tragen die Eltern eine Verantwortung.

    Nur was ist die Konsequenz. Was hilft es den Kindern, wenn wir sagen, dass die Eltern verantwortlich sind. Was nützt es, wenn die Eltern es nicht ändern wollen oder können?

    Dann gibt es doch nur die Gesellschaft die das auffangen kann. Und zwar nicht indem es benachteiligte Kinder genau so fördert wie andere sondern indem es sie besser fördert und mehr investiert um einen gewissen Ausgleich zu schaffen.

    1. Bei den Schlussfolgerungen bin ich bei Ihnen: Ich glaube auch, dass der Staat sich für diese Kinder mehr einsetzen muss als für andere. Ich bin allerdings skeptisch, ob das funktioniert. Denn auch die kompensatorischen Projekte, die als erfolgreich gelten, haben es nicht geschafft, armen Kindern vergleichbare Chancen zu eröffnen wie anderen Kindern. Dagegen sind Kinder aus Kulturen, in denen sich auch bildungsferne Eltern intensiv um die Bildung der Kinder kümmern, sehr erfolgreich, wie etwa die Berliner Vietnamesen. Ich würde mir deswegen eine Kombination intensiver staatlicher Hilfen und wirksamer Maßnahmen zur Verstärkung elterlicher Erziehungsleistungen wünschen. Dabei ist mir klar, dass diese Eltern es viel schwerer haben als andere. Ich glaube trotzdem, dass ein Maßnahmenmix aus Fördern und Fordern auch diesen Eltern helfen würde.

      Mir ist bewusst, dass dies den Druck auf diese Eltern weiter vergrößert. Vielleicht kann man ihnen im Gegenzug zu erfolgreichen Maßnahmen andere Sorgen abnehmen. Ich glaube aber, dass es ohne diesen Druck nicht gelingt, den Kindern Chancen zu eröffnen, die sie ebenso verdienen wie alle anderen Kinder auch. Ich wehre mich dagegen, die Eltern in Ruhe zu lassen, weil sie es eh schon schwer haben, und dafür die Kinder aufzugeben.

      1. Modeste ich glaube, wenn man aus heilen Familienverhältnissen kommt kann man sich vieles was bei anderen passiert einfach nicht wirklich vorstellen.
        Ich komme nicht aus armen Verhältnissen aber hatte eine psychisch kranke Mutter. Ich habe versucht mir vorzustellen wie jemand meiner Mutter rät mal mehr mit mir ins Museum zu gehen… Ich bekomme nichtmal die Vorstellung hin. Meine Mutter hatte auch große soziale Probleme. Ich hatte somit kein Vorbild für normales Verhalten. Das machte mir in der Schule Probleme. Aufgrund der Probleme sanken meine Leistungen…

        Es ist häufig doch viel vielschichtiger als „weniger TV und mehr lesen“.

        Dass die Eltern verantwortlich sind sehe ich schon so. Aber was hilft es?

        Aber gut, sagen wir wir müssen die Eltern mehr in ihre Verantwortung nehmen. Wie soll das aussehen? Da muss ja dann jemand sein, der den Eltern erklärt was sie ändern müssen. Damit das irgendeinen Effekt hat, muss derjenige die Familie und die Verhältnisse kennen lernen. Das ist das der Job eines Familienhelfers. Und zB mehr Familienhelfer ist doch dann wieder eine gesellschaftliche Ausgabe.

  17. Ich glaube auch nicht, dass Auflagen das richtige in solchen Fällen wären. Genau wie die Vorredner. Ich fände das sogar ganz schrecklich, weil sie ganz vielen das Leben noch schwerer machen als es ohnehin schon ist und zu einem großen Teil die Schwächsten trifft.

    Meine Familie war selbst auf das Amt angewiesen und ich einige Zeit selbst auch. Ich möchte diese Willkür, diese Abhängigkeit, dieses Machtgefälle (das z.T. hässlich ausgekostet wird) und diesen kafkaesken Bürokratieirrsinn nie mehr erleben. Das allein kostet so viel Kraft.

    Wenn man Familien wirklich helfen will, dann funktioniert das nicht über Strafen, sondern nur über echte Hilfe. Und die kostet Mühe und Zeit und damit auch viel Geld.

    Natürlich gibt es prekäre Situationen, in denen Kinder sträflich vernachlässigt werden und die nicht so bleiben können. Aber auch hier ist es Aufgabe der Gesellschaft (ggü den Kindern) aufmerksam zu sein und Hilfestellung zu geben (z.B. im Rahmen von KiTas und kostenlosen Bildungs- und Sportprogrammen – was allein ein Sommerferiencamp kostet…). Im schlimmsten Fall über Pflegefamilien. Aber dass immer wieder Fälle von Kindesmisshandlung auftauchen, zeigt auch, dass derzeit überhaupt nicht die Ressourcen bestehen um sicherzustellen, dass es allen Kindern auch nur rudimentär gut geht. Dass eben niemand in die Familien rein geht und da zu wenig Kontakt und Hilfe besteht. Was auch immer diese Maßnahmen sein sollen, die du dir wünschst, Modeste, es würde bei unseren staatlichen Geldern in ein weiteres, reines Bürokratiemonster ausarten, ohne, dass den Kindern tatsächlich geholfen wäre. Vermutlich würden diese Eltern ihren Frust sogar noch mehr an ihren Kindern auslassen. Liebe und Fürsorge lässt sich nämlich nicht auf Formularen nachweisen (oder soll man versichern, dass man dem Kind 30 Seiten vorgelesen hat?). Ich kenne Behörden von innen (und von beiden Seiten und auch wenn es darum geht beispielsweise neue Gesetzesvorgaben umzusetzen, die eigentlich Außendienst voraussetzen) und allein qualitativ etwas zu kontrollieren ist mit diesem System schlicht nicht machbar ohne wahnsinnig viel Geld auszugeben – unabhängig davon, ob man das gut findet oder nicht.

    Dadurch, dass man die schwächsten Eltern der Gesellschaft noch stärker triezt und zwingt, wird zudem garantiert keine Familie und garantiert kein Kind glücklicher – und auch nicht gebildeter. Das geht m.E. wirklich nur mit kostenlosen guten Angeboten. Und davon gibt es ja nun mal eindeutig zu wenige.

    1. Ich habe den Eindruck, dass die kostenlosen Angebote, die es gibt, nicht bei denen ankommen, für die sie gedacht sind, aber nun, schaden wird es nicht. Ich wundere mich allerdings nach wie vor über die Ansicht, dass Druck nichts bringt. Ich bin Juristin und kann versichern: Leute machen eine ganze Menge, wenn sie müssen.

  18. Bei allem für und wider zur Verantwortung der Eltern, mehr oder weniger erfolgreichen Strategien, sie „ind die Pflicht“ zu nehmen und so weiter geht die Rolle der Schulen etwas verloren. In wenig anderen Ländern bestimmt die Herkunft so sehr den Bildungsabschluss wie bei uns (selbstverständlich gibt es Ausnahmen wie vietamesische oder griechische Familien). Das zeigt sehr deutlich, dass es nicht nur an den Eltern und ihren Engagement liegen kann.
    Armsein heißt übrigens auch, Nachhilfe nicht zahlen zu können. Und ohne die bewerkstelligen viele Kinder die Schule nicht. Nur Familien mit ausreichend Geld können sich das leisten. Kostenlose Bildungsangebote die hier helfen z.B. in Bibliotheken sind aufgrund fehler Finanzierungen permanent von der Schliessung bedroht oder können nur unregelmäßig angeboten werden.
    Es gibt etliche Untersuchungen für beide Aussagen, die leicht zu googlen sind.
    Die Erklärung ist, denke ich komplexer, als die Schuldfrage in Hinblick auf das vermeintliche Versagen der Eltern.

    1. Natürlich liegt schulisches Versagen nicht nur an den Eltern. Aber eben auch an den Eltern. Derzeit wird in der Öffentlichkeit die Rolle von Institutionen stark betont, meiner Ansicht nach dürfte der Mitverschuldensanteil der Eltern aber deutlich höher liegen, als in der politischen Diskussion. Es mag sein, dass mehr Geld und kostenlose Angebote für arme Kinder deren Lage deutlich verbessert, aber ich fürchte, dass sie auch dann nicht gleichziehen werden, wenn man ihren Eltern nicht hilft, ihre Rolle besser auszufüllen.

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